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Care-Ethik als zentrale Kompetenz des Pflegeberufes

In den Bezugswissenschaften der Pflege wird seit den 1980er-Jahren auf internati-onaler Ebene der Begriff Caring, bzw. Care diskutiert. In der Pflegewissenschaft ist im deutschsprachigem Raum Caring als Konzept nur zögerlich von einzelnen Auto-rinnen, wie z. B. Silvia Käppeli aufgenommen worden. Die englische Bedeutung von

„to care“ kann in der deutschen Sprache nicht in der ganzen Dimension wiederge-geben werden. Es gibt sozusagen kein Wort dafür, welches entsprechend breit und tief ausdrückt, wie Caring zu verstehen ist. „Sich sorgen“, „sorgen für“, „kompetent helfend handeln“, „fürsorglich zuwendend sein“, „achtsam sein“, es geht um die Sorge der anderen als auch um die Selbstsorge. Eine Sorge eigentlich, die sich aus

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den ethischen Prinzipien der Medizin und Theologie entwickelt hat (vgl. Kohlen 2016, S.15). Conradi (2001) befasst sich in ihrer Studie mit der Beschreibung einer Care-Ethik, welcher u.a. die amerikanische Entwicklungspsychologin Carol Gilligan, sowie die Frauenwissenschaftlerin Joan Tronto nachgegangen sind. „Care“ wird nach Gilligan (1991) detailliert als moralische Orientierung der Verbundenheit be-schrieben, während Tronto (1993) „Care“ als eine umfassende Sichtweise der prak-tischen Zuwendung bei menschlicher Bedürftigkeit beschreibt. Conradi hat daraus für sich neun Thesen zu „Care“ entwickelt, die hier nicht im Detail beschrieben wer-den. So ergänzt sie z. B. die Verbundenheit mit dem Begriff „Bezogenheit“, wobei sie das Wahrnehmen der anderen Person aus einem sorgenden Verständnis her-aus begründet. Darher-aus entwickelt sich ein Beziehungsprozess, der in der Folge die sog. „Zuwendung“ zum Menschen eröffnet. Der Begriff „Zuwendung“ wird im pfle-gewissenschaftlichen Kontext häufig mit einer Care-Praxis, die überwiegend der Pflege zuzuordnen ist gleichgesetzt. Conradi und andere Autorinnen und Autoren sehen jedoch Care als „Ausgangspunkt allen menschlichen Handelns“, und somit als eine gesellschaftliche Praxis, welche nicht ausschließlich von der beruflichen Pflege gepachtet werden kann. Kern der Diskussion rund um den Begriff „Care“ ist die grundlegende Bedürftigkeit von Menschen und somit die Angewiesenheit aufei-nander (vgl. Conradi 2001, S. 48 ff).

3.2.1 Care Interaktionen mit dem Fokus auf Macht und Motivation

Im Zusammenhang mit Care-Interaktionen befasst sich Conradi (2001) mit dem Ri-siko einer Machtasymmetrie, wenn eine Person durch Krankheit auf eine andere Person angewiesen ist. In der Geschichte des menschlichen Zusammenlebens gab es gewiss (und gibt es noch) in allen Berufen und gesellschaftlichen Beziehungen prekäre Machtverhältnisse wahrzunehmen. In der Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflege sind die Diskussionen rund um asymmetrische Machtverhältnisse zwischen den Pflegebedürftigen und den Pflegepersonen stets kritisch zu reflektie-ren. Conradi (2001) beschreibt z. B. eine Dynamik der Macht, welche die Opposition von Macht und Ohnmacht widerlegt. Abhängigkeit durch Krankheit darf demnach nicht mit Ohnmacht gleichgesetzt werden bzw. in einer Entmündigung oder Bevor-mundung enden. Eine Machtdynamik erklärt sich aus einem Verständnis der Be-weglichkeit von Macht zwischen den beteiligten Personen im Rahmen einer

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Interaktion. Im Pflegekontext bedeutet dies, dass sich die Pflegepersonen als auch die Pflegebedürftigen im positiven Sinne der Macht bedienen und miteinander ko-operieren. Spannungen und Machtdifferenzen wahrzunehmen und einzugrenzen sind wichtige Voraussetzungen, damit Beziehungen gelingen. Es geht letztendlich um ein Empowerment durch die Pflegeperson, wodurch zu Pflegenden neue Hand-lungsspielräume für die Bewältigung ihres Krankseins erhalten (vgl. Conradi 2001, S. 53f).

Für die Bewältigung von z.B. chronischen Erkrankungen spielt die Motivation für eine gesundheitsförderliche Verhaltensänderung eine tragende Rolle. Die neurobi-ologischen Forschungen haben im letzten Jahrzehnt die komplexen Zusammen-hänge der Motivationsförderung unter beeindruckender Weise dargestellt und pu-bliziert. Unterschiedliche Botenstoffe im zentralen Nervensystem haben Auswirkun-gen auf das menschliche Verhalten, die menschliche Motivation. Der unter Pädago-ginnen und Pädagogen anerkannte deutsche Arzt und Hirnforscher Joachim Bauer begründet die Aktivität der menschlichen Motivation so: „Wir sind – aus neurobiolo-gischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen. Kern aller menschlichen Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung Wertschät-zung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben“ (Bauer 2007, S. 21).

Durch Beobachtungen im Zusammenhang mit Behandlungen von kranken Men-schen, insbesondere von Suchtkranken, wurde das Belohnungssystem, bzw. Moti-vationssystem des Menschen entdeckt. Ähnlich wie bei Suchtkranken die Droge den neurobiologischen Botenstoff Dopamin aktiviert, um Suchtkranke auf ihr Ziel hinzubewegen, bzw. um das krankmachende Suchtmittel einzunehmen, so aktiviert die menschliche Zuwendung den Botenstoff Dopamin, um motiviert den angestreb-ten Zielen nachzugehen (vgl. Bauer 2007, S. 28 ff).

Menschliche Zuwendung ist somit ein zentraler, biologisch erzeugter Motivations-faktor. Im Zusammenhang mit pflegerischen Interaktionen kommt diese Erkenntnis dem oben beschriebenen Care-Konzept sehr entgegen. Wenn kranke Menschen in Ausnahmesituationen menschliche Zuwendung in Form von z.B. praktischen, emo-tionalen und kommunikativen Interaktionen erfahren, kann man davon ausgehen, dass dies die Motivation für angestrebte gesundmachende Ziele fördert.

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3.2.2 Zur Bedeutung von Gesprächen in der Care Praxis

Carol Gilligan (1988) erklärt im wissenschaftlichen Diskurs den Begriff „Care“ als

„activities of care“ und meint damit: „für eine Person da zu sein, zuzuhören, mit ihr zu sprechen, zu helfen und zu verstehen.“ (Conradi 2001, S. 229, zit. nach Gilligan 1988, S. 3-19). Tronto (1996) bringt in die ethische Care-Debatte eine für die Ge-sprächsführung durchaus relevante Perspektive ein. Sie unterscheidet vier Ele-mente, die u.a. in moralischen Konfliktsituationen Grundlage einer „guten engagier-ten Sorge“ sein können: „Aufmerksame Anteilnahme, verantwortungsvolle Unter-stützung, kompetente Versorgung und eine positive Resonanz“. (Conradi 2001, S.

230, zit. nach Tronto 1996, S.148). Conradi zieht in diesem Zusammenhang den Schluss, dass „Care“ als Praxis einer moralischen Kompetenz zum kritischen Ur-teilsvermögen und zum konstruktiven Umgang in schwierigen Situationen gesehen werden kann (vgl. Conradi 2001, S. 232).

In schwierigen Situationen Gespräche zu führen, ist z.B. im hektischen Kranken-hausalltag, wie im Kapitel zwei bereits beschrieben eine große Herausforderung.

Es ist unumstritten, dass gemäß einer Care-Ethik gute Gespräche, Zuwendung und Wertschätzung ein immanenter Wunsch von Patientinnen und Patienten sind. Die-ser Wunsch besteht unabhängig davon, ob Gespräche als „schwierig“ eingestuft werden oder nicht. Die inzwischen emeritierte Pflegewissenschaftlerin an der Uni-versität Witten Herdecke, Angelika Abt-Zegelin hat im deutschen Sprachraum durch ihre Publikationen und Vorträge beeindruckend und emanzipiert Schwung in die De-batte rund um die Wirksamkeit von Gesprächen in der Pflege gebracht. Im folgen-den Abschnitt wird auf die Bedeutung der sog. „sprechenfolgen-den Pflege“ näher einge-gangen.