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Digital Gaps im Kontext von Wohnungslosigkeit

I. Das Smartphone: eine besondere Portable-Synthese

Aus technik- und medientheoretischer Perspektive lassen sich Geräte wie Kofferra-dios, Walk- und Discmans oder auch GSM Mobiltelefone und die modernen Smartpho-nes unter dem Oberbegriff der sogenannten „Portables“ kategorial fassen. Für Weber

177 (2008) sind dabei die Eigenschaften der Tragbarkeit sowie das ortsungebundene Funktionieren der Geräte über einen „angemessenen“ Zeitraum wesentlich:

„Um als ‚mobil‘ bzw. als ‚Portable‘ zu gelten, muss ein Gerät ‚tragbar‘

sein, also ein für den Transport handhabbares Gewicht bzw. eine hand-habbare Größe aufweisen. Außerdem muss es über eine angemessene Zeitspanne hinweg ortsungebunden funktionieren.“ (Weber 2008: 17)

Im Gegensatz zu anderen stationären elektronischen Geräten sind Portables also im Wesentlichen mobile – das heißt tragbare – Mediengeräte. Die besondere zusätzliche Eigenschaft von Tragbarkeit und Mobilität verleiht Portables die Fähigkeit auf spezifi-sche Weise Einfluss auf das Raum- und Zeitempfinden der Nutzer_innen zu nehmen sowie besondere Formen der Identitätskonstruktion für die Nutzer_innen zu ermögli-chen. Bevor darauf näher eingegangen wird, sollen zunächst Entwicklungsstufen von tragbaren Mediengeräte erläutert werden, die aufzeigen, dass Smartphones heute eine besondere mediale Synthese verschiedener Vorläufer der Portables darstellen.

Weber (2008) unterscheidet idealtypisch drei entwicklungshierarchische Stufen von Portables, die sich jeweils durch eine spezifische „Trage- und Bedienweise“ auszeich-nen: Portable Mediengeräte, die über ein Koffergehäuse und/oder einen Henkel trans-portabel werden (im Deutschen „Henkelware“), stehen für Weber auf der ersten und untersten Stufe dieses Gerätetypus. Ein klassischer Vertreter der Henkelware sind die sogenannten Kofferradios. Diese tragbaren Audiogeräte können im Gegensatz zu den älteren Röhrenradios über einen angebrachten Griff mitgetragen werden. Tragbare Geräte, die ausreichend klein genug sind, um in Kleidungstaschen transportiert zu werden („pocketability“) oder auch in der Hand gehalten zu werden, stehen auf der nächsthöheren Entwicklungsstufe der Portables. Als klassisches Beispiel nennt Weber die „Handhelds“ bzw. „Handys“ oder Mobiltelefone. Aber auch Audiomediengeräte wie beispielweise der Sony Walkman oder später Apple iPod sind typische Vertreter dieser Entwicklungsstufe. Bei Portables der dritten und letzten Entwicklungsstufe handelt es sich um Geräte bei denen die Technik am Körper selbst getragen und damit im Grunde zu einer Art Kleidung wird („wearabililty“). Hierzu gehören heute beispielsweise Smart-watches (bspw. Apple Watch) oder die modernen Bluetooth In-Ear-Kopfhörer (bspw.

Apple airPods). Diese Geräte verschmelzen sozusagen mit der Kleidung als unserer zweiten Haut oder werden sogar unmittelbar zu einer Art Teil des Körpers. Dadurch,

178 dass sie zunehmend mit der Kleidung „verschmelzen“ oder die Grenze zwischen Kör-per und Geräte langsam verschwimmen lassen, spielen die Portables gewissermaßen mit der Körper- und Selbstwahrnehmung der Nutzenden:

„[…] Geräten, die stundenlang griffbereit in der Tasche umhergetragen wurden oder mit denen der Nutzer sich sogar dauerhaft verkabelte, lässt sich nicht nur von einer Individualisierung des Technikgebrauchs sprechen, sondern die Technik beeinflusste die Identitätsgestaltung des Nutzers ebenso wie sein Verständnis von Mensch und Körper.

Manche Portable-Nutzer sahen ihre Geräte sogar als eine Grundaus-stattung des Menschen an; sie waren zum Mensch-Technik-Cyborg ge-worden.“ (Weber 2008: 22)

Was die Portables also als eigenen Mediengerättypus auszeichnet sind damit leichte Tragbarkeit, eine zeitlich flexible Nutzungsmöglichkeit und die zunehmend enge Ver-bindung zwischen dem Gerät und Körper. Über verschiedene Aneignungs- und Nut-zungsformen werden Portables damit im engeren Sinne des Wortes zu „persönlichen“

Gegenständen. Die Grenzen zwischen Objekt und Subjekt sind hier fließend und ero-dierend. In der Konsequenz nehmen die Portables daher auch immer auf die Umwelt- und Körperwahrnehmung der Nutzer_innen sowie auf deren Selbstbild bzw. ihre Idee von Individualität und Identität (vgl. Weber 2008).

Portables lassen sich aber nicht nur wie von Weber beschrieben in verschiedene Ent-wicklungsstufen einteilen, sondern auch nach ihrem primären Medientyp oder dem an-gesprochenen Körpersinn kategorial unterteilen. Auch wenn Portables heutzutage häufig mit Zusatzfunktionen ausgestattet und zunehmend multimedial konzipiert sind, lassen sich die meisten Geräte doch grundsätzlich nach Medienformat oder angespro-chenem Körpersinn (Audio, Video oder auch Haptik)50 unterscheiden. Zu Audiopor-tables gehören Geräte wie das Kofferradio, tragbare Schallplattenspieler, der Walk- bzw. Discman. Zu den Videoportables zählen tragbare Fernsehgeräte, Camcorder oder Digitalkameras. Andere Portables wie die sogenannten „Pager“ erfüllten spezia-lisiertere Funktionen wie z.B. die asynchrone Vermittlung von Kurznachrichten. Sie waren damit Wegbegleiter der SMS und WhatsApp-Kultur. Ortsunabhängige, fern-mündliche Sprachkommunikation wurde von Portables wie dem Autotelefon eingeführt

50 Dass Portables die Haptik von Nutzer_innen ansprechen ist in der Tat noch seltener als Portables, die als Audio-, Visuelle oder audio-visuelle Geräte funktionieren. Insbesondere die GSM Mobiltelefone mit ihrem Vibrationsalarm oder auch Smartphones und Tablets, die über intuitive Touchdisplays gesteu-ert werden sowie Augmented Reality Brillen mit Vibration, funktionieren über haptische Wahrnehmung der Mediennutzer_innen.

179 und dann die Jahrtausendwende durch die GSM Mobiltelefonie massentauglich ge-macht. Mit der zunehmenden Ausbreitung des Internet und seiner Wandlung zu einer medialen Infrastruktur, verbreiteten sich die internetfähigen Laptops und Smartphones als portable Multimediageräte besonders schnell. Laptops und Smartphone konnten über ihre Eigenschaften als Mini-Computer viele Funktionen alter Portables multime-dial bündeln. Grundsätzlich waren einige Portables auch bereits multimemultime-dial konzipiert, doch die Digitalisierung gab der Zusammenführung verschiedener Medientypen und Funktionen in einem Gerät den entscheidenden Impetus:

„Viele Portables wurden außerdem nach dem Vorbild des Schweizer Taschenmessers mit Zusatzfunktionen ausgestattet – Kofferradios etwa mit Uhren, Taschenlampen oder Kameras was lange Zeit auf Kos-ten ihrer Klein- und Leichtheit ging. Im Zuge der Digitalisierung wurde eine solche Multifunktionalität von Portables wieder stark forciert, da sie nun zwar mehr Software, aber kaum zusätzliches Gewicht erforderte.“

(Weber 2008: 19)

Das Smartphone in seiner heutigen Ausgestaltung und Verbreitung als internetfähiger, Touchscreen gesteuerter, personalisierter Multimedia Westentaschencomputer kann als vorläufig finale Synthese vorgegangener Portables verstanden werden. Das Smart-phone verbindet Audiofunktionen von Kofferradio und Walkman/Discman, mit Video-funktionen von tragbaren LCD-Fernsehern, verschiedenen Kurznachrichtendiensten (Pager und SMS) ermöglicht Sprach- wie Videotelefonie und insbesondere einen Zu-gang zum Internet. Durch die Möglichkeit das Internet mobil zu nutzen hebt das Smart-phone das Mobiltelefon auf die nächsthöhere evolutionäre Entwicklungsstufe von Por-tables. Aufgrund seiner Eigenschaft als Westentaschencomputer mit eigenem Be-triebssystem und Applikationsplattformen wie Google Play und oder dem Apple App Store kann das Smartphone als völlig individualisiertes „Schweizer-Multimedia-Ta-schenmesser“ eingesetzt werden und steht für ganz neue Formen der persönlichen Aneignung bereit. Es stellt damit eine besondere Portable-Synthese dar und hat die bislang höchste Evolutionsstufe tragbarer Mediengeräte erreicht. Bereits hieraus er-schließt sich die besondere gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung, die das Smart-phone heute einnimmt.

Es ist anzunehmen, dass neuartige Wearables wie die Smartwatches, air-Pods oder auch Datenbrillen wie Google Glass zukünftig virtuelle Realität und physische Umge-bung noch weiter verschwimmen lassen. Weber (2008) spricht bei „Verschmelzungen“

180 dieser Art zwischen Menschen und Maschine von der „Cyborgisierung“ und deutet sie als besondere Form der Aneignung von Portables:

"Manche Portable-Nutzer sahen ihre Geräte sogar als eine Grundaus-stattung des Menschen an; sie waren zum Mensch-Technik-Cyborg ge-worden. Der Cyborg-Begriff dient allgemein dazu, die Annäherung von Mensch und Technik bis hin zum Unkenntlichwerden der Grenzen zu markieren." (Weber 2008: 22)

Formen der persönlichen Aneignung und Individualisierung von Portables über die Wahl spezifischer Designformen und Anpassung der äußeren Ästhetik der Geräte so-wie die zielgerichtete Veränderung der Geräte als Form der Personalisierung, lassen sich technikhistorisch ebenfalls schon lange vor Einführung den Smartphones verorten (vgl. Weber 2008). Bereits tragbare Kofferradios wurden entweder im „military“ oder aber im „pop look“ auf dem Markt angeboten (Weber 2008: 140). GSM Mobiltelefone fächerten sich schnell auf in „Business-, Fashion-, Frauen- und Männerhandys“ (We-ber 2008). Sie konnten ü(We-ber individuell wählbare Klingeltöne und eine eigne PIN-Num-mer weitergehend personalisiert werden. Und auch die Idee einer Mensch-Technik-Verschmelzung ist keine neue Idee:

„Viele ‚Wearable‘-Träger definierten sich explizit über ihre Technik. So bewerteten manche Walkman- und Handy-Nutzer ihre Geräte als le-bensnotwendige Erweiterung ihres Selbst oder gar ihres Körpers: Ohne sie, so einige Nutzerstimmen, könnten sie sich ihr Leben nicht mehr vorstellen. Das Individuum ist hier keine geschlossene, autonome In-stanz, sondern ein Mensch-Technik-Amalgam.“ (Weber 2008: 23).“

Bilanzierend lässt sich damit sagen, dass Smartphones auf der Theorieebene als Por-table-Synthese verschiedener kulturhistorischer Vorläufertechnologien wie dem Kof-ferradio, dem GSM Mobiltelefon oder dem tragbaren Fernseher zu verstehen sind.

Über die Möglichkeiten der Digitalisierung eröffnen diese „Westentaschencomputer“

bisher noch nie dagewesene Möglichkeiten einer individualisierten Aneignung und Mensch-Technik-Verwobenheit. Die besondere gesellschaftliche Faszination und das auf erscheinungsebene „suchtähnliche“ intensive Nutzungsverhalten einiger Smart-phone Gebrauchender erschließt sich, wenn man diese besondere technische Syn-theseleistung würdigt und sich vor Augen führt, wie viele Nutzungsmöglichkeiten diese Multimediageräte abdecken. Portables spielen mit dem Raum-, Zeit- und Identitäts-empfinden der Nutzer_innen, sodass die Geräte genutzt werden können, um als Werk-zeuge mit diesen zentralen Kategorien – denen der Menschen täglich unterworfen ist

181 – umzugehen. Auch hieraus erschließt sich die hohe subjektive Bedeutung und der enorme Gebrauchswert von Smartphones für die Nutzer_innen.

II. Wirkungen und Einflüsse von Portables auf die Raum-, Zeit- und

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