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4.1 Definitionen

4.1.1 Definition Gesundheitskompetenz

Gesundheitskompetenz kann aus dem amerikanischen Begriff „Health Literacy“

übersetzt werden und wird in den deutschsprachigen Ländern überwiegend als Ge-sundheitskompetenz sprachlich verwendet. Ursprünglich kommt der Begriff Health Literacy aus der Erziehungswissenschaft, wo er im Zusammenhang mit der Alpha-betisierung diskutiert wurde. So wurde Health Literacy als eine Fähigkeit erforderli-che Informationen lesen und verstehen zu können definiert. Literalität als Begriff wird im Deutschen kaum verwendet und bedeutet im eigentlichen Sinn „Schriftspra-chenkompetenz“. Health Literacy wurde auf die Gesundheits- und Sozialwissen-schaften übertragen und wird heute weiter gefasst, beschränkt sich also nicht nur auf das Lesen und Verstehen von Informationen (Schaeffer 2017 S. 53; Schaef-fer/Pelikan 2017, S. 11f). Insgesamt gibt es eine rege Diskussion zur Begriffsdefini-tion. Ausgehend von einer Definition der WHO aus dem Jahre 1998, die eng an den Begriff Gesundheitsförderung anknüpft, soll in dieser Arbeit die im Zusammenhang mit der Europäischen Health Literacy Survey (HLS-EU) geprägte Definition verwen-det werden:

„Health Literacy basiert auf allgemeiner Literacy und umfasst das Wis-sen, die Motivation und die Kompetenzen von Menschen, relevante Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zu finden, zu ver-stehen, zu beurteilen und anzuwenden um im Alltag in den Domänen der Krankheitsbewältigung, der Krankheitsprävention und der Ge-sundheitsförderung, Urteile fällen und Entscheidungen treffen zu kön-nen, die ihre Lebensqualität während des gesamten Lebensverlaufs erhalten oder verbessern. (Schaeffer/Pelikan 2017, S. 12, zit. nach Sörensen et al, 2012)

Diese Definition unterstreicht die in dieser Arbeit bereits erwähnte Patientenorien-tierung und Partizipation im Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit, sowie die Erwägungen rund um die Motivation, die Menschen in Bewältigungssituationen als auch im Sinne der Prävention und Gesundheitsförderung benötigen. Es betrifft den Alltag der Menschen, es geht darum Sachverhalte zu beurteilen und Entschei-dungen zu treffen. Dies kann insofern als Herausforderung gesehen werden, da sich Menschen zunehmend die Frage stellen, welche in den zahllos angebotenen, überwiegend digitalen Informationsquellen, die für sie richtigen Informationen sind.

Richtiges von Falschem zu trennen ist insbesondere für Menschen mit niedrigerer

4 Zur Förderung der Gesundheitskompetenz

Literalität und Medienkompetenz äußerst schwierig. Menschen mit chronischen Er-krankungen sind zusätzlich belastet und werden sich zukünftig ohne Gesundheits-lotsen schwer orientieren können, um adäquate Wege zur Verbesserung der Le-bensqualität zu finden. Die zunehmenden Angebote von digitalen Medien stellen die Gesundheitsdienste vor eine große Herausforderung. Auch sie müssen sich in Me-dienkompetenz schulen, die Qualität der neuen Medien prüfen, sowie die Themen rund um den Datenschutz klären lassen (vgl. Schaeffer/Pelikan 2017, S. 14f;

Schaeffer 2017, S. 59; Trojan/Kofahl 2015, S. 86). Nicht nur die Verschiebung von Krankheitsthemen hin zu chronischen Erkrankungen, sondern ein insgesamt stei-gendes Interesse der Gesellschaft an Gesundheit, neu entstandene Gesundheitsri-siken auf Grund der Globalisierung und eine demographisch begründete erhöhte Lebenserwartung machen Gesundheit allgegenwärtig und zu einem unüberschau-baren Gesundheitsmarkt (vgl. Kickbusch 2006, S. 17). Gesundheitsprofis, wie sie Pflegepersonen sind, werden wie in dieser Arbeit bereits erwähnt, eine immer grö-ßere Rolle spielen. Insgesamt zeigt die Literatur rund um die Gesundheitskompe-tenz bzw. Health Literacy, dass es noch viele Bereiche gibt, die näher betrachtet werden wollen, um die Definition und Bedeutung zu schärfen und zu erweitern. Die folgende Abbildung fasst die zentralen Aussagen der oben genannten Definition und Diskussion zusammen:

Krankheitsbewältigung-Krankheitsprävention-Gesundheitsförderung

Abb.2: Gesundheitskompetenzmodell, eigene Darstellung in Anlehnung an die Definition nach Sörensen et al (2012).

Gesundheitskompetenz

Wissen Motivation persönlich strukturell

finden

beurteilen

verstehen

anwenden

Entscheidung

4 Zur Förderung der Gesundheitskompetenz

Eine weitere differenzierte Betrachtung von Gesundheitskompetenz wurde durch Nutbeam (2000) dargestellt. Demnach wird der Begriff wie folgt unterschieden:

Die funktionale Kompetenz meint das Suchen, Finden und Verstehen von Informationen, also ein grundlegendes Verständnis von Inhalten, was z. B.

eine ausreichende Lesekompetenz voraussetzt.

Die interaktive Gesundheitskompetenz meint u.a. das Suchen in unter-schiedlichen Quellen, sowie den Austausch mit anderen Menschen und die Weitergabe von Wissen. Der kommunikative Prozess rückt hier in den Vor-dergrund.

Die kritische Gesundheitskompetenz versteht sich als eine angemessene Reflexionsfähigkeit und setzt einen kritisch reflektierten Zugang zu gesund-heitsrelevanten Informationen voraus. Ebenso sind Menschen mit einem kri-tischen Gesundheitsverständnis in der Lage an der öffentlichen, polikri-tischen Gesundheitsdebatte teilzunehmen. (vgl. Abel/Sommerhalder 2015, S. 923f, zit. nach Nutbeam 2000; Lenartz 2012, S. 27f, zit. nach Nutbeam 2000, S.

262).

Diese differenzierte Betrachtung nach Nutbeam (2000) kann im Pflegekontakt sehr gut zur Einschätzung der Gesundheitskompetenz in pflegerischen Anamneseset-tings genutzt werden, um die Voraussetzungen für den Unterstützungs-bzw. Bera-tungsbedarf von Patientinnen und Patienten zu klären (siehe Kap. 3.4.1, Abb.1, S.

38). Kickbusch et al (2005) haben aufbauend auf das Modell von Nutbeam zusätz-lich eine gesellschaftzusätz-lich relevante Differenzierung eingebracht. So unterscheiden sie zwischen fünf Kompetenzbereichen. Diese betreffen die persönliche Gesund-heit, die Systemorientierung, das Konsumverhalten, die Gesundheitspolitik sowie die Arbeitswelt. In jedem dieser fünf Kompetenzbereiche sollen Menschen in der Lage sein gesundheitsförderlich zu agieren und Entscheidungen zu treffen. (vgl.

Lenartz 2012, S. 29, zit. nach Kickbusch 2006a). Lenartz 2012, S. 45 befasst sich mit der psychologischen Dimension der Selbstregulation bzw. Selbststeuerung aus wissenschaftlicher Perspektive. Selbstregulierende Determinanten (z.B. Motivation,

4 Zur Förderung der Gesundheitskompetenz

Wahrnehmung, Kognition uva.) beeinflussen das Gesundheitsverhalten von Men-schen, entwickeln sich von Kindheit an, und regulieren sich über die gesamte Le-bensspanne weiter. Im Grunde trägt eine erfolgreiche Selbstregulation wesentlichen zu einer ausreichenden Gesundheitskompetenz von Menschen bei.

In der oben zitierten Definition der Gesundheitskompetenz nach Sörensen (2012) ist die duale Perspektive der Gesundheitskompetenz wenig berücksichtigt. Konkret meint dies eine Sichtweise, die nicht allein die persönliche Kompetenz einer Person realisiert (z.B. Selbstregulation), sondern auch systemische Anforderungen beach-tet, denen eine Person ausgesetzt ist. Parker & Ratzab (2010) veranschaulichen diese Sichtweise und stellen dies als „relationales Konzept“ zur Diskussion (vgl.

Schaeffer/Pelikan 2017, S. 97).

Abb.3: Gesundheitskompetenz als relationales Konzept nach Parker & Ratzan 2010, entnommen aus Schaeffer/Pelikan, 2017

In Betrachtung dieser Darstellung lässt sich erneut feststellen, dass Pflegepersonen im Rahmen von Anamnesegesprächen diese relationale Perspektive einnehmen müssen und können, um die Gesundheitskompetenz der kranken Menschen einzu-schätzen. Gesundheitskompetenz ist eng mit den situativen Anforderungen, vor al-lem mit sozialen Voraussetzungen wie z.B. Bildung, Arbeit, Einkommen und Kultur verwoben. Zahlreiche Studien belegen, dass soziale Situationen bzw. Anforderun-gen das Kompetenzniveau von Menschen sichtbar machen. Menschen mit niedri-gen sozialen Determinanten haben weniger Chancen eine höhere Gesundheits-kompetenz zu erreichen und werden als „vulnerable Gruppen“ definiert (vgl. Kick-busch et al 2016, S. 10f). Der Sozial- und Gesundheitswissenschaftler David Klem-perer (2015) setzt sich sehr für die Berücksichtigung der sozialen Dimensionen in der Gesundheitsförderungsdebatte ein. Er kritisiert, dass Gesundheitskompetenz mehr bedeutet, als gesundheitserzieherische, verhaltensorientierte Maßnahmen zu

Persönliche Kompeten-zen/Fähigkeiten

Situative Anforderun-gen/Komplexität

Gesundheits-kompetenz

4 Zur Förderung der Gesundheitskompetenz

ergreifen. Ohne Betrachtung der Lebenswelt der Menschen gibt es keine nachhal-tigen, wirksamen Veränderungen im Gesundheitsverhalten (vgl. Klemperer 2015b, S. 41).

Um die Definitionen zum Thema Gesundheitskompetenz zu versvollständigen ist eine Unterscheidung der Begriffe Gesundheitsförderung und Prävention aus wis-senschaftlicher Sicht eine explikative Ergänzung. Die Begriffe werden hier nur im Ansatz erklärt, um eine allgemeine Ausrichtung der Begrifflichkeiten darzulegen.

Gesundheitskompetenz kann letztendlich als Wirkung und Erfolg der Gesundheits-förderung gesehen werden (vgl. Lenartz 2012, S. 28).