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2.1 Soziale Organisation der Pferdeherde

2.1.2 Dominanzkonzepte

Das Konzept der Dominanz hat viel zum Verständnis der sozialen Strukturen beigetragen. Erstmals wurde es von Thorleif Schjelderupp-Ebbe 1922 in Bezug auf Hühner als sogenannte Hackordnung formuliert. Wenn Huhn A Huhn B pickt und B nicht, oder selten reziprok handelt, ist A dominant über B und B ist A untergeordnet.

A ist der Despot und B hat typischerweise Angst vor A. Dabei impliziert Dominanz, dass sich Individuen erkennen. Der dominante Status in einer Dyade wird durch agonistische Interaktionen, nämlich Picken erreicht und weist einen konsistenten, unidirektionalen Charakter auf (Schjelderup-Ebbe 1922).

Dominanzbeziehungen wurden seither bei verschiedensten sozialen Spezies beobachtet (Wilson 2000). So wurde bei Equiden in verschiedenen Studien die Sozialstruktur betrachtet (Grizmek 1949, Ebhart 1954, Hechler 1971, Klingel 1972, Tyler 1972, Clutton-Brock et al. 1976, Feist u. McCullough 1976, Sereni u. Boissou 1978, v. Goldschmidt-Rothschild u. Tschanz 1978, Asa et al. 1979, Wells u. v.

Goldschmidt-Rothschild 1979, Houpt u. Wolski 1980, Miller 1981, Houpt u. Keiper 1982, Arnold u. Grassia 1982, Berger 1986, Keiper u. Sambraus 1986, Wood-Gush u. Galbraith 1987, Rutberg u. Greenberg 1990, Keiper u. Receveur 1992). In fast allen Fällen wurde die eine oder andere Form einer Rangordnung beschrieben. Nur bei Berger (1986) konnte kein Dominanzrang festgestellt werden. Bei Feist und McCullough (1976) und v. Goldschmidt-Rothschild und Tschanz (1978) konnte nur bei den männlichen Tieren eine feste Rangordnung beobachtet werden. Das Konzept der Dominanz wurde auf viele Situationen übertragen und mit verschiedenen Bedeutungen belegt.

So wird zwischen einer biologischen und einer sozialen Dominanz unterschieden.

Der Begriff biologische Dominanz, oder biologische Rangordnung, bezieht sich auf Dominanzbeziehungen zwischen verschiedenen, miteinander um Nistplätze oder Nahrung konkurrierenden Tierarten (Gattermann 2006).

Dem gegenüber steht die soziale Dominanz, welche die hierarchische Ordnung zwischen Mitgliedern einer Sozietät beschreibt. Die Unterscheidung in biologische und soziale Dominanz ist nur möglich, wenn man Dominanz als "Priorität beim Zugriff auf Ressourcen", oder "der Gewinner ist dominant, der Verlierer subdominant"

definiert.

Auf individueller Basis sind die beiden genannten Definitionen unzureichend, da sie viele Aspekte der Rangbeziehung außer Acht lassen (Drews 1993). Drews untersucht in seiner Arbeit von 1993 das Konzept der Dominanz und findet 13 verschiedene Definitionen der Dominanz. Als Resultat der Untersuchung kommt er zu einer Definition, die dieser Arbeit zu Grunde gelegt werden soll:

Dominanz ist ein Attribut des Verhaltensmusters der wiederholten, agonistischen Interaktionen zwischen zwei Individuen. Sie wird durch ein einheitliches Ergebnis zu Gunsten eines Dyadenmitglieds charakterisiert, wobei die Reaktion des Gegners eher fehlt, als dass die Interaktion zu einer Eskalation führt. Der Status des konstanten Gewinners ist dominant und der des Verlierers subdominant.

Obwohl diese Definition von dyadischen Interaktionen ausgeht, soll nicht ausgeschlossen werden, dass der Ausgang dieser Interaktionen von in der Nähe befindlichen Individuen, welche stillschweigend oder offen einen der beiden Kontrahenten unterstützen, beeinflusst wird. Dies wird unter dem Begriff des abhängigen Ranges beschrieben.

Weiterhin muss man zwischen dem Dominanzstatus und dem Dominanzrang semantisch unterscheiden.

Der Dominanzstatus beschreibt die Stellung eines Individuums in einer Dyade und kann bei statistisch signifikanter Asymmetrie der Ergebnisse als dominant oder subdominant bezeichnet werden. Dabei können jedoch auch ungeklärte oder gleichwertige Beziehungen innerhalb einer Dyade vorkommen, der Beobachter sollte also nicht davon ausgehen, dass in jeder Dyade ein Dominanzstatus vorliegt (Hand 1986). Probleme bei der Feststellung des Dominanzstatus eines Tieres ergeben sich auch, wenn nicht sämtliche Dyaden einer Gruppe interagieren (Boyd u. Silk 1983).

Hingegen ist der Dominanzrang eines Tieres die Position, die es in einer Gruppe innehat. Er kann mit α bis Ω (Schjelderupp-Ebbe 1922), in Ziffern oder qualitativ als hoch oder niedrig bezeichnet werden, jedoch nicht als dominant oder subdominant.

Meist werden Dominanzränge nach dem Dominanzstatus jeder möglichen Dyade einer Herde definiert. Dabei kann das Resultat eine lineare Hierarchie sein, muss es aber nicht (Appleby 1983). Eine lineare Hierarchie wird sich dann ausbilden, wenn sich alle Dominanzstatus transitiv verhalten (Coombs et al. 1970, Chase 1974). Es wird beobachtet, dass sich lineare Strukturen vor allem in kleinen Gruppen ausbilden. Ab einer gewissen Größe kommt es zur Ausbildung komplizierter Strukturen wie z. B. Dreiecksbeziehungen und anderen nicht-linearen Beziehungen.

Appleby (1983) geht davon aus, dass die Linearität sozialer Rangordnungen zwar gelegentlich beobachtet wird, in den meisten Fällen jedoch nicht vorliegt. Laut Lott (1979) und Appleby (1983) ist die grundlegende Strategie vieler Untersuchungen die Existenz einer linearen Rangordnung anzunehmen und die Daten dann anschließend so zu arrangieren, dass sie dieser Annahme entsprechen. Um eine lineare Rangordnung zu erreichen, werden oft die Kriterien einer Studie so angepasst, dass sich eindeutige Ergebnisse erzielen lassen (Boyd u. Silk 1983).

Eine weitere Größe der Dominanzbeziehung ist der Dominanzgrad nach Lundberg (1987). Er unterscheidet in:

a) Dominanz ersten Grades: Das Angriffsrecht oder unidirektionale Dominanz Eine starke und dauerhaft einseitige, von beiden Partnern geachtete Dominanzbeziehung, in der der Unterlegene die Angriffe des Überlegenen widerstandslos duldet, während er selbst gegen andere dominant auftreten kann.

b) Dominanz zweiten Grades: Die Angriffsdominanz oder bidirektionale Dominanz

Eine statistische Beziehung, bei der der eine Partner mehr Siege erringt als der andere, sie verändert sich saisonal oder temporär.

c) Dominanz dritten Grades: Die Verdrängung oder situationsbedingte Dominanz

Die momentane Dominanz eines Individuums; ein Verhalten mit häufigem Rangwechsel. Diese Dominanz dritten Grades wäre laut der Definition von Drews (1993) nicht als solche anzusprechen, da sie nicht von wiederholten agonistischen Interaktionen zweier Individuen einer Dyade ausgeht.

Um der Definition der Dominanz im Sinne von Drews (1993) genüge zu tun, muss das individuelle Erkennen des Dyaden-Mitglieds Voraussetzung sein (Wynn-Edwards 1962, Rowell 1974). Berücksichtigt man die Tatsache, dass die Ausbildung einer Rangordnung häufig mit eskalierenden Kämpfen verbunden ist, ihre Aufrechterhaltung jedoch durch minimale agonistische Interaktionen bewirkt wird (Franck 1997) lässt sich das Dominanzkonzept als eine Art der Kommunikation bezeichnen (Sade 1981). Es können jedoch beim Pferd, analog zum Zebra (Schilder 1988) keine ausgeprägten formalen Dominanzsignale festgestellt werden, wie sie zum Beispiel bei Schimpansen (Noe et al. 1980) oder bei Wölfen (Van Hooff u.

Wensing 1987) vorkommen.

Das Unterlegenheitskauen und das Urinieren/Defäkieren über Urin/Fäzes anderer Individuen könnten als dominanzbezogenes, ritualisiertes Signal gewertet werden (Van Dierendonck et al. 1995). Jedoch wurde das Unterlegenheitskauen (snapping) vor allem bei Jungpferden beobachtet (Wolski et al. 1980, Feh 1988, Van Dierendonck et al. 1995). Hierzu bemerkte Boyd (1980), dass die Unterlegenheitsgebärde keine Inhibition der Aggression bei anderen Pferden auslöst, sondern einen beruhigenden Effekt auf das ausführende Pferd zu haben scheint.

Crowell-Davis et al. (1985) interpretieren die Verhaltensweise als aus dem Säugen entstandene Übersprunghandlung.

Beim Beobachten einer neu zusammengestellten Junggesellenherde bemerken McDonell und Haviland (1995), dass es zu den meisten aggressiven Handlungen zwischen Individuen mittleren Dominanzranges kommt. Weiterhin kommt es im Verlauf der Studie zu einer Abnahme der Anzahl der aggressiven Verhaltensweisen, so dass man daraus schließen kann, dass die Aggression mit der Ausbildung einer Hierarchie zusammenhängt. Allerdings kommt es auch nach längerer gleich

bleibender Gruppenzusammensetzung nicht zum Sistieren der aggressiven Verhaltensweisen.

In einer Herde kann es zur Ausbildung sozialer Allianzen kommen (Tilson et al. 1988, Feh 1999). Diese führen vermutlich zu triangulären Dominanzverhältnissen (Arnold u. Grassia 1982). Es wäre zu untersuchen, ob es sich hier um abhängige Ränge, d.

h. eine durch den Schutz eines ranghöheren Partners verursachte Aufwertung des eigenen Grundranges handelt.

Befreundete Pferde sind häufig ähnlich in Alter und Dominanzrang (Clutten-Brock et al. 1976, Kimura 1998, Wells u. v. Goldschmidt-Rothschild 1979, Ellard und Crowell-Davis 1989).

Im Folgenden soll die Abhängigkeit des Dominanzranges eines Pferdes von weiteren Parametern betrachtet werden:

Das Geschlecht hat nicht zwangsläufig einen determinierenden Einfluss auf den Dominanzrang. Zwar wurde beobachtet, dass die ranghöchste Position einer Pferdeherde von einem adulten Hengst eingenommen wurde (Schäfer 1993, Arnold u. Grassia 1982). Andere Studien (Keiper u. Receuver 1992, Houpt u. Keiper 1982, Feh 1988, Feh 1999) bestätigen dies jedoch nicht. In einer weiteren Studie wurde beobachtet, dass die männlichen und weiblichen Mitglieder einer Herde jeweils eine fast-lineare Rangordnung bilden, diese Rangordnungen sich jedoch nicht intersexuell transitiv verhalten (Van Dierendonck et al. 1995).

Der Reproduktionszustand ist ebenfalls nicht bestimmend, insofern Fohlen führende Stuten nicht ranghöher sind als Stuten ohne Fohlen (Keiper u. Sambraus 1986). Rangniedrige Stuten mit Fohlen sind jedoch doppelt soviel Aggressionen ausgesetzt wie rangniedrige Stuten ohne Fohlen, wobei aggressive Sequenzen vor allem während des Säugens auftreten (Rutberg u. Greenberg 1990). Ein Zusammenhang zwischen Östrus und Rangposition ist laut Van Dierendonck et al.

(1995) nicht vorhanden.

Der Zusammenhang zwischen Aggression und Dominanz lässt sich schwer herausarbeiten. Bei vielen Berechnungen von Rangindices werden die gezeigten Aggressionen entweder gleichgesetzt mit dem Dominanzrang des Tieres (Drews 1993), oder sie bilden zumindest die Grundlage der Berechnung (Craig 1986, Wilson 2000), so dass hier das Verhältnis per Definition korrelieren muss. Das ranghöchste Tier in einer Studie von Ellard und Crowell-Davis (1989) zeigte zwar aggressives Verhalten gegen die größte Anzahl anderer Tiere, nicht jedoch die stärkste Aggression pro Dyade. Auch muss berücksichtigt werden, dass das Auftreten von Aggression stark von der Motivation der Pferde in einer Dyade abhängig ist. Diese wiederum ist abhängig von der Qualität der Ressource. Hungrige Tiere werden in Anwesenheit von limitiertem Futterangebot immer eine stärkere Bereitschaft zu aggressivem Verhalten zeigen als satte (Gattermann 2006). Es ist weiterhin fraglich, Rangfolgen aus dem aggressiven Verhalten abzuleiten, da Aggressionen sehr wohl von Tieren mit niedrigerem Rang gegenüber Tieren mit höherem Rang gezeigt werden. Aus diesem Grund konnten aggressive Verhaltensweisen bei Zebra-Hengsten (Schilder 1988) und bei Wölfen (Van Hooff u. Wensing 1987) nicht zur

Erstellung einer Rangfolge genutzt werden. Andere Autoren hingegen beschreiben, dass Aggressionen fast immer vom ranghöheren zum rangniedrigeren Tier gerichtet waren (Wilson 2000). Rutberg und Greenberg (1990) fanden einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der Aggressionen und der Herdengröße: je größer die Herde, desto häufiger trat aggressives Verhalten auf.

Zwischen Rang und Alter tritt bei den meisten Untersuchungen ein positiver, statistisch signifikanter Zusmmenhang auf (Gröngröft 1972, Wells u. v. Goldschmidt-Rothschild 1979, Keiper u. Sambraus 1986, Seligsohn 1987, Rutberg u. Greenberg 1990, Van Dierendonck et al. 1995, Kimura 1998). Andere Studien können hier jedoch keinen Zusammenhang belegen (Kolter 1984). Bis zum Alter von zwei bis drei Jahren sind die Jungtiere immer rangniedriger als ältere Tiere (Clutton-Brock et al.

1976, Houpt et al. 1978, Houpt 1979, Arnold u. Grassia 1982, Keiper und Sambraus 1986). Unter den Jungtieren selbst scheint es nicht zur Ausbildung einer klaren Rangordnung zu kommen (Tilson et al. 1988, Christensen et al. 2002), wobei eventuell auch die Schwierigkeiten, eine Rangordnung bei Jungtieren durch Feldbeobachtung festzustellen, eine Rolle spielen könnten. In ihrer Studie stellten Van Dierendonck et al. (1995) einen determinierenden Einfluss das Alters auf den Rang bei den weiblichen Pferden fest, bei den männlichen konnte keine Korrelation festgestellt werden.

Es scheint weiterhin ein Zusammenhang zwischen Dominanz und Gesundheitszustand (Linklater et al. 1999, Gröngröft 1972) zu bestehen. Durch Krankheit und hohes Alter kommt es zum Absteigen der Tiere auf niedrigere Rangplätze. Abschließende Untersuchungen zu diesem Thema stehen jedoch noch aus.

Erfahrung scheint ebenfalls einen Einfluss auf die Rangposition zu haben, insofern größere Erfahrung zu einem höheren Platz in der Rangfolge führen kann (Montgomery 1957). Hengste mit größerer sozialer und sexueller Erfahrung nehmen laut Van Dierendonck et al. (1995) unabhängig vom Alter eine höhere Rangposition ein.

Die Position der Mutter korreliert in vielen Studien positiv mit der Position der Nachkommen (Araba u. Crowell-Davis 1994, Van Dierendonck et al. 1995, Tyler 1972, Wells u. v. Goldschmidt-Rothschild 1979, Houpt 1979, Houpt u. Wolski 1980).

Hierbei ist es jedoch nicht klar, ob, und in wie weit erlernte Verhaltensweisen (Houpt 1979) oder ein hereditärer Faktor der Aggressivität durch höhere Testosteron-Werte (Beaver u. Amoss 1982) eine Rolle spielen. In der Studie von Keiper und Sambraus (1986) konnte jedoch kein Zusammenhang festgestellt werden.

Die Zeit der Zugehörigkeit zur Herde weist eine positive Korrelation mit dem Dominanzrang auf (Van Dierendonck et al. 1995).

Körpergewicht und -Größe kann einen Einfluss auf den Dominanzrang des Tieres haben. So stellen Rutberg und Greenberg (1990) fest, dass unabhängig vom Alter große Pferde seltener Aggressionen ausgesetzt sind und häufiger selbst aggressiv sind gegen andere als kleinere Pferde. Daraus schließen sie weiter, dass größere

Pferde einen Vorteil bezüglich ihrer Kampffähigkeit besitzen und deshalb eine höhere Position in der Rangordnung einnehmen. Häufiger wird auch beobachtet, dass jüngere, schwerere Tiere eine höhere Position in der Rangordnung einnehmen als ältere (Grizmek 1949, Hechler 1971, Keiper u. Sambraus 1986, Rutberg u.

Greenberg 1990). Andere Autoren beobachten jedoch keinen Zusammenhang zwischen Größe und Rang eines Tieres (Van Dierendonck et al.1995, Houpt 1998).

Es gibt keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Dominanzrang und der Häufigkeit des Auftretens sozialer Fellpflege (Kimura 1998, Van Dierendonck et al.

1995). Soziale Fellpflege beginnt jedoch meist auf die Initiative rangniedrigerer Pferde hin (Keiper 1985, Kimura 1998).

Der Trainingszustand scheint laut Lehmann, Kallweit und Ellendorff (2006) keinen statistisch relevanten Einfluss auf die Rangposition zu haben.

Eine Studie zum Einfluß der Lernfähigkeit auf den sozialen Status bei Pferden, unabhängig von der Erfahrung und dem Alter, steht noch aus.