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5.1 Die massive Modularität des Geistes Redux

5.1.1 Die Massive Modularität des Geistes in der Evolutionären Psychologie

5.1.1.4 Argumente für massive Modularität

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dass Funktion im Rahmen der Evolutionären Psychologie als ätiologische Funktion verstanden wird. Mit Funktion wird in diesem Sinne derjenige Effekt eines Moduls bezeichnet, welcher für die Selektion dieses Moduls in der evolutionären Vergangenheit verantwortlich war. In dieser Hinsicht identifiziert die Funktion eines Moduls nicht nur, welchen Beitrag ein Modul zu den kognitiven Fähigkeiten eines Menschen leistet, sondern erklärt auch, warum es überhaupt existiert.54

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Kurzban 2006, 629-630). Erstens wird eine große Anzahl von spezialisierten Einheiten Informationen effektiver und schneller verarbeiten als eine oder nur wenige allgemein zuständige Einheiten. Wir sollten also erwarten, dass sie auch schneller Antworten in der Form von Verhalten produzieren, was wiederum zur Fitness beitragen wird. Zweitens können spezialisierte Einheiten bereits Informationen über ihren Aufgabenbereich enthalten und vermeiden Probleme der computationalen Überforderung. 55 Für computationale Systeme, die nicht spezialisiert sind, gibt es eine unüberschaubare Menge an möglichen Folgerungen aus den jeweils verfügbaren Informationen, so dass enorme Ressourcen oder großer Zeitaufwand nötig wären, um Entscheidungen zu treffen und entsprechendes Verhalten zu produzieren. Bekannt sind solche Überlegungen auch in Bezug auf Sprache, wo argumentiert wird, dass die sprachliche Information, die einem Kind beim Erlernen einer Sprache verfügbar ist, eine schier unendliche Menge an möglichen Interpretationen zulässt. Es bedarf daher zum Erlernen einer Sprache eines spezialisierten Systems, welches bereits Informationen über Grammatik besitzt (Chomsky 1965). Drittens, wird von Barrett und Kurzban die Bandbreite von verschiedenen adaptiven Problemen angeführt, die sich einem Organismus stellen. Diese enorme Bandbreite von Problemen erfordert eine Vielzahl von speziellen computationalen Systemen. Kein einzelnes System könnte eine solche Bandbreite abdecken.

Alle drei Punkte verweisen auf die Domänenspezifität als zentrales Merkmal von Modulen. Die spezialisierten und von der Selektion bevorzugten „kognitiven Mechanismen“ sind effektiver, so die Annahme, weil sie nur bestimmte Formen von Input verarbeiten. Sie verarbeiten nur solchen Input, der für das jeweilige Aufgabengebiet relevant ist und damit ihre Domäne repräsentiert. Domänenspezifität, Fodors Kriterium (1), wird als eine notwendige Folge der funktionalen Spezialisierung gesehen und somit zu einem der wichtigsten Kriterien für Module. Ohne den Bezug auf Domänenspezifität könnte nicht erklärt werden, worin die Spezialisierung eines Moduls besteht und was diese so effektiv macht. Die Domäne eines Moduls wird dabei nicht durch inhaltliche Aspekte oder die Bedeutung ihrer Elemente definiert, sondern durch die rein formalen Eigenschaften der verarbeiteten Repräsentationen (vgl. Berrett und Kurzban, 630). Damit ein Modul sich auf die Fitness auswirkt, muss es aber auch einen entsprechenden Output produzieren, der ebenfalls abhängig von ihrer funktionalen Rolle im Gesamtsystem ist und sich schließlich im Verhalten zeigen muss.

55 Probleme der computationalen Überforderung sind in der Literatur zur Philosophie des Geistes auch als frame problem, problem of relevance oder problem of combinatorial explosion bekannt.

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Der von der Evolutionären Psychologie verwendete Begriff der Modularität erlaubt auch hierarchische Verhältnisse zwischen Modulen. Module können auch hierarchisch organisiert sein, so dass mehrere Module zur Bewältigung eines bestimmten Problems zusammenarbeiten. Der Output eines Moduls kann dann auch in einem Input für die Weiterverarbeitung in anderen Modulen bestehen. Der weitergegebene Input muss dann natürlich die spezifischen formalen Eigenschaften aufweisen, die das jeweilige Modul akzeptiert. Letzen Endes muss der gemeinschaftliche Output der module auch in diesem Fall als Verhalten nach außen sichtbar werden.

Neben den evolutionären, adaptationistischen Überlegungen, die als Argumente für die These der massiven Modularität herangeführt werden, finden sich auch sogenannte Argumente (arguments from design) für die massive Modularität. Die Design-Argumente sind natürlich eng mit den adaptationistischen Überlegungen verwandt, werden aber häufig in einem ähnlichen Schema präsentiert, wie das transzendentale Argument Lewontins für die Quasi-Unabhängigkeit. Ein Beispiel für diese „biologischen Design-Argumente“ findet sich bei Peter Carruthers (2006, S. 25):

(1) Biologische Systeme sind gestaltete Systeme, die schrittweise (durch natürliche Selektion) „konstruiert“ werden.

(2) Gestaltete Systeme müssen notwendigerweise eine modulare Organisation aufweisen, wenn sie komplex sind.

(3) Der menschliche Geist ist ein biologisches (und damit gestaltetes) System, welches auch komplex ist.

(4) Daher muss der menschliche Geist modular in seiner Organisation sein.

Es wird davon ausgegangen, dass jedes Element, welches schrittweise zu einem komplexen System hinzugefügt wird, ein „quasi-unabhängiges“ Subsystem sein muss, ein Modul, auf welches natürliche Selektion wirken kann, ohne dass die Funktionalität des ganzen Systems betroffen ist.

Laut Carruthers spielt es keine Rolle, ob der Designer eines Systems natürliche Selektion oder menschliche Ingenieure sind. In jedem Fall wird das Argument voraussagen, dass jedes Element, welches dem Design hinzugefügt wird, in einem funktionalen Untersystem realisiert werden sollte. Im Hintergrund von Carruthers Argument stehen Überlegungen, die denen von Lewontin sehr ähnlich sind, die aber auch

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durch die Uhrmacher-Parabel von Simon (1996) inspiriert sind.56 Das Hinzufügen neuer funktionaler Elemente zu einem komplexen System darf nicht zu Veränderungen in den anderen Einheiten des Systems führen und der Funktionsverlust eines Elementes darf nicht dazu führen, dass das System im Ganzen seine Funktionalität verliert. Modularität wird auch hier zu einer notwendigen Bedingung für das Design komplexer, biologischer Systeme.

Gegen Carruthers kann man kritisch einwenden, dass fälschlicherweise davon ausgegangen wird, dass Modularität in der Biologie ein einheitlicher Begriff sei. Der im Argument verwendete Begriff von Modularität wird nicht weiter spezifiziert. Trotzdem wird davon ausgegangen, dass er für alle biologischen, komplexen Systeme zutreffend sei.

Allerdings hat sich gezeigt, dass es eine Pluralität von Begriffen in der Biologie gibt. In welchem Sinne ein biologisches System als modular aufgefasst werden kann, ergibt sich im konkreten Rahmen einer theoretischen Perspektive und einer Fragestellung. Um Module in einem System zu bestimmen, wird ein Partitionsrahmen im Sinne Winthers (2006) benötigt, der angibt nach welchen Kriterien ein System zerlegt werden soll. Selbst bei einer sehr abstrakten Betrachtung muss der Unterschied zwischen struktureller und funktionaler Modularität beachtet werden.

Nun wird allerdings mit dem Begriff der Modularität im Sinne von Quasi-Unabhängigkeit in der Biologie auf eine notwendige Bedingung für die in kleinen Schritten verlaufende Anpassung von Organismen an ihre Umwelt durch natürliche Selektion verwiesen. Selbst unter der mechanistischen Perspektive wird (ein gewisser Grad an) Modularität als eine notwendige Vorannahme für das Finden und Formulieren von mechanistischen Erklärungen interpretiert. Dazu ist allerdings noch einmal anzumerken, dass die Annahme von Modularität in der mechanistischen Perspektive nur eine Heuristik ist und sich damit auch als falsch herausstellen kann. Es handelt sich in dieser Hinsicht nicht um eine notwendige Bedingung für das Design komplexer, biologischer Systeme.

56 Simons Uhrmacher Parabel (vgl. Simon 1996, S. 188) handelt von den Uhrmachern Hora und Tempus.

Beide stellen Uhren her, die jeweils aus tausend Teilen bestehen. Und beide werden durch regelmäßige Anrufe von Kunden unterbrochen. Im Fall von Tempus ist jede Uhr eine Einheit die in tausend Arbeitsschritten hergestellt wird. Wird Tempus nun durch einen Anruf unterbrochen, so zerfällt die Uhr vollständig. Hora dagegen setzt jeweils zehn Teile zu einer stabilen Einheit zusammen. Zehn dieser stabilen Einheiten bilden wiederum eine Einheit auf einer höheren Ebene und zehn solcher höherstufigen Einheiten bilden dann die Uhr. Wenn Hora durch einen Kunden unterbrochen wird, verliert er höchstens neun Arbeitsschritte. Tempus dagegen kann bis zu 999 Arbeitsschritte verlieren, wenn er kurz vor Vollendung einer Uhr unterbrochen wird. Simon will verdeutlichen, dass die Zeit, die es braucht, um ein komplexes System aus einfachen Elementen zu bilden, davon abhängt, wie viele stabile Zwischenformen verfügbar sind.

Systeme, die über hierarchisch organisierte, stabile Untereinheiten verfügen, haben einen evolutionären Vorteil. Störungen bedrohen nicht das gesamte System und vorherige Erfolge können erhalten werden.

Simon verweist damit auf die Bedingungen der Evolution komplexer Systeme.

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In Bezug auf die Quasi-Unabhängigkeit lässt sich sagen, dass selbst in diesem Fall nicht nur funktionale Kriterien eine Rolle spielen. Selbst in der Evolutionsbiologie sind neben funktionalen auch strukturelle Kriterien zur Identifikation von Modulen wesentlich.

Modularität im Sinne der Quasi-Unabhängigkeit wird nicht nur durch rein funktionale Kriterien bestimmt. Es werden auch strukturelle Kriterien angeführt. So wird beispielsweise gefordert, dass es nur wenig pleiotropische Effekte zwischen den Genen zweier Merkmalskomplexe geben darf. Eine gewisse Spannung ergibt sich nun daraus, dass die Vertreter der massiven Modularität einen rein funktionalen Begriff von Modularität verteidigen, der aber gleichzeitig ein biologischer Begriff von Modularität sein soll.

Die mechanistische Perspektive kann diese Spannung ein Stück weit aufheben, indem die MMT als funktionale Dekomposition und damit als erster Schritt zum Finden mechanistischer Erklärungen interpretiert wird. Im Folgenden wird gezeigt, dass es in der Debatte abseits der evolutionären Überlegungen auch darum geht, eine Beschreibung des