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Kapitel 7: Fazit

3.4 Umfrage unter Abschlussjahrgängen an Gymnasien und Realschulen

3.4.2 Anlage des Fragebogens

Bei der Konzeption des Fragebogens (siehe Anhang F, Fragebogen Schüler) stand das Ziel im Vordergrund, den Einfluss von räumlicher Orientierung (Ortsloyalität177), von

Weingärtnersprache in Lauffen am Neckar. In: Muttersprache 109 (1999), S. 75–80.

177 Definition nach Klaus Mattheier: „Ich bin [...] der Auffassung, dass das Phänomen der Ortsloyalität, also der bewusstseinsmäßigen, emotionalen Bindung an den Lebensort, besonders für die sprachlichen Verhaltensweisen von Bedeutung ist. […] Denn dieses Phänomen umfasst alle an den Ort gebundenen

Spracheinstellungen (Dialektloyalität178) und von sozialen Beziehungen auf sprachliche Identitäten zu untersuchen.

Auch Zusammenhänge zwischen Dialektgebrauch und angestrebtem Bildungsabschluss, Geschlecht und Herkunft sollen berücksichtigt werden. Daher beginnt der Fragebogen mit einer Bestandsaufnahme der konkreten soziodemografischen Basisdaten wie Schule, Schulort, Wohnort, Studien-/Berufswunsch, Alter und Geschlecht. Im Anschluss werden die sprachbezogenen Bereiche des Dialektgebrauchs, der Wahrnehmung des eigenen Dia­

lekts und anderer Dialekte, dialektaler Grenzen und Spracheinstellungen erfasst, sowie Aspekte des sozialen Eingebundenseins in der Region und der Ortsloyalität in Bezug auf eine spätere räumliche Orientierung nach dem erfolgten Schulabschluss abgefragt.

3.4.2.1 Einschätzung der Dialektalität der Sprecher

Die erste Frage (I. „Mit wem sprechen Sie Dialekt?“) ist Teil eines viergliedrigen Komple­

xes (Frage I/II/III und VII), der dazu dient, den Grad der Dialektalität179 der Schüler einzu­

schätzen.

Hier sollen die Schüler zunächst angeben, mit wem sie in welcher Stärke Dialekt sprechen:

mit Freunden, mit Eltern, mit Großeltern, mit Geschwistern, mit Lehrern, mit Nachbarn.

Dazu ist die jeweilige dialektale Kommunikationsstufe anzugeben – beschrieben in den vier unterschiedlichen Kategorien „stark“, „mittel“, „schwach“ und „gar nicht“. Diese be­

wusst vereinfachten Kategorien lehnen sich an gängige Modelle aus der Varietätenfor­

schung an, wie zum Beispiel die Einteilung von Harald Baßler und Helmut Spiekermann180

und auf den Ort orientierten Sozial- und Sprachverhaltensweisen. Ist ein soziales Netzwerk durch eine hohe Ortsloyalität gekennzeichnet, dann wird bei ihm das gesamte Spektrum der ortstypischen

Verhaltensweisen von der Verwendung der lokalen Sprache, bis hin zur Teilnahme an lokalen Bräuchen zu erwarten sein.“ Vgl. Klaus Mattheier: Sprachbewertungen im Kommunikationsprofil der

Ortsgemeinschaft Erp. In: Werner Besch et al. (Hg.): Sprachverhalten in ländlichen Gemeinden.

Forschungsbericht Erp-Projekt. Bd. II: Dialekt und Standardsprache im Sprecherurteil. Berlin 1983, S.

265–280, S. 268. Siehe im Folgenden auch Abschnitt 3.4.5 dieser Arbeit.

178 Definition nach Peter Wiesinger: „Das sprachsoziologische Prestige eines Dialekts und die ihm entgegengebrachte Loyalität“, vgl. Peter Wiesinger: Sprachliche Varietäten – Gestern und Heute. In:

Gerhard Stickel (Hg.): Varietäten des Deutschen. Regional- und Umgangssprachen. New York 1997, S.

9–45, S. 24.

179 Definition nach Schmidt/Herrgen, die die Dialektalität als die phonetische Distanz regionalsprachlicher Formen zur Standardsprache bezeichnen. Vgl. Joachim Herrgen/Jürgen Erich Schmidt: Dialektalitäts­

areale und Dialektabbau. In: Wolfgang Purschke (Hg.): Dialektgeographie und Dialektologie: Günter Bellmann zum 60. Geburtstag von seinen Schülern und Freunden (= Deutsche Dialektgeographie, 90).

Marburg 1989, S. 304–346.

180 Vgl. Harald Baßler/Helmut Spiekermann: Dialekt und Standardsprache im DaF-Unterricht. Wie Schüler urteilen – wie Lehrer urteilen. In: Linguistik online 9,2/2001. http://www.linguistik-online.de/9_01/­

BasslerSpiekermann.html, [14.6.2011].

von 2001 in „Dialekte, Regionalsprachen, regionale Standards und nationale Standards“

oder auch an das Modell von Peter Auer (2005) „Grunddialekte, Regiolekte, Regionalstan­

dards, Standardvarietäten“.181

Die dieser ersten Frage zugrundeliegende Hypothese lautet: Diejenigen Schüler, die ein großes Spektrum an Variation angeben, also ihre Antworten aus allen vier Kategorien

„stark“, „mittel“, „schwach“ und „ gar nicht“ wählen bzw. stark von einem mittleren Vari­

anzwert abweichen, verfügen über eine höhere Dialektkompetenz182 und über ein höheres Sprachbewusstsein, als Schüler, die sich hier nur in ein oder zwei nebeneinanderliegenden Kategorien bewegen.

Zusätzlich soll herausgearbeitet werden, welche Schüler aus welcher Region sich tendenzi­

ell als „starke“ Dialektsprecher wahrnehmen und welche Schüler ihren Dialektalitätsgrad eher in den beiden unteren Kategorien „schwach“ oder „gar nicht“ verorten.

Bei dem zweiten Fragekomplex (II. „Gibt es einen Unterschied zwischen dem Dialekt, den man in Ihrem Wohnort spricht, und den Dialekten der Umgebung? Wenn ja, können Sie diese benennen?“) der ebenfalls dazu dient, die Dialektalität der Sprecher einzustufen, sol­

len die Befragten angeben, ob man in den umliegenden Orten anders spricht als in ihrem eigenen Heimatort. Wenn ja, sollen sie diese Unterschiede beschreiben und dies auch durch eine Zeichnung verdeutlichen, zu der sie im Folgenden (III. „Bitte zeichnen Sie umseitig den Bereich [mit Ortsnamen], in dem man Ihren Dialekt spricht.“) aufgefordert werden.

Hier wird überprüft, ob diejenigen Schüler, die sprachliche Grenzen benennen und teilwei­

se noch anderes metasprachliches Wissen vorweisen können, auch über eine höhere Dia­

lektalität verfügen als jene, die dazu nicht in der Lage sind. Der Fragebogen bietet hier auch die Möglichkeit, freie Kommentare einzutragen. Schließlich sollen die Schüler noch bei Frage VII angeben, ob man sie in anderen Bundesländern anhand ihrer Aussprache ih­

rem Heimatort zuordnet. Konkret wird gefragt: „Erkennt man in anderen Bundesländern anhand Ihrer Aussprache, wo Sie aufgewachsen sind?“ Die Antwortmöglichkeiten („Ja, im­

181 Peter Auer: The role of interpersonal accomodation in a theory of language change. In: Ders./Frank Hinskens/Paul Kerswill (Hg.): Dialect Change. Convergence and Divergence in European Languages.

Cambridge 2005, S. 335–357.

182 Definition nach Friebertshäuser und Dingeldein, die zwischen einer aktiven und einer passiven Dialektkompetenz (einem Verstehen können und Sprechen können) unterscheiden und die ebenfalls konstatieren, dass Dialektkompetenz und Dialektfrequenz aneinander „gekoppelt“ seien. Vgl. Hans Friebertshäuser/Heinrich Dingeldein: Hessischer Dialektzensus – Statistischer Atlas zum Sprachge­

brauch. Tübingen 1989, S. 213.

mer“, „Ja, manchmal“, „Nein, selten“, „Nein, nie“) lehnen sich wiederum an die vierstufi­

gen Dialektmodelle von Baßler, Spiekermann und Auer an.

Frage VII („Erkennt man in anderen Bundesländern anhand Ihrer Aussprache, wo Sie auf­

gewachsen sind?“) zielt darauf ab, eine etische Perspektive auf die Dialektalität der Be­

fragten zu bekommen, indem wahrgenommene Fremdeinschätzungen von Standardspre­

chern oder Sprechern eines anderen Dialekts eingeholt werden. Natürlich handelt es sich dabei nicht um eine tatsächliche Außenperspektive, da eine von den Schülern selbst wahr­

genommene Sicht von anderen auf sich selbst abgefragt wird. Dennoch kann diese hilf­

reich sein. Eine Beantwortung mit einer der beiden Ja-Optionen, wurde als Anzeichen für eine höhere Dialektalität des Schülers gewertet.

So verfügt man im Idealfall (bei Bearbeitung aller vier Punkte) über eine sprechereigene Selbsteinschätzung der Dialektalität (Frage I), eine sprechereigene Auskunft zur Varianz (Frage I), Angaben über das metasprachliche Wissen eines Sprechers (Fragen II und III) sowie zur wahrgenommenen Fremdeinschätzung der Sprecher (Frage VII).

3.4.2.2 Räumliche Orientierung, soziale Eingebundenheit sowie Orts- und Dialektloyalität

Die Fragenkomplexe IV („Sind Sie sportlich, musisch oder sozial aktiv und wenn ja, in welchem Ort?“) und V dienen dazu, die räumliche Orientierung und die soziale Vernetzung der Schüler zu bestimmen. Frage IV ist offen formuliert und bietet die Möglichkeit zu frei­

en Kommentaren, auch mit der Absicht, den darauf folgenden (durch feste Auswahloptio­

nen dominierten Teil) durch ein interaktives Element auszugleichen. Frage IV ermöglicht zusätzlich, die Bedeutung des Wohnortes für den Befragten einzustufen. Die darauf folgen­

den vier Unterfragen des Fragekomplexes V („Wo wohnen Ihre Freunde?/Woher stammt Ihre Mutter/Woher stammt Ihr Vater?/Wo werden Sie nach dem Schulabschluss hingehen?“) sollen soziale Bindungen der Sprecher in ihren räumlichen Dimensionen er­

fassen. Frage V.1 eruiert, wo die Freunde des Befragten wohnen, und bietet (wie auch Fra­

ge V.2, V.3 und V.4) drei vorgegebene und eine freie Raumkategorie als Antwortmöglich­

keiten an. Die Raumkategorien „Wohnort“, „nähere Umgebung“ und „Baden-Württem­

berg“ stehen also einer selbst zu beschriftenden Option gegenüber, in die zum Beispiel ein anderes Bundesland eingetragen werden kann, falls der Befragte auch Freunde aus anderen Regionen Deutschlands hat. Frage V.2 und V.3 beziehen sich auf die Herkunft von Mutter

und Vater. Unter V.4 wird schließlich die zentrale Frage nach der zukünftigen Orientierung nach erfolgreichem Schulabschluss gestellt, was später als Basis für die Einschätzung der Ortsloyalität der Befragten dient. Auch alle anderen Fragen dienen dazu, Daten zu generie­

ren, die im Folgenden mit dem Grad der Dialektalität der Sprecher abgeglichen werden sollen. Auf diese Weise werden der Einfluss der Herkunft der Freunde, der Eltern und der räumlichen Sprecherorientierung herausgearbeitet.

Frage VI („Sprechen Sie lieber Dialekt oder lieber Hochdeutsch?“) mit den Ankreuzoptio­

nen „Dialekt“, „Hochdeutsch“, „beides gleich“ soll den Grad der Dialektloyalität der Schü­

ler erfassen, um diesen auch in seiner Einflussnahme bezüglich der Dialektalität der Be­

fragten zu untersuchen.