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Displays für taktile Graphik

Im Dokument behinderte und alte Menschen (Seite 182-186)

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2.4 Alternative Ausgabe

2.4.6 Displays für taktile Graphik

Auch für blinde Personen sind zweidimensionale taktile Darstellungen vorteilhaft um bildliche Darstel-lungen oder strukturierten Text besser erfassen zu können. Bei gedruckter Blindenschrift (hard copy Braille) befinden sich etwa 20 bis 30 Zeilen Text auf einer Seite, sodaß ein Erkennen der Textstruktur (Einrückungen, Leerzeilen, Unterstreichungen) möglich ist, was das Auffinden einer gewünschten Stelle erheblich erleichtert. Auch die Darstellung von Tabellen sowie von taktilen Plänen und Zeich-nungen ist möglich.

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Es wird daher nach Lösungen gesucht, auch bei Braille-Displays eine ganze Seite darzustellen und damit ein echtes Äquivalent zum Bildschirm der sehenden Personen zu schaffen.

Nicht nur die Möglichkeit, taktile Graphik darstellen zu können, macht flächige Displays erstrebens-wert, sondern auch eine dadurch zu erwartende Steigerung der Lesegeschwindigkeit. Bei Untersu-chungen des Zusammenhanges zwischen der Größe der Braille-Anzeige (bzw. des Braille-Druckes) und der Lesegeschwindigkeit wurden die in Abb. B 2.49 dargestellten Werte ermittelt [RAM 96].

0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0 100,0

Einzelzelle 20-Zellen 40 Zellen 80 Zellen Braille-Druck Le

se ge sc hw ind igk eit [W ört er/

min ]

Art der Braille-Präsentation

Langsame Leser

Schnelle Leser

Abb. B 2.49: Zusammenhang zwischen Lesegeschwindigkeit und Länge von Braille-Zeilen bzw. bei gedruckter Punktschrift [RAM 96].

a) Echte Graphik-Displays

Graphische Displays, die eine ganze Seite Blindenschrift darstellen können, sind bis heute noch nicht über das Versuchsstadium hinausgekommen. Da es mit herkömmlicher Technologie sehr kostspielig ist, großflächige Anzeigen zu realisieren, existieren nur einige Prototypen für Laborzwecke.

Beim "Rose-Reader" wurde versucht, vom Prinzip der einzeln angetriebenen Taststifte wegzukom-men. Mittels eines Hebels konnten alle gefederten Taststifte auf einmal in die untere Position bewegt werden, wo sie an einer Sperrklinke hängen blieben – die Seite wurde global gelöscht. Die Sperrklin-ken bestanden aus Bimetall und konnten selektiv erwärmt werden. Alle für die Darstellung der nächs-ten Seite erforderlichen Taststifte wurden so entriegelt und durch die Federn nach oben in die aktive Position gedrückt.

Bedingt durch das globale Löschen der ganzen Seite war es nicht möglich, einen Cursor darzustellen oder die Seite zu „scrollen“. Diese Einschränkungen erlaubten kein interaktives Arbeiten wie auf ei-nem Bildschirm oder einer Braille-Zeile, sodaß sich das Prinzip nicht durchsetzen konnte.

Abb. B 2.50: Der „Rose Reader“ (Rose Associates, Inc.).

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Andere frühe Entwicklungen versuchten Blindenschrift auf einem umlaufenden Band darzustellen, in das die Brailleschrift-Zeichen von einem Druckwerk Zeile für Zeile eingeprägt wurden. Sollte die nächstfolgende Seite dargestellt werden, wurde das Band weiterbewegt, wobei der alte Text durch Walzen gelöscht und neuer Text geprägt wurde. Die verwendeten Materialien für das umlaufende Band konnten jedoch keine befriedigende Leistung sicherstellen (siehe dazu auch Teil C, Abb. C 4.7) [BLA 00].

Um in Ermangelung einer besseren Lösung dennoch Versuche mit einem ganzseitigen Display anzu-stellen, wurde von Metec für die Universität Stuttgart eine Stiftplatte (Stuttgart pin-matrix-device) mit 7.021 Stiften (59 x 119) im 3 mm Raster entwickelt. Das Antriebsprinzip ist elektromechanisch und entspricht der Darstellung in Abb. B 2.44. Für eine breite Anwendung ist diese Konstruktion, die in nur 4 Exemplaren gefertigt wurde, zu teuer (ca. 50.000 €) und zu voluminös [KUR 95, SCH 96, FRI 99a].

In Japan wurden Versuche mit wesentlich kleineren Matrizen (8x8 bis 64x64) und größerem Stiftab-stand (6...17 mm) angestellt. In einem Fall wurde versucht, mit Stiften, die sich mit Schrittmotoren in 0,25 mm Schritten bis auf eine Höhe von 5 mm heben ließen, dreidimensionale Gegenstände taktil darzustellen [SHI 92, KAW 98, SHI 98a, KAW 00]. Im anderen Fall diente die Stiftmatrix nur zur gro-ben taktilen Orientierung während die Detailinformation über das dargestellte Bild bei Drücken des entsprechenden Stiftes mittels Sprache vermittelt wurde [VAN 89, MIN 92].

Während die oben angeführten Lösungen mit einzelnen Schrittmotoren auf viel zu große und schwere Lösungen führten, könnte das gleiche Prinzip unter Verwendung von Technologien aus dem Gebiet des "Micro Machining" (MEMS) erfolgversprechender sein. Eine jüngere Entwicklung verwendet eine vibrierende Grundplatte, die als Antrieb für eine Stiftenanordnung dient, bei der jeder einzelne Stift mittels einer miniaturisierten Kupplung wahlweise an die Aufwärts- oder Abwärtsbewegungen der schwingenden Grundplatte gekuppelt werden kann, was zu Aufwärts- und Abwärtsbewegungen der Stifte führt [ENI 02].

Die schon weiter oben besprochene Technik der direkten elektrischen Reizung der Nerven (elektrocu-tane Stimulation) wurde wiederholt auch für die Realisierung von taktilen graphischen Anzeigen im Experiment eingesetzt. Bemerkenswert sind Versuche, bei denen nicht die Finger, sondern die Zunge, die ja ein besonders hohes taktiles Auslösungsvermögen besitzt, stimuliert wurde. Die Matrix-Größen bewegten sich dabei im Bereich von 7 x 7 bis 12 x 12 [BAC 98, KAC 01].

Die American Foundation for the Blind hat in den frühen 1980er Jahren einen Versuch unternommen, Module für taktile graphische Displays mit bis zu 16.000 Stiften zu entwickeln. Dabei bediente man sich einer komplexen Anordnung aus Kreuzschiebern, die in einer Richtung für das Anwählen einer bestimmten Zeile und in der quer dazu liegenden Richtung für das Heben und Senken der Stifte in der angewählten Zeile verantwortlich waren (Abb. B 2.51). Alle Teile wurden in Kunststoff Spritzgußtech-nik bei UFE Inc. gefertigt. Trotz des verheißungsvollen Ansatzes ist es beim Prototypen geblieben [MAU 83].

Abb. B 2.51: Matrix-Display von AFB / UFE [MAU 83].

Einige Matrix-Displays, die für den Antrieb auf die bewährte Piezo-Keramik Technologie zurückgrei-fen, sind durch Laborversuche und erste kommerzielle Produkte in den letzten Jahren bekannt gewor-den [SUM 99a]. Beispiele dafür sind der in Abb. B 2.52 gezeigte "Taktile Interaktions-Monitor" mit 16 x 16 Stiften (Gesamthochschule Wuppertal, J. Schlingensiepen) und "Graphic Windows Professional mit 24 x 16 Stiften (HandyTech).

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Abb. B 2.52: links: Taktiler Interaktions-Monitor (GH-Wuppertal) rechts: Graphic Windows Professional (HandyTech).

b) Virtuelle Lösungen

Ausgehend von der Tatsache, daß der Lesefinger einer blinden Person zu einem bestimmten Zeit-punkt nur mit einer kleinen Fläche (etwa 1 cm x 2 cm) in direktem Kontakt sein kann, wurden Lösun-gen entwickelt, bei denen das Display-Element beim Lesen einer Seite mit dem Finger mitbewegt wird. Auf einem x/y-Kreuzschlitten (ähnlich der Mechanik eines Plotters) wurde eine einzige Braille-Zelle montiert. Beim Lesen wird diese Braille-Zelle durch den Finger über ein virtuelles Blatt bewegt und die Ansteuerung sorgt dafür, daß das der jeweiligen Position entsprechende Braille-Zeichen angezeigt wird. Später wurden Versuche mit Braille-Zellen unternommen, die in eine Computer Maus eingebaut wurden, um durch Bewegen der Maus den Bildschirminhalt erkunden zu können [PAR 92, SIE 98, GOU 99, JAN 00, SJÖ 01].

Pantobraille, eine weitere virtuelle Lösung, verwendet eine Kombination aus einem haptischen Display (Pantograph mit Kraft-Rückmeldung) und einem einzelligen Braille-Display, das von der lesenden Person über ein virtuelles Blatt geführt wird. Der Pantograph meldet die jeweilige Position des Dis-plays an den Rechner, der hierauf die dem jeweiligen Ort entsprechende Einstellung der Taststifte vornimmt (Abb. B 2.53).

Abb. B 2.53: Pantobraille – Die beiden Braille-Displays sind auf den Armen eines Pantographen montiert [RAM 96].

Die Kraft-Rückmeldung sorgt nicht nur dafür, daß eine Führung entlang der Zeilen erfolgt (ein Sprin-gen in eine andere Zeile erfordert einen bewußten Kraftaufwand durch den Leser / die Leserin beim Bewegen des Displays) sondern simuliert auch die Reibungskräfte, die beim Überstreichen eines rea-len Blindenschrift-Textes auftreten würden. Auf diese Weise erhält der Benutzer / die Benutzerin einen haptischen Reiz, wenn der Wechsel von einem Buchstaben zum nächsten erfolgt.

Die mit dieser Anordnung erzielten Leseleistungen sind zwar kaum besser als mit einer unbewegli-chen Einzelzelle und bleiben weit hinter den Leseleistungen mit realen Braille-Zeilen bzw. gedrucktem Text zurück. Der Vorteil liegt aber sicher darin, daß der Benutzer / die Benutzerin Zusammenhänge und Layout besser erfassen kann, weil ein direkter Zusammenhang zwischen Buchstaben und Ort gegeben ist (Abb. B 2.54).

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40-Zellen Pantobraille A Pantobraille B Pantobraille C Le

Abb. B 2.54: Leseleistungen mit dem Pantobraille im Vergleich zu einer 40-Zellen Braille-Zeile [RAM 96].

A = Führen und Lesen nur mit dominanter Hand B = Führen mit dominanter Hand, Lesen mit anderer Hand

C = wie B, aber Display nicht am Pantograph montiert.

Person 1: liest Blindenschrift üblicherweise mit einer Hand Person 2: liest Blindenschrift üblicherweise mit beiden Händen.

Bei allen derartigen Lösungen wird jedoch bewußt oder unbewußt in Kauf genommen, daß effektive taktile Wahrnehmung von Blindenschrift eine tangentiale Relativbewegung zwischen Schriftgut (oder Display) und Lesefinger erfordert. Reize, die ohne diese Bewegung nur vertikal auf immer die selben Hautstellen ausgeübt werden, sind nicht oder nur sehr schwer zu diskriminieren. Aus diesem Grund kann mit der oben beschriebenen Anordnung keine hohe Leseleistung erzielt werden, da der Leser / die Leserin zum sicheren Erkennen der Braille-Zeichen zusätzlich zur Bewegung entlang der Zeile kleine reibende Fingerbewegungen ausführen muß, um den Tastsinn zu stimulieren.

Durch Einführen einer virtuellen Bewegung könnte das Problem mit der fehlenden Relativbewegung überwunden werden. In [FRI 94, FRI 99] wird der Prototyp eines Braille-Displays beschrieben, bei dem der Stiftabstand in Leserichtung auf 1 mm herabgesetzt wurde, sodaß eine gleitende Bewegung eines Braille-Punktes durch sequentielles Aktivieren der Stifte vorgetäuscht werden kann. Da bei ei-nem Abstand von 1 mm die taktile Zweipunkt-Diskriminierungsschwelle der Fingerspitze unterschritten wird, kann eine kontinuierliche Bewegung wahrgenommen werden (Abb. B 2.55).

Abb. B 2.55: Scheinbare Verschiebung eines Braille-Punktes durch sequentielles Aktivieren eng aneinander liegender Taststifte.

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