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3.1 Innovationstheorien im Anwendungsbereich der Bildungsforschung

3.1.3 Concerns-based-Adoption-Model

Aus einer langen Forschungstradition zum Änderungsverhalten von Individuen, Organi-sationen und Systemen extrahieren Hall & Hord (2006) 12 Prinzipen, deren Beachtung bei der Planung und Einführung von Innovationen im Schulsystem einen Zeitgewinn und ein geringeres Problemaufkommen versprechen. Die Prinzipien werden als der Rahmen verstanden, in dem Umbrüche stattfinden und Innovationen eingeführt werden und aus dem die Forschergruppe ihre Annahmen bildet:

1. Veränderung ist ein Prozess, kein Zeitpunkt.

2. Es gibt bedeutende Unterschiede, die die Innovationsentwicklung und – implementation mit sich bringen.

3. Organisationen verändern sich erst, wenn sich die Personen in ihr verändert haben.

4. Innovationen umfassen unterschiedliche Größen und Inhalte.

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5. Eingriffe sind als Maßnahmen bzw. Ereignisse zu betrachten, die als Schlüssel-komponenten des Erfolgs dienen.

6. Es erfolgt keine Leistungssteigerung solange keine neuen Praktiken eingeführt wurden.

7. Die Unterstützung der übergeordneten Institution ist essentiell für eine langfristige Änderung.

8. Aufträge (im Sinne einer top-down-Implementation) können funktionieren.

9. Die Schule ist die Haupteinheit der Veränderung.

10. Unterstützung ist eine Teamleistung.

11. Angemessene Eingriffe reduzieren den Veränderungswiderstand und 12. die Kontextbedingungen einer Schule beeinflussen den Änderungsprozess.

Ausgehend von einer grundsätzlichen Schutzhaltung der Individuen gegenüber Verände-rungen und den jedermann innewohnenden Assoziationen, die die Veränderung mit sich bringt, betrachten die Wissenschaftler Implementationsprozesse aus verschiedenen Per-spektiven und adressieren dabei die System, Organisations- und Teamebene. Die voran-gegangene Forschung stellt bei der Betrachtung von Umbruchsituationen für jede Per-spektive gut elaborierte Konstrukte und Modelle bereit, die die Autoren referieren und damit die Komplexität einer Untersuchung von Veränderung verdeutlichen. Der Beitrag von Hall und Hord (2006) in der Thematik von Innovationsprozessen mündet im Con-cerns Based Adoption Model (CBAM), das auf der individuellen Ebene die nötige Unter-stützung zur Erreichung der intendierten Ziele identifiziert. Das Model entstand als Kon-zeption für change facilitators, die einen Innovationsprozess begleiten und unterstützen.

Als Concerns definieren die Autoren: „The composite representation of feelings, preoc-cupation, thought, and consideration given to a particular issue or task (…) To be con-cerned means to be in a mentally aroused state about something.” (S. 138-139).

Eine umfassend differenzierte Analyse des individuellen Standpunktes innerhalb eines Innovationsprozesses wird durch die Anwendung von drei Instrumenten gewährleistet:

die Beschreibung der real vorzufindenden Situation vor Ort durch eine Innovation Confi-guration Map (ICM), die Beschreibung des Verhaltens, das sich aus dem Vorhandensein der Innovation ergibt (Level of Use) und die Messung der persönlichen Concerns, die mit der Innovation assoziiert werden. Während die Innovation Configurations und Level of Use als qualitative Interviews durchzuführen sind, wurden die Stages of Concerns in

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Form eines Fragebogens entwickelt, der in der internationalen Forschung breite Anwen-dung findet (van den Berg, 2002; Bitan-Friedlander, Dreyfus & Milgrom, 2004).

Abbildung 9. Das Concern-Based-Adoption-Model (Hall & Hord, 2006, S. 108).

Der Concern-theoretische Ansatz von Hall und Hord (2006) beschäftigt sich genauer mit der Auseinandersetzung von Lehrkräften mit Innovationen, also mit Gefühlen, Gedanken, Besorgnissen (sog. Concerns) die Personen durchleben, wenn sie sich in einer Umbruch-situation befinden. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die erfolgreiche Übernahme einer Veränderung in mehreren Phasen vollzieht, in denen sich Personen jeweils mit ver-schiedenen Themenschwerpunkten auseinandersetzen: Wird eine Innovation neu einge-führt, haben Personen demnach zunächst einen selbstbezogenen Fokus in ihrer Auseinan-dersetzung mit dem Neuen. Nachdem die Personen die Möglichkeit hatten, sich mit den neuen Konzepten vertraut zu machen, treten stärker aufgabenbezogene Concerns in den Vordergrund. Schließlich setzen sich Personen mit außenbezogenen Concerns auseinan-der.

Im SoC-Fragebogen werden die drei Phasen der Auseinandersetzung nochmals differenziert erfasst, sodass insgesamt sieben Stufen von Concerns unterschieden werden, die als Prozess-Stadien konzeptualisiert werden. Die selbstbezogenen Concerns werden dabei genauer über drei verschiedene Stufen erfasst:

- Auf der Eingangsstufe Kein Bewusstsein (Stufe 0) haben Lehrkräfte keine oder kaum eine Vorstellung von der Innovation und verspüren auch wenig Bedürfnis, sich damit zu beschäftigen.

- Bei der Stufe I Information beginnt eine wenig emotional getönte Auseinandersetzung im Sinne der Informationsbeschaffung.

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- Schließlich folgt bei Stufe II Persönliche Betroffenheit ein Fokus auf die persönlich anstehenden Veränderungen und Konsequenzen.

Die aufgabenbezogenen Concerns werden mit einer Phase dargestellt:

In dieser Stufe III Aufgabenmanagement konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die organisatorischen, logistischen und technischen Anforderungen, die mit der Neuerung in- und außerhalb des Klassenzimmers einhergehen.

Die Phase der außenbezogenen Concerns wird wieder in drei Stufen differenziert:

- Zunächst stehen auf der Stufe IV Auswirkung auf Lernende Fragen der Wirksamkeit, der Effizienz oder der negativen Begleiterscheinungen der Innovation für die direkt betroffenen Schüler und Schülerinnen im Mittelpunkt.

- In Stufe V Kooperationsmöglichkeiten verschiebt sich der Fokus der Beschäftigung auf das Bestreben, die neu aufgebauten Handlungsmuster in formalen und informellen Kooperationen mit anderen Lehrkräften zu validieren und zu festigen.

- In der Stufe VI Revision und Optimierung werden schließlich weiterreichende oder alternative Formen der Innovation erprobt.

Idealtypisch verschieben Individuen im Verlauf eines Implementationsprozesses den Fo-kus ihrer kognitiven Beschäftigung nacheinander durch die sieben Stufen, wobei der Ausgangspunkt innerhalb der ersten drei Stufen liegen sollte. Lehrkräfte würden demnach von den anfänglich selbstbezogenen Concerns, die sich während der ersten Jahre der In-novationsanwendung einstellen, über die aufgabenbezogenen Concerns zum Fokus der außenbezogenen Concerns nach drei bis fünf Jahren bewegen. Der Prozess stoppt jedoch, wenn Lehrkräfte nicht die benötigte Unterstützung erhalten oder eine Innovationsüber-frachtung von politischer Seite stattfindet. Die Lehrkräfte würden dann auf der Stufe der selbstbezogenen Concerns verharren.

Zur Erfassung des Grades der Verwendung von Elementen der Innovation bieten Hall &

Hord (2006) ein Verzweigungsinterview an (Level of Use). Im Interview können sich Lehrkräfte auf ebenfalls sieben verschiedenen Stufen der Arbeit mit einer Innovation be-finden. Die Stufen 0 bis II werden als Nichtnutzer geclustert und die Stufen III-VI als Nutzer: Lehrkräfte können keine praktischen Schritte zur Umsetzung der Innovation un-ternehmen (Stufe 0 - Keine Umsetzung), sie können beginnen, Informationen zu sammeln (Stufe I - Orientierung), sie beginnen die Implementation für sich zu planen (Stufe II - Vorbereitung), sie wenden die Innovation rezeptbuchartig an (Stufe III -Schematische Umsetzung), Lehrkräfte können mit der Implementation vertraut sein und sie zunächst

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„lehrbuchartig“ implementieren und später verfeinern (Stufe IV - Routine und Verfeine-rung), schließlich können Lehrkräfte bei der Umsetzung mit anderen kooperieren (Stufe V - Kooperation) und die Implementation weiterentwickeln und praktisch alternative Umsetzungen explorieren (Stufe VI - Weiterentwicklung)25.

Theoretisch postulieren die Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen den Stufen des Fragebogens (SoC) und den erreichten Stufen im Interview. So korrespondieren die aufgabenbezogenen Concerns aus dem SoC mit der Stufe der schematischen Umsetzung im LoU. Empirisch konnte dieser Zusammenhang jedoch nicht nachgewiesen werden.

Die Informationen aus dem SoC geben Hinweise auf kognitive Auseinandersetzung mit der Innovation. Die Daten aus dem Interview (LoU) zeigen den innovationsbegleitenden Personen das Ausmaß der Nutzung. Offen bleibt, welche Teile oder Merkmale der Inno-vation wie genutzt werden. Zur Schließung dieser Datenlücke entwickelten Hall & Hord (2006) die Innovation Configuration map (IC). An einer solchen Orientierungskarte arbei-ten verschiedene Interessengruppen der Innovation. Die Karte beschreibt die inarbei-tendierarbei-ten Stationen und Komponenten im Innovationsprozess und führt alternative Wege zur Ziel-erreichung auf: „The IC map is composed of „word picture“ descriptions of the different operational forms of an innovation or change.“ (Hall & Hord, 2006, S. 116).

Die Anwendung der drei von den Wissenschaftlern entwickelten und vorgestellten In-strumente zur Standortbestimmung einzelner Personen oder Personengruppen in einer Umbruchsituation ermöglicht es den prozessbegleitenden Beteiligten, Interventionen zu planen und durchzuführen, um eine erfolgreiche Implementation zu gewährleisten. Gera-de zu Beginn eines VeränGera-derungsprozesses, wenn die selbstbezogenen Concerns über-wiegen, wird zu einer vielschichtigen Kommunikation auf vielen verschiedenen Kanälen geraten. Auch das Bewusstmachen des Scheiterns empfehlen die Autoren, wenn sich die Personen, die eine Innovation implementieren sollen, auf der Stufe 1 des SoC (Informati-on) befinden. Andernfalls besteht die Gefahr des Verharrens auf der Stufe 2 der persönli-chen Betroffenheit: „When people don’t know what is happening, it is perfectly normal for Stage 2 Personal concerns to become more intense. The less information that is pro-vided, the higher the Stage 2 Personal concerns will be.” (Hall & Hord, 2006, S. 151).

Die Concern-Theorie nach Hall & Hord (2006) geht zusammenfassend davon aus, dass eine Person im schulischen Umfeld einen ca. 5-jährigen Innovationsprozess durchläuft, der anfangs von selbstbezogenen Gedanken und Gefühlen geprägt ist und mit einer

25 Die Übersetzung der Stufen erfolgte in Anlehnung an Pöhlmann et al. (2014).

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formationssuche oder Nutzungsvorbereitung einhergeht. Im Verlauf einer begleitenden individuell gestalteten Unterstützung verschieben sich die Befürchtungen (concerns) hin zu Gedanken über die zu erledigenden Aufgaben mit mechanischer Nutzung der Innova-tion. Als Implementationsende definieren die Wissenschaftler eine kognitive Auseinan-dersetzung hinsichtlich alternativer Möglichkeiten der Nutzung und einen reflektierten Umgang mit der Innovation.

3.2 Lehrerkognitionen und Potentiale der Veränderung der