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Kapitel 7: Fazit

4.5 Das Eigene und das Andere – Reichweite und Raumbezogenheit von

4.5.4 Dialektale Identitäten in Lauffen am Neckar

Grundsätzlich fühlten sich die in Lauffen befragten Personen zwar dem schwäbischen Sprachraum zugehörig, waren aber gegenüber dem fränkischen Raum sehr offen. Das mag

269 Ebd. (00:22:37–3).

270 Interview mit den Abiturientinnen Sophie Theiß (17) und Lucia Meinhardt (18), 5.5.2011, Ellwangen (00:14:12–6).

271 Hermann Bausinger: Aus der T/Raum? In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 43 (1998), S. 23–30, S. 27. Hermann Bausinger bezieht sich hier insbesondere auf die Schwierigkeiten beim Finden von klar umrissenen Kulturraumgrenzen, da kaum noch ein einziges Diakritikum allein für einen Ort stehen kann.

damit zusammenhängen, dass sie sich selbst darüber im Klaren waren, nicht „nur“ Schwä­

bisch zu sprechen, sondern in ihrem Dialekt auch fränkische Wörter und Lautungen zu ver­

wenden. Lauffen liegt zwar noch im alten Herzogtum Württemberg, aber die ehemalige Grenze zum Großherzogtum Baden ist nur etwa 15 km, Stuttgart dagegen rund 50 km ent­

fernt.

„Also wenn die Stuttgarter sagen, dass wir keine richtigen Schwaben sind, dann sagen wir eben, wir kommen aus dem württembergischen Unterland. Un­

ser Schwäbisch hört sich schon ein bisschen anders an.“272

Das Zitat spiegelt das typische Empfinden der Lauffener wider, nicht mehr ganz zum schwäbischen Sprachraum zu gehören. Dieses Phänomen kommt auch darin zum Aus­

druck, dass von den Befragten häufig das Schwäbisch der Stuttgarter und dasjenige der Be­

wohner der Schwäbischen Alb gleichrangig als „richtiges Schwäbisch“ bezeichnet wurde.

Gleichzeitig wurde der eigene Dialekt jedoch nicht als falsch oder mangelhaft bezeichnet.

Das im Zitat angeführte Unterland ist nicht weiter definiert und bezeichnet im Allgemeinen die Weinanbauregionen um Heilbronn. Ähnlich unspezifisch sind auch die von beiden Ge­

nerationen angefertigten Mental Maps. Man grenzt sich leicht nach Norden zum fränki­

schen Sprachraum ab, wobei Heilbronn bereits als „eher fränkisch“ eingestuft wird. Nach Süden dagegen ist alles offen. Hier fungieren lediglich die Großräume „Stuttgart“ und

„Alb“ als Paradigma für das „richtige Schwäbisch“, das man in Lauffen eben nicht sprä­

che. Ost- und westwärts sind ebenfalls keine subjektiven Dialektgrenzen zu verzeichnen.

Bestimmten Regionen, wie zum Beispiel dem Zabergäu, werden vereinzelt besondere dia­

lektale Eigenheiten zugeschrieben, man grenzt sich aber nicht bewusst von einem Ort ab.

Damit unterscheidet sich das metasprachliche Wissen der älteren Generation in Lauffen stark von dem der beiden anderen untersuchten Ortschaften. Sowohl in Neuhausen, als auch in Stimpfach existiert in den älteren Generationen ein kollektives Wissen um die An­

dersartigkeit der umliegenden Ortschaften (in Stimpfach sogar noch bei der jüngeren Ge­

neration). In Lauffen dagegen scheinen diese territorialen Grenzen fast vollständig zu feh­

len (was im Übrigen den objektiv dialektalen Gegebenheiten eines sprachlichen Über­

gangsgebietes entspricht). Auch in ihrer räumlichen Orientierung sind die Lauffener nach

272 Interview mit Jonas Mey (24), Auszubildender Techniker für Weinbau und Önologie, 25.5.2011, Lauffen (00:08:31–9).

allen Seiten offen. Zum Arbeiten, Einkaufen oder für die Ausbildung fährt man nach Heil­

bronn, Ludwigsburg oder auch nach Stuttgart.

In der begleitenden Schülerumfrage schlägt sich die durch die Ortsethnografie eruierte ter­

ritoriale Offenheit der Lauffener in dem geringen Wert des Faktors „Ortsloyalität“ der Schüler nieder (vgl. Abschnitt 3.4.4.1). So wollen Lauffener Realschüler und Gymnasias­

ten im Vergleich zu den anderen beiden Regionen am seltensten nach dem Schulabschluss in ihrer Heimatstadt bleiben.273 Dieser niedrige Wert beeinflusst die Dialektloyalität und die selbst eingeschätzte Dialektalität jedoch nicht negativ. Auch unter den Interviewpartnern fand sich kein einziger Lauffener mit einer negativen Einstellung zu seinem oder einem an­

deren Dialekt.

Obwohl die Großstadt Heilbronn näher an Lauffen liegt als Stuttgart an Neuhausen, lässt sich hier kein dialektschwächender Einfluss der Stadt erkennen. Eine mögliche Erklärung wäre, dass für die Lauffener subjektiv in Heilbronn ein sehr ähnlicher (fränkisch-schwäbi­

scher Dialekt) also kein „besseres Schwäbisch“ gesprochen wird, wie für die Neuhausener in Stuttgart. Es ist also nicht davon auszugehen, dass jede Stadt per se eine sprachverän­

dernde Sogwirkung auf ihre Umwelt ausübt, wie es bei Stuttgart und Neuhausen der Fall ist. Im Gegenteil – in Stimpfach grenzt sich die jüngere Generation sogar bewusst vom na­

hen Ellwangen sprachlich ab.

Zwischen den Generationen gibt es in Lauffen auch sonst keine großen Unterschiede in Bezug auf das metasprachliche Wissen. Sowohl bei den Mental Maps als auch bei subjekti­

ven Begründungen der Sprachunterschiede ist hier keine altersbezogene Diskrepanz zu er­

kennen. Subjektiv werden von beiden Seiten keine intergenerationellen Verständigungspro­

bleme benannt. Dagegen war in allen Interviews auffällig, dass stark zwischen einem pri­

vaten und einem öffentlichen Sprachgebrauch differenziert wird, wie es das folgende bei­

spielhafte Zitat einer 30-jährigen zahnmedizinischen Fachangestellten aus Lauffen verdeut­

licht:

„Aber wenn jemand mit mir Hochdeutsch redet, dann guck ich auch, dass ich nicht Schwäbisch schwätze, dass ich dann ‚spreche‘. Also, sobald ich ins Ge­

273 Von Lauffener Gymnasiasten wollen nur 44 % nach Schulabschluss in der Region bleiben, von

Lauffener Realschülern waren es 59 %. Dagegen wollen in Ellwangen rund 61 % der Gymnasiasten und in Crailsheim 89 % der Realschüler in der Region bleiben (in Ostfildern-Nellingen sind es 87 % der Realschüler und 52 % der Gymnasiasten), vgl. Abschnitt 3.4.4.1.

schäft gehe. Also, mir selber ist es nie aufgefallen. Aber wenn ich dann zu Hau­

se angerufen habe, hieß es: ‚Du kannst auch Schwäbisch mit mir schwätze.‘

Und jetzt habe ich eine Arbeitskollegin gehabt, die auch aus Neckarwestheim ist, die jetzt leider geht. Und meine andere Kollegin, die Türkin ist und dane­

ben stand: ‚Ich habe euch nicht verstanden.‘ Bei meinem Onkel ist es ganz ex­

trem, der kann in einem Satz Hochdeutsch sprechen – der kann es aber richtig – und Schwäbisch schwätzen.“274

Es ist anzunehmen, dass mit dem nicht eindeutig zu verortenden Dialekt eine gewisse sprachliche Toleranz und Flexibilität einhergeht. Dennoch gibt es auch in Lauffen eine Form der sozialen Abgrenzung durch Sprache, die sich aber nicht auf die fränkischen Nachbarn bezieht, sondern auf das etwas weiter entfernte Baden. Wie in Stimpfach werden auch hier alte Animositäten vor allem bei Sportveranstaltungen (wie zum Beispiel Fußball- und Eishockeyspielen) ausgetragen. Sportvereine können somit ebenfalls als Akteure der subjektiven Dialektraumbildung benannt werden. Als Medien symbolischer Ortsloyalität, unterstützen und beleben sie zudem dialektale Identitäten.