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Das Problem: Die Debatte um die massive Modularität des Geistes

1.2 Das Verhältnis: Konflikt, Gegensatz oder Bedingung?

1.2.1 Das Problem: Die Debatte um die massive Modularität des Geistes

Ursprünglich bezeichnet die Theorie von der Modularität des Geistes den Ansatz von Fodor, welcher in der kurzen historischen Skizze zum Modularitätsbegriff bereits erwähnt wurde. Daneben ist unter diesem Titel auch eine Theorie über die Evolution und Arbeitsweise des Geistes bekannt geworden, die eine Weiterentwicklung von Fodors Idee der Modularität darstellt und diese mit evolutionären Ideen verbindet. Zur besseren Abgrenzung wird häufig auch von der „massiven Modularität des Geistes“ gesprochen.

Kritiker der These der massiven Modularität verweisen auf die Plastizität, Flexibilität oder Kreativität des Menschen, um gegen diese Annahme zu argumentieren.

1.2.1.1 Evolutionäre Psychologie und massive Modularität

Die Theorie der massiven Modularität des Geistes ist durch Vertreter des Forschungsprogramms der so genannten „Evolutionären Psychologie“ bekannt gemacht worden (z.B. Barkow, Cosmides und Tooby 1992, Pinker 1997 und Buss 1999). Die Evolutionäre Psychologie kann als ein Nachfolger der Soziobiologie gesehen werden, die es sich bekanntermaßen zum Ziel gesetzt hatte, das menschliche Verhalten und die menschliche Kultur biologisch zu erklären. Genau wie die Soziobiologie, zeichnet sich die Evolutionäre Psychologie durch einen starken Adaptationismus aus, d.h., im Hintergrund stehen die Annahmen, dass 1) Organismen in Merkmale zerlegt werden können und, dass 2) zu jeden Merkmal eine Selektionsgeschichte erzählt werden kann, die zeigt, warum es dieses jeweilige Merkmal gibt.

Im Gegensatz zur Soziobiologie werden von der Evolutionären Psychologie nicht mehr Verhaltensweisen oder Teile der Kultur selbst als Adaptationen angesehen.

Stattdessen werden Adaptationen nun im menschlichen Geist gesucht, dort wo Verhalten und Kultur hervorgebracht werden. Die These der massiven Modularität des Geistes bezieht sich auf die Zerlegung des Geistes in einzelne phänotypische Merkmale. Der menschliche Geist wird im Ansatz der Evolutionären Psychologie nicht als ein einziges, evolutionär entstandenes Merkmal, sondern als eine Sammlung einzelner so genannter

„psychologischer Mechanismen“ angesehen. Jeder psychologische Mechanismus, jedes Modul, ist demnach als ein eigenständiges Merkmal anzusehen, für das eine Selektionsgeschichte erzählt werden kann. Dabei, so die Annahme, stellt jedes Modul eine Lösung für ein Problem in der Umwelt unserer Vorfahren dar, der „Umwelt der

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evolutionären Anpassung“ (environment of evolutionary adaptedness) (vgl. Cosmides und Tooby 1997).

Die Probleme, welche in der Umwelt der evolutionären Anpassung eine adaptive Antwort erforderten, werden als zahlreich angesehen. Dementsprechend sollte man laut der Evolutionären Psychologie auch erwarten, dass es eine Vielzahl von Modulen gibt. Zu den postulierten Problemen gehören z.B. Objekterkennung, Vermeidung von Räubern, Inzestvermeidung, Nahrungsmittelpräferenzen, Nahrungspflanzen identifizieren, Grammatik erlernen, Partnerwahl, Vermeidung von giftigen Schlangen, Werkzeuggebrauch, Interpretation von sozialen Situationen, Eifersucht, Freundschaft, Gesichtserkennung, Bildung von Allianzen und viele mehr (vgl. Tooby und Cosmides 1992, S. 110). Tatsächlich wird angenommen, dass hunderte oder gar tausende solcher Module zu erwarten sind.

Das jeweilige Problem für das ein Modul selektiert wurde stellt dessen

„Domäne“ dar, d.h., jedes Modul wird nur auf Input reagieren, welcher der entsprechenden Domäne zuzuordnen ist. So wird ein Modul, das für Gesichtserkennung zuständig ist, nur auf Formen reagieren, die den formalen Anforderungen von Gesichtern entsprechen.

Modularität bezeichnet also eine Eigenschaft des menschlichen Geistes, wobei

„Module“ Einheiten bezeichnen, die sich durch einen bestimmten Aufgabenbereich, ihre Domäne, charakterisieren lassen und eine spezifische, adaptationistische Erklärung erfordern.14

Der von der Evolutionären Psychologie postulierte Aufbau des Geistes wird dann genutzt, um menschliche Verhaltensweisen zu erklären. Die Arbeitsweise der psychologischen Mechanismen und ihre ursprünglichen Funktionen erklären bestimmte Verhaltensweisen, die z.B. in allen Kulturen zu beobachten sind. So soll beispielsweise die Arbeitsweise des Moduls für Nahrungspräferenzen erklären, warum Menschen aus allen Kulturen besonders süße und fettige Speisen bevorzugen. Die Erklärung von menschlichem Verhalten gehört demnach zu den Zielen der Evolutionären Psychologie.

Die spezifischen Module im Geist konstituieren dabei die unveränderlichen Aspekte der angeborenen, menschlichen Natur. In diesem Zusammenhang lassen sich die Arbeitsweisen der Module mit Instinkten und Reflexen in Verbindung bringen. Module, so die Annahme, reagieren so automatisch wie Instinkte auf einen bestimmten Input.

Variabilität im Verhalten wird laut Evolutionären Psychologen nur dadurch erreicht, dass

14 Wie ich im fünften Kapitel noch zeigen werde, kann die Theorie der Modularität des Geistes aber auch als eine These über die Architektur Gehirns interpretiert werden, die von evolutionären Überlegungen unabhängig ist.

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es eine große Vielzahl von Modulen gibt: „Therefore, what is special about the human mind is not that it gave up ‚instinct‘ in order to become flexible, but that it proliferated

‚instincts‘- that is, content-specific problem-solving specializations […]“ (Tooby und Cosmides 1992, S. 113). Es wird weiterhin angenommen, dass die psychologischen Mechanismen genetisch determiniert sind bzw. sein müssen, damit natürliche Selektion darauf wirken kann. Demnach liegt jedem Modul ein „genetisches Programm“ zugrunde, welches dessen grundlegendes Design festlegt (vgl. Pinker 1997, S. 21). Der menschliche Geist erscheint als im Wesentlichen unveränderbar und durch uralte, universale Mechanismen gesteuert.

1.2.1.2 Plastizität als Problem für die Annahme der massiven Modularität?

Der Mensch wird aber im Allgemeinen auch als ein Lebewesen beschrieben, das durch eine hohe Plastizität ausgezeichnet ist (z.B. Lerner 1984). Dazu gehört seine Anpassungsfähigkeit an die verschiedensten Umweltverhältnisse oder Änderungen der Umwelt. Das Mittel der Anpassung sind Verhaltensänderungen durch Lernen oder das Ausbilden von Gewohnheiten. Das Gehirn wird in diesem Kontext als ein Organ beschrieben, das diese Plastizität des Verhaltens ermöglicht, aber selbst auch Plastizität zeigt: „The human mind is not just an organ of behavioral plasticity par excellence; it is an organ of developmental plasticity par excellence” (Sterelny 2003, S. 166). Unser Gehirn befähigt uns zum Lernen und zum Erwerben neuer Verhaltensweisen, die eine Reaktion auf veränderte Umweltbedingungen sein können. Der Prozess des Lernens wiederum beinhaltet und beruht selbst auf Veränderungen des Gehirns, auf dessen Plastizität. Wie die Betrachtung des Begriffs der Plastizität in den Kognitionswissenschaften gezeigt hat, wird die Plastizität des Gehirns oder die neuronale Plastizität häufig als Voraussetzung für die Fähigkeit des Lernens und jeder Verhaltensänderung betrachtet. Was ist nun das Verhältnis von Modularität und Plastizität im Fall von Geist und Gehirn? Bedingen sich Modularität und Plastizität in dieser Hinsicht oder besteht hier ein Konflikt?

Einige Autoren scheinen einen Konflikt zwischen der zu beobachtenden Plastizität des Menschen und der postulierten Modularität des Geistes anzunehmen. Ein gutes Beispiel für die Annahme, dass Modularität und Plastizität in einem Konflikt zueinander stehen, findet sich bei Sterelny (2012). Dort wird eine Theorie der menschlichen Evolution entworfen, die auch die speziellen kognitiven Fähigkeiten des Menschen erklären können

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soll, aber sich entscheidend von dem Programm der Evolutionären Psychologie absetzt.15 Die Idee der massiven Modularität wird von Sterelny mit dem Hinweis auf die Plastizität des menschlichen Verhaltens abgelehnt:

If our minds are (mostly) ensembles of (largely) prewired modules, then human nature is largely the same everywhere and when. But we are pervasively and profoundly phenotypically plastic: our minds develop differently in different environments. (Sterelny 2012, S. 5)

Wenn der menschliche Geist hauptsächlich aus vorverdrahteten Modulen bestehen würde, so argumentiert Sterelny, dann müsste die kognitive Entwicklung von Menschen in allen Umwelten sehr ähnlich sein und wir könnten keine großen Unterschiede im menschlichen Verhalten feststellen. Die menschliche Natur wäre damit starr und festgelegt. Dies wird aber mit dem Hinweis auf die phänotypische Plastizität bestritten. Menschen entwickeln sich laut Sterelny in unterschiedlichen Umwelten eben unterschiedlich. Dazu gehört, dass sie in unterschiedlichen Umwelten unterschiedliches Verhalten zeigen.

Ein weiteres Beispiel für eine Position, die einen Konflikt zwischen Modularität und Plastizität sieht, findet sich bei Buller und Hardcastle (2000). Unter der Plastizität des Gehirns verstehen Buller und Hardcastle die Fähigkeit des Gehirns zur kontinuierlichen Umorganisation und zum Wachstum als Antwort auf Anforderungen der Umwelt.

Beispielsweise würde beim Verlust eines Fingers, die entsprechende Gehirnregion im Kortex, welche auf den somatisch-sensorischen Input des Fingers reagierte, abnehmen. Die benachbarten Regionen dagegen würden sich ausdehnen, bis von der ehemals funktionalen Gehirnregion nichts mehr übrig bleibt (vgl. Buller und Hardcastle 2000, S. 311). Solche Änderungen sind nicht nur in kritischen Entwicklungsperioden, sondern während des ganzen Lebens möglich. Die beste Erklärung für die Plastizität des Gehirns besteht laut Buller und Hardcastle darin, dass alle Regionen im Gehirn nicht nur Input einer Sorte verarbeiten. Selbst spezialisierte Gehirnregionen erhalten ständig sekundären Input aus anderen Regionen, was durch Studien mit den bildgebenden Verfahren der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) bestätig würde: „In each case, we see areas of cortex allegedly dedicated to processing one sort of information process very different sorts of information as well. And these areas change as the environmental stimuli change“ (Buller

15 Sterelny verwirft die zentrale Annahme der Evolutionären Psychologie, dass die Umwelt, in der sich die menschlichen kognititven Fähigkeiten evolviert haben, stabil gewesen sei. Die Umwelt der menschlichen Evolution war laut Sterelny physikalisch und biologisch instabil. Dasselbe gilt für die soziale Umwelt des Menschen, die ebenfalls Veränderungen im Laufe der Zeit erfuhr (vgl. Sterelny 2012, S. 4-5). Sterelnys Ansatz lässt sich damit in die Reihe von Ansätzen einordnen, die Plastizität als eine evolutionäre Antwort auf komplexe, sich schnell ändernde Umwelten ansehen.

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und Hardcastle 2000, S. 312). Diese Ergebnisse seien unvereinbar mit der Postulierung von spezialisierten Modulen, welche durch Domänenspezifität und Datenkapselung charakterisiert werden: „Brain plasticity belies the idea of encapsulated modularity, for our information-processing streams are not really seperate streams at all“ (Buller und Hardcastle 2000, S. 311).16

Die Einwände, welche auf dem Begriff der Plastizität beruhen, können hier noch nicht erschöpfend behandelt werden, aber es sollte deutlich geworden sein, dass hier ein problematisches Verhältnis behauptet wird. Im fünften Kapitel werden die Einwände wieder aufgenommen und im Rahmen der mechanistischen Perspektive analysiert und so nachvollziehbarer. Dort wird sich auch zeigen, dass verschiedene Arten von Einwänden unterschieden werden können. Es bleibt festzuhalten, dass die Plastizität des Gehirns als Einwand genutzt wird, um gegen die These der massiven Modularität zu argumentieren, wie sie im Rahmen der evolutionären Psychologie vertreten wird. Während die Kritiker die Plastizität des Gehirns in Opposition mit der postulierten massiven Modularität sehen, wehren sich Vertreter der massiven Modularität des Geistes gegen die Einwände und verweisen auf die Verwendung der Begriffe in der Biologie. Die Behauptung ist, dass Modularität und Plastizität dort keineswegs als Gegensätze behandelt werden.