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Dispatch- und Investitionsentscheidungen im Stromsystem

1 Hintergrund und Fragestellung

3.2 Kosteneffekte

3.2.1 Dispatch- und Investitionsentscheidungen im Stromsystem

Im Folgenden wird zunächst betrachtet, welche Auswirkungen eine erhöhte Eigener-zeugungsquote auf die Dispatch- und Investitionskosten von Erzeugungsanlagen im Stromsystem hat. Es geht also um die Frage, wie sich die Kosten für die Errichtung und den Einsatz von Anlagen zur Deckung des Strombedarfs verändern, wenn ver-stärkt Eigenerzeugungsanlagen eingesetzt werden und damit Anlagen verdrängt wer-den, die ohne Eigenerzeugung zur Deckung des Strombedarfs eingesetzt würden.

Zunächst wird betrachtet, nach welchen Kriterien bzw. nach welchem Kalkül die Be-treiber Erzeugungsanlagen ohne Eigenerzeugung einsetzen. Diese erfolgt immer dann, wenn ihre (kurzfristigen variablen) Erzeugungskosten kleiner als der Marktpreis für Strom (Börsenpreis / Großhandelspreis) sind, da sie nur dann einen positiven De-ckungsbeitrag erzielen können.

Durch den Selbstverbrauch von eigenerzeugtem Strom verändert sich dieses Kalkül, da der Betreiber der Eigenerzeugungsanlage diese auch dann zur Produktion einsetzt, wenn die Erzeugungskosten oberhalb des Marktpreises liegen. Im Falle eines Selbst-verbrauchs des Stroms aus dieser Anlage wägt der Betreiber nicht ab, ob er lediglich auf die Erzeugung aus dieser Anlage verzichtet und die Erzeugungskosten spart (das wäre das Kalkül des Betreibers einer Anlage ohne Selbstverbrauch), sondern welche Kosten ihm ansonsten für die Deckung seines Strombedarfs entstünden. Diese setzen sich grundsätzlich zusammen aus dem Marktpreis für Strom zzgl. der Abgaben und Umlagen.22 Eine Eigenerzeugungsanlage würde also auch dann eingesetzt, wenn die Erzeugungskosten zwar oberhalb des Marktpreises, aber noch unterhalb des Markt-preises zzgl. Abgaben und Umlagen liegen.

Da die Produktion aus einer Eigenerzeugungsanlage die Produktion aus einer Anlage ohne Eigenerzeugung ersetzt und letztere nur dann produzieren würde, wenn ihre Er-zeugungskosten unterhalb des Marktpreises liegen, führt zusätzliche Eigenerzeugung immer dann zu Mehrkosten bzw. Ineffizienzen im Erzeugungssystem, wenn die Eigen-erzeugungsanlage nur aufgrund der Eigenversorgungsprivilegien eingesetzt wird. Dies bedeutet nämlich, dass ihre Erzeugungskosten über dem Marktpreis und damit über den Erzeugungskosten der alternativen Erzeugungsanlage liegen.

Liegen die Erzeugungskosten der Eigenerzeugungsanlagen unter dem Marktpreis, so entstehen im Hinblick auf die Einsatzkosten und Dispatch-Entscheidungen keine Ineffi-zienzen23, da die Eigenerzeugungsanlage auch ohne die Eigenerzeugungsprivilegien zum Einsatz gekommen wäre, d. h. die alternative Erzeugung im Fall ohne Eigenver-sorgung wäre gerade auch in dieser Anlage erfolgt.24 Dies bedeutet aber auch, dass durch die Eigenversorgung keine Kosteneinsparungen bzw. Effizienzvorteile entstehen.

Im Hinblick auf die kurzfristig variablen Erzeugungskosten können durch die Eigenversorgung (anstelle einer Deckung des Strombedarfs durch Fremdbezug) im Stromsystem somit keine Effizienzvorteile, in bestimmten Konstellationen allerdings Kostenachteile bzw. Ineffizienzen entstehen.

22 Je nachdem, über welchen Strombezugsvertrag der Stromverbraucher verfügt, ist der Ver-gleichsmaßstab für die Kosten der alternativen Deckung des Strombedarfs nicht abhängig vom Marktpreis (bspw. bei Privathaushalten).

23 Sehr wohl kommt es durch die Eigenversorgung allerdings auch dann zu Verteilungswir-kungen (s. Abschnitt 3.3).

24 Dies gilt zumindest, wenn man zunächst nur die Auswirkungen auf Einsatzentscheidungen betrachtet. Zusätzlich sind auch Auswirkungen auf Investitionsentscheidungen zu betrach-ten, was im Weiteren noch diskutiert wird.

Offensichtlich hängt die Relevanz dieses Effekts von der Höhe der Erzeugungskosten der Eigenerzeugungsanlage sowie der Höhe der Abgaben und Umlagen ab. Für Wind-energie- und PV-Anlagen als Eigenerzeugungsanlage dürften in Bezug auf die kurzfris-tig variablen Erzeugungskosten keine Effizienznachteile entstehen. Mit kurzfriskurzfris-tig vari-ablen Erzeugungskosten nahe 0 €/MWh liegen ihre Erzeugungskosten in der Regel unter dem Marktpreis, d. h. diese Anlagen wären auch ohne Eigenversorgungsprivile-gien im Einsatz, und in Folge der Eigenversorgung wird der Dispatch im Erzeugungs-system nicht verändert. Lediglich in den (vergleichsweise seltenen) Fällen mit stark negativen Marktpreisen können Verzerrungen auftreten. Anders stellt sich die Situation dar, wenn es sich bei den Eigenerzeugungsanlagen um Biomasseanlagen oder kon-ventionelle Kraftwerke handelt, da diese kurzfristig variable Erzeugungskosten in rele-vanter Größenordnung aufweisen, die zudem regelmäßig oberhalb des Marktpreises liegen dürften. Die Effizienzrisiken sind umso größer, desto höher die vom potentiell eigenerzeugenden Stromverbraucher im Falle eines Fremdbezugs zu entrichtenden Abgaben, Umlage und Entgelte im Vergleich zum Marktpreis sind.

Bei den bisherigen Überlegungen wurden lediglich die Einsatzentscheidungen der An-lagen und damit nur die Wirkungen auf die kurzfristig variablen Einsatzkosten betrach-tet. Dabei wurde also zunächst unterstellt, dass sämtliche Erzeugungsanlagen im Sys-tem mit und ohne zusätzliche Eigenversorgung vorhanden sind. Tatsächlich könnten in Folge zusätzlicher Eigenversorgung auch Rückwirkungen auf Investitionsentscheidun-gen in ErzeugungsanlaInvestitionsentscheidun-gen und somit auf die Zusammensetzung des Erzeugungsparks sowie dessen Investitions- und Einsatzkosten entstehen. Es ist offensichtlich, dass es zu solchen Wechselwirkungen kommt, wenn – wie zuvor beschrieben – aufgrund der Eigenversorgungsprivilegien Eigenerzeugungsanlagen zum Einsatz kommen, die ohne diese Privilegien nicht zum Einsatz gekommen wären, da ihre Einsatzkosten oberhalb des Marktpreises liegen. Die hierdurch verdrängten Erzeugungsanlagen erzielen somit geringere Deckungsbeiträge und würden ggf. stillgelegt oder gar nicht erst errichtet.

Von den niedrigeren Marktpreisen in Folge der Eigenerzeugung25 sind auch die Anla-gen betroffen, die trotz EiAnla-generzeugung weiterhin ihre Erzeugung am Strommarkt ver-markten können. Sie erwirtschaften ebenfalls geringere Deckungsbeiträge, was eben-falls zu einer Stilllegung oder zu einer Entscheidung gegen die Errichtung der betroffe-nen Erzeugungsanlage führen könnte.

25 Die niedrigeren Marktpreise entstehen dadurch, dass die Nachfrageseite am Strommarkt verändert (verringert) wird, da die ansonsten fremdbezogene Strommenge – die direkt oder zumindest mittelbar über den Strommarkt beschafft wird – als Nachfrage am Strommarkt wegfällt und durch eigenerzeugten Strom ersetzt wird. Die niedrigere Nachfrage führt dann zu einem niedrigeren Marktpreis.

Rückwirkungen können aber auch bei Eigenerzeugungsanlagen mit kurzfristig variab-len Erzeugungskosten unterhalb des Marktpreises auftreten. Diese verändern zwar nicht direkt den Dispatch des Erzeugungsparks, allerdings sind die Eigenerzeugungs-anlagen aufgrund der Eigenversorgungsprivilegien rentabler als ohne Eigenversor-gungsprivilegien.26 Dies kann dazu führen, dass die Eigenerzeugungsanlage über-haupt erst durch die zusätzlichen Deckungsbeiträge in Folge der Eigenversorgungspri-vilegien errichtet wird. In diesem Fall führt die Eigenversorgung zu Ineffizienzen im Hinblick auf die Investitionsentscheidungen/-kosten im Erzeugungssystem, da ohne Eigenversorgungsprivilegien die Eigenerzeugungsanlage nicht errichtet worden wäre, sondern stattdessen eine andere Anlage eingesetzt und ggf. auch andere Anlagen errichtet worden wären.

Auch im Hinblick auf die Investitionskosten entstehen durch die Eigenversor-gungsprivilegien im Erzeugungssystem keine Vorteile, sondern in der Regel Effi-zienznachteile. Dies liegt daran, dass die Eigenerzeugungsanlagen vielfach nur in Folge der Eigenversorgungsprivilegien errichtet werden und damit Anlagen verdrängen, die zu insgesamt (Summe aus Investitions- und variablen Erzeu-gungskosten) niedrigeren Kosten Strom produzieren könnten.

Den in den vorhergehenden Absätzen beschriebenen Zusammenhängen im Hinblick auf die Rückwirkungen einer zusätzlichen Eigenerzeugung auf die Dispatch- und In-vestitionsentscheidungen im Erzeugungssystem liegt die Annahme zugrunde, dass der Marktpreis für Strom (Börsenpreis) ein effizientes Preissignal für Erzeugung und Ver-brauch (Dispatch- und Investitionsentscheidungen) darstellt. Es ist zu erwarten, dass die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Implementierung des sogenannten

„Strommarkt 2.0“ dazu führen, dass diese Annahme noch weitergehender zutrifft. Auch wenn eine vollständige Effizienz der Preissignale eventuell in der Realität nicht erreicht wird oder ggf. auch nicht erreichbar ist, so ist jedenfalls nicht erkennbar, dass durch die Eigenversorgungsprivilegien ein systematischer Lösungsbeitrag zur Steigerung der Effizienz des Gesamtsystems geleistet wird.

Zudem gelten die oben beschriebenen Zusammenhänge zunächst nur für Erzeu-gungsanlagen (mit und ohne Selbstverbrauchsanteile), die sich ausschließlich über Strommarkterlöse refinanzieren müssen. Werden auch Anlagen betrachtet, die sich über zusätzliche Erlösströme aus Fördersystemen (insbesondere EE-Anlagen und

26 Ohne Eigenversorgungsprivilegien wäre der Deckungsbeitrag die Differenz zwischen Marktpreis und kurzfristig variablen Erzeugungskosten. Durch die Eigenversorgungsprivi-legien steigt der Deckungsbeitrag um die Höhe der ansonsten auf den Verbrauch zu ent-richtenden Abgaben, Umlagen und Entgelte.

KWK-Anlagen) refinanzieren, gelangt man jedoch nicht zu grundsätzlich anderen Er-kenntnissen, sofern man die Effizienz der entsprechenden Fördersysteme nicht in Fra-ge stellt.27 Unter der Annahme, dass etwa über die EE-Förderung nach dem EEG ein effizienter Ausbau (hinsichtlich Umfang und Technologiemix) der EE erreicht wird, so können EE-Anlagen, die lediglich aufgrund der Eigenversorgungsprivilegien errichtet werden, allenfalls zu einem gleich effizienten EE-Technologiemix führen, dessen Effizi-enz aber nicht steigern. Werden bspw. aufgrund der Eigenversorgungsprivilegien zu-sätzliche EE-Anlagen errichtet, die ohne diese Privilegien nur aufgrund der Förderung nach dem EEG nicht errichtet worden wären, so führt dies entweder zu einer Übererfül-lung der Ausbauziele oder müsste – um die ÜbererfülÜbererfül-lung zu vermeiden – durch eine Anpassung der Ausbaupfade anderer EE-Technologien kompensiert werden, was dann annahmegemäß zu einem ineffizienten EE-Technologiemix führt.

Zwischenfazit

Sofern die Eigenversorgung ausschließlich auf das Stromsystem bezogen wird (d. h.

keine Sektorkopplung / gekoppelte Erzeugung betrachtet wird), entsteht im Erzeu-gungssystem kein Vorteil durch Eigenerzeugung gegenüber Fremdbezug. Vorteile aus Gesamtsystemsicht könnten allenfalls durch Einsparung beim Transport der elektri-schen Energie entstehen, die später noch diskutiert werden. Die Eigenversorgungspri-vilegien führen hingegen im Erzeugungssystem zu systematischen Verzerrungen bei Dispatch- und Investitionsentscheidungen für Erzeugung und Verbrauch und damit zu Ineffizienzen. Das Ausmaß dieser Verzerrungen lässt sich jedoch a priori nicht ab-schätzen und bedarf somit weiterer quantitativer Untersuchungen, die für diesen Be-richt ebenfalls durchgeführt und in Abschnitt 5 dargestellt werden.