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Braille Displays

Im Dokument behinderte und alte Menschen (Seite 178-182)

THKP MEG ISYV CLOJ ADFX QUNW BRZ Leertaste für die Bestätigung

2.4 Alternative Ausgabe

2.4.5 Braille Displays

Weil Blindenschrift üblicherweise mit der Fingerspitze gelesen wird100 ist zur taktilen Darstellung von Blindenschrift eine Vorrichtung erforderlich, mit der sich zeitlich veränderliche taktile Reize auf den Finger übertragen lassen. Da in der Haut Rezeptoren für verschiedene Arten von Reizen zur Verfü-gung stehen, sind zumindest rein theoretisch folgende Stimulationsmechanismen denkbar:

 Druck (statisch)

 Vibration (zeitlich veränderlicher Druck – Hub einige µm)

 Elektrische Reizung der Haut (elektrocutane Stimulation)

 Oberflächentextur

 Wärme (thermischer Reiz)

Von den oben erwähnten Mechanismen haben bisher nur die beiden ersten praktische Bedeutung erlangt. Direkte elektrische Reizung sowie Veränderung der Oberflächentextur sind Gegenstand ge-genwärtiger Forschungsarbeiten. Reizung durch Wärme hat sich als zu ungenau und vor allem als zu träge erwiesen.

a) Entwicklungsgeschichte

Als in den Siebziger Jahren die Bedeutung der elektronischen Datenverarbeitung für blinde Menschen erkannt wurde, entstand auch der Bedarf, geeignete Ausgabegeräte für diesen Personenkreis zu ent-wickeln. Zu einem Zeitpunkt, als auch für sehende Personen der Zugang zur EDV noch über Lochkar-ten und „Print-Outs“ erfolgte, konnLochkar-ten für blinde Programmierer und Programmiererinnen mit Braille-Druckern vergleichbare Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Der Trend zu Bildschirmarbeitsplät-zen und erst recht der Siegeszug des PC verlangte bald nach Lösungen, die auch blinden Menschen einen interaktiven Zugang zum Rechner ermöglichten [WEB 95, BLA 00].

Die ersten und einfachsten Anzeigeelemente für Blindenschrift bestanden aus einer im Raster der Blindenschrift gebohrten Platte, in der Stifte mittels eines elektromagnetischen Antriebes bewegt wer-den konnten. Ein zu tastender Punkt der Blinwer-denschrift wird durch einen um etwa 0,5 mm aus der Platte herausragenden Stift dargestellt, während die Stifte aller nicht-tastbaren Punkte bündig mit der Platte abschließen.

Zur Erzielung eines ausreichend gut wahrnehmbaren Tasteindruckes ist eine auf den Stift wirkende Kraft von 100 mN bis 200 mN 101 und ein Hub von 0,6 mm bis 0,8 mm erforderlich. Weil sich elektro-magnetische Antriebe, die diese Kraft aufbringen können, nicht beliebig miniaturisieren lassen, mußte ein etwas vergrößerter Raster verwendet werden (zwischen 3,0 mm und 3,2 mm anstelle von 2,5 mm) [KOW 94, BRE 00].

99 In Analogie zum in der Bildverarbeitung gebräuchlichen Begriff „Pixel“ (aus picture element) für einen visuell wahrnehmbaren Bildpunkt wird der tastbare Bildpunkt als „Taxel“ (tactile element) bezeichnet.

100 Bei Fehlen der Finger sind Fälle bekannt, bei denen Blindenschrift auch mit der Zunge gelesen wird. Die takti-le Darstellung von tastbaren Zeichen wurde auch auf anderen Hautpartien versucht. Shimizu et al. [SHI 82, SHI 82a] berichten von der Darstellung japanischer Schriftzeichen (Katakana) in einer 10 x 10 Matrix mittels vibrotaktiler Stimulatoren auf der Bauchdecke. Dabei hatten die Stimulatoren einen Raster von 15 mm, übten eine Kraft von 3,3 N aus und wurden bei einer Frequenz von 50 Hz betrieben. Bei den Versuchen mußten 46 ausgewählte Katakana Zeichen erkannt werden. Wurde das gesamte Schriftzeichen gleichzeitig präsentiert, lag die Erkennungsrate deutlich unter 40%. Wurden hingegen die Schriftzeichen in einzelne Striche (entspre-chend der Generierung des Schriftzeichens beim handschriftlichen Schreiben) aufgelöst und wurden diese Striche sequentiell präsentiert, konnten Erkennungsraten von nahezu 100% erzielt werden. Die Präsentati-onsdauer eines Zeichens lag dabei aber über 10 s, was keine hohen Lesegeschwindigkeiten bei dieser Me-thode erwarten läßt.

101 Zur Verdeutlichung: Das entspricht jener Kraft, die eine Masse von 20 g auf die Unterlage ausübt bzw. etwa dem Gewicht von vier Postkarten.

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Entsprechend der zu dieser Zeit üblichen Bildschirm Darstellungen mit 80 Zeichen pro Zeile haben sich bei Braille Displays Zeilenlängen eingebürgert, die einer ganzen, halben oder viertel Bildschirm-zeile entsprachen, also 80, 40 oder 20 Braille Formen.

Abb. B 2.42 zeigt einen einzelnen Braille-Punkt eines einfachen elektromagnetischen Braille-Displays aus den Siebziger-Jahren. Bei der hier gezeigten Lösung wird jeder einzelne Taststift durch eine Fe-der nach oben, also in die aktive (tastbare) Position gebracht. Soll Fe-der Punkt nicht aktiv sein, wird Fe-der unterhalb befindliche Elektromagnet angesteuert, wodurch der Stift gegen die Federkraft in die Platte zurückgezogen wird.

Der Vorteil der in Abb. B 2.42 gezeigten Konstruktion ist die relative Einfachheit, wobei hier das Wort relativ betont werden muß. Eine Braille-Zeile für 80 8-Punkt Formen erfordert immerhin die Montage von je 640 Elektromagneten, Stiften und Federn, also weit über tausend Einzelteilen. Eine Einzelzelle sowie ein montiertes Braille-Modul für 12 Formen zeigt Abb. B 2.43.

Abb. B 2.42: Prinzip eines elektromagnetischen Braille-Displays [LIM 82];

a: Braille-Punkt in tastbarer (aktiver, gesetzter) Position ; b: Braille-Punkt in nicht tastbarer (gelöschter) Position

c: Feder; d: Kern und e: Spule des Elektromagneten.

Abb. B 2.43: links: Elektromechanische Braille-Zelle;

rechts: Beispiel für eine kurze Braille-Zeile (Tiflotel).

Der Nachteil dieser Lösung ist eindeutig der Energieverbrauch. Alle nicht tastbaren Punkte müssen durch Magnetkraft nach unten gezogen werden, was bedeutet, daß im Betrieb ständig mehr als die Hälfte102 der Elektromagnete stromdurchflossen sein müssen. Das führt einerseits zur Erwärmung einer solchen Braille-Zeile, andererseits kommt eine solche Lösung für portable (also batteriebetriebe-ne Geräte) nicht in Betracht.

Eine Verbesserung im Energiehaushalt konnte dadurch erzielt werden, daß für den beweglichen Stift ein Permanentmagnet und für den Spulenkern ein magnetisch polarisierbarer Werkstoff eingesetzt wurde. Mittels eines in bestimmter Richtung durch die Spule geleiteten Stromstoßes kann der Kern so polarisiert werden, daß er dem beweglichen Stift entweder einen magnetischen Nord- oder einen

102 Im Durchschnitt besteht jedes Braille-Zeichen aus gleich vielen tastbaren und nicht tastbaren Positionen, die (zumindest in Texten) häufig vorkommenden Zeichen bestehen jedoch meist nur aus einem oder zwei aktiven Punkten. Hinzu kommt noch, daß beim Leerzeichen alle Punkte inaktiv sind, was bei kurzen Textzeilen den Stromverbrauch zusätzlich nach oben treibt.

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Südpol zukehrt. Bei gleichsinniger Polung kommt es dadurch zu einer abstoßenden und bei gegen-sinniger Polung zu einer anziehenden Krafteinwirkung auf den Stift (Abb. B 2.44).

Abb. B 2.44: Bistabiles elektromagnetisches Braille-Display mit polarisierbarem Spulenkern d

A: Abstoßung bringt den Stift in die aktive Position B: Anziehung hält den Stift in der inaktiven Position.

Eine feinmechanisch aufwendigere Lösung103 für die Schaffung bistabiler Braille-Displays ist in Abb. B 2.45 gezeigt [SCH 79]. Die Taststifte sind an ihrem unteren Ende abgewinkelt. Der abgewin-kelte Teil liegt in einer Öffnung, die dem Stift einen Hub von rund 0,8 mm und eine Drehbewegung um die Achse von etwa 30° gestattet. Der Boden der Öffnung hat eine Stufe, die so geformt ist, daß das gewinkelte Ende des Stiftes je nach Drehwinkel entweder oben auf der Stufe oder unten am Boden der Öffnung zu liegen kommt. Vor den abgewinkelten Enden ist ein kleiner Permanentmagnet plaziert.

Das Setzen (aktivieren) eines Punktes erfolgt durch folgenden Vorgang: Ein durch die den Stift umge-bende Spule geleiteter Stromstoß einer bestimmten Polarität führt nicht nur zu einem Anheben des Stiftes sondern auch zur (nicht permanenten!) Ausbildung eines magnetischen Pols am gewinkelten Ende des Stiftes. Durch den kleinen Permanentmagneten erfährt der gesamte Stift eine Drehbewe-gung, die das gewinkelte Ende über die Stufe befördert. Nach Abschalten des Stromimpulses ist somit der Stift in der oberen, aktiven Lage formschlüssig verriegelt.

Das Löschen (also die Rücksetzung in den inaktiven Zustand) erfolgt durch einen Stromstoß der um-gekehrten Polarität. Wie beim Setzen wird der Stift angehoben (in diesem Fall nur um wenige Zehntel mm, um ihn von der Stufe abzuheben und frei drehbar zu machen) aber diesmal erfährt er wegen der gegenteiligen Polarität eine Drehbewegung in die entgegengesetzte Richtung. Das bewirkt, daß das gewinkelte Ende nicht mehr über der Stufe steht und der Stift nach Abschalten des Stromes in die untere Position zurückfällt.

Abb. B 2.45: Bistabiles elektromagnetisches Braille-Display mit Verriegelung der Taststifte; vereinfacht nach [SCH 79]

103 Schäfer und Schönherr, Mitte der 1970er Jahre [BLA 00].

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linker Stift: inaktive Position, der Stift ruht hinter der Auflage a am Boden der Öffnung rechter Stift: aktive Position, der Stift ruht auf der Auflagefläche a.

m = Permanentmagnet für die Drehbewegung; s = Spule.

Der Vorteil dieser Konstruktion liegt darin, daß es zu einer formschlüssigen Verriegelung des Stiftes in der aktiven Position kommt. Die so dargestellten Braille-Punkte sind daher im Gegensatz zu den ge-federten Punkten von Abb. B 2.42 „hart“ und liefern einen sehr deutlichen und angenehmen taktilen Eindruck.

Der gravierende Nachteil besteht darin, daß eine Zustandsänderung nur dann ausgeführt werden kann, wenn im Moment des Setzens oder Löschens eines Punktes keine Kraft durch den Finger des Benutzers / der Benutzerin auf den Stift ausgeübt wird. Ist dies der Fall, bleibt der alte Zustand ge-speichert und es kommt an dieser Stelle zu einer Fehlanzeige.

b) Gegenwärtiger Stand der Technik

Wegen der oben beschriebenen Nachteile werden gegenwärtig keine elektromagnetischen Braille-Displays sondern ausschließlich solche mit piezo-elektrischem Antrieb104 eingesetzt. Dabei wird die Eigenschaft bestimmter Keramik-Materialien ausgenützt, bei Anlegen einer elektrischen Spannung eine Längenänderung auszuführen. Diese Längenänderung liegt allerdings selbst bei Spannungen im Bereich von 1 kV nur bei 0,05 %. Würde man diese Längenänderung auf direktem Wege ausnützen wollen, müßte der Taststift eine Länge von rund 1 m haben, um den erforderlichen Hub von 0,5 mm ausführen zu können. Wegen des Platzbedarfs und der hohen Materialkosten scheidet die direkte Lösung aus.

In ähnlicher Weise wie bei einem Bimetall lassen sich auch bei Piezo-Keramik kleine Längenänderun-gen in wesentlich größere BiegebewegunLängenänderun-gen umwandeln. Man klebt daher zwei Streifen aus piezo-keramischem Material aufeinander und beaufschlagt sie so mit Spannung, daß sich einer der Streifen ausdehnt, der andere zusammenzieht. Das Resultat ist, daß sich das „Sandwich“ je nach angelegter Polarität nach oben oder unten krümmt (Abb. B 2.46).

Abb. B 2.46: Biegebewegungen eines zweilagigen „Sandwichs“ aus Piezo-Keramik.

Abb. B 2.47 zeigt der Aufbau eines Moduls für ein Braille-Display mit piezo-elektrischem Antrieb. Die Kosten eines solchen Moduls werden mit rund 35€ angegeben [BLA 00].

Abb. B 2.47: Braille-Display mit piezo-elektrischem Antrieb.

c) Ausblick und Möglichkeiten

Obwohl heutige Braille-Displays einen hohen technischen Standard erreicht haben und sehr zuverläs-sig arbeiten, stellen sie in mehrfacher Hinsicht noch keine befriedigende Lösung dar [FRI 00].

104 Die Piezo-Technik wurde gegen Ende der 1970er von Tretiakoff entwickelt [BLA 00] aber bereits 1957 in [RHE 57] in einem Patent erwähnt.

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 Der Fertigungsaufwand und somit der Preis ist hoch.

 Wegen des großen Platzbedarfs – zumindest nach einer Seite hin – können keine Anzeigesys-teme mit mehr als zwei Zeilen realisiert werden.

 Sie sind empfindlich hinsichtlich Verschmutzung.

Es wird daher intensiv nach Alternativen zu den bisher angewendeten Techniken gesucht, wie z.B.:

 Metalle mit Formengedächtnis (SMA = shape memory alloy)

 Bestimmte Legierungen (z.B. NiTi) haben die Eigenschaft, bei einer Erwärmung nach einer Kalt-verformung wieder die ursprüngliche Form anzunehmen. Zwei Drähte aus NiTi könnten entweder direkt als Antrieb für einen Braille-Punkt dienen oder Ventile einer Pneumatik oder Mikro-Hydraulik steuern [SCH 94a, FRI 94a, SCH 96a, FIS 98, FIS 98a, FRI 99a, BRE 00].

 Elektrorheologisch

 Elektrorheologische Flüssigkeiten verändern ihre Viskosität proportional zu einem angelegten elektrischen Feld. Dieses "Einfrieren" im elektrischen Feld kann für Antriebe mit Miniatur-Kupplungen aber auch als Ersatz für mechanische Ventile in einer Mikro-Hydraulik ausgenützt werden [FRI 92, FRI 94a, FRI 99a].

 Elektrocutan

 Direkte Reizung der Nerven der Mechanorezeptoren durch elektrischen Strom. Wegen des un-terschiedlichen Hautwiderstandes und der örtlich und zeitlich sehr unun-terschiedlichen Sensibilität der Haut ist es schwer, die Parameter (Strom, Spannung, Frequenz ... ) so auszuregeln, daß ein annehmbarer und nicht schmerzhafter Reiz erzeugt wird [SAU 83, FRI 00].

 Elektrostatisch

 Hier wird ebenfalls mit Elektrodenanordnungen wie bei der elektrocutanen Stimulation gearbeitet, jedoch werden die Elektroden durch eine dünne Isolierschicht abgedeckt. Es kommt daher zu keinem Stromfluß in den Finger. Die Hautstelle, die die Elektrode berührt wird jedoch durch elekt-rostatische Kräfte angezogen. Dadurch entsteht scheinbar ein Unterschied in der Oberflächentex-tur, der taktil wahrnehmbar ist [BEE 95, TAN 98a].

 Verdampfung ("Dampfmaschine")

 Über einen kleinen flüssigkeitsgefüllten Hohlraum ist eine Folie gespannt. Das Verdampfen der Flüssigkeit führt zu einer Drucksteigerung und somit zum Aufwölben der Folie und zur Darstel-lung eines Braille-Punktes Abb. B 2.48).

Abb. B 2.48: Aufwölbung einer Folie zu einem Braille-Punkt durch Dampfdruck

 Elektro-Chemisch

 Gleiches Grundprinzip wie bei der Verdampfung, nur daß zur Erzeugung des Druckes ein elektro-lytischer Prozeß verwendet wird bei dem Wasserstoff und Sauerstoff (Knallgas) aus Wasser er-zeugt wird. Die Rückstellung erfolgt durch einen Katalysator, der aus Knallgas wieder Wasser macht [KOW 94].

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