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Gesprächsführung in der stationären Gesundheits- und Krankenpflege

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Academic year: 2022

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Christa Santner

Gesprächsführung in der stationären Gesundheits- und Krankenpflege

zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Conversation at inpatient sector of health care between claim and reality

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Science

im Rahmen des Universitätslehrganges betreut durch

Mag

a

Dr

in

Alexandra Zesar-Eder

Karl-Franzens-Universität Graz und UNI for LIFE

Elixhausen, September 2017

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Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländi- schen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffent- licht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

30. September 2017 Unterschrift

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Der Dank gilt meinen Enkelkindern Jakob und Rosa. Sie haben oft geduldig auf mich gewartet. Meine Familie, meine Freundinnen und Freunde haben mich motiviert und ebenso geduldig auf mich gewartet. Einen großen Dank an Frau Maga Drin Alexandra Zesar-Eder sowie meiner Kollegin Maga Christine Platajs für die hilfreiche Feedback- gabe, sowie Hannah und Alistair für das Abstract in englischer Sprache.

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Abstract

Diese Arbeit befasst sich mit dem Wert von Gesprächen im Rahmen der stationären Gesundheits-und Krankenpflege. Sie geht der Frage nach, wie eine qualitätsvolle Ge- sprächsführung zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz von Patientinnen und Patienten beitragen kann. Pflegepersonen nehmen entsprechend eines definierten Berufsbildes eine zentrale Rolle in der Patientenversorgung ein. Sie sind die größte Berufsgruppe in der Klinik und stets als Ansprechpersonen präsent. Aufbauend auf diese Fragestellung wurden die Studienlage zur Patientenzufriedenheit und Qualität von Gesprächen aufgezeigt, Kernkompetenzen des Pflegeberufes genauer analysiert sowie die Gesundheitskompetenz in einer umfassenden Perspektive und Studienlage dargestellt. Die Ergebnisse zeigen ein ambivalentes Bild zwischen einer hohen Zufrie- denheit mit der stationären Versorgung und einer wünschenswerten Optimierung der Gesprächsführung durch das Klinikpersonal. Die Ergebnisse der europäischen Ge- sundheitskompetenzstudie (Health Literacy-Survey) zeigen unzureichende Kompeten- zen auf, und veranlassen u.a. Maßnahmen für eine Verbesserung der Gesprächsqua- lität in der österreichischen Krankenversorgung einzuleiten. Die Ökonomisierung der stationären Versorgung und der Wunsch nach einer konsistenten Gesprächsführung während der Patienteninteraktion bringen Pflegepersonen in ein Spannungsfeld zwi- schen Systemorientierung und Patientenorientierung. Die Literaturrecherche zeigt, dass trotz Zeitmangel mit einer qualitativ hochwertigen Gesprächsführung Zeit einge- spart werden kann. Dies eröffnet den überwiegend chronisch kranken Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, dass ihre emotionalen Bedürfnisse und Problemsituati- onen gesehen und vor allem gehört werden, um daraus wirksame Therapie- und Pfle- gemaßnahmen zur Verbesserung ihrer Gesundheitskompetenz abzuleiten. Dazu müs- sen Pflegepersonen im Rahmen ihres Verantwortungsbereiches einer Care-Ethik nachgehen, welche in der Literatur als ein kompetentes Handeln und als eine fürsorg- liche, achtsame Zuwendung beschrieben wird. Um diesen ethischen Prinzipien ge- recht zu werden, sind in dieser Arbeit beispielgebend Frage- und Antwortmöglichkeiten dargestellt, die gemäß der humanistischen Psychologie dem personenzentrierten An- satz der Gesprächsführung nach Carl Rogers folgen. Kern primärer Verbesserungs- maßnahmen ist die Persönlichkeitsentwicklung des Gesundheitspersonals, um quali- tätsvolle Gespräche in der stationären Versorgung von Patientinnen und Patienten führen zu können.

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Abstract

This paper considers the value of patient-staff conversation in the context of clinical healthcare. It seeks to answer the question: how can a high-quality approach to con- versation contribute to the improvement of health literacy amongst patients? In line with their job description, nursing staff plays a central role in patient care. They make up the largest occupational group in the clinic and, as they are consistently present, they are patients’ first point of contact. In addition to this line of investigation, this paper shows the current state of research in regards to patient satisfaction and conversation quality, analyses more precisely nursing’s core competencies, and depicts health liter- acy at large according to current research. The results show an ambivalent situation, in which patients are highly satisfied with clinical care but wish for greater optimisation of how clinic staff carries out conversations with patients. Results from the European Health Literacy-Survey reveal inadequate literacy and demonstrate the necessity of taking action to improve the quality of patient-staff conversation in the Austrian health system. The economisation of clinical care and the desire for more consistent conver- sation during interaction with patients puts nursing staff in a position of having to bal- ance the conflicting priorities of a system-focused and a patient-focused outlook. The review of current literature shows that, despite time restrictions, it is possible to actually save time by having a high-quality conversation with patients. This gives prevailingly chronically ill patients the opportunity to share and describe their emotional needs and problematic situations and, most importantly, to be listened to. From this, effective ap- proaches to therapy and care could be developed in order to improve health literacy.

This would require nursing staff, as part of their professional responsibilities, to imple- ment the ethics of care, which the literature describes as competent, considerate, and attentive. In order to fulfil these ethical principles, this paper provides exemplary ques- tion-and-answer possibilities, which follow a person-centred approach to conversation according to humanistic psychology as described by Carl Rogers. At the core of this approach to improvement is the personal development of nursing staff, so that they are able to carry out high-quality conversations as part of clinical care of patients.

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis ... 1

Abbildungsverzeichnis ... 3

1 Einleitung ... 5

2 Klinikalltag Krankenhaus ... 8

2.1 Patientenorientierung versus Systemorientierung ... 8

2.1.1 Patientenbedürfnisse ... 11

2.1.2 Vom Krankenhaus zum Gesundheitszentrum ... 14

2.1.3 Der Zeitfaktor als kritischer Aspekt im Krankenhausalltag ... 16

2.1.4 Zusammenfassung... 19

2.2 Interkulturalität als zunehmende Herausforderung ... 19

2.2.1 Überlegungen zum Kulturverständnis ... 20

2.2.2 Konsequenzen für die Berufsgruppe Pflege ... 21

2.2.3 Entwicklungsbedarf ... 23

3 Kernkompetenzen der beruflichen Pflege ... 25

3.1 Gesetzliche Grundlagen ... 25

3.2 Care-Ethik als zentrale Kompetenz des Pflegeberufes ... 27

3.2.1 Care Interaktionen mit dem Fokus auf Macht und Motivation ... 28

3.2.2 Zur Bedeutung von Gesprächen in der Care Praxis ... 30

3.3 Die sprechende Pflege als eine zentrale Kernkompetenz ... 30

3.3.1 Hindernisse durch hierarchische Strukturen ... 32

3.3.2 Über den Weg aus der Unmündigkeit ... 34

3.4 Pädagogische Kompetenzen in der Pflege ... 36

3.4.1 Patientenedukation ... 37

3.4.2 Patientenmotivation für den Lernerfolg ... 39

4 Zur Förderung der Gesundheitskompetenz ... 42

4.1 Definitionen ... 42

4.1.1 Definition Gesundheitskompetenz ... 43

4.1.2 Definition Gesundheitsförderung und Prävention ... 47

4.1.3 Akzeptierende Gesundheitsförderung ... 49

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4.1.4 Das Konzept des Empowerment ... 50

4.2 Zur Studienlage – Ergebnisse und Handlungsstrategien ... 51

4.2.1 Zur Erhebung der HLS-EU Survey ... 52

4.2.2 Zentrale Ergebnisse der HLS-EU Survey – kurz gefasst ... 53

4.2.3 Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz ... 54

5 Professionelle Gesprächsführung und Kommunikation ... 58

5.1 Aspekte zum Menschenbild ... 58

5.1.1 Kernelemente einer humanistischen Pflege ... 59

5.1.2 Aspekte aus dem Menschenbild von Viktor Frankl ... 61

5.2 Grundlagen einer Klientenzentrierten Gesprächsführung ... 62

5.2.1 Definitionen häufig verwendeter Begriffe der Kommunikation ... 63

5.2.2 Kongruenz ... 66

5.2.3 Unbedingte Wertschätzung ... 68

5.2.4 Empathisches Verstehen ... 72

5.2.5 Zuhören, die mächtige Kraft der Veränderung ... 76

5.2.6 Studienlage zum personenzentrierten Ansatz ... 78

5.2.7 Der personenzentrierte Ansatz und Gesundheitskompetenz ... 80

5.3 Aspekte der Kommunikationspsychologie ... 81

5.3.1 Das Quadrat der Nachricht ... 81

5.3.2 Transaktionsanalyse ... 83

5.4 Motivierende Gesprächsführung ... 84

5.4.1 Zum Begriff MI-Spirit ... 85

5.4.2 Zum Begriff RULE ... 86

5.4.3 Zu den Kommunikationsstilen gemäß MI ... 86

5.4.4 Change-talk hören ... 88

5.4.5 Zur Durchführung einer Motivierenden Gesprächsführung ... 90

6 Zusammenfassung ... 92

Literaturverzeichnis ... 97

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Patientenedukationsprozess 38 Abbildung 2: Gesundheitskompetenzmodell 44

Abbildung 3: Gesundheitskompetenz als relationales Konzept 46

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Abkürzungsverzeichnis

BMGF: Bundesministerium für Gesundheit und Frauen ebda.: eben da

et al: und andere

EU: Europäischen Union

EU-15: Mitgliedstaaten der europäischen Region vor der Osterweiterung 2004 GÖG: Gesundheit Österreich GmbH

GuKG: Gesundheits- und Krankenpflegegesetz

HLS-EU: Health Literacy Survey-Europa (Gesundheitskompetenzstudie Europa) Kap.: Kapitel

MI: Motivationl Interviewing (Motivierende Gesprächsführung)

RULE: Resistent, Understand, Listen, Empower (widerstehen, einfühlsam verste- hen, hineinhören, ermächtigen).

VEE: Verbalisieren emotionaler Erlebnisse vgl.: vergleiche

WHO: World Health Organisation (Weltgesundheitsorganisation)

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1 Einleitung

1 Einleitung

Die Pflege von Patientinnen und Patienten in den stationären Abteilungen der Klini- ken im deutschsprachigen Raum ist überwiegend an systemischen und medizini- schen Bedürfnissen orientiert. Das heißt, es wird viel Zeit in Diagnostik und Thera- pie, sowie in standardisierte Abläufe im Zusammenhang mit Organisation der Pflege investiert. Die kurze Verweildauer verstärkt die Konzentration auf eine effiziente Ab- lauforganisation. Zudem sind Umstrukturierungen durch Zusammenlegung von Ab- teilugen, sowie die Zunahme von Interkulturalität im Krankenhaus eine besondere Herausforderung.

Patientenorientierung im Sinne der Bedürfnisorientierung an Patientinnen und Pati- enten, im Sinne einer partnerschaftlichen, fürsorgenden Pflege bleibt in diesem eher hektischen Krankenhausalltag auf der Strecke. Alles soll möglichst schnell abgear- beitet werden. Für Gespräche mit Patientinnen und Patienten bleibt zu wenig Zeit (vgl. Spirig et al 2016, S. 28f). Gesundheitspersonal, wie Angehörige der Berufs- gruppe für Gesundheits- und Krankenpflege stehen somit in einem Spannungsfeld zwischen Patientenorientierung und Systemorientierung. Eine angemessene pro- fessionelle Gesprächsführung könnte einen Ausgleich schaffen, um den Kranken- hausalltag für alle Beteiligten zufriedenstellender zu bewältigen.

Zum einen geht es darum, einen möglichst reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, und zum anderen geht es darum, Patientinnen und Patienten bei der Wiederher- stellung der Gesundheit und der Lebensqualität zu unterstützen. Dabei ist es wich- tig, dass sie in ihrer Gesundheitskompetenz gestärkt werden. Dies erfordert einen durchgehenden dialogischen Prozess von der Aufnahme in das Krankenhaus bis hin zur Entlassung. Gesundheitskompetenz ist als eine Fähigkeit zu verstehen, im Alltag Entscheidungen treffen zu können, welche die persönliche Gesundheitsför- derung unterstützen (vgl. BMGF 2016a, S. 5ff). Gelingt eine angemessene Patien- ten- bzw. Angehörigenberatung, welche die Gesundheitskompetenz stärkt, so kann dies zur Reduzierung des Drehtüreffektes beitragen. Wenn sich Pflegepersonen auf Gespräche einlassen und im Austausch mit den Betroffenen erkennen, welche

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1 Einleitung

Maßnahmen bzw. Unterstützungen folgen müssen, so ist einer Wiederaufnahme in das Krankenhaus vorgebeugt (vgl. ebda.).

Gespräche zu führen und Beratungsarbeit zu leisten sind, wie in den gesetzlichen Grundlagen dargestellt, Kernaufgaben der Pflege. Dennoch gibt es unter Angehöri- gen der Berufsgruppe der Gesundheits- und Krankenpflege divergente Ansichten.

Beratungskompetenz im Sinne der beruflichen Kompetenz wird in Frage gestellt und gemäß Aussagen von Pflegepersonen als unsicheres Terrain erlebt. Es werden Fra- gen sowohl zu Grenzen in der Beratungsarbeit gestellt, als auch zur professionell geplanten Durchführung von Patientenberatungen. Ebenso wird, wie oben be- schrieben, der Zeitmangel als Störfaktor beklagt.

Studien zeigen, dass eine gelingende Gesprächsführung der Gesundheitsdienstan- bieter, insbesondere von Ärztinnen und Ärzten, sowie von Gesundheits- und Kran- kenpflegepersonen für Patientinnen und Patienten einen hohen Nutzen hat. Die ge- sundheitlichen Outcomes beziehen sich u.a. auf den Gesundheitszustand von chro- nisch Kranken (z.B. Diabetes, Krebserkrankung, Herz-Kreislauferkrankung), als auch auf das Gesundheitsverhalten und die Zufriedenheit der Patientinnen und Pa- tienten (vgl. Sator et al 2015a, S. 72ff). Europaweite Studien zeigen, dass die Ge- sprächsqualität zwischen Patientinnen und Patienten und den Gesundheitsdiensten in Österreich unterhalb des EU-Durchschnittes liegt. Die Entwicklungsinitiativen zur Verbesserung der Gesprächsqualität in der Krankenversorgung sind in Österreich meist von individuellem Engagement und Motivation von Einzelpersonen abhängig.

Daher wurde in Österreich im Auftrag der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen und des Hauptverbandes der ös- terreichischen Sozialversicherungsträger eine Entwicklungsinitiative zur Verbesse- rung der Gesprächsqualität in der Krankenversorgung erarbeitet (vgl. BMGF 2016a, S. 2). Die Studienlage zur Gesundheitskompetenz zeigt in Österreich im Länderver- gleich eine eher weniger zufriedenstellende Lage. Pelikan et al (2011) haben die erste europäische Studie zu (selbsteingeschätzter) Gesundheitskompetenz nach unterschiedlichen Dimensionen veröffentlicht. So verfügen z. B. nur 10 Prozent der österreichischen Bevölkerung über eine ausgezeichnete Gesundheitskompetenz (vgl. BMGF 2016a, S.18).

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1 Einleitung

In dieser Arbeit wird somit folgender Frage nachgegangen:

„Wie können Angehörige des gehobenen Dienstes der Gesundheits- und Kranken- pflege im Klinikalltag durch eine professionelle Gesprächsführung die Gesundheits- kompetenz von Patientinnen und Patienten stärken und Gesprächsführung als zent- rales Element ihrer beruflichen Arbeit erfahren?“

Ziel der Arbeit ist es, den Wert von Gesprächen im Rahmen der stationären Kran- kenversorgung- und Begleitung aufzuzeigen, um Gespräche als wesentliche Ele- mente in der Pflege wahrzunehmen. Dabei sollen Möglichkeiten diskutiert werden, wie trotz eines hektischen Klinikalltages Patientenbedürfnisse erfasst und die Ge- sundheitskompetenz von Patientinnen und Patienten gestärkt werden können.

Um die Frage zu beantworten und dem Ziel dieser Arbeit zu folgen, werden im Ka- pitel zwei zunächst Spannungsfelder zwischen Patientenorientierung und System- orientierung im Krankenhaus aufgezeigt. Dabei werden Entwicklungstendenzen im Gesundheitswesen veranschaulicht, sowie der Zeitfaktor und die Interkulturalität als Herausforderungen diskutiert. Im Kapitel drei werden Kernkompetenzen der beruf- lichen Pflege erklärt, wobei der Focus auf eine Care-Ethik sowie die pädagogischen Kompetenzen gelegt wird. Im vierten Kapitel wird der Begriff Gesundheitskompe- tenz als Teil der österreichischen Gesundheitsziele betrachtet. Es werden Maßnah- men zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz auf Grundlage von Ergebnissen der europäischen Studienlage dargestellt.

Das fünfte und letzte Kapitel befasst sich mit der Gesprächsführung und Kommuni- kation, wobei zunächst die Entwicklung eines humanistischen Menschenbildes und einer angemessenen Pflege diskutiert werden. Die Grundlagen der Klientenzentrier- ten Gesprächsführung nach Carl Rogers, welche die Entwicklung der Persönlichkeit voraussetzt, bilden den Schwerpunkt dieses Kapitels. Kommunikationspsychologi- sche Elemente wie das Quadrat der Nachricht und die Transaktionsanalyse werden als hilfreiche Elemente beschrieben. Die Motivierende Gesprächsführung wird für eine erfolgversprechende Interaktion mit Patientinnen und Patienten erklärt und zeigt den Nutzen einer Veränderungsmotivation zur verbesserten Gesundheitskom- petenz auf.

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2 Klinikalltag Krankenhaus

2 Klinikalltag Krankenhaus

In diesem Kapitel werden zunächst Spannungsfelder im Krankenhausalltag aufge- zeigt, die sich zwischen Patientenorientierung und Systemorientierung bewegen.

Dabei werden Patientenbedürfnisse und Entwicklungsperspektiven für eine ange- messene Versorgung diskutiert. Die Darstellung dieses Spannungsfeldes ist, wie in der Einleitung erwähnt insofern von Bedeutung, als die Kommunikation und Ge- sprächsführung im Patientenkontakt zwar hoch bewertet, jedoch aus Zeitmangel häufig unterlassen wird. Daher wird in diesem Kapitel der Zeitfaktor als kritischer Aspekt beleuchtet. Ein weiteres Unterkapitel befasst sich mit den Herausforderun- gen in der Patientenversorgung in Hinblick auf interkulturelle Aspekte. Hier wird nä- her auf das Kulturverständnis und Hürden in der Interaktion mit Menschen aus un- terschiedlichen Kulturen eingegangen. Es werden Interventionen zur Erlangung ei- ner verbesserten Gesundheitskompetenz von Menschen mit nicht deutscher Mut- tersprache thematisiert.

2.1 Patientenorientierung versus Systemorientierung

Im Klinikalltag ist es für das medizinische Personal und andere Gesundheitsberufe, wie z.B. das Pflegepersonal eine tägliche Herausforderung den individuellen Pati- entenbedürfnissen nachzukommen. Dies zeigt sich vor allem dann, wenn durch die zunehmend kurze Verweildauer von Patientinnen und Patienten der Arbeitsaufwand ansteigt. Aufnahmen und Entlassungen zu organisieren sind zeitaufwendig und er- fordern einen hohen Personaleinsatz. Österreichische Krankenhäuser sind aller- dings nicht optimal mit Pflegepersonal versorgt. Ein internationaler Vergleich zeigt z.B. folgendes Bild:

Laut einer Statistik aus dem Jahr 2012 sind pro 1000 Einwohner 7,7 Gesundheits- und Krankenpflegepersonen beschäftigt. Damit liegt Österreich unter dem EU-15 Durchschnitt von 8,9 Beschäftigten. Vergleichsweise ist die Ärztedichte hoch, also über dem europäischen Durchschnitt. Österreich hat allerdings von allen europäi- schen Staaten die höchste Krankenhaushäufigkeit mit relativ kurzer Verweildauer.

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2 Klinikalltag Krankenhaus

So werden lt. Statistik im akutstationären Bereich pro 100 Einwohner 26,1 Personen innerhalt von 24 Stunden entlassen. Im EU-15 Durchschnitt sind es vergleichsweise 15,6 Entlassungen. Die Verweildauer liegt bei 6,6 Tagen, welche durch die zuneh- mende Etablierung von Tageskliniken rückläufig ist (vgl. Bachner et al 2013, S. 52f;

S. 63f).

Für das medizinische Personal, sowie das Pflegepersonal ist es grundsätzlich eine Herausforderung während einer kurzen Verweildauer die notwendigen Kontakte und Beziehungen zu den Patientinnen und Patienten aufzubauen. Es geht neben der klinischen Versorgung auch darum, weiteren Bedarf und Bedürfnisse zu erken- nen und diese im Rahmen einer angemessenen Anamnese und Beratung zu doku- mentieren.

Der deutsche Gesundheitsunternehmer Heinz Lohmann erklärt, wohin sich ein Krankenhaus neuer Prägung entwickeln wird. Diese Entwicklung geht von unter- schiedlichen Faktoren aus, und hat grundsätzlich das Ziel, die Patientenorientie- rung, als auch die System- und Finanzsteuerung zu optimieren. Lohmann sieht die Notwendigkeit einer nachhaltigen Veränderung in der gesamten Gesundheitsbran- che (vgl. Lohmann 2012, S. 120f). Gründe des nachhaltigen Veränderungsbedarfes beschreibt er wie folgt:

Die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen nimmt mit den steigenden Inno- vationen in der Gesundheitsbranche zu. Die demographische Entwicklung mit der zunehmenden Altersstruktur und Krankheitshäufigkeit ist ebenso im Zunehmen.

Gleichzeitig sind jedoch die finanziellen Mittel aus den Sozialleistungen beschränkt.

Hinzu kommt das Bedürfnis der Qualitätssteigerung, welches nicht zuletzt von der Souveränität der Patientinnen und Patienten ausgeht. Unterschiedliche Medien, al- lem voran das Internet sind ein Grund für das Bedürfnis nach Wissens- und Quali- tätszuwachs. Patientinnen und Patienten werden somit zur Kundin bzw. zum Kun- den am Gesundheitsmarkt. Dies hat zur Folge, dass sich stabile festgefahrene Strukturen, die vor allem in der stationären Versorgung gegeben sind, verändern müssen. Mehr noch als bisher müssen Behandlungsabläufe optimiert werden, was eine erfolgreiche Zusammenarbeit aller Beteiligten voraussetzt (vgl. Lohmann 2012, S. 120f).

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2 Klinikalltag Krankenhaus

Lohmann sieht die Digitalisierung und Technisierung als einen notwendigen Schritt, um Veränderungsprozesse einzuleiten. Pflege, Medizin und Verwaltung müssen zu- nehmend in ein komplexes digitales Dokumentations- und Steuerungssystem ein- gebunden werden. Rein naturwissenschaftlich ausgebildetes Gesundheitspersonal wird somit zu einer verstaubten Profession. Optimale Behandlungslösungen benö- tigen eine strukturierte, prozessorientierte Organisation. Moderne Technologien werden bzw. sind die Basis der „Markenmedizin“, wie Lohmann ein Krankenhaus nach marktwirtschaftlicher Prägung benennt. Die Patientinnen und Patienten wer- den nicht mehr die Institution, das Krankenhaus oder die Arztpersönlichkeit als Aus- wahlkriterium festlegen, sondern sie werden zunehmend auf die Qualität der Ver- sorgung achten (vgl. Lohmann 2012, S. 123).

Der international bekannte Manager im Bereich Health Care Sören Eichhorst sieht ebenso eine starke Entwicklung hin zu einer patientenorientierten Organisation. Er legt internationale Trends für ein Krankenhausmanagement fest, wobei insgesamt der Mehrwert für die kranken Menschen im Zentrum stehen muss. Bedürfnisse und Wünsche von Patientinnen und Patienten rücken in den Mittelpunkt und es wurde längst erkannt, dass dies eine Auswirkung auf die gesamte Gesundheitswirtschaft haben kann (vgl. Eichhorst 2013, S. 208f).

Krankenhäuser sind somit zunehmend einem Wettbewerb ausgesetzt. Die oben be- schriebene Situation ist insgesamt eine Herausforderung im internationalen Kran- kenhausmanagement. Dialoge müssen daher auf allen Ebenen stattfinden. Sowohl unter den Verantwortlichen auf der Managementebene, zwischen dem klinischen Personal und den zu Pflegenden, als auch unter den einzelnen Berufsgruppen, die an der Patientenversorgung beteiligt sind. Um gute Strukturen, Prozesse und Rah- menbedingungen sicherzustellen, ist ausreichend qualifiziertes Personal notwen- dig. Wenn alles gut aufeinander abgestimmt ist, kann das Unternehmen „Klinik“

wettbewerbsfähig bleiben (vgl. Dichler et al 2013, S. 12; Eichhorst 2013, S. 208).

Es wird sich zeigen, wie sich die zunehmende Technisierung und marktwirtschaft- lich ausgerichtete Krankenversorgung auf die Beziehungen aller Beteiligten auswir- ken wird. Das Ziel muss stets sein, die Patientinnen und Patienten mit ihren Bedürf- nissen wahrzunehmen, sie ernst zu nehmen und mit ihnen im Dialog zu bleiben. Mit

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2 Klinikalltag Krankenhaus

einer transpatenten, interdisziplinären und professionellen Gesprächsführung kann dies gelingen.

2.1.1 Patientenbedürfnisse

Gerald Bachinger, Sprecher der österreichischen Patientenanwaltschaft berichtet in einem Interview der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“, dass fast bei jeder Beschwerde, welche an die Patientenanwaltschaft gerichtet wird, die zwi- schenmenschliche Beziehung angesprochen wird. Die Kommunikation ist den Pati- entinnen und Patienten zunehmend ein großes Anliegen (vgl. Springer 2017, S.7).

Gerade auf Grund der zunehmenden digitalen und technisierten Praxis erfordern der Dialog und die Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten eine beson- ders hohe Aufmerksamkeit vom klinischen Personal. Wie oben beschrieben führen die kurze Verweildauer von Patientinnen und Patienten, sowie die Krankenhaus- häufigkeit zu einem eher hektischen Klinikalltag, in welchem die Zeit für Gespräche gut geplant werden muss, damit sie überhaupt stattfinden können. Gespräche er- öffnen den zu Pflegenden die Möglichkeit ihren individuellen Bedürfnissen Ausdruck zu geben.

Patientenwünsche gehen jedoch über die Wissensvermittlung durch eine professi- onelle Kommunikation und dem Wunsch nach einer qualitätsvollen Pflege und Me- dizin hinaus. Sie wollen gute Zugangsmöglichkeiten zum Krankenhaus, eine gute Ausschilderung, erholsame Außenflächen und Freizeitmöglichkeiten. Daher wird es zum Ziel des Managements, gewisse Patientengruppen zu erschließen, die sie langfristig an das Unternehmen binden können. So kann die Gesamtwirtschaft bzw.

der Standort des Krankenhauses gesichert werden (vgl. Eichhorst 2013, S. 208).

Mayer (2012, S. 58f) befasst sich mit dem traditionellen Rollenverhalten von Pati- entinnen und Patienten und sieht darin einen längst notwendigen Paradigmenwech- sel, der stattfinden muss. Weg vom Verharren in einer fremdbestimmten Rolle und hin zu einem selbstbestimmten Patienten, bzw. einer selbstbestimmten Patientin.

Nur so können subjektive Patientenbedürfnisse in einem Dialog auf Augenhöhe er-

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2 Klinikalltag Krankenhaus

fasst werden. Es geht vor allem darum Patientinnen und Patienten in einen Befähi- gungsprozess einzubinden, um somit mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen. In- zwischen werden vermehrt Maßnahmen getroffen worden, um die Beziehung zwi- schen den zu Pflegenden und dem Gesundheitspersonal im Krankenhaus partner- schaftlich zu gestalten.

Mayer (2012) untersucht inwieweit subjektive Patientenbedürfnisse mit objektivem Leistungsbedarf übereinstimmen. Patientinnen und Patienten können erforderliche Maßnahmen auf Grund der fehlenden Kenntnisse zu Gesundheit und Krankheit nicht einschätzen und somit nicht klar erkennen, welche Möglichkeiten sie im bzw.

vom Gesundheitssystem erwarten können. Mayer ist zum Schluss gekommen, dass es aus ethischer Perspektive notwendig ist, die Patientenbedürfnisse ernst zu neh- men und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um diesen Bedürfnissen näher zu kom- men. Mayer zitiert die bekannte Schweizer Pflegewissenschaftlerin Silvia Käppeli, die in einem Kongressvortrag vor allem in den Strukturen des Gesundheitssystems Lösungsmöglichkeiten für eine Weiterentwicklung hin zum mündigen, kompetenten Patienten, bzw. zur kompetenten Patientin sieht. Eine vollständige Übereinstim- mung, zwischen subjektiven Patientenbedürfnissen und objektivem Bedarf wird es lt. Mayer jedoch nie geben. Patientinnen und Patienten sind, wie Mayer als auch Sivlia Käppeli betonen „auf dem Weg der Befähigung“. Ungleichheiten zwischen Patientenbedürfnissen und Bedarf aus Sicht der Gesundheitsdienstanbieter werden sich zunehmend ausgleichen (vgl. Mayer 2012, S. 66f).

In Österreich werden in regelmäßigen Abständen im Auftrag des Bundesministeri- ums für Gesundheit Patientenbefragungen durchgeführt. Dem Ergebnisbericht von 2015 ist zu entnehmen, dass die Befragten mit dem stationären Krankenhausauf- enthalt sehr zufrieden sind. Die Zufriedenheitsraten liegen generell über 90%. Dies gilt sowohl für die pflegerische und die medizinische Betreuung, als auch für die Aufklärung und Information im Allgemeinen (vgl. Müller et al 2016, S. 8).

Patientenbefragungen auf der EU-Ebene zeigen, dass Österreich auch hier gut ab- schneidet und im europäischen Spitzenfeld liegt. Insbesondere auf nationaler Ebene stellt sich jedoch die Frage, inwieweit diese Ergebnisse repräsentativ sind.

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2 Klinikalltag Krankenhaus

Der Zweifel an den Befragungsergebnissen liegt darin begründet, dass die Befra- gungen nicht die Ergebnisse bzw. Outcomes von Therapie und Pflege messen, son- dern allgemeine Daten von primären Strukturvariablen, wie z. B. die Möglichkeit je- derzeit ein Krankenhaus aufsuchen zu können, oder die Möglichkeit Fragen zu stel- len und Antworten zu bekommen. Die Qualität der Leistungen können von den Be- fragten schwer beurteilt werden, da ihnen hinreichende Informationen fehlen. Eher müssen sie sich auf die richtigen Entscheidungen des Gesundheitspersonals ver- lassen (vgl. Offermanns 2012, S. 125f).

Verbesserungsziele ergeben sich aus der nationalen Patientenbefragung zu den Themen „Patientenorientierte Informationen“ und zur „Transparenz und Kommuni- kation in den verschiedenen Versorgungsbereichen“ (z.B. ambulant, stationär).

Etwa ein Viertel der Befragten gaben an, dass sie keine ausreichende Information über mögliche Maßnahmen bei Zeichen einer Verschlechterung des Gesundheits- zustandes bekommen haben. 17% der Befragten beklagten, dass sie unzu- reichende Informationen über Handlungsschritte bei der selbstständigen Durchfüh- rung von Verbandwechsel oder Injektionen erhalten haben (vgl. Müller et al 2016, S. 31).

Diese Ergebnisse bestätigen den Optimierungsbedarf der Patientenedukation, bzw.

Patientenschulung (siehe Kap. 3.4.1, S. 37), welche explizit der Berufsgruppe des Gehobenen Dienstes der Gesundheits- und Krankenpflege als Kompetenzbereich zugeschrieben werden kann. Trotz der hohen Patientenzufriedenheit dürfen Verant- wortliche eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung nicht vernachlässigen. Das ös- terreichische Gesundheitswesen will u.a. neben einer Bettenreduktion im Kranken- haus auch hochqualifizierte Leistungen und eine für Patientinnen und Patienten transparente Versorgungsstruktur anbieten. Laut Patientenbefragung ist die öster- reichische Bevölkerung mit der Koordination und sektorenübergreifenden Betreu- ung sehr zufrieden. Es gilt jedoch auch hier, wie oben bereits erwähnt, zu berück- sichtigen, dass die Bevölkerung nicht in der Lage ist, strukturelle Ineffizienzen zu erkennen. Meistens ist es z. B. den Einzelnen nicht bewusst, welche Kosten die beanspruchte Leistung verursacht, und ob diese Leistung überhaupt einer Dring- lichkeit bedarf. Daher gehört es zu den priorisierten, relevanten Zielen die Transpa- renz im Gesundheitswesen zu erhöhen. Man geht davon aus, dass die Bevölkerung

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2 Klinikalltag Krankenhaus

durchaus bereit ist für effiziente und flexible Strukturen einen höheren finanziellen Beitrag zu leisten (vgl. Hauke 2012, S.110ff; Müller et al 2016, S. 25).

Das heißt also, dass trotz der hohen Patientenzufriedenheit, eine offene Kommuni- kation über allgemeine Verbesserungspotentiale im österreichischen Gesundheits- wesen geführt werden muss. Im Sinne der Partizipation bedeutet dies, die Bedürf- nisse der Bevölkerung zu berücksichtigen, sie in Entscheidungen mit einzubezie- hen, sie über Kosten und Nutzen ihrer Leistungen aufzuklären. Das kann letztend- lich sowohl die Qualität als auch die Quantität der Versorgung optimieren. Dies ist für die Berufsgruppen im Gesundheitswesen und speziell auch für die Berufsgruppe der Pflege im gehobenen Dienst gewiss eine neue und spannende Herausforde- rung. Zudem erweitert dies den Handlungsspielraum und erfordert eine adäquate Kommunikation bzw. Gesprächsführung.

2.1.2 Vom Krankenhaus zum Gesundheitszentrum

Noch existieren überwiegend Einzelkrankenhäuser mit verschiedenen Abteilungen, Einzelpraxen, Rehabilitationseinrichtungen, Hospize etc. Das soll durch die Etablie- rung medizinischer Versorgungszentren, bzw. Primärversorgungszentren verändert werden, um patientengerechte durchgängige Behandlungsprozesse sicherzustel- len. Wie oben erwähnt, werden Patientinnen und Patienten zunehmend souveräner und wollen umfassend informiert werden. Sie wollen sich aktiv an der Kommunika- tion beteiligen (vgl. Lohmann 2012, S. 123ff).

Die österreichische Gesundheitsreform hat sich zum Ziel gesetzt, Tageskliniken und insbesondere die sog. Primärversorgung nach internationalem Vorbild auszubauen.

Primärversorgungszentren gelten als Zukunftskonzept, da sie weniger auf die tradi- tionelle sektorenorientierte Versorgung (z.B. Hausarzt – Facharzt - Krankenhaus) ausgerichtet sind, sondern mehr auf die Versorgungsbedarfe der Bevölkerung. Hier- mit soll einer kostenintensiven Krankenhaushäufigkeit und Hospitalisierung durch eine effektive ambulante Versorgungskette entgegengewirkt werden. Grund für diese Vision ist, wie oben bereits beschrieben, die Veränderung der Bevölkerungs- struktur. Die demographische Entwicklung zeigt eine Zunahme an Multimorbidität

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2 Klinikalltag Krankenhaus

und chronischen Erkrankungen im Alter. Dies erfordert eine koordinierte und inter- disziplinäre Krankenbehandlung (vgl. Bachner et al 2013, S. 140; Ahrens 2012, S.

139ff).

Als mögliche Vorteile dieser medizinischen Versorgungszentren, bzw. Gesundheit- szentren werden weiters die Qualitätssicherung durch wechselnde Belegschaften genannt und eine höher Compliance verbunden mit einer höheren Lebensqualität wurde gemessen. Die bessere Wochenend- und Feiertagsversorgung und das Vor- handensein unterschiedlicher Leistungserbringer in ein und demselben Haus erwei- sen sich als positive Komponenten (z.B. Medizin, Apotheke, Psychotherapie, Pflege, Hilfsmittelerbringer u.a.) (vgl. Ahrens 2012, S. 139ff; Bergmair 2015, S. 92).

Eine Studie im Auftrag der Wiener Gebietskrankenkasse bestätigt, dass 93% der Patientinnen und Patienten mit dem bereits bestehenden Primärversorgungszent- rum in Maria Hilf sehr zufrieden sind. Insbesondere die verlängerten Öffnungszeiten kommen den Patientenbedürfnissen sehr entgegen (vgl. Bergmair 2015, S. 102).

Medizinische Versorgungszentren, wie eine Primärversorgung sind somit Zukunfts- perspektiven, die einer hohen Patientenorientierung entgegenkommen. Eine zügig flächendeckende Umsetzung ist in Österreich geplant und bereits in Gang gekom- men. Sie wird aktuell in Bezug auf Finanzierung und Management zwischen den Bundesländern und der ärztlichen Interessensvertretung noch widersprüchlich dis- kutiert (vgl. Ahrens 2012, S. 139ff).

Bachner et al sehen die Pflege auf Grund des demographischen Wandels, der Zu- nahme an chronischen Erkrankungen, sowie durch die Abnahme der Angehörigen- pflege zunehmend als eine wichtige Berufsgruppe für Patientinnen und Patienten (vgl. Bachner et al 2012, S. 52). Gerade für eine koordinierte interdisziplinäre Ver- sorgung von chronisch Erkrankten, sei es in einer stationären Krankenhausversor- gung oder in einem medizinischen Versorgungszentrum, werden Gesundheits- und Krankenpflegepersonen als wichtige Ansprechpersonen gesehen. Eine professio- nelle Gesprächsführung kann Betroffene in ihrer Gesundheitskompetenz, in der Op- timierung des Selbstmanagements, sowie in einer zuversichtlichen Alltagsbewälti- gung stärken.

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2 Klinikalltag Krankenhaus

2.1.3 Der Zeitfaktor als kritischer Aspekt im Krankenhausalltag

Der langjährige Chefarzt für Allgemeinchirurgie an der Universität Tübingen, Wolf- gang Seidel, befasst sich im Rahmen seiner praktischen Arbeit als auch im Rahmen seiner Studien mit der Psychologie und den Emotionen am Krankenbett.

Seine Erfahrungen bzw. Ergebnisse haben gezeigt, dass die Patientenzufriedenheit in erster Linie davon abhängt, wieviel Zeit für eine ausreichende Kommunikation mit dem Gesundheitspersonal zur Verfügung steht. Die vergangenen zwei bis drei Jahr- zehnte waren Patientinnen und Patienten mehr als doppelt so lange im Kranken- haus wie heute. Dadurch konnten sie bis zur Entlassung sowohl auf der körperlichen als auf der psychischen Ebene stabilisiert werden, was für die Genesung von gro- ßem Vorteil war. Seine Kritik am Zeitdruck in den Kliniken drückt er so aus:

In der Zwischenzeit führten über 20 Spargesetze und -programme zu gewaltigen Veränderungen, zu Rationalisierungen und zu Einsparun- gen bis an den Rand der Rationierung. Die Rationierung von Gesund- heitsleistungen wird von den Verantwortlichen zwar vehement bestrit- ten. Aber Tatsache ist, dass die Zeit für menschliche Zuwendung, für die „sprechende Medizin“ im Krankenhaus durch Personalreduzierung so radikal eingeschränkt wurde, dass man durchaus von einem Man- gel an Versorgung sprechen kann. Die Spargesetze mögen den Bei- tragszahlern geholfen haben – den Patienten half kein einziges, im Gegenteil. (Seidel 2009, S. IX)

Tenbensel (2013) untersucht die Arbeitsbedingungen in den deutschen Kliniken und stellt fest, dass seit 1995 trotz komplexer werdender Arbeitsbedingungen bei gleich- bleibendem Arbeitsvolumen rund 15% des Pflegepersonals eingespart wurde. Pfle- gende können oftmals ihrem Anspruch Patientinnen und Patienten auf der psycho- sozialen Ebene zu unterstützen nicht nachkommen. Auch sie bestätigt, dass sich das Handlungsfeld der Berufsgruppe Pflege durch die Veränderung der Versor- gungsformen erweitern wird bzw. in gewissen Regionen auch schon erweitert hat.

Pflegende werden zunehmend mehr ärztliche Tätigkeiten übernehmen, damit Me- dizinerinnen und Mediziner für ihre fachspezifischen Aufgaben Ressourcen frei ha- ben, und gleichzeitig erfordert die Förderung der Gesundheitskompetenz akuter als auch chronisch erkrankter Patientinnen und Patienten eine Zunahme an Beratungs-

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bzw. Gesprächsarbeit (Tenbensel 2013, S. 167ff). Das heißt, die Pflegenden befin- den sich auch in Deutschland derzeit noch überwiegend in einem Spannungsfeld zwischen einer angemessenen patientenorientierten Versorgung und einem Auf- rechterhalten systemdefizitärer Strukturen im Klinikalltag. Die Systemdefizite erge- ben sich durch Sparmaßnahmen, die mit einem Personal- und Zeitmangel einher- gehen.

Aiken et al (2013, S. 146) weisen in ihren Studien darauf hin, dass Pflegepersonen bei Zeitdruck auf die wichtigen Gespräche mit Patientinnen und Patienten als erstes verzichten, um den medizinisch, diagnostischen Tätigkeiten primär nachzukommen.

Die Förderung der Gesundheitskompetenz und des Wohlfühlens bleibt so gesehen auf der Strecke.

Seidel (2009, S. XI) sieht für eine Veränderung der bestehenden Situation keine Perspektiven. Das Sparen und der Zeitmangel werden durch das Rationalisieren von Dienstleistungen an der Tagesordnung bleiben. Als Zeitfresser sieht er u.a. den bürokratischen Aufwand für externe Qualitätskontrollen, aber auch für das Bedienen von neuen technischen Geräten für Diagnostik und Therapie. Medizinerinnen und Mediziner verlieren dadurch zunehmend den Blick auf den ganzen Menschen.

Schichtdienst und Teilzeitarbeit des Krankenhauspersonals wirken sich negativ auf den Informationsfluss zwischen den Berufsgruppen als auch zwischen den Betreu- enden und den Patientinnen und Patienten aus. Die Zeit für Gespräche, um aufzu- klären, zu beruhigen und anzuleiten wird knapp. Dennoch sieht Seidel für die

„menschliche Umsorgung“ der Patientinnen und Patienten noch viel Hoffnung und gute Aussichten. Er befasst sich in seinen Studien damit, wie die verbliebene Zeit mit Hilfe neurowissenschaftlicher Erkenntnisse noch wesentlich effektiver genutzt werden kann. Wir können lernen trotz Zeitmangel andere möglichst konzentriert zu verstehen und sie emotional zu unterstützen. Die Ergebnisse der Forschungen zei- gen u.a., dass eine hohe Kooperationsbereitschaft unter allen Beteiligten, was nicht zuletzt mit einer angemessenen Kommunikation einhergeht, ein wesentlicher Faktor sein kann, um Zeit einzusparen.

Sator et al (2015a S. 34 f) bestätigen in ihren Ausführungen die hier dargelegten Erkenntnisse von Seidel: „[…] die wissenschaftliche Evidenz zeige, dass gelungene

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2 Klinikalltag Krankenhaus

Gespräche nicht mehr Zeitbedarf bedeuten, sondern dass eine Verbesserung der Gesprächsqualität auch eine Zeitersparnis bedeuten könne.“ Ein effektives Nutzen der Zeit, möglichst konzentriert verstehen sowie emotional unterstützen, wie Seidel oben anführt, ist gewiss als hohe Gesprächsqualität zu bewerten. London (2009, S.

30f) sieht das Erkennen von pädagogisch günstigen Momenten im Patientenkontakt als einen wesentlichen Faktor, um Zeit für wirkungsvolle Gesprächs- und Anlei- tungssituationen zu gewinnen. Patientengespräche und Beratung müssen in der vorherrschenden Krankenhausorganisation, wo die Zeit für Beratungsarbeit in der Personalbedarfsplanung nicht kalkuliert ist, in die Pflege „integriert statt separiert“

werden. Das österreichische Normungsinstitut zur Pflegepersonalregelung sieht zwar eine Kalkulation für Kommunikation vor, diese ist jedoch vom Zeitausmaß eher minimal berechnet. So sind beispielsweise je Patientin bzw. Patient und Tag (= 14 Stunden) 4,4 bis 9,4 Minuten für Gespräche kalkuliert, sofern sie nicht zeitgleich mit anderen Pflegeleistungen erbracht werden. Die Leistungen beziehen sich z.B. da- rauf, Entlastungs- und Informationsgespräche zu führen bis hin zur Begleitung von Patientinnen und Patienten in der Sterbephase (vgl. Österreichisches Normungs- institut 2012, S.15).

Bartlett (1995, S. 89) befasste sich mit Studien zur Kosteneffektivität der Patienten- beratung und konnte keine Belege finden, dass Beratung mehr koste als sie ein- spare (vgl. London 2009, S. 30, zit. nach Bartlett). Der deutsche Psychologe Günter Bamberger sieht die Persönlichkeit einer Pflegeperson als wichtigen Faktor, damit hilfreiche Gespräche stattfinden. Er präferiert eine Haltung der „Eingelassenheit“, welche Menschen in Gesundheitsberufen grundsätzlich einnehmen können. Sich als Pflegeperson während der Pflegehandlungen auf Gespräche einzulassen, güns- tige Momente für Gespräche zu nutzen, haben nicht nur den Effekt, dass sich Pati- entinnen und Patienten angenommen, sicherer und wirksamer fühlen, sondern es spart auch Zeit. Es geht, ähnlich wie oben Seidel (2009) anführt, um die Präsenz der Pflegeperson in der vorhandenen Zeit und Interaktion. Je mehr die zu Pflegen- den dabei die Erfahrung machen, dass sie sich selbst aktiv am Genesungsprozess beteiligen können, umso weniger werden sie mit offenen Fragen an die Pflegeper- sonen herantreten und ihre Zeit beanspruchen (vgl. Bamberger 2013, S. 640ff).

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2 Klinikalltag Krankenhaus

2.1.4 Zusammenfassung

Patientenorientierung als auch Systemorientierung sind in der Gesundheits- und Krankenpflege bzw. generell in der Krankenversorgung als gleichwertige Prinzipien zu betrachten. Gesundheitsökonomen bzw. Krankenhausmanager beschwören, dass eine hohe Patientenorientierung eine positive Auswirkung auf die gesamte Ge- sundheitsökonomie hat. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig Strukturen und Prozesse in den Einrichtungen gut aufeinander abzustimmen und die Kommu- nikation unter allen Beteiligten zu verbessern bzw. aufrecht zu erhalten. Das kommt den Patientenbedürfnissen nach einer Partizipation und Beteiligung an der Kommu- nikation sehr entgegen. Die Krankenhäuser sollen durch die Etablierung von Pri- märversorgungszentren entlastet werden. Dies kann zur Folge haben, dass der hek- tische Klinikalltag durch die Verringerung der Klinikaufenthalte reduziert wird. Kriti- ker sehen jedoch nach wie vor durch Sparmaßnahmen, Zeitmangel und Abbau von Pflegepersonal weniger Perspektiven, um das Spannungsverhältnis zwischen Pati- entenbedürfnissen und Systemanforderungen auszugleichen. Die von der Gesund- heitsökonomie angestrebte Digitalisierung und Technisierung kann einerseits als Optimierung der Behandlungsabläufe gesehen werden, andererseits kann die Be- dienung und das Anwendungslernen von technischen Geräten auch als Zeitfresser im Klinikalltag gesehen werden. Gesundheits- und Krankenpflegepersonen sind zentrale Ansprechpersonen, wenn es darum geht, die zunehmend chronisch kran- ken und multimorbiden Menschen in ihrer Gesundheitskompetenz zu stärken. Eine kooperative Grundhaltung und Konzentration auf emotionale Bedürfnisse der zu Pflegenden, eine hohe Präsenz während einer Pflegehandlung sowie eine qualitäts- volle Gesprächsführung kann förderlich sein, um Zeit zu gewinnen anstatt zu ver- schwenden und das hier beschriebene Spannungsfeld auszugleichen.

2.2 Interkulturalität als zunehmende Herausforderung

Der Bedarf an interkultureller Kompetenz nimmt in der vernetzten Welt erheblich zu.

Neben dem Fachwissen und den Fachkenntnissen, die eine zunehmende digitale Vernetzung vom Einzelnen fordert, geht es vor allem um soziale Kompetenzen. Mit

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2 Klinikalltag Krankenhaus

Menschen aus anderen Kulturen in Interaktion treten, sensibel auf Unterschiede re- agieren, das Bewusstsein für einen adäquaten Umgang schärfen, ist zur Voraus- setzung in allen Gesellschaftsbereichen und somit in allen Berufen geworden. Da- her sind Bedarf und Bedürfnis nach interkultureller Kompetenz groß (vgl. Peratello 2015, S. 19ff).

Für ein gegenseitiges Verständnis ist die Sprache eine wesentliche Voraussetzung, um gelingende Beziehungen herzustellen. In Behandlungs- und Pflegesituationen werden Sprachbarrieren nicht selten als Problemsituationen sowohl von den Pfle- gepersonen als auch von zu Pflegenden benannt. Oftmals sehen die zu Pflegenden das Defizit in ihrer alleinigen Verantwortung, wenn sie sich über ihre Muttersprache nicht verständigen können. Es liegt jedoch auch in der Verantwortung der Einwan- derungsländer in ihren Einrichtungen strukturelle Voraussetzungen zu schaffen, um einer kulturellen Vielfalt angemessen zu begegnen. Neben der Etablierung von Dol- metscherlösungen in speziellen Behandlungs- und Pflegesituationen ist jedoch die Betrachtung des (haus-) eigenen Kulturverständnisses von großer Bedeutung (Tu- schinsky 2012, S. 7ff).

2.2.1 Überlegungen zum Kulturverständnis

Auf der Suche nach einer Definition von interkultureller Kompetenz führt Peratello (2015, S. 28) ein Zitat von Rathe (2006) an: „Interkulturelle Kompetenz kann dem- entsprechend als die Fähigkeit betrachtet werden, die in einer interkulturellen Inter- aktion zunächst fehlende Normalität zu stiften und damit Kohäsion zu erzeugen.“

Diese Definition lädt dazu ein, Unterschiede bzw. Differenzen als Normalität zu se- hen und sich von Anpassung abzuwenden. Es geht mehr um die Schaffung neuer Kollektive, sowie um das Selbstverständnis Differenzen anzuerkennen, zu normali- sieren. Eine wichtige Voraussetzung im Umgang mit unterschiedlichen Kulturen ist das allgemeine Kulturverständnis. Ein Kulturverständnis, das weniger die länder- spezifischen Zuschreibungen und Stereotype zulässt ist z. B. dann gegeben, wenn ein konstruktivistischer Kulturbegriff besteht. Dies bedeutet, dass eben nicht die Länderzugehörigkeit vordergründig ist, sondern ein Grundverständnis, dass Kultur von Menschen geschaffen wird, und jeder Einzelne eine aktive Rolle in diesem

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Schaffensprozess hat. Der Kulturbegriff ist nicht statisch, sondern durch das Schaf- fen von Menschen auch wieder veränderbar. Eine universalistische Betrachtungs- weise von Kultur wird hier klar abgelehnt. Kultur ist zwar ein universelles Phänomen, in ihrer Ausprägung jedoch kollektivspezifisch (ebda.). Im Zusammenhang mit den Voraussetzungen, bzw. Kennzeichen eines angemessenen Kulturverständnisses führt Peratello (2015) noch weitere Merkmale an, die hier nicht alle beschrieben werden. In der Interaktion mit Menschen unterschiedlicher Kulturen ist es nach sei- ner Ansicht wichtig, das eigene Kulturverständnis kritisch zu betrachten und eine besondere Sensitivität zu entwickeln. Eine Abwendung von allein nationalen Zu- schreibungen und eine Hinwendung zu einem konstruktivistischen Kulturverständ- nis ist somit eine mögliche Basis für eine gelingende Interaktion.

Tuschinsky (2012, S. 7) befasst sich mit dem Zusammenhang von Gesundheit, Krankheit und Kultur. Aus ihren Recherchen und persönlichen Erfahrungen im in- terkulturellen Management beschreibt sie einen ähnlichen Kulturbegriff, wie oben von Peratello (2015) dargestellt. Wurde früher und teilweise auch heute noch in den Kultur- und Sozialwissenschaften der Kulturbegriff als ein objektiv erfassbares und beschreibbares Phänomen betrachtet, so geht man zunehmend von einem offenen dynamischen Prozess der Kulturkonstruktion aus. So kann Kultur in einem Orientie- rungssystem gesehen werden, welches von unterschiedlich veränderbaren Ele- menten geprägt wird. Abhängig von der sozialen Schicht, der Nation, der Profession und Generation, abhängig von Religion, Ethnie, Region oder Sprache kann das Bild einer kulturellen Prägung eines Menschen gezeichnet werden. Also niemals allein das Element „Nation“ zeichnet das Bild eines Menschen im Kontext Kultur. Welchen Herausforderungen sind nun Pflegepersonen gestellt?

2.2.2 Konsequenzen für die Berufsgruppe Pflege

Menschen in Orientierungssysteme, wie oben angeführt einzuordnen, sind den An- gehörigen der Gesundheits- und Pflegeberufe im Prinzip vertraut. Konzeptionelle Pflegemodelle berücksichtigen kulturspezifische Themen im Pflegekontext. Wichtig erscheint es auch Tuschinsky (2012), dass sich Angehörige von Gesundheitsberu- fen bewusst sind, von welchem Kulturbegriff sie ausgehen. Dies hat Konsequenzen

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für ihr Handeln, denn kulturelle Unterschiede können besser wahrgenommen wer- den, wenn den Pflegepersonen bewusst ist, wie sie selbst denken: Ob sie eher res- sourcenorientiert und systemisch denken, ob sie mehr in „Entweder – Oder - Mus- tern“, also eher defizitorientiert denken, ob sie Menschen einteilen in „sie sprechen kein Deutsch“ oder „sie sprechen zwei, drei andere Sprachen“. Ebenso wichtig ist das Bewusstsein, dass es bei allen Menschen, auch bei jenen, die einen ähnlichen kulturellen Hintergrund haben (z.B. türkisch stämmige Menschen), dennoch große individuelle Unterschiede geben kann. Nicht alle Türkinnen und Türken haben z.B.

dieselbe Einstellung, Bewertung und dieselben Erklärungsmodelle zu Gesundheit und Krankheit. Die Erklärungsmodelle unterscheiden sich vielfach auch von den Er- klärungsmodellen der Pflegepersonen bzw. Ärztinnen und Ärzten. Damit jedoch Menschen aus den unterschiedlichen Kulturen wichtige Pflegehandlungen oder Therapien umsetzen, ist es notwendig, dass den Ansprechpersonen die Erklärungs- modelle der zu Pflegenden bekannt sind. Nur so kann „Compliance“ entwickelt wer- den und eine betroffene Patientin oder ein Patient wird von einer ev. Medikamen- teneinnahme überzeugt sein (vgl. Tuschinsky 2012, S. 8f). Es ist also notwendig, dass Gesundheitspersonal und eben auch Pflegepersonen einen Diskurs über ihr Kulturverständnis und über die Entwicklung ihrer eigenen interkulturellen Kompe- tenzen führen.

Im Zusammenhang mit der Kommunikation und Gesprächsführung hat das Kultur- verständnis eine hohe Relevanz. Tuschinsky (2012) bringt dies mit folgender Aus- sage auf den Punkt:

Körperzustände werden nie objektiv für die Außenwelt sichtbar, son- dern müssen immer kommuniziert werden. Menschen empfinden ihre kulturell entwickelten Werte unbewusst als natürlich, auch die ihrer Kommunikationsstile oder einer medizinischen Tradition. Entspre- chend „selbstverständlich“ kommunizieren sie. Der Körper ist dabei ein Kommunikationsinstrument mit hohem Symbolwert. In Hinblick auf Krankheit und Gesundheit geschehen Mitteilungen auf verbaler, non- verbaler und paraverbaler Ebene in derselben Komplexität wie in an- deren Bereichen auch. (Tuschinsky 2012, S. 12).

Pflegepersonen sind aufgefordert neben den verbalen Äußerungen auch die Kör- persprache als nonverbale Kommunikation, sowie die Stimmeigenschaft und das

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2 Klinikalltag Krankenhaus

Sprechverhalten, als paraverbale Kommunikation wahrzunehmen. Diese Wahrneh- mung ist u.a. wichtig, um eine adäquate Gesprächsführung mit den Betroffenen ein- zuleiten. Beispielsweise gehen in patriachalen Familiensystemen Männer (Ehemän- ner oder Brüder bei unverheirateten Frauen) davon aus, dass sie in Aufklärungs- und Informationsgespräche der erkrankten Frau miteinbezogen werden. Umgekehrt würde es in einem emanzipatorisch orientierten Familiensystem diese Erwartungen so nicht geben und abgelehnt werden. Für manche Menschen in asiatischen Regi- onen gilt ein direkter Blickkontakt als unhöflich oder gar beschämend, während in vielen europäischen Ländern dies als Freundlichkeit geschätzt wird. Der Umgang mit Nähe und Distanz, mit Berührung bei Krisengesprächen wird ebenso unter- schiedlich verstanden und erwartet (vgl. Tuschinsky 2012, S. 12).

Die Liste von vielfältigen Situationen und kulturellen Bedürfnissen könnte hier noch fortgeführt werden. Im Prinzip geht es stets darum, Missverständnisse aufzudecken bzw. diese möglichst zu vermeiden. Je verständnisreicher die Interaktion mit den unterschiedlichen Menschen ist, umso eher wird medizinischen und pflegerischen Maßnahmen zugestimmt. Ein unvoreingenommenes konstruktivistisches Kulturver- ständnis gepaart mit Hintergrundwissen zu unterschiedlichen Kulturen ist für Pfle- gepersonen eine wichtige Kompetenz in ihrer beruflichen Praxis.

2.2.3 Entwicklungsbedarf

Das Ludwig-Boltzmann-Institut hat im Auftrag des Hauptverbandes der österreichi- schen Sozialversicherungsträger und des Fonds Gesundes Österreich eine quanti- tative und qualitative Studie über die Gesundheitskompetenz bei Personen mit Mig- rationshintergrund aus der Türkei und Ex-Jugoslawien in Österreich durchgeführt.

Der Ergebnisbericht liegt seit 2016 vor. Auf Grund der Stichprobenauswahl (z.B.

sind besonders benachteiligte Personen nur schwer erreichbar), ist die Studie nur eingeschränkt repräsentativ. Gesundheitskompetenz wird in dieser Arbeit noch ein- gehend erklärt (siehe Kap. 4, S. 42ff). In dieser Studie wird Gesundheitskompetenz als eine Fähigkeit beschrieben, relevante Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden. Dies ist notwendig, um Entscheidungen zur Krankheitsprävention- und Bewältigung zu treffen (vgl. Ganahl et al 2016, S.

14).

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2 Klinikalltag Krankenhaus

In den insgesamt acht Fragestellungen wurde zu einer Frage der Interventionsbe- darf für eine verbesserte Gesundheitskompetenz der ausgewählten Personen un- tersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass es zwar in städtischen Ballungszentren Maß- nahmen für eine verbesserte Gesundheitskompetenz von Migrantinnen und Migran- ten gibt, diese jedoch überwiegend von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitar- beitern getragen werden. Dadurch sind diese Maßnahmen als eher gering nachhal- tig einzuschätzen. Ziel ist es, im Krankenhaussystem die Angebote zu institutiona- lisieren und zu professionalisieren. Es geht um den Ausbau der Dolmetsch-Dienste und eine „Plain Language Policy“, was so viel heißt wie „die Verwendung von ein- facher, klarer Sprache“ (vgl. Ganahl 2016, S. 22).

Es geht allerdings nicht nur um sprachliche Hürden, sondern auch um eine Redu- zierung der Diskriminierungserfahrung der Menschen, die mit nicht deutscher Mut- tersprache in Österreich leben. Die in der Studie befragten Personen gaben an, dass sie im Rahmen der Krankenbehandlung und Prävention viel eher eine wert- schätzende Kommunikation erfahren, wenn sie die deutsche Sprache gut beherr- schen. Das hat zur Folge, dass sie eher gesundheitskompetent sind, weil sie eher Fragen zu Gesundheit und Krankheit stellen, wenn sie im Gespräch Wertschätzung erfahren (vgl. Ganahl et al 2016, S. 147f).

Dieser kurze Einblick in die oben genannte Studie zeigt auf, wohin die Reise gehen muss. In der Institutionalisierung und Professionalisierung von interkulturellen Kom- petenzen liegt eine große Hoffnung, damit Maßnahmen zur Entwicklung von Ge- sundheitskompetenzen Früchte tragen. Die Maßnahmen sind in Österreich im Gang und müssen weiter ausgebaut werden. Die wertschätzende Kommunikation mit den betroffenen Menschen ist eine unbedingte Voraussetzung. Über allem steht der Dis- kurs über das eigene Verständnis von Kultur. Im Grunde knüpft das Kulturverständ- nis eng an einem Menschenbild an, das wir im Laufe unserer Entwicklung und Bil- dung erfahren haben (siehe Kap. 5.1, S.58).

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3 Kernkompetenzen der beruflichen Pflege

3 Kernkompetenzen der beruflichen Pflege

In diesem Kapitel werden zunächst gesetzliche Grundlagen des Berufsbildes des gehobenen Dienstes der Gesundheits- und Krankenpflege dargestellt, um berufli- che Kompetenzen zu begründen, die mit Gesprächsführung und Kommunikation in Zusammenhang stehen. Ein weiterer Abschnitt befasst sich mit einer Care-Ethik, welche in dieser Arbeit als Kernkompetenz der Pflege diskutiert wird. Dabei werden Aspekte der Macht und Motivation ins Blickfeld genommen. Die sog. „sprechende Pflege“ als Kernkompetenz wird ausführlich in Bezug auf die Relevanz im Patien- tenkontakt beschrieben. Es werden schwierige Situationen wie Hierarchie im Kran- kenhaus aufgezeigt, und gemäß einer kantischen Ethik werden Wege zur Mündig- keit einer emanzipierten Gesundheits- und Krankenpflege diskutiert. Abschließend wird die pädagogische Kompetenz in der beruflichen Pflege auf Basis edukativer Aufgaben im Patientenumfeld beleuchtet. Patientenedukation sowie lerntheoreti- sche Faktoren der Motivation werden im Ansatz beschrieben. Diese Darstellungen sollen die pädagogischen Herausforderungen der Berufsgruppe Pflege in die Dis- kussion bringen.

3.1 Gesetzliche Grundlagen

Der professionelle Pflegeberuf ist im österreichischen Gesundheits- und Kranken- pflegegesetz (GuKG) geregelt. Im September 2016 wurde nach fast 20 Jahren eine Gesetzesnovelle beschlossen. Demnach ist der Pflegeberuf in unterschiedliche Ausbildungsniveaus gegliedert. Der gehobene Dienst für Gesundheits- und Kran- kenpflege kann bis zu Beginn des Jahres 2024 noch an 3-jährigen Gesundheits- und Krankenpflegeschulen ausgebildet werden. Parallel zu dieser Ausbildung hat sich in Österreich der gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege als 6- semestrige Ausbildung an den Fachhochschulen etabliert. Diese werden ab 2024 die Ausbildung zum Gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege zur Gänze übernehmen. Somit ist Österreich mit der Ausbildung zur beruflichen Pflege als eines der letzten EU-Länder im tertiären Bildungsbereich angekommen. Die sog.

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3 Kernkompetenzen der beruflichen Pflege

Pflegeassistenzberufe sind als 1-jährige Ausbildung (Berufsbezeichnung Pflegeas- sistenz), und 2-jährige Ausbildung (Berufsbezeichnung Pflegefachassistenz) wei- terhin im sekundären Bildungsbereich an Gesundheits- und Krankenpflegeschulen angesiedelt (vgl. Hausreither/Resetarics 2015, o. S.).

In dieser Arbeit beschränkt sich die Darlegung der gesetzlichen Bestimmungen auf das Berufsbild des Gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege, wel- ches im §12 des GuKG geregelt ist. Das Berufsbild dient als Grundlage, um den umfassenden Handlungsspielraum der beruflichen Pflege darzustellen und zu er- klären:

§12. (1) Der gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege trägt die Verantwortung für die unmittelbare und mittelbare Pflege von Menschen in allen Altersstufen, Familien und Bevölkerungsgruppen in mobilen, ambulanten, teilstationären, stationären Versorgungsformen sowie allen Versorgungsstufen (Primärversorgung, ambulante spezi- alisierte Versorgung sowie stationäre Versorgung). Handlungsleitend sind dabei ethische, rechtliche, interkulturelle, psychosoziale und sys- temische Perspektiven und Grundsätze.

(2) Der gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege trägt auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse durch gesundheitsför- dernde, präventive, kurative, rehabilitative sowie palliative Kompeten- zen zur Förderung und Aufrechterhaltung der Gesundheit, zur Unter- stützung des Heilungsprozesses, zur Linderung und Bewältigung von gesundheitlicher Beeinträchtigung sowie zur Aufrechterhaltung der höchstmöglichen Lebensqualität aus pflegerischer Sicht bei.

(3) Im Rahmen der medizinischen Diagnostik und Therapie führen An- gehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Kranken- pflege die ihnen von Ärzten übertragenen Maßnahmen und Tätigkei- ten durch.

(4) Im Rahmen der interprofessionellen Zusammenarbeit tragen An- gehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Kranken- pflege zur Aufrechterhaltung der Behandlungskontinuität bei.

(5) Der gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege entwi- ckelt, organisiert und implementiert pflegerische Strategien, Konzepte

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3 Kernkompetenzen der beruflichen Pflege

und Programme zur Stärkung der Gesundheitskompetenz, insbeson- dere bei chronischen Erkrankungen, im Rahmen der Familiengesund- heitspflege, der Schulgesundheitspflege sowie der Gemeinde- und be- völkerungsorientierten Pflege. (Bundesgesetzblatt 2016, S. 3)

In den weiteren Ausführungen des GuKG werden pflegerische Kernkompetenzen formuliert, die u.a. die Erhebung, Beurteilung und Planung des Pflegebedarfes, die theorie- und konzeptgeleitete Gesprächsführung und Kommunikation sowie die psy- chosoziale Betreuung von Betroffenen als Eigenverantwortung des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege ausweisen (ebda.). In den Ausfüh- rungen des §12 wird ein „Bild“ des Pflegeberufes gezeichnet, welches in jedem der insgesamt fünf Absätze zum einem eine große Vielfalt an Aufgabenbereiche dar- stellt, und zum anderen den umfassenden Kommunikationsbedarf mit hoher Quali- tät begründet. Die Stärkung der Gesundheitskompetenz bei chronisch Kranken, in Familien, die interprofessionelle Zusammenarbeit zur Aufrechterhaltung der Be- handlungskontinuität, die Unterstützung bei der Bewältigung gesundheitlicher Be- einträchtigung, können hier noch einmal beispielhaft genannt werden, um aufzuzei- gen, dass hier eine gelingende Kommunikation notwendig ist und in der Folge we- sentlich zur Verbesserung der Lebensqualität von Patientinnen und Patienten bei- trägt. Wie „die Sorge“ um die „Aufrechterhaltung höchstmöglicher Lebensqualität“

(siehe oben §12) verstanden werden kann, wird im nächsten Abschnitt näher be- leuchtet.

3.2 Care-Ethik als zentrale Kompetenz des Pflegeberufes

In den Bezugswissenschaften der Pflege wird seit den 1980er-Jahren auf internati- onaler Ebene der Begriff Caring, bzw. Care diskutiert. In der Pflegewissenschaft ist im deutschsprachigem Raum Caring als Konzept nur zögerlich von einzelnen Auto- rinnen, wie z. B. Silvia Käppeli aufgenommen worden. Die englische Bedeutung von

„to care“ kann in der deutschen Sprache nicht in der ganzen Dimension wiederge- geben werden. Es gibt sozusagen kein Wort dafür, welches entsprechend breit und tief ausdrückt, wie Caring zu verstehen ist. „Sich sorgen“, „sorgen für“, „kompetent helfend handeln“, „fürsorglich zuwendend sein“, „achtsam sein“, es geht um die Sorge der anderen als auch um die Selbstsorge. Eine Sorge eigentlich, die sich aus

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3 Kernkompetenzen der beruflichen Pflege

den ethischen Prinzipien der Medizin und Theologie entwickelt hat (vgl. Kohlen 2016, S.15). Conradi (2001) befasst sich in ihrer Studie mit der Beschreibung einer Care-Ethik, welcher u.a. die amerikanische Entwicklungspsychologin Carol Gilligan, sowie die Frauenwissenschaftlerin Joan Tronto nachgegangen sind. „Care“ wird nach Gilligan (1991) detailliert als moralische Orientierung der Verbundenheit be- schrieben, während Tronto (1993) „Care“ als eine umfassende Sichtweise der prak- tischen Zuwendung bei menschlicher Bedürftigkeit beschreibt. Conradi hat daraus für sich neun Thesen zu „Care“ entwickelt, die hier nicht im Detail beschrieben wer- den. So ergänzt sie z. B. die Verbundenheit mit dem Begriff „Bezogenheit“, wobei sie das Wahrnehmen der anderen Person aus einem sorgenden Verständnis her- aus begründet. Daraus entwickelt sich ein Beziehungsprozess, der in der Folge die sog. „Zuwendung“ zum Menschen eröffnet. Der Begriff „Zuwendung“ wird im pfle- gewissenschaftlichen Kontext häufig mit einer Care-Praxis, die überwiegend der Pflege zuzuordnen ist gleichgesetzt. Conradi und andere Autorinnen und Autoren sehen jedoch Care als „Ausgangspunkt allen menschlichen Handelns“, und somit als eine gesellschaftliche Praxis, welche nicht ausschließlich von der beruflichen Pflege gepachtet werden kann. Kern der Diskussion rund um den Begriff „Care“ ist die grundlegende Bedürftigkeit von Menschen und somit die Angewiesenheit aufei- nander (vgl. Conradi 2001, S. 48 ff).

3.2.1 Care Interaktionen mit dem Fokus auf Macht und Motivation

Im Zusammenhang mit Care-Interaktionen befasst sich Conradi (2001) mit dem Ri- siko einer Machtasymmetrie, wenn eine Person durch Krankheit auf eine andere Person angewiesen ist. In der Geschichte des menschlichen Zusammenlebens gab es gewiss (und gibt es noch) in allen Berufen und gesellschaftlichen Beziehungen prekäre Machtverhältnisse wahrzunehmen. In der Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflege sind die Diskussionen rund um asymmetrische Machtverhältnisse zwischen den Pflegebedürftigen und den Pflegepersonen stets kritisch zu reflektie- ren. Conradi (2001) beschreibt z. B. eine Dynamik der Macht, welche die Opposition von Macht und Ohnmacht widerlegt. Abhängigkeit durch Krankheit darf demnach nicht mit Ohnmacht gleichgesetzt werden bzw. in einer Entmündigung oder Bevor- mundung enden. Eine Machtdynamik erklärt sich aus einem Verständnis der Be- weglichkeit von Macht zwischen den beteiligten Personen im Rahmen einer Care-

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3 Kernkompetenzen der beruflichen Pflege

Interaktion. Im Pflegekontext bedeutet dies, dass sich die Pflegepersonen als auch die Pflegebedürftigen im positiven Sinne der Macht bedienen und miteinander ko- operieren. Spannungen und Machtdifferenzen wahrzunehmen und einzugrenzen sind wichtige Voraussetzungen, damit Beziehungen gelingen. Es geht letztendlich um ein Empowerment durch die Pflegeperson, wodurch zu Pflegenden neue Hand- lungsspielräume für die Bewältigung ihres Krankseins erhalten (vgl. Conradi 2001, S. 53f).

Für die Bewältigung von z.B. chronischen Erkrankungen spielt die Motivation für eine gesundheitsförderliche Verhaltensänderung eine tragende Rolle. Die neurobi- ologischen Forschungen haben im letzten Jahrzehnt die komplexen Zusammen- hänge der Motivationsförderung unter beeindruckender Weise dargestellt und pu- bliziert. Unterschiedliche Botenstoffe im zentralen Nervensystem haben Auswirkun- gen auf das menschliche Verhalten, die menschliche Motivation. Der unter Pädago- ginnen und Pädagogen anerkannte deutsche Arzt und Hirnforscher Joachim Bauer begründet die Aktivität der menschlichen Motivation so: „Wir sind – aus neurobiolo- gischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen. Kern aller menschlichen Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung Wertschät- zung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben“ (Bauer 2007, S. 21).

Durch Beobachtungen im Zusammenhang mit Behandlungen von kranken Men- schen, insbesondere von Suchtkranken, wurde das Belohnungssystem, bzw. Moti- vationssystem des Menschen entdeckt. Ähnlich wie bei Suchtkranken die Droge den neurobiologischen Botenstoff Dopamin aktiviert, um Suchtkranke auf ihr Ziel hinzubewegen, bzw. um das krankmachende Suchtmittel einzunehmen, so aktiviert die menschliche Zuwendung den Botenstoff Dopamin, um motiviert den angestreb- ten Zielen nachzugehen (vgl. Bauer 2007, S. 28 ff).

Menschliche Zuwendung ist somit ein zentraler, biologisch erzeugter Motivations- faktor. Im Zusammenhang mit pflegerischen Interaktionen kommt diese Erkenntnis dem oben beschriebenen Care-Konzept sehr entgegen. Wenn kranke Menschen in Ausnahmesituationen menschliche Zuwendung in Form von z.B. praktischen, emo- tionalen und kommunikativen Interaktionen erfahren, kann man davon ausgehen, dass dies die Motivation für angestrebte gesundmachende Ziele fördert.

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3 Kernkompetenzen der beruflichen Pflege

3.2.2 Zur Bedeutung von Gesprächen in der Care Praxis

Carol Gilligan (1988) erklärt im wissenschaftlichen Diskurs den Begriff „Care“ als

„activities of care“ und meint damit: „für eine Person da zu sein, zuzuhören, mit ihr zu sprechen, zu helfen und zu verstehen.“ (Conradi 2001, S. 229, zit. nach Gilligan 1988, S. 3-19). Tronto (1996) bringt in die ethische Care-Debatte eine für die Ge- sprächsführung durchaus relevante Perspektive ein. Sie unterscheidet vier Ele- mente, die u.a. in moralischen Konfliktsituationen Grundlage einer „guten engagier- ten Sorge“ sein können: „Aufmerksame Anteilnahme, verantwortungsvolle Unter- stützung, kompetente Versorgung und eine positive Resonanz“. (Conradi 2001, S.

230, zit. nach Tronto 1996, S.148). Conradi zieht in diesem Zusammenhang den Schluss, dass „Care“ als Praxis einer moralischen Kompetenz zum kritischen Ur- teilsvermögen und zum konstruktiven Umgang in schwierigen Situationen gesehen werden kann (vgl. Conradi 2001, S. 232).

In schwierigen Situationen Gespräche zu führen, ist z.B. im hektischen Kranken- hausalltag, wie im Kapitel zwei bereits beschrieben eine große Herausforderung.

Es ist unumstritten, dass gemäß einer Care-Ethik gute Gespräche, Zuwendung und Wertschätzung ein immanenter Wunsch von Patientinnen und Patienten sind. Die- ser Wunsch besteht unabhängig davon, ob Gespräche als „schwierig“ eingestuft werden oder nicht. Die inzwischen emeritierte Pflegewissenschaftlerin an der Uni- versität Witten Herdecke, Angelika Abt-Zegelin hat im deutschen Sprachraum durch ihre Publikationen und Vorträge beeindruckend und emanzipiert Schwung in die De- batte rund um die Wirksamkeit von Gesprächen in der Pflege gebracht. Im folgen- den Abschnitt wird auf die Bedeutung der sog. „sprechenden Pflege“ näher einge- gangen.

3.3 Die sprechende Pflege als eine zentrale Kernkompetenz

Kommunikation bzw. Gesprächsführung muss als weitere Kernkompetenz der Pflege gesehen und aufgewertet werden. Abt-Zegelin (2009, S. 1ff) fordert in einem Artikel vehement die Anerkennung von Gesprächen als zentrale Pflegehandlungen

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