• Keine Ergebnisse gefunden

7 Die Beteiligung des Personalrats: Personalvertretungsrecht und Mitbe- Mitbe-stimmungspraxis

7.10 Dienstvereinbarungen in der Praxis

Im Durchschnitt aller untersuchten Dienststellen gibt es neun gültige Dienstvereinbarungen pro Dienststelle, der Median liegt bei sechs Dienstvereinbarungen.200 Die Anzahl gültiger Dienstvereinbarungen steigt mit der Dienststellengröße und mit der Einbindung in eine hie-rarchische Verwaltungsstruktur. Durchschnittlich sind 45 % der in den Dienststellen zum Be-fragungszeitpunkt gültigen Dienstvereinbarungen in den Jahren 2005 bis 2007 abgeschlossen worden. Der größere Teil war älter als zwei Jahre.

Rund zwei Drittel (67 %) der Dienstvereinbarungen werden von örtlichen Personalräten abge-schlossen. Die übrigen Dienstvereinbarungen entfallen bei Bundes- und Landesdienststellen vorwiegend auf Stufenpersonalräte, bei Dienststellen der Kommunen auf Gesamtpersonalräte.

Aus Sicht der Personalräte ist die Dienstvereinbarung das Instrument ihrer Wahl, streben sie oder die Dienststelle eine Normierung sozialer oder arbeitsorganisatorischer Inhalte an. Denn dem Abschluss einer Dienstvereinbarung geht die Verhandlung der Regelungsinhalte zwi-schen den Betriebsparteien voraus. Der Abschluss einer Dienstvereinbarung kann seitens der Dienststelle nicht erzwungen werden. Bei divergierenden Meinungen zwischen den parteien stellen Dienstvereinbarungen somit den Kompromiss dar, auf den sich die Betriebs-parteien einigen können. Die Dienststellenleitung für sich hat aufgrund ihrer Weisungsbefug-nis hingegen auch andere Instrumente zur Regelung von Arbeitsbedingungen zur Verfügung (dienstliche Anweisung, Verwaltungsanordnungen etc.). Die meisten Dienststellenleitungen (57 %) bevorzugen nach Einschätzung der Personalräte dennoch den Abschluss einer

200 Vgl. Fragenprogramm im Anhang, Fragen L3 und L4.

78

Dienstvereinbarung gegenüber einer Verwaltungsvorschrift (28 %), sollte beides möglich sein. 12 % der Personalräte meinen, dass die Dienststellenleitung keines der Instrumente dem anderen vorziehen würde.201

In der Befragung wurde erfasst, wer bei den örtlichen Dienstvereinbarungen die Initiative innehatte. Die erfragten Gruppen waren der Personalrat, die Dienststellenleitung, die stellenleitung gemeinsam mit dem Personalrat, die Beschäftigten, Dritte außerhalb der Dienst-stelle und andere. Dabei entfallen 30 % auf den Personalrat und 23 % auf die DienstDienst-stellenlei- Dienststellenlei-tung. Den größten Anteil machen mit 40 % jedoch gemeinsame Initiativen von Personalrat und Dienststelle aus. Von externen Dritten und von anderen angestoßene Dienstvereinbarun-gen lieDienstvereinbarun-gen lediglich bei rund 6 % aller VereinbarunDienstvereinbarun-gen. Bei kleineren Dienststellen überneh-men die Dienststellenleitungen etwas häufiger die Initiative. Mit steigender Dienststellengrö-ße ist es jedoch zunehmend mehr der Personalrat selber, der Dienstvereinbarungen initiiert (vgl. Abb. 7-3).

Abb. 7-3: Dienstvereinbarungen initiativ angestoßen von verschiedenen Gruppen nach Dienststellengröße. Rechts: Legende der jeweils aktiven Gruppen.

Angaben gewichtet. Nur örtliche Personalräte und von ihnen abgeschlos-sene Dienstvereinbarungen, WSI-Personalrätebefragung 2007, n=1.430.

201 4 % der Personalräte konnten die Frage nicht beantworten oder verweigerten die Auskunft.

79

Durch veränderte Rahmenbedingungen auf sektoraler Ebene, insbesondere die Modernisie-rung des öffentlichen Tarifrechts, steigt der Regelungsbedarf in den Dienststellen.202 Dieser Trend wird weiter befördert durch die seit den 90er Jahren anhaltende Binnenmodernisierung der öffentlichen Verwaltungen und deren Folgen für die Beschäftigten.203 Es kam zu einer faktischen Verschiebung vieler Regelungstatbestände von der sektoralen Ebene auf die Ebene der Dienststellen. In ihrer quantitativen Entwicklung und in ihren Inhalten schlagen sich die geschilderten Verlagerungsprozesse in den Arbeitsbeziehungen des öffentlichen Dienstes un-mittelbar nieder: Dienstvereinbarungen gewinnen an Bedeutung, da die Betriebsparteien zu-nehmend Sachverhalte regeln, welche früher entweder von den Tarifparteien oder den Be-triebsparteien übergeordneter Dienststellen (respektive dem Dienstherrn) normiert wurden. So stellen 65 % der Personalräte einen Bedeutungsgewinn von Dienstvereinbarungen für die Per-sonalratstätigkeit in ihren Dienststellen innerhalb der Jahre 2002 bis 2007 fest.204 Darunter geht circa die Hälfte von einem starken, die andere Hälfte von einem mäßigen Bedeutungs-gewinn aus. Dagegen konstatieren nur 29 % der Personalräte keine Bedeutungsveränderung bei Dienstvereinbarungen, lediglich 5 % gehen von einem Bedeutungsverlust aus. Derselbe Trend zeigt sich nicht nur im Bedeutungsgewinn der Dienstvereinbarung als Regelungs-instrument für die Personalratstätigkeit, sondern auch in der Zunahme ihrer Anzahl. Im Jahr 2007 gab es in 66 % der Dienststellen mehr Dienstvereinbarungen, als noch im Jahr 2002. In nur 28 % der Dienststellen blieb die Anzahl konstant und in bescheidenen 5 % ging sie zurück (vgl. Tab. 7-3).

Tab. 7-3: „Wie hat sich die Anzahl der in Ihrer Dienststelle gültigen Dienstvereinba-rungen in den letzten fünf Jahren entwickelt?“ Angaben in Prozent und gewichtet. WSI-Personalrätebefragung 2007, n=1.738.

Anteil

deutlich mehr Dienstvereinbarungen 19,5

etwas mehr Dienstvereinbarungen 46,3

gleich viele Dienstvereinbarungen 27,7

etwas weniger Dienstvereinbarungen 2,9

deutlich weniger Dienstvereinbarungen 1,8

weiß nicht / verweigert 1,8

Total 100

202 Vgl. Keller 2010: 90-97.

203 Vgl. Kap. 2.4 und 8.2.

204 Vgl. Fragenprogramm im Anhang, Frage L1.2.

80

Dieser Bedeutungsgewinn spiegelt sich auch in der Dynamik wider, mit der neue Dienstver-einbarungen abgeschlossen werden. Lediglich in 12,5 % aller Dienststellen kam es in den Jahren 2005 und 2006 nicht zum Abschluss mindestens einer neuen Vereinbarung. Durch-schnittlich wurden in diesen zwei Jahren 3,4 Dienstvereinbarungen pro Dienststelle abge-schlossen. Das sind 37 % der überhaupt pro Dienststelle gültigen Dienstvereinbarungen. Hier eingerechnet sind bereits solche Vereinbarungen, welche über die Stufenvertretung oder die Gesamtpersonalräte für bei- bzw. nachgeordnete Dienststellen gültig wurden. Es ist also viel Bewegung durch neue Abschlüsse zu verzeichnen. Im Schnitt laufen Dienstvereinbarungen innerhalb von fünf Jahren aus bzw. werden durch neue ersetzt. So verwundert es nicht, dass im Jahr 2007 93 % der Personalvertretungen Dienstvereinbarungen für ein „sehr wichtiges“

oder ein „wichtiges Instrument der Personalratsarbeit“ hielten. Lediglich für 7 % der Perso-nalvertretungen galten Dienstvereinbarungen als ein „mäßig wichtiges“, „unwichtiges“ oder

„sehr unwichtiges Instrument der Personalratsarbeit“205. Diese Einschätzung wird, wenn überhaupt, lediglich in kleineren Dienststellen vertreten.

Zu konstatieren ist, dass durch diesen Prozess die faktische Relevanz von Dienstvereinbarun-gen von ihrer juristischen Bedeutung abweicht.206 Während im faktischen Bedeutungsgewinn von Dienstvereinbarungen eine Verschiebung der tatsächlichen Regelungshoheit von der tarif-lichen auf die betriebliche Ebene zum Ausdruck kommt, fand eine rechtliche Begleitung die-ses Prozesdie-ses nicht statt.207

205 Vgl. Fragenprogramm im Anhang, Frage L1.1.

206 Die juristisch geringe Bedeutung der Dienstvereinbarung im Vergleich zur Betriebsvereinbarung wird schon dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber übersehen hat, die Normenwirkung der Dienstvereinbarung entsprechend § 77 IV BetrVG zu regeln (vgl. Richardi, Dörner et al. 2008:

1027).

207 Hier ist nicht nur die Binnenmodernisierung zu erwähnen, sondern auch die neu entstandene Schnittstelle zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen „Verwaltungsteilen“. So privati-sierten z. B. viele Kommunen ehemals kommunale Dienststellen. Die neu entstandenen Betriebe sind jedoch häufig noch in der Hand der Kommunen. Durch die Privatisierung fallen sie jedoch nicht länger in den Geltungsbereich des Personalvertretungsrechts, sondern in den der Betriebsver-fassung. Dadurch existieren keine rechtlichen Regelungen zur Zusammenarbeit der Personalräte in den verbliebenen Verwaltungsteilen und der evtl. neu gewählten Betriebsräte in den privatisierten Teilen. Auf diese Weise können Schwierigkeiten in der Interessenvertretung entstehen, aber mitun-ter auch kreative Lösungen am Gesetz vorbei (vgl. Schneider 2002a; Schneider 2002b). Eine ähnli-che gesetzliähnli-che Lücke besteht bei ressortübergreifenden Regelungen beim Bund und in fast allen Bundesländern.

81

Im Rahmen der Befragung wurde für unterschiedliche Regelungsbereiche erfragt, ob es gülti-ge Dienstvereinbarungülti-gen in der Dienststelle gibt.208 Dabei sind alle Dienstvereinbarungen, unabhängig von den abschließenden Personalräten, erfasst worden, sofern sie Gültigkeit für die Dienststelle hatten. Insgesamt wurden 23 Themenbereiche von Arbeitszeit bis Verwal-tungsmodernisierung abgefragt. Die Anteile der Dienststellen mit jeweils gültigen Vereinba-rungen sind in Tab. 7-4 dargestellt. Dafür sind die DienstvereinbaVereinba-rungen nach ihrer Häufig-keit sortiert. Spitzenreiter bilden Dienstvereinbarungen zur Arbeitszeit, die es fast in allen Dienststellen gibt. Schlusslicht sind hingegen Vereinbarungen zu Privatisierungen und Aus-gründungen aus der Dienststelle.

Tab. 7-4: Dienststellenanteile mit gültigen Dienstvereinbarungen zu ausgewählten Themenbereichen. Angaben in Prozent und gewichtet.

WSI-Personalrätebefragung 2007, n=1.738.

Gültige Dienstvereinbarung zu Themenbereichen: Anteil der Dienststellen

Arbeitszeit 85,7

Telefon- oder Internetbenutzung 57,5

Arbeitsschutz, Gesundheitsförderung 47,5

Arbeitsorganisation 42,8

Alkohol- und Suchtgefahren 38,5

Frauenförderung, Gleichstellung 36,2

Mitarbeiter-Vorgesetzten-Gespräche u.Ä. 36,2

Beurteilung 35,9

Altersteilzeit, Vorruhestandsregelungen 35,1

leistungsbezogene Entgeltbestandteile 31,1

Fort- und Weiterbildung 29,9

Leistungsregelungen 28,4

sonstige Personalfragen 26,0

Ausbildung 21,8

Einführung neuer Arbeitsmethoden 20,3

Mobbing 19,8

Eingruppierung, sonstige Entlohnung 18,3

strategische Personalplanung 17,5

Verwaltungsmodernisierung 16,7

Familienfreundlichkeit 16,2

Beschäftigungssicherung 15,8

Chancengleichheit, Antidiskriminierung 14,6

Privatisierungen, Ausgründungen oder Auslagerungen von Dienststellenteilen 6,5

Die hier dargestellte Verteilung bildet eine Momentaufnahme zum Befragungszeitpunkt im Jahr 2007. Es ist davon auszugehen, dass sich unter den Dienstvereinbarungen

„Dauerthe-208 Vgl. Fragenprogramm im Anhang, Frage L7.

82

men“ der Personalratsarbeit mit solchen Themen mischen, die eher phasenweise oder mode-abhängig behandelt werden. Dauerthemen dürfen z. B. Arbeitszeit oder -organisation sein.

Hingegen sind z. B. Dienstvereinbarungen zu Verwaltungsmodernisierung und Privatisierun-gen eher von Management- bzw. Politikmoden geprägt. Solche VereinbarunPrivatisierun-gen wurden ver-stärkt in den letzten zwei Dekaden abgeschlossen und sind mutmaßlich inzwischen eher im Auslaufen begriffen.

Des Weiteren werden Dienstvereinbarungen natürlich auch dann vermehrt abgeschlossen werden, wenn Tarifverträge zu diesbezüglichen betrieblichen Regelungen auffordern, unab-hängig davon, ob die Betriebsparteien und insb. die Personalräte an der Regelung dieser Be-reiche ein eigenes Interesse haben (z. B. Arbeitszeit) oder eher nicht (z. B. leistungsbezogene Entgeltbestandteile209). Gleiches gilt wenn gesetzliche Regelungen den Abschluss von Dienstvereinbarungen nahelegen (z. B. Altersteilzeit).

Unter den Dienstvereinbarungen lassen sich mit Augenmaß Themen, bei denen eher die Per-sonalräte einen Handlungsbedarf sehen werden, von solchen unterscheiden, an denen eher die Dienststellen Interesse haben. Vermutlich kommen Regelungen zur Telefon- oder Internetbe-nutzung ebenso wie zu Alkohol- und Suchtgefahren eher vonseiten der Dienststellenleitungen.

Ebenfalls lassen sich Dienstvereinbarungen zu Leistungsregelungen und zur Einführung neuer Arbeitsmethoden in diese Kategorie einordnen. Dienstvereinbarungen mit sozialen und Schutzkomponenten hingegen sind vermutlich eher auf Initiativen der Personalräte zurückzu-führen sein respektive werden über die Gewerkschaftspolitik zu den Personalvertretungen transportiert. Das betrifft vor allem Gesundheitsförderung und -schutz, Gleichstellung und Familienfreundlichkeit. Andere Dienstvereinbarungen entstehen in der Reaktion der Personal-räte auf drängende Probleme. Beschäftigungssicherung, Verwaltungsmodernisierung, Privati-sierungen und Auslagerungen sind hier einzuordnen. Dennoch bleibt auch für diese Themen-bereiche festzuhalten, dass mit dem Abschluss einer Dienstvereinbarung die entsprechende dienstliche Regelung auch hier die Handschrift des Personalrats haben dürfte, da es ansonsten nicht zu den Regelungen kommen würde.

Für eine detailliertere Betrachtung der Themen wurden, abhängig von Dienststellengrößen und dem föderalen Staatsaufbau, die Regelungsbereiche thematisch zusammengefasst. In der Summe überwiegen Regelungen zur Arbeitszeit, zum Gesundheitsschutz, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zur Telefon- und EDV-Nutzung sowie zur Arbeitsorganisation.

209 Vgl. Schmidt, Müller et al. 2011: 190.

83

Bei einer Betrachtung der einzelnen Themenbereiche zeigen sich einige Auffälligkeiten ab-hängig von der Dienststellengröße. Generell sind in größeren Dienststellen mehr Themenbe-reiche durch Dienstvereinbarungen geregelt. Überproportional verstärkte Regelung abhängig von der Dienststellengröße zeigt sich bei der Einführung neuer Arbeitsmethoden sowie bei Verwaltungsreformen und Privatisierungen/Ausgliederungen. Ebenso sind Telefon- und EDV-Nutzung, Personalführung und Leistungsbeurteilung sowie Gesundheitsschutz und Fa-milienfreundlichkeit in größeren Dienststellen überproportional häufig ein Thema. Die sonsti-gen Themenbereiche zeisonsti-gen sich hingesonsti-gen eher unabhängig von der Dienststellengröße.

Eine Aufgliederung der Dienststellen nach deren föderaler Zugehörigkeit bzw. nach der mit-telbaren Verwaltung zeigt ebenfalls bei einigen Themenbereichen Auffälligkeiten. So werden Dienstvereinbarungen zum Entgelt und zur Eingruppierung in kommunalen Dienststellen und Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts nahezu doppelt so häufig abgeschlossen wie in Bundes- oder Landesdienststellen. Ebenfalls auffällig ist, dass Landes-dienststellen die Benutzung von Telefon und EDV deutlich seltener durch Dienstvereinbarun-gen regeln als sonstige Dienststellen. Schließlich werden RegelunDienstvereinbarun-gen zum Gesundheitsschutz und zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Bundesdienststellen häufiger abgeschlossen als in sonstigen Dienststellen. Die anderen, in Abbildung 7-4 thematisch gruppiert dargestell-ten Regelungsbereiche zeigen keine auffälligen Diskrepanzen nach der föderalen Zugehörig-keit der Dienststellen.

Abb. 7-4: Durch Dienstvereinbarungen geregelte Sachverhalte (gruppiert) nach fö-deraler Zugehörigkeit. Angaben in Prozent und gewichtet.

WSI-Personalrätebefragung, n=1.738. Neue Arbeitsmethoden, Verwaltungsreform, Privatisierung und Folgen Entgelt und Eingruppierung

Alles in allem bieten die empirischen Befunde zu Dienstvereinbarungen einen doch deutli-chen Hinweis darauf, dass zentrale Bereiche des Arbeitslebens in den Verwaltungen durch die Personalräte mitgestaltet werden. Ebenso liefern sie deutliche Belege dafür, dass die betriebli-che Regelungsebene gegenüber der tariflibetriebli-chen in den letzten anderthalb bis zwei Dekaden merklich an Bedeutung gewonnen hat. Dieser Prozess findet bislang keine Beachtung im Per-sonalvertretungsrecht.

7.11 Freistellungen

Das Personalratsmandat ist ein Ehrenamt.210 Die Personalratstätigkeit ist diesem Grundsatz nach unentgeltlich und zusätzlich zu den Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis auszuüben.

Dennoch muss das Personalratsgremium Gelegenheit zur Führung seiner Geschäfte während der dienststellenüblichen Arbeitszeit erhalten; denn den Mandatsträgern sollen weder Vor- noch Nachteile aus der Führung des Amtes entstehen.211 Das Personalvertretungsgesetz sieht daher (unter bestimmten Voraussetzungen) eine Entlastung bei den sonstigen dienstlichen Pflichten der Personalratsmitglieder als Ausgleich für die zusätzliche Belastung durch die Personalratstätigkeit vor. Diese Entlastung wird durch die Erlaubnis zur Versäumung von Arbeitszeit, durch Ansprüche auf Dienstbefreiung und durch Freistellungen gewährt.212 An-sprüche auf Freistellungen hat immer das Gremium als solches. Freistellungen können in un-terschiedlichem Umfang und unterschiedlicher Form erfolgen: Zu unterscheiden sind Freistel-lungen nach Bedarf (Dienstbefreiung) von regelmäßigen FreistelFreistel-lungen.

Freistellung: Bei Freistellungen wird ein klar definierter Teil der Arbeitszeit für die Aus-übung des Personalratsmandats reserviert. Wie viele Mitglieder des Personalrates in welchem Umfang freizustellen sind, ist abhängig von den Erfordernissen der Vertretungstätigkeit. Das Gremium muss gegenüber der Dienststelle seine Ansprüche auf Freistellung begründen. Je-doch setzt das Personalvertretungsrecht ab einer bestimmten Dienststellengröße (und damit

210 Zu diesem und dem folgenden Abschnitt vgl. BPersVG § 46, die entsprechenden Vorschriften im Personalvertretungsrecht der Länder sowie Altvater, Hamer et al. 2008: 525 ff.; Richardi, Dörner et al. 2008: 670 ff.

211 Vgl. Knorz 2009: 284.

212 Vgl. Knorz 2009: 284. Neben der Arbeitsentlastung sichert das Personalvertretungsrecht Personal-räten eine Fortzahlung der Dienstbezüge bzw. des Arbeitsentgeltes zu. Die Gewährung zusätzlicher Zuwendungen ist unzulässig. Die Personalratstätigkeit soll weder zu einer Beeinträchtigung noch zu einer Bevorteilung des beruflichen Werdegangs führen (vgl. Wahlers 2009: 204-205). Freige-stellten Personalratsmitgliedern steht neben dem regulären Entgelt eine geringe pauschale monatli-che Aufwandsentschädigung zu (vgl. Richardi, Dörner et al. 2008: 702 ff.).

85

Personalratsgröße) gewisse Standardbedarfe voraus, die nicht extra begründungsbedürftig sind. Diese Bedarfe sind in den Freistellungsstaffeln des Personalvertretungsrechts von Bund und Ländern geregelt. Sie unterscheiden sich zwischen den einzelnen Gesetzen. Generell lässt sich jedoch sagen: umso mehr Beschäftigte, umso mehr Freistellungen. Die konkrete Staffe-lung in den einzelnen Bundesländern ist dabei nicht lediglich in der Höhe der FreistelStaffe-lungen unterschiedlich; auch die Auswahlmodi, nach welchen freizustellende Personalratsmitglieder zu bestimmen sind, divergieren.213 Grundsätzlich gilt die Freistellungsstaffel immer nur ab einer bestimmten Dienststellengröße, die jedoch zwischen den Ländern variiert. Sie gilt nicht bei Stufenvertretungs- oder Gesamtpersonalräten.214 Bei beiderseitigem Einvernehmen zwi-schen Dienststellenleitung und Personalrat kann von der Freistellungsstaffel sowohl nach oben als auch nach unten abgewichen werden.215

Dienstbefreiung: Jedes nicht vollständig oder teilweise freigestellte Personalratsmitglied ist abhängig von den Personalratsaufgaben „nach Bedarf“ freizustellen (Dienstbefreiung). Um-gangssprachlich wird von „nicht freigestellten“ Personalratsmitgliedern gesprochen. Der Be-darf wird durch die Personalratstätigkeit definiert. Das kann z. B. folgende Punkte betref-fen216: Ausübung der förmlichen Beteiligungs- und Anhörungsbefugnisse, Vorbereitung und Teilnahme an Personalratssitzungen oder Personalversammlungen sowie Sprechstunden für Beschäftigte bzw. die Entgegennahme von Anregungen und Beschwerden. Eine Dienstbefrei-ung muss jedoch unmittelbar durch eine Funktion des Personalrates erforderlich werden. Der Freistellungszeitraum ist, soweit möglich, den Erfordernissen des Dienstbetriebs anzupassen.

Diese Art der Freistellungsregelung kann zum Zankapfel zwischen Dienststelle und Personal-rat werden.217 Zum einen kann die Einschätzung darüber, was für die Personalratsarbeit als erforderlich anzusehen ist, durchaus auseinanderfallen. Darüber hinaus mag allerdings ein

213 Ein Vergleich der Freistellungsstaffeln der Bundesländer findet sich bei Richardi, Dörner et al.

2008: 721-742.

214 Vgl. Richardi, Dörner et al. 2008: 685.

215 Vgl. Knorz 2009: 286.

216 Vgl. Richardi, Dörner et al. 2008: 676-677.

217 Mohrenweiser/Backes-Gellner 2010 analysieren empirisch die Freistellungen von Betriebsratsmit-gliedern in Betrieben zwischen 20 und 500 Mitarbeitern. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Frei-stellungen nicht bei Erreichen der jeweils gesetzlichen Schwellenwerte genutzt werden, sondern kontinuierlich mit zunehmender Betriebsgröße mehr Freistellungen zu verzeichnen sind. Diesen Befund führen die Autoren auf unternehmerische Kostenüberlegungen in Kombination mit mehr oder weniger konfliktorientierten Arbeitsbeziehungen zurück. Obwohl die empirischen Ergebnisse aufgrund weniger Fälle und methodischer Schwächen eine erneute Prüfung dieser These nahelegen, sind die theoretischen Überlegungen recht plausibel und reduzieren das komplexe Thema auf we-nige Kerngedanken.

86

genereller Interessenkonflikt vorliegen. Die Dienststelle wird aus mehreren Gründen ein Inte-resse an einer möglichst geringen Ausschöpfung von Freistellungsregelungen haben. Die Funktion, welche ein Beschäftigter ausgeübt hat, bevor er Personalrat wurde, muss weiterhin erfüllt werden. Die Dienststelle hat zudem ein legitimes Interesse daran, dass Personalratsmit-glieder sich nicht unter dem Deckmantel der Personalratstätigkeit vor dienstlichen Pflichten drücken. Schließlich mag die Dienststelle kein Interesse an einem starken Personalrat haben.

Freistellungen könnten jedoch eine wesentliche Ressource für durchsetzungsstarke Personal-ratstätigkeit sein. Aus Sicht des Personalrats ist eine hohe Ressourcenakkumulation erstre-benswert und damit eine verstärkte Nutzung der Freistellungsregelungen – zumindest aus der Perspektive des Gremiums, evtl. nicht jedoch aus der Perspektive einzelner Personalratsmit-glieder.