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Wenn es darum geht Kommunikation für alle Beteiligten als gelingende Dialoge zu begreifen, ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung und Einstellung zum Menschen sowie mit der persönlichen Reifung eine Notwendigkeit. Es geht im Zu-sammenhang mit Kommunikation und Gesprächsführung weniger um das Training von Gesprächstechniken, als um die Erkenntnis und Entwicklung der eigenen Per-sönlichkeit. Dialoge und zwischenmenschliche Beziehungen zu gestalten, erfordert neben Basiskompetenzen der Kommunikation zusätzlich eine hohe Sensitivität, um die einzelne Person in ihrem situativen Kontext als auch mit ihrem differenzierten Charakter und Innenleben wahrzunehmen (vgl. Schulz von Thun 1990, S.12ff).

Menschen in Pflegesituationen in ihrem situativen Kontext differenziert wahrzuneh-men und ihr Innenleben zu begreifen, setzt eine zu tiefst wahrzuneh-menschliche Sicht auf die Welt in der wir leben voraus. Ein holistisches Menschenbild, welches Vertreterinnen und Vertreter der humanistischen Psychologie beschreiben (Maslow 2010, S. 8; Ro-gers 1981, S. 65; Cohn 1998, S. 16) und in modernen neurowissenschaftliche Stu-dien ihre Bestätigung findet (Domasio 2005 zit. in Lux 2010, S. 90; Bauer 2007, S.

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21ff) kann Spannungen in einer Interaktion lösen und zu einem gelingenden Gan-zen verhelfen. Der holistische bzw. ganzheitliche Ansatz sieht den Menschen als körperliches, seelisches, soziales und geistiges Wesen, welches im Fühlen und Denken eingebettet im Universum teils frei, teils gebunden die Zukunft als auch die Vergangenheit in seiner komplexen Existenz erfasst bzw. vereint. So wie Inseln of-fensichtlich einzeln stehen, treffen sie sich doch im Meeresgrunde und sind mitei-nander verbunden. Es ist wichtig das Individuum einzeln wahrzunehmen. Ich kann nicht davon ausgehen, dass das, wovon ich als Person überzeugt bin, auch bei meinem Gegenüber Zustimmung findet (vgl. Cohn 1993, S. 16f).

5.1.1 Kernelemente einer humanistischen Pflege

Die Schweizer Pflegewissenschaftlerin Silvia Käppeli bringt ihr Anliegen einer hu-manistischen Denkweise im Pflegekontext deutlich zum Ausdruck, wenn sie sagt:

„Es genügt nicht, mit Patienten ein gutes Gespräch gehabt zu haben. Wir müssen ihre Probleme und Fragen zu unseren machen. Dies bedingt jedoch, daß uns das, was die Patienten beschäftigt, unter die Haut geht.“ (Käppeli 2000, S. 11). Käppeli fordert persönliche und strukturelle Bedingungen für Pflegende ein, damit „[…] sie sich tatsächlich von den Bedürfnissen und Anliegen der Patienten ergreifen lassen können“. (ebda., S. 12). Im Kapitel 2.1.3, S. 16 wurden bereits strukturelle Störfak-toren wie eine stetige Ökonomisierung diskutiert, die eine hier beschriebene Menschlichkeit erschwert. Maslow (2010, S. 310) bestätigt, dass der Mensch nicht allein anatomischer und physiologischer Natur ist (was einem medizinisch gepräg-ten Menschenbild entspricht, persönl. Anm.), sondern grundlegende Bedürfnisse, Sehnsüchte und Fähigkeiten besitzt, die er über die menschliche Psyche zum Aus-druck bringen kann. Eine humanistische Pflege berührt die menschliche Natur und geht den Bedürfnissen von Menschen auf den Grund. So zählt für Silvia Käppeli einzig was uns „erschauern“ lässt als handlungsleitendes Element, und dieses „Er-schauern“ oder „unter die Haut gehen lassen“ soll der Mensch in der Institution ver-ursachen, und nicht die Institutionen selbst (vgl. Käppeli 2000, S.13).

Die Wurzeln des Humanismus, dessen Begriff kurz als „Menschlich- Sein“ übersetzt werden kann, sind in der Antike zu finden, wurden in der Renaissance (z.B. Descar-tes) weiterverbreitet und über die Aufklärung hinaus von bedeutsamen Menschen

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der humanistischen Psychologie und Philosophie (Personen wurden beispielsweise oben erwähnt) untersucht und diskutiert. Pflegetheorien wurzeln in einer humanisti-schen Philosophie, und haben sich ausgehend im 20. Jahrhundert von religiös be-einflussten Zugängen eher abgewandt, wohl aber spirituelle Bedürfnisse von Men-schen unabhängig von Religionen aufgewertet (vgl. Wright 2000, S. 28f).

Gemäß der humanistischen Psychologie ist also viel mehr der Glaube an die „Güte der menschlichen Natur“ (Maslow 2010, S. 8; Rogers 2012, S. 100) die wünschens-werte Sicht auf einen (kranken) Menschen als der Glaube, der Mensch sei im Grunde „verderbt und böse“ (ebda.). Im Zusammenhang mit einer Care- Praxis wurde im Kapitel 3.2.2, S. 30 erwähnt, dass eine Interaktion mit Hilfesuchenden bedeutet „für eine Person da zu sein, zuzuhören, mit ihr zu sprechen, zu helfen und zu verstehen.“ Dies kann Pflegepersonen eher gelingen, wenn der Güte der menschlichen Natur Glauben geschenkt wird. Studien bestätigen es - sich Hilfesu-chenden zuwenden anstatt sich abzugrenzen ist in Gesundheitsberufen ein persön-licher Schutzfaktor, um einer emotionalen Erschöpfung vorzubeugen (vgl. Käppeli 2000, S.12). Denn im Klinikalltag begegnen Angehörige von Gesundheitsberufen (chronisch) kranken Menschen in Ausnahmesituationen, die sich widerständisch, zynisch und lebensabgewandt zeigen, sich in ihrer Existenz bedroht und verzweifelt fühlen. Wie sonst, als mit einer gütigen, differenzierten Betrachtung des Innenle-bens im jeweiligen situativen Kontext, wie Schulz von Thun dies erklärt (siehe oben), können wir den (erkrankten) Menschen begegnen.

Maslow kritisierte in den 50iger Jahren, dass ein Großteil der intellektuellen Gesell-schaft den Menschen grundlegend als verzweifelt, zynisch, grausam, und unmora-lisch charakterisiert (vgl. Maslow 2010, S. 8). Gewiss waren Pflegepersonen oder ärztliches Personal über die 50iger Jahre hinaus von dieser Gegenmoral geprägt und auch heute begegnen wir (jungen) Menschen in Gesundheitsberufen, die sich dieser Sichtweise anschließen. Umso mehr soll die Entwicklung der Persönlichkeit eine lebenslängliche Aufgabe bleiben. Möge Carl Rogers als Mitbegründer der hu-manistischen Psychologie recht behalten indem er festhält: „Ich habe kein euphori-sches Bild von der menschlichen Natur. Ich weiß, daß Individuen aus Abwehr und innerer Angst sich […] asozial und schädlich verhalten können. […] Das Leben ist im besten Fall ein fließender, sich wandelnder Prozeß, in dem nichts starr ist. Das

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Leben befindet sich immer in Entwicklung.“ Rogers ist zur Erkenntnis gelangt, dass selbst bei „schädlichen“ Individuen starke positive Neigungen und Ressourcen in den Tiefen der Psyche zu finden sind. (Rogers 2012, S. 42f; S. 99f). Diese Zuver-sicht, die Überzeugung, dass Entwicklung möglich ist, sind essenzielle Motivatoren für Menschen, die z.B. in Gesundheitsberufen arbeiten. Die Auseinandersetzung mit der menschlichen Psyche, mit der eigenen Persönlichkeit und einer angemes-senen Kommunikation ist somit lebenswichtig für die zu Pflegenden, als auch für die Pflegeperson selbst.

5.1.2 Aspekte aus dem Menschenbild von Viktor Frankl

Neben der humanistischen Psychologie ist die anthropologische Betrachtung Viktor Frankls, dem Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse eine wertvolle Er-gänzung, um den Menschen in seiner Existenz wahrzunehmen. Viktor Frankls Men-schenbild, das einer humanistischen Psychologie gleicht, sich in mancher Hinsicht abgrenzt, liegt eine Sinnannäherung und Werteethik zu Grunde (vgl. Längle 2013, S. 184ff). Dabei stellt Frankl den Menschen in einer dreidimensionalen „Seinsform“

dar, wobei jede Dimension in eine eigene Richtung steuert und dennoch alle drei als untrennbare Elemente zu sehen sind. Hier wird die Komplexität dieser Dimensi-onen, nur kurz im Ansatz beschrieben:

• Der Mensch als körperliches Wesen – im Zentrum stehen körperliche Bedürf-nisse wie schlafen, bewegen, ernähren usw.

• Der Mensch als psychisches Wesen – im Zentrum steht eine spannungsfreie Vitalität im Körper, die der inneren Person entspricht. Es geht um Wohlbefin-den, Bedürfnisbefriedigung, lust- sowie gefühlsbetontes Erleben.

• Der Mensch als geistiges Wesen (die Person) – hier geht es um Sinnerfüllung und Werteerleben, es geht um Themen wie Halt, Glaube, Gerechtigkeit, Ge-wissen, Verantwortung und Sinn. Frankl tritt für die unvergleichliche Einzig-artigkeit der Person ein, indem er versucht Psyche und Geist getrennt zu betrachten und nicht die geistigen Dimensionen allein auf die Psyche zu re-duzieren (vgl. Längle 2013, S. 185).

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Das geistige im Menschen ist eher in der Lage dem Leben bewusst Sinn und Werte zu verleihen, als allein psychisch definierte Kräfte dies vermögen. Der Mensch wäre nicht frei, wenn er allein seinen psychischen Bedürfnissen, Trieben und Emotionen gerecht würde, ohne seine geistigen Dimensionen einzubeziehen und die Frage nach dem Sinn und der Verantwortung zu stellen. Es geht Viktor Frankl darum, die Würde der menschlichen Person durch seine geistige Dimension (mit der Sinnsu-che) darzustellen und zu schützen. Menschen, die unter einem Sinnverlust leiden, sind häufig auch Menschen, die auf Grund schwieriger Lebenslagen aus dem Gleichgewicht kommen und Hilfe suchen. Daher erhält in vielen Gesundheitsberu-fen das Menschenbild der Logotherapie von Viktor Frankl zunehmend Aufmerksam-keit und wird in Ausbildungen verstärkt berücksichtigt (vgl. Längle 2013, S. 188f; S.

208f).

Für diese Arbeit und die Fragestellung, wie Patientinnen und Patienten durch eine professionelle Gesprächsführung in ihrer Gesundheitskompetenz gestärkt werden können, ist die geistige Dimension und die Frage nach dem Sinn der Veränderung eine zentrale Frage im Patientenkontakt. Über die Kommunikation werden Ressour-cen aufgedeckt, die zu einer Stärkung im Alltag führen. Hinter den Fragen der Men-schen verbirgt sich oftmals der Wunsch nach Veränderung und Sinnerfahrung in der aktuellen Lebenslage. Die Grundlagen einer Klientenzentrierten Gesprächsfüh-rung zeigen auf, wie im Rahmen der Kommunikation eine Entwicklung und Verän-derung der Person eingeleitet werden kann.