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9 Betriebliche Interaktionsmuster und Durchsetzungsstärke von Perso- Perso-nalräten

9.1 Macht und Kooperation durch Ressourcenkontrolle?

9.1.2 Anwendung auf die Mitbestimmung in der Dienststelle

Dienststellenleitung und Personalrat tauschen stellvertretend für den Dienstherrn bzw. die Beschäftigten Ressourcen, um die Ziele ihrer jeweiligen Klientel zu verwirklichen. Dabei wird die Verhandlungsmacht, die die Betriebsparteien entwickeln, nach einer marktähnlichen Logik von Angebot und Nachfrage der Ressourcenkontrolle und Ressourcenbedarfe hergelei-tet. Ressourcen gewinnen abhängig von den Bedarfen der jeweils anderen Partei und ihrer mangelnden alternativen Möglichkeiten an Wert.

Die (Verhandlungs- und Tausch-)Ressourcen des Personalrats leiten sich einerseits aus seiner Legitimation durch die Beschäftigten, andererseits aus seiner eventuellen Beeinflussung des Betriebsklimas bzw. des Verhaltens der Beschäftigten (Annahme betrieblicher Entscheidun-gen, Motivation, Betriebsfrieden etc.) ab, sofern ihm die Aggregation der Beschäftigteninte-ressen und eine diesbezügliche überzeugende Darstellung gegenüber der Dienststellenleitung gelingen. Dabei muss der Personalrat unter Berücksichtigung der gesetzlichen Lage agieren.

Zusätzlich kann sich die Personalvertretung weitere Ressourcen über eine Kooperation mit den Gewerkschaften erschließen, was auch die Aggregation der Beschäftigteninteressen

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leichtern mag, vor allem aber Know-how über das Personalvertretungsrecht und die Interes-sendurchsetzung in der Mitbestimmung allgemein umfasst. Schließlich verfügt der Personal-rat natürlich über seine wichtigste Einflussquelle, die im Personalvertretungsrecht zugebillig-ten Rechte bzw. die mithilfe des Personalvertretungsrechts erstritzugebillig-tenen Privilegien. Zum Zweck der Machtkontrolle entzieht das Personalvertretungsrecht der Dienststellenleitung Res-sourcen (genauer: Verfügungsrechte) und billigt sie dem Personalrat zu.350 Die „Hausmacht“

der Dienststellenleitung wird beschnitten. Der Personalrat kann sich als sozialer Gegenspieler der Dienststellenleitung institutionalisieren. Daneben können Personalräte in der Beteili-gungspraxis auch sich ergebende „Tauschmöglichkeiten“ in Form sachwidriger Koppelungs-geschäfte (vgl. Kap. 7.15) sowie sonstige Einfluss- und Blockademöglichkeiten nutzen.

Der Arbeitgeber verfügt über das Direktionsrecht, einen zentralen Informations- und Gestal-tungsvorsprung bzgl. der Arbeitsorganisation und das Entgelt. Das Direktionsrecht wird durch einige gesetzliche Regelungen gestärkt. Zu nennen sind hier die personalvertretungsrechtliche Friedenspflicht und die Maxime zur vertrauensvollen Zusammenarbeit. Ansonsten wird die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers durch das Arbeitsschutzrecht eingeschränkt. Darüber hinaus sind die gesetzlichen Besonderheiten des öffentlichen Dienstes zu beachten, wie das Streikverbot für Beamte, das zum arbeitsvertraglichen Direktionsrecht hinzukommende be-sondere gesetzliche Weisungsrecht aufgrund des Dienst- und Treueverhältnisses der Tarifbe-schäftigten bzw. die besondere Treuepflicht von Beamten und die damit jeweils verbundenen Sanktionsmöglichkeiten.

Die benannten Ressourcen lassen sich von den Betriebsparteien im Kontext ihrer Interakti-onsmuster in Verhandlungsmacht übersetzen. Diese entsteht somit nur im Kontext gegenseiti-ger Abhängigkeit. Diese Abhängigkeit wiederum entscheidet mit darüber, wie effektiv be-stimmte Ressourcen in Macht übersetzt werden können. So entscheiden z. B. das Bedürfnis einer Konfliktpartei an einer bestimmten Ressource, das Ausmaß von Handlungsalternativen sowie das Interesse an der Aufrechterhaltung eines kooperativen Austausches darüber, inwie-weit die Konfliktparteien sich kooperativ zeigen.351 Macht ist somit für die Prozessbeteiligten keine objektive Größe, sondern entsteht vornehmlich in ihrer subjektiven Wahrnehmung.

Dadurch werden Informationen – oder deren Zurückhaltung bzw. Manipulation – in den Aus-handlungsprozessen zu einer wichtigen und strategischen Komponente.

350 Vgl. Steiner 1986: 146-148.

351 Bacharach/Lawler 1981a: 65-68 formalisieren diese Abhängigkeitsverhältnisse im Sinne einer ab-soluten, relativen oder totalen Verhandlungsmacht.

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Durch Manipulation des Bedarfs der Gegenseite an bestimmten Ressourcen können die Ver-handlungspartner versuchen, ihre wechselseitige Abhängigkeit in ihrem Sinne zu manipulie-ren. Diese taktischen Balancierungsoperationen könnten z. B. beinhalten, das eigene Interesse an einer von der gegnerischen Partei kontrollierten Ressource zu senken, oder umgekehrt, das Verlangen der Gegenseite nach den selber kontrollierten Mitteln anzuheben. So werden die Betriebsparteien sich einem Interessengleichgewicht annähern, welches weder einer objektiv noch subjektiv gerechten Ressourcenallokation entsprechen muss. Gleichfalls liegen auch die Ausgangsbedingungen für die Betriebsparteien nicht auf Augenhöhe. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers versetzt diesen in die Lage, Verhandlungen zu initiieren und somit zu strukturie-ren. Zudem findet sich die Arbeitnehmerseite unter Zugzwang. Reagiert sie nicht auf Verhal-tensweisen der Arbeitgeber, wird dieser aufgrund seines Direktionsrechts die Produktions- und Arbeitsprozesse allein gestalten. Es ist also von einem Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite auszugehen.352

Die „Ressourcen-Macht-Abhängigkeitstheorie“ beschreibt also eine Zweckgemeinschaft unter antagonistischen Interessenlagen: Die eine Partei gibt etwas, die andere Partei gibt etwas zu-rück. Beide Parteien profitieren davon, wobei sie den maximalen Eigenertrag anstreben und ihre Macht- und Blockadeoptionen daher vollständig ausschöpfen. Daneben bestehen keine Bindungen und keine weiterreichenden Verpflichtungen. Die Art der Beziehung der Betriebs-parteien spielt für das Ressourcenaustauschmodell keine Rolle. Die Antagonisten müssen we-der dieselben Ziele verfolgen noch müssen sie Vertrauen zueinanwe-der aufbauen. Sie brauchen auch nicht dasselbe „Mindset“ zum Verständnis der Situation. Die Zweckgemeinschaft wird solange gut gehen, solange die Interessen der einen Partei die Interessen der anderen nicht konträr berühren (was in der Situationsbeschreibung des Modells als Gleichgewichtsmodell jedoch nicht vorgesehen ist) und solange beide Parteien über Tauschressourcen verfügen.

Aus den oben angeführten Betrachtungen lassen sich folgende Kernaussagen isolieren:

(a) Die Betriebsparteien haben unterschiedliche Interessen.

(b) Der Arbeitgeber verfügt über mehr Ressourcen.

(c) Umso mehr Ressourcen die Beschäftigtenvertretungen erlangen, umso besser wird ihre Position. Dann müssen Arbeitgeber mehr Zugeständnisse machen.

352 Vgl. Nienhüser 1998: 251.

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(d) Der Personalrat bringt sich überhaupt erst über eigene Machtressourcen ins Spiel der betrieblichen Politik. Kooperation zwischen Personalrat und Dienstelle ist die Folge eines mächtigen Personalrats (nicht umgekehrt).

Was lässt sich aus einer Anwendung des Modells auf die betrieblichen Arbeitsbeziehungen des öffentlichen Dienstes folgern bzw. welche Strategien werden die angenommenen rationa-len Akteure währationa-len?

Der Einsatz von Machtmitteln seitens des Personalrats sollte zu einer verstärkten Zusammen-arbeit zwischen den Betriebsparteien, aber auch zu beteiligungsstärkeren Personalräten füh-ren. Vorhandene und auch eingesetzte Machtmittel werden damit für die Personalräte zu mehr Prozessbeteiligung, aber auch zu aus ihrer Sicht besseren Ergebnissen führen.

Eine „kooperative“ Zusammenarbeit im Sinne einer „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ zwi-schen den Betriebsparteien ist nicht explizit modelliert. Die Betriebsparteien haben keine Misstrauens- oder Vertrauensspiralen zu erwarten. Sie werden jedes Mal aufs Neue miteinan-der interagieren, wenn sie Ressourcen voneinanmiteinan-der erhalten können, auf die sie angewiesen sind. Haben sie keine Ressourcen bzw. nicht die Gefahr gegenseitiger Blockaden voneinander zu erwarten, werden sie nicht miteinander kooperieren. Zeigt sich eine Betriebspartei nicht konfliktfähig, schädigt sie ihre Wahrnehmung bei der anderen Betriebspartei.

Der Bezugspunkt der Personalräte sind die Beschäftigten. Denn diese geben ihnen (innerhalb und außerhalb des Gesetzesrahmens) Machtmittel in die Hand. Der andere Bezugspunkt der Personalräte sollten die Gewerkschaften sein, die ihnen externe Machtmittel und Know-how vermitteln. Die sich durch das Personalvertretungsrecht ergebenden Blockade- und Tausch-möglichkeiten werden erschöpfend eingesetzt.

Dienststellenleitungen werden Personalräte ignorieren, wenn diese über keine Machtmittel bzw. Ressourcen verfügen. Gibt es ein Machtgleichgewicht, gibt es ein höheres Erfordernis an Geben und Nehmen (und in dem Sinne an Zusammenarbeit oder Kooperation), da die Be-triebsparteien stärker aufeinander angewiesen sind.

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