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5.1 Die massive Modularität des Geistes Redux

5.1.1 Die Massive Modularität des Geistes in der Evolutionären Psychologie

5.1.1.1 Das Programm der Evolutionären Psychologie

Bevor näher auf den Begriff der Modularität in der Evolutionären Psychologie eingegangen wird, sollen kurz die zentralen Hintergrundannahmen aufgezeigt werden, die vor allem die klassischen Ansätze der massiven Modularität auszeichnen. Es wurde im ersten Kapitel schon dargelegt, dass die Evolutionäre Psychologie als ein Nachfolger der Soziobiologie gesehen werden kann. Dementsprechend zeichnet sich das Forschungsprogramm durch eine evolutionäre Perspektive auf menschliche Kognition und einen starken Adaptationismus aus.48 Die Soziobiologie wollte zeigen, inwiefern das

48 Godfrey-Smith (2000) unterscheidet drei Spielarten des Adaptationismus: Empirisch, explanatorisch und methodologisch. Der empirische Adaptationismus ist eine empirische Behauptung über die biologische Welt

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Vorhandensein bestimmter Verhaltensmuster sich durch das Wirken von natürlicher Selektion erklären lässt. Verhalten und Kultur wurden dementsprechend als eine Sammlung von phänotypischen Merkmalen angesehen, wobei die Existenz jedes Merkmals durch eine Selektionsgeschichte erklärt werden soll. Die Soziobiologie scheiterte nicht zuletzt auch daran, dass es nicht einfach ist, Verhalten oder Kultur, die vielfältige Variationen aufweisen, in einzelne Merkmale zu zerlegen, für die eine jeweils Selektionsgeschichte rekonstruiert werden kann. Anders als die Soziobiologie interessiert sich die Evolutionäre Psychologie nicht direkt für das Verhalten als phänotypisches Merkmal, sondern für die „kognitiven Mechanismen“, welche das Verhalten hervorbringen (vgl. Tooby and Cosmides 1992, S. 45). 49

Die Evolutionäre Psychologie lässt sich durch vier zentrale Annahmen charakterisieren, welche den theoretischen und methodologischen Rahmen bilden (vgl.

Buller 2007, S. 259-261):

1) Psychologische Adaptationen sind komplex und benötigen daher große Zeitspannen, um sich evolutionär zu bilden. Die psychologischen Adaptationen des Menschen haben sich während des Pleistozäns (1,8 Millionen bis 10,000 Jahre vor unserer Zeitrechnung) in einer Umwelt gebildet, die von der heutigen zum Teil sehr verschieden ist. In dieser Zeit lebten Menschen als Jäger und Sammler in kleinen Gruppen zusammen.

Daher besitzen wir keine Adaptationen für die heutige Zeit, was durch den bekannten Ausspruch „Our modern skulls house a Stone Age mind.“ ausgedrückt wird (Cosmides und Tooby 1997, S. 85).

und besagt, dass natürliche Selektion der wichtigste kausale Faktor in der Evolution ist. Der explanatorische Adaptationismus besagt, dass die Anpassung von Organismen an ihre Umwelt das wichtigste Problem der Biologie ist, welches durch den Verweis auf das Wirken von natürlicher Selektion beantwortet wird. Der methodologische Adaptationismus gibt eine Empfehlung mit welchen Methoden Wissenschaftler biologische Systeme betrachten sollten. Die Betrachtung von Merkmalen als Anpassungen, die durch das Wirken von Selektion entstanden, wird als Heuristik vorgeschlagen. In der evolutionären Psychologie finden sich Elemente aller drei Positionen, am deutlichsten aber wird der empirische Adaptationismus vertreten.

49 Die Evolutionäre Psychologie ist nicht der einzige Ansatz, welcher im Anschluss an die Soziobiologie menschliches Verhalten durch eine evolutionäre Perspektive betrachtet. Laland und Brown (2002) geben eine gute Übersicht über diese verschiedenen Ansätze. Neben der evolutionären Psychologie führen Laland und Brown die menschliche Verhaltensökologie (human behavioural ecology), die Memetik und Ansätze der so genannten „Gen-Kultur Koevolution“ (gene-culture coevolution) an.

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2) Jedes adaptive Problem in der damaligen Umwelt führte zur Selektion eines jeweils eigenen psychologischen Mechanismus, welcher dieses Problem lösen soll. Der menschliche Geist besteht daher aus einer Vielzahl von relativ unabhängigen Untersystemen (kognitiven Mechanismen oder Modulen), von denen jedes eine Adaptation in Bezug auf ein bestimmtes Umweltproblem in der evolutionären Vergangenheit darstellt.

3) Die evolvierten psychologischen Mechanismen (Module) konstituieren gemeinsam eine menschliche Natur. Module müssen als Adaptationen über eine genetische Grundlage verfügen. Sie werden in jeder Generation zuverlässig ausgebildet und repräsentieren damit die „angeborene Natur“ des Menschen.

4) Um das evolvierte Design unseres Geistes aufzudecken, können rekonstruktive Methoden (reverse engineering) verwendet werden, indem die Fitness-Vorteile der psychologischen Mechanismen in der Vergangenheit aufgezeigt werden.

An diesen vier Annahmen lässt sich das adaptationistische Denken verdeutlichen, durch welches die Evolutionäre Psychologie stark geprägt ist. Die Evolution des Menschen, so die Idee, fand in einer lange stabilen Umwelt statt, die spezifische Probleme bereitstellte.

Die so genannte „Umwelt der evolutionären Anpassung“ (environment of evolutionary adaptation) ist zwar heterogen, da es eine Vielfalt von spezifischen Anpassungsproblemen gibt, aber wird als über lange Zeiträume unverändert angenommen.

Module werden als psychologische Mechanismen zur Lösung jeweils eines spezifischen Problems und damit immer auch als Adaptationen für dieses Problem verstanden. Da Module im Geist als Lösungen für bestimmte Probleme der damaligen Umwelt angesehen werden, sind sie dementsprechend auch nur für ein bestimmtes Problem zuständig, was dazu führt, dass Domänenspezifizität als wichtiges Charakteristikum von Modulen angesehen wird. Module reagieren auf und verarbeiten nur solchen Input, der ihrer jeweiligen Domäne entspricht.

Weiterhin ist es charakteristisch für die Evolutionäre Psychologie, dass eine menschliche Natur postuliert wird, die angeboren ist. Im Fall der Evolutionären Psychologie meint „angeboren“ genetisch bestimmt oder genetisch fixiert. Da Adaptationen, so die Annahme, eine genetische Basis benötigen, ist aus Sicht der Evolutionären Psychologie zu erwarten, dass die Module im Genotyp der Spezies

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verankert sind. Dementsprechend werden sie zuverlässig in jeder Generation ausgebildet, so dass alle Menschen über die gleichen kognitiven Mechanismen der Verhaltensteuerung verfügen, welche gemeinsam die angeborene Natur des Menschen darstellen. Module erscheinen damit in der Rhetorik als fest, unwandelbar oder invariant. Mit den Annahmen des (empirischen) Adaptationismus wird auch eine dementsprechende Methodologie übernommen, wie aus der vierten Annahme ersichtlich wird.

Die These der massiven Modularität (massive modularity thesis; kurz MMT) wird oben bereits in der zweiten zentralen, theoretischen Annahme der Evolutionären Psychologie deutlich. Die MMT lässt sich folgenderweise formulieren:

These der massiven Modularität (MMT): Der Geist besteht aus vielen Untersystemen, den Modulen, welche jeweils für die Lösung eines spezifischen Problems in der evolutionären Vergangenheit selektiert wurden, damit als Adaptationen zu sehen sind, und gemeinsam zu den kognitiven Fähigkeiten des Menschen beitragen und diese erklären. Dazu gehören auch

„zentrale“ Prozesse wie Denken, Urteilen und Entscheidungen treffen.

In der Literatur finden sich zahlreiche Beispiele für die Postulierung von Modulen, die Antworten auf die spezifischen Probleme der Umwelt der evolutionären Anpassung darstellen sollen. Ein klassischer und stark diskutierter Fall ist die Postulierung eines Moduls für das Entdecken von sozialen Betrügern (cheater detection, vgl. Cosmides 1989 und Cosmides und Tooby 1992). Andere klassische Beispiele sind Module für Sprache50, Wahrnehmung Partnerwahl und Kindererziehung (vgl. Barkow, Cosmides und Tooby 1992). Barrett und Kurzban führen eine ganze Reihe von weiteren in der Literatur diskutierten Beispiele für kognitive Module an. Dazu gehören Module für räumliche Orientierung, Nummern, intuitive Mechanik, Angst, Ekel, Eifersucht und andere Emotionen, das Erkennen von Verwandten, das Erkennen von Gesichtern und viele mehr (vgl. Barrett und Kurzban 2006, S. 630).

Die verschiedenen theoretischen Grundannahmen der Evolutionären Psychologie über die Evolution des Menschen müssen hier nicht im Einzelnen diskutiert werden.

Sowohl das adaptationistische Denken und die entsprechenden Methoden, sowie die Annahmen über die menschliche Natur wurden vielfach behandelt und (zu Recht) kritisiert

50 Die Idee eines „mentalen Organs“ für den Spracherwerb geht auf Noam Chomsky (1965) zurück und kann vielleicht als einer der ersten Fälle angesehen werden, in denen ein angeborenes, funktional spezialisiertes

„Modul“ postuliert wird.

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(z.B. Buller 2005 und Richardson 2007). Vielmehr soll es an dieser Stelle darum gehen, zunächst genauer herauszuarbeiten, in welcher Hinsicht der Geist als modular angesehen wird und was unter einem Modul verstanden wird. Weiterhin wird zu prüfen sein, inwiefern es sich hier um einen biologischen Begriff von Modularität handelt oder wie der identifizierte Modularitätsbegriff im Lichte der bisherigen Erkenntnisse biologisch gedeutet werden kann.