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2. Theorie

2.2. Der Homo Oeconomicus als geeignete Theoriegrundlage?

Das Ziel jeden Händlers auf dem Chisokone-Markt ist es, möglichst hohe Gewinne zu erzielen und dabei profitsteigernde Strategien anzuwenden. Somit bietet sich zur Erklärung der betrieblichen Vorgehensweise zunächst das Modell des Homo Oeconomicus an, da es rationale, vorrausschauende und nutzenmaximierende Gesichtspunkte in den Handlungsmittelpunkt rückt.24 Der Homo Oeconomicus bewegt sich vorwiegend in monetären Kategorien, die mittels Gewinn und Verlust messbar werden. Ein zentraler Aspekt der Entscheidungsfindung sind die Informationen, auf deren Grundlage gewinnmaximierende Handlungen vollzogen werden.25 Wie alle Theoriemodelle kann es für einen konkreten Untersuchungsfall nur eingeschränkt Anwendung finden, wohl aber Verhaltensweisen und Strategieentwicklungsversuche beteiligter Händler verständlicher machen. Die Realität der Händler auf dem Chisokone-Markt ist deutlich komplexer als es das Theoriemodell des Homo Oeconomicus beschreibt. Insbesondere die Informationsbeschaffung, die eine wichtige Komponente innerhalb dieses Modells ist, gestaltet sich äußerst komplex, da sich das Marktumfeld und dessen Institutionen rasch ändern und intransparente Entscheidungen seitens der Marktverwaltung(en) gängig sind. Damit ist ein Teil der Handlungsgrundlage des Händlers, der im Sinne des Homo Oeconomicus agieren möchte, gestört.

Wie im Laufe der Untersuchung gezeigt werden kann, haben Handelnde nur begrenzte Möglichkeiten, rational zu agieren. Oft möchten (oder können) sie innerhalb ihres Kontextes „nur“ eine „gute“ Wahl treffen, was sich entlastend auswirkt.26 Kirchler nennt dieses Prinzip „zufriedenstellende Entscheidungen“, das mit berücksichtigt, dass Personen in komplexen Situationen rasch Entscheidungen treffen müssen und nicht rein

24 Vgl. Göbel 2002, S. 33 und ausführlich Zintl 1989

25 Vgl. Pelzmann 1985, S. 5

26 Vgl. Kirchler 2011, S. 97

zweckrational die beste Alternative wählen können. Der reinen Gewinnmaximierung wird demnach eine zufriedenstellende Alternative vorgezogen.27 Eine solche Handlungsalternative birgt allerdings einige Risiken. Sie mag auf den ersten Blick als zufriedenstellend eingestuft werden, kann aber durch zu passives Agieren dem Geschäftsruin Vorschub leisten. Gerade in einem Handlungsfeld, bei dem häufig keine strikte Trennung zwischen den geschäftlichen Finanzen und der Familienkasse existiert und die Unternehmung über das Überleben der Familienangehörigen entscheidet, sind vorwiegend rationale Entscheidungsmuster untauglich. Vielmehr müssen die Händler im sambischen Kontext einen Ausgleich zwischen guter als auch gewinnmaximierender Betriebsführung und den Erwartungen der Familie finden. Long sieht dabei aus einer Akteursperspektive ähnliche Herausforderungen. Durch soziale Verpflichtungen, die sowohl im familiären Verband, als auch innerhalb von Netzwerken und Kundenbeziehungen (Stichwort Händlerdilemma28) zu finden sind, kann die Bandbreite an potentiellen Handlungsalternativen nicht ausgeschöpft werden.29

Goetze weist darauf hin, dass „nicht westlich soziokulturelle Systeme“ einer eigenen Logik folgen, deshalb aber keinesfalls irrational sein müssen. Ein ökonomisches Verhalten, welches auf den ersten Blick irrational erscheint, gewinnt eine eigene Rationalität, sobald es in einen Gesamtfunktionszusammenhang der jeweiligen Gesellschaft gebracht wird.30 Es wird deshalb versucht, die Strategien der Händler und deren Aktivitäten in Verbindung mit anderen Händlern und den involvierten Institutionen nicht in ein klassisches Rationalitätsschema, wie es oben beschrieben wird, zu verorten. Denn auch Godelier weist darauf hin, dass es weder eine Rationalität an sich gibt, noch eine absolute Rationalität existiert. Das Rationale von heute kann das Irrationale von morgen sein. Weiter gibt er zu bedenken, dass rationales Handeln im Verständnis einer Gesellschaft, das Irrationale in einer anderen Gesellschaft bedeuten kann.31 Handeln kann also auch rational sein, auch wenn es den Rationalitätsannahmen des Homo Oeconomicus nicht entspricht.

27 Vgl. ebd. S. 97f.

28 Vgl. hierzu Evers/Schrader 1999

29 Vgl. Long 2001, S. 136

30 Vgl. Goetze 1983, S. 57

31 Vgl. Godelier 1972, S. 356

Das Modell des Homo Sociologicus erweist sich als hilfreicher um die Handlungsweisen der Akteure in Kitwe zu verstehen. Es bezieht bei der Handlungserklärung von Personen auch die soziale Ordnung explizit mit ein. Zudem wird beim Modell des Homo Sociologicus berücksichtigt, dass nicht vorwiegend zweckorientierte Aspekte die Handlungen der beteiligen Akteure erklären können.32 Folglich ist auch der Blick auf die bereits angedeuteten familiären Verflechtungen der Händler auf dem Chisokone-Markt wichtig, um zu sehen, wie diese sich auf den Geschäftsablauf auswirken. Solche Betrachtungsweisen (also soziale Rationalitäten) gelten insbesondere im informellen Sektor, wo enge familiäre Verbindungen zum Geschäftsablauf eines Händlers gegeben sind. Darüber hinaus ist, wie bereits erwähnt, die Interaktion mit den Institutionen von großer Bedeutung. Diese schränken die Handlungsalternativen der Händler in mancher Hinsicht deutlich ein, da sie sich teilweise nicht an Gesetze gebunden fühlen und nicht legale Steuern und Standgebühren verlangen. Damit fallen einige gewinnmaximierende Handlungsoptionen weg, da diese aufgrund institutioneller Beschränkungen nicht durchführbar sind. Folglich müssen Händler andere Lösungsmechanismen entwickeln, die zunächst irrational erscheinen, im Kontext des Chisokone-Marktes gleichwohl Sinn ergeben. Ein weiterer Gesichtspunkt, der die Anwendbarkeit des Modells des Homo Oeconomicus einschränkt, ist die Netzwerkbildung, die besonders erfolgreiche Händler praktizieren. In diesem Zusammenhang spielen Pragmatismus und soziale Kompetenz wichtige Rollen.

Entscheidungen, die auf den ersten Blick als rational klassifiziert würden, müssen hintangestellt werden, um sich in ein soziales Händlergefüge einordnen zu können.

Demzufolge ist es Ziel dieser Arbeit, nicht nur klassisch betriebswirtschaftliche Kalküle innerhalb der Strategieentwicklung der Händler auf dem Chisokone-Markt zu beschreiben, sondern auch die sozialen und die problematischen institutionellen Gesichtspunkte miteinzubeziehen, die wiederum Entscheidungsgrundlagen für betriebliches Handeln darstellen.33

32 Vgl. Reckwitz 2012, S. 133

33 Vgl. hierzu weiterführend Bierschenk 2002