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5. Körper und Körperlichkeit – verschiedene Perspektiven

5.2 Körpersymbolik im traditionellen Judentum

5.2.3 Das Haar

Ursprünglich erfüllten Haare eine Reihe von Aufgaben. Der Pelz unserer frühen Vorfahren regulierte die Körpertemperatur, verhinderte Verletzungen und fungierte als Sinnesorgan. Das Haarkleid des Menschen hat seit Beginn der Evolutionsgeschichte wichtige, zum Teil lebensnotwendige Funktionen übernommen. Sie lassen sich primär als Schutz vor äußeren Einflüssen beschreiben. So bewahrte die ursprünglich wesentlich stärker ausgeprägte, den gesamten Körper bedeckende Behaarung den Menschen vor Kälte und übermäßiger Sonnenbestrahlung, vor Schmutz und Verunreinigung sowie vor mechanischen oder chemischen Einwirkungen (Hohenwallner 2001, 1-5). Im Laufe der Weltgeschichte und mit der Entwicklung des Kleidungsstoffes verlor das Haar seine schützende Bedeutung. Uns bleibt manchmal nur ein Reflex, den wir noch spüren und den wir schon lange nicht mehr

151 Das Herz in Sprache und Literatur z.B. aus der Goethezeit (Goethe, Novalis und Hauff) siehe: Berkemer &

Pappe 1996, 173-209.

brauchen: droht Gefahr, stellen sich die Haarwurzeln auf – uns sträubt sich der „Pelz“.

Geschichtlich gesehen betrachtet man eine Entwicklung des Haares von der Schutzfunktion zur Schmuckfunktion. Die Kleidung übernahm die Schutzfunktion des menschlichen Haares.

Die Bedeutung von Haaren liegt heute eher im ästhetischen und nicht zuletzt im erotischen Bereich. Sie symbolisieren Schönheit und Jugend und sind wohl auch sexuelles Lockmittel, weil Krone und Zierde des Hauptes das Haar ist (Schroer & Staubli 1998, 107). Wenn man heute von Haare in Verbindung zu Schönheit und Erotik redet, dann soll man zwischen Kopf- und Körperbehaarung unterscheiden. Während die Kopfbehaarung immer noch als „Krone“

und „Zierde“ in unserer Kultur anzusehen ist, bekommt das Körperbehaarung vielmehr die Funktion eines Störfaktors, ist im Sinne Jeggles (1996, 144-158) als „animalisches Erbe“ zu sehen, welches uns kultivierte Menschen an der Ursprung unseres Beginn schleudert.

In der Untersuchung der Körperbehaarung von Somogai (1982, 94-95) wird behauptet, dass die Brustbehaarung als Beispiel kein Symbol der Männlichkeit sei. Sie sei hässlich und nähere den Menschen dem Tier an. Sie sei ein Zeichnen des Mangels an Feinheit und Kultur. Auch behaarte Hände und Arme seien nichts anders als ein Symbol von Esau ( Jäger). Ein behaarter Mann sieht grob und prost aus. Behaarte Brust bei Männern erinnert an Affen. Nach Somogai seien behaarte Arme weniger abstoßend als eine behaarte Brust (ebd.1982, 94).

Die kulturelle Nachfrage nach einem „glatten Körper“ und die Steigerung an technischen Verfahren zur Erreichung des „gesellschaftlichen“ Schönheitsideals lassen uns vermuten, dass die zukünftige Gesellschaft in ihren Individuen zunehmend unbehaart sein wird. Die Filmproduktion als eine gewisse Spiegelung unsere Leistungsgesellschaft, geht sogar noch ein Schritt weiter und es scheint, dass die Ikonographie Hollywoods152 in mehreren Science-Fiction Filmen (z.B. Star Wars) schon vor vielen Jahren Gesicht, Kopf und Körper einer zukünftigen Gesellschaft vorentworfen haben. Dort kämpf ein kultivierter Glatzkopf-Mensch gegen haarige Gegner aus niedrigen Kulturen. Für die Darstellung biblischer Szenen „spielt“

das Haar aber eine große Rolle.153

Nach dieser auf die Zukunft gerichteten Sichtweise scheint das Haar in unserer Kultur immer weniger und weniger zu sagen zu haben. Trotzdem bleibt dem Kopfhaar Aufmerksamkeit sicher, so in der Geschlechterwahrnehmung, wenn etwa ein heterosexueller Mann das schöne, duftige, lange Haar einer Frau sieht. Der enorme Aufwand an Färbung und Tönung des

152 Ikonographie als kulturwissenschaftliches Verfahren siehe: Hägele 1998.

153 Engel haben Locken, Marias Haare und die anderer heiliger Frauen sind lang und schlicht gescheitelt. Jesus als jugendlicher Rebell, Pazifist und Anhänger einer Protestbewegung trägt lange Haar und ist meist glatt im Gesicht. Sein Gegenspieler Herodes und dessen Legionäre und der Vertreter des römischen Militärs und der Staatmacht Pilatus, haben wiederum einen Kurzhaarschnitt, um die Haartracht an dem Kampfhelm anzupassen....

(Flocke & Nössler & Leibrock 1999, 53-60).

Haares für beide Geschlechter, ganz zu schweigen von merkwürdigen und abgefahrenen Frisuren, zeigt vielmehr die Breite des gesellschaftlichen Phänomens.154 Durch die ihm beigegebene Bedeutung als Sitz des Lebens ist das Haar zu einem besonderen Symbolträger geworden; ihm gilt die ganze Pflege und Aufmerksamkeit des Menschen, der sich durch sein Haar repräsentiert sieht (Jedding-Gesterling & Brutscher 1988, 9).

Diese (Selbst)Repräsentation hat sogar einen evolutionsbiologischen Hintergrund. Beide Geschlechter teilen durch gepflegtes Haar mit: Ich bin vital und potent. Das Haar wird nach wie vor als Erbgut, als Schönheitssymbol und als erotisches Stimulans wahrgenommen. Eine israelische Zeitung berichtet sogar vom Haar und seinem Stellenwert auf dem Arbeitsmarkt.155

Schon der römische Dichter Publius Ovidius Naso räumte in den zwanziger Jahren des letzten vorchristlichen Jahrhunderts dem Haar eine besondere Stelle ein. Als kreativer Dichter und erfahrener, geschmackvoller Kenner des weiblichen Geschlechts wusste Ovidius nur zu gut von der enormen erotisierenden Wirkung langen, dichten Frauenhaars auf die Männerwelt, was in seiner Dichtung auch stets zum Ausdruck kommt. Bei Ovidius finden sich die meisten Stellen, an denen das Haar der Frau als ihr schönster natürlicher Schmuck gelobt und seine elementare Bedeutung in der Kunst der Verführung unterstrichen wird (Hohenwallner 2001, 11-21). In dieser Zeit des biblischen Israels wurden Zärtlichkeit und Erotik durch Erwähnung von Körperteile nicht zu kurz kommen. Das Alte Testament kennt viele Fachbegriffe, die sich auf das Haar und seine Pflege beziehen (Schroer & Staubli 1998, 107). Es fällt deshalb auf, wie oft das Alte Testament von der Schönheit israelitischer Frauen und Mädchen zu erzählen weiß, so bei Sara, Rebekka, Rachel, Tamar, Batscheba, Judit und Ester. Im Hohelied des Alten Testaments wird der Dichter nicht müde, die Schönheit der Geliebten zu preisen. Das Hohelied kennt alle Stufen der Schönheit.

„Deine Augen sind Tauben hinter deinem Schleier. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die an den Abhängen des Gebirges Gilead lagern....“ (HL 4, 1).

Der Ziegenbock aus dem Höhenlied ist nicht zufällig erwähnt und heißt im Hebräischen „der Haarige“ (ohzhg rhga). Im Hohelied wird er als Symbol der Schönheit verwendet, obwohl seine ursprüngliche Symbolik eigentlich Vitalität und Potenz konnotiert. (Schroer & Staubli 1998, 111).

Haar, Schönheit und Sexualität bilden einen untrennbaren Zusammenhang. Das Haar der Frau

154 Siehe auch die Tagezeitung „Schwäbisches Tagblatt“ vom 17.02.2003.

155 Die israelische Zeitung „Maariv“ berichtete am 07.02.03 von einer Studie, welche das Haar als Entscheidungskriterium für Vorstellungsgespräche um einen Job bezeichnet. Menschen mit Glatze haben weniger Chancen um einen Job als Menschen die mit Kopfbehaarung.

verweist auf das Geschlecht, das verborgen ist. Es soll verhüllt sein und heißt nicht zufällig

„Scham“. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die jüdischen Heiligen Schriften den religiösen Frauen das Zeigen des eigenen Kopfhaares verbieten. Man wäre sicherlich ins Trudeln geraten, wenn es im Judentum allein um das Erfühlen der Zehn Gebote gegangen wäre. Denn nach mindestens zweien der Gebote kann man sich in Sünde begeben; eines verbietet es dem Mann, die Frau des Nachbarn zu begehren. Inzwischen rebellieren Frauen in der Orthodoxie gegen das Zeigensverbot.156

Außer als Schönheitsideal und erotisches Stimulans hat das Haar im orthodoxen Judentum auch eine magische Funktion, die schon im Kinderalter beginnt. Mit drei Jahren werden die orthodoxen Kinder zu einer großen Feier eingeladen. Der Ort ist ein Grab von einem großen Rabbi. Dort bekommen die Kinder einen kürzeren Haarschnitt; dies symbolisiert gleichzeitig den Anfang eines strengen, orthodoxen Lebens157. Das geschnittene Haar wird sofort verbrannt, weil man glaubt, dass das Haar die Kinder stumm macht (Liliental 1908, 12) oder die Intelligenz und den Verstand des Kindes verschattet (Schauss 1970, 82).

Das Haar auf dem Hinterkopf spielt nur bei Kindern eine bedeutende Rolle, während bei Männern nur das Gesichtshaar (Vollbart und Schläfenlocken) eine tiefe religiös-mystische Bedeutung erhält. Die Träger von Weisheit und Würde, Lehre und Gesetz, wie Moses und die Apostel, hatten einen Bart (Flocke & Nössler & Leibrock 1999, 53). Bart und Pejes (Schläfenlocken) verliehen dem orthodoxen Mann Würde und symbolisieren das gottgeschaffene Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Frau (Somogai 1982, 84-96). Man muss nur Bilder und Photos von berühmten Rabbis betrachten, die in jedem orthodoxen Haus zu finden sind und auch sichtbar angebracht sind, um diesen Sichtpunkt der Würde von Haar (Vollbart und Schläfenlocken) besser verstehen zu können. Berühmte Rabbiner werden immer mit vollem weißem Bart und langen Schläfenlocken dargestellt. Bei religiösen Vorträgen kann man beobachten, dass vor, während und nach dem Vortrag die Rabbiner den Bart kämmen oder ihn oft mit der Hand oder den Fingern berühren.

Das Charakteristische am Gesicht des jüdischen Mannes waren der Bart und die „Pejes“.

Zusammen mit der „orthodoxen“ Kleidung und deren Erkennungsfarbe galten Bart und Pejes schon im Mittelalter als männliche, jüdische Merkmale (Maier 1973, 519). Nach der Kabbala ist das menschliche Gesicht – da gottebenbildlich – heilig, und folglich ist es verboten, den Bart zu beschädigen.158 Infolgedessen werden Bärte von manchen, extremen orthodoxen

156 Siehe Abschnitt 6.6.1.

157 Von diesem Moment an müssen die Kinder eine Kopfbedeckung, die Kipa, tragen.

158 An dieser Stelle möchte ich den Zusammenhang zwischen „Schere und Macht“ erwähnen. In spektakulären

Strömungen weder gekämmt noch sonst gepflegt. Bart und Pejes sind so heilig, dass sie nur in Notfällen berührbar sind.159

Die Haare besitzen eine Vitalität und Wandlungsfähigkeit, die zu Symbolisierungen herausfordern. Anders als andere Körperteile des Menschen liegt die besondere Bedeutung des Haares in ihrer Beschaffenheit. Sie wachsen immer wieder nach. Das Handbuch des deutschen Aberglaubens (1930) ist als Beispiel für eine reichhaltige Quelle für obskure Haarpraktiken und Obsessionen. Rituelle Schneide-Vorschriften, Haaropfer und Haarzauber lassen sich in allen Kulturen beobachten (Benthien & Wulf 2001, 28-29). In den Haaren wohnt die Kraft des Lebens und die Macht der Liebe (Jeggle 1996, 149). Das Haar birgt den Seelenstoff, in ihm liegt die Kraft, denn es wächst immer weiter, im Volksglauben noch nach dem Tod (Hansmann & Kriss-Rettenbeck 1977, 130). Mit der Vorstellung, dass ein Teil auch losgelöst vom Ganzen stets dem Ganzen verbunden bleibt, wurden mit abgeschnittenem Haar die unterschiedlichsten Heil- und Liebeszauber verbunden. Die Einstellung, dass man mit dem Abschneiden der Haare seine Kraft verliert und sich in die Gewalt oder Obhut desjenigen begibt, in dessen Besitz sie gelangen, spielt dabei eine große Rolle.

Simson verliert erst dann seine Kraft und wird besiegt, nachdem ihn Delilah seines Haupthaares beraubt hat ( SDBS 1987, 10). Kein Schermesser, heißt es, sei von Geburt an auf sein Haupt gekommen (Richter 13, 5). Und in den ungeschorenen Haaren liegt, so will es der Mythos der Geschichte, auch das Geheimnis seiner unbeschnittenen, übermenschlichen Kraft.

Voll blinder Selbstsicherheit setzt er sie ein, chaotisch und zerstörerisch, und treibt immer tiefer hinein in den Kreislauf der Gewalt (Richter 13, 16). Buchstäblich mit seinem Haar verfängt sich Simson in Delilahs System, das sich letztlich stärker erweist als Simsons Kraft (Flocke & Nössler & Leibrock 1999, 57-58).

Wer sich in den Besitz von Haaren eines anderen setzt, erlangt Macht über ihn (Koenig 1975, 230). Während die Kraft und Länge des Haares in den Geschichten des Alten Testamentes in

Aktionen wurden viele Juden aus der Diaspora nach Israel gebracht. Mit der Operation „Fliegender Teppich“

wurden sie aus dem Jemen geholt (Ben-Gurion 1966, 42). Nach ihren Erzählungen und belegbar aus Dokumenten jener Zeit (1949) wurden den nach Israel Gebrachten von den ersten, säkularen Pionieren (Zionisten) in Israel sofort bei der Ankunft „Bart und Pejes“ abgeschnitten, und zwar, um das „einheitliche Aussehen der Nation“ in Israel zu gewährleisten. Die jemenitischen Immigranten empfanden diese Aktion als Akt der Misshandlung und Erniedrigung (Nach persönlichen Erzählungen von jemenitischen Immigranten). Das Haarschneiden als Strafe und Demütigung ist alt. Es scheint eine Überlieferung zu bestehen, die diesen Zusammenhang zwischen Ordnung und Frisur, Haarlänge und Freiheit festschreibt (Jeggle 1996, 147). Die Pioniere in Israel wollten keinen Mensch bestrafen, jedoch wurde ihr Akt des Abschneidens als solche wahrgenommen. Ohne direkte Absicht sind die säkularen Zionisten zu Tätern geworden, die Tradition und Kultur ihrer Brüder nicht geachtet haben.

159 Im Golfkrieg 1991 war die Bedrohung durch Giftgas in Israel sehr hoch. Deshalb wurden Gasmasken an allen Bürger in Israel verteilt. Für die Orthodoxen hätte die Gasmaske aber keine Wirkung gehabt, wenn das Bart vorher nicht rasiert worden wäre. Die meisten Orthodoxen rasierten sich nicht, weil nach ihrer Auffassung die Gefahr aus dem Irak noch nicht hochbedrohlich war.

erster Linie mit dem Haar des Mannes verbunden werden, findet sich in Mythen, Legenden und Märchen eine Fülle von Geschichten, die von der besonderen Magie und der praktischen Nützlichkeit160 des weiblichen Haares erzählen.161

Menschliches Haar galt in Religion und Volksglauben als ein besonderes, mit magischen Qualitäten behaftetes Material. Archäologische Funde von Kämmen, Bürsten, Pomaden und Schmuckstücken zeigen, dass das Haar bereits in früheren Zeiten für die Menschen ein Gegenstand ständiger Aufmerksamkeit und Sorge gewesen ist (Benthien & Wulf 2001, 29).

Es wurde als Sitz von Kraft und Leben angesehen, und vielerlei Bräuche und Riten bis hin zu Zauberrezepten bestimmten den Umgang mit ihm noch weit bis ins 19. Jahrhundert hinein, wodurch Haarobjekte gleichwohl für viele Menschen als Sonderform des privaten Denkmals eine wichtige Rolle im Umgang mit Trauer und Erinnerung spielten (ZuMfS 1994, 79-84).

Von der biblischen Erzählung vom behaarten und vom glatten Mann, Jakob und Esau, vom kräftigen Simson, vom schönen Absalom (Samuel II 14, 25 und 18, 9-18) und vom Propheten Elisa162 (Könige II 2, 23-25), bis hin zu zahlreichen Märchen- und Sagenstoffen, vom Haaropfer in der Antike für einen Toten bis hin zu den rituellen Haarschnitten bei Mönchen und Nonnen, bei Täuflingen oder Bräuten, reicht ein breites Überlieferungs- und Bedeutungsspektrum.

Auch in der Malerei und der Literatur wurde die magische Kraft des Haares thematisiert. Bei Munch163 sind Haare als Falle dargestellt, wodurch der Mann zum Opfer fällt, und dem Jüngling in Goethes „Die Braut von Korinth“ wird die Liebesgabe einer Locke von seinem Haupt zum tödlichen Verhängnis (ZuMfS 1994, 79-84).

Jede Epoche, jede kulturelle Gruppe hat ihren Haarstil; ihren Ausweis, der Auskunft über den jeweiligen gesellschaftlichen Ort gewährt, an dem der Haarträger sich sehen möchte; oder über die ständischen Strukturen, in die er einzuordnen ist (Jeggle 1996, 153-154). Für die orthodoxen Juden in Israel sind Haare, die sie einer bestimmten Gruppe zuordnen, ein

160 Vom direkten Nutzen der Haare, siehe Jeggle 1996, 145-147.

161 Während die Schlangenhaare der Gorgo-Medusa den Schrecken schlechthin repräsentieren, haben lange Haare in Märchen häufig einen eher praktischen Nutzen: Rapunzels Haar ist so lang und kräftig, dass der Geliebte daran hochklettern kann. Wenn die Haar nur lang genug sind – wie im Fall der schönen reuigen Sünderin Maria Magdalena, die Jesus mit ihren Haaren die Füße abtrocknet –, können sie sogar zum Handtuchersatz werden (Benthien & Wulf 2001, 30).

162 Elisa wurde von Lausbuben aufgrund seine Glatze ausgelacht. Hier wird das Haar gleich als die Würde eines Menschen gesehen was bedeutet, dass ein Prophet mit einer Glatze ein Widerspruch in sich ist. Wenn der Kopf mit Phallus und das Haar mit dem Samen gleichgesetzt wird, dann kommt Haarlosigkeit der Kastration und Geschlechtslosigkeit gleich (siehe auch Jeggle 1996, 149-150). In diesem Sinne war das Auslachen gegen Elisa als Angriff auf seine „Potenz“ als haarloser Prophet.

163 Edvard Munch: Liebespaar in den Wellen 1896.

wichtiges Merkmal ihrer Identität geworden. Perücken bei den Frauen, Bart und Pejes bei den Männern sind die Zeichen der Zugehörigkeit. Auch Nicht-Haare, also das Kopftuch bei den Frauen, weist indirekt auf die Bedeutung des Haars in diesem Kreis hin.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass auch einzelne Körperteile ihren Platz; ihre Symbolik im Judentum haben. Ein Teil vom heiligen Ganzen kann nicht ‚schmutzig‘ sein. In den jüdischen Heiligen Schriften erscheint der Körper anders als der sinnliche Körper, welcher durch seine Körperteile das Erleben spürt. Der Körper der Orthodoxen scheint ein anderer zu sein als der Körper der Pioniere im neuen Land Palästina, wie er sich z.B. in den Photos der Kibbuzentstehung präsentiert. Der „zionistische“ Körper steht in der Umkehr zum Bild eines

„orthodoxen“ Körpers, welcher wenn er überhaupt nur im Kontext der Reinheitsrituale erwähnt wird. Das Erleben des Körper ist nur dann als „rein“ zu sehen, wenn dieser Zustand durch die Erhaltung der jüdischen Reinheitsrituale resultierte. Einen Körper, der nach seiner Befriedigung und dem seine Ästhetik Erlebnis wird, ist in orthodoxer Sicht ein Körper, der man „schmutzig“ und „verführerisch“ nennen soll und der womöglich zu bekämpfen ist.