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2 Literaturübersicht

2.1 Caliciviridae

Die Familie der Caliciviridae besteht aus kleinen (27 bis 40 nm) unbehüllten ikosaedrischen Viren. Ihr Genom ist eine lineare, positiv polare, einsträngige RNA.

Innerhalb der Familie Caliciviridae gibt es vier Genus: Norovirus, Sapovirus, Vesivirus und Lagovirus. Die am häufigsten auftretenden humanmedizinschen Krankheitserreger dieser Familie gehören zu den Noro- und Sapoviren, die eine akute Gastroenteritis hervorrufen. Diese sind auch bekannt als „Norwalk-like“ Viren;

erstmals wurde ein Krankheitsausbruch 1968 an einer Schule in Norwalk/Ohio in den USA beschrieben und weitergehend untersucht (DOLIN et al. 1972).

Wichtige veterinärmedizinische Erreger sind das feline Calicivirus (FCV, Vesivirus), das Atemwegserkrankungen bei der Katze hervorruft, und das Virus der hämorrhagischen Erkrankung beim Kaninchen, abgekürzt RHDV (rabbit hemorrhagic disease virus), das zu den Lagoviren gehört (FIELDS et al. 2007).

Noroviren bei Labornagern

Der erste Nachweis eines Norovirus bei der Maus wurde 2003 beschrieben (KARST et al. 2003). Weitere murine Noroviren mit der Bezeichnung MNV-2, MNV-3 und MNV-4 wurden 2006 isoliert (HSU et al. 2006) und charakterisiert (HSU et al. 2007).

Im gleichen Jahr wurden auch in Berlin drei neu Stämme isoliert und charakterisiert (MÜLLER et al. 2007). Thackray et al. vergleichen 2007 die Genome 21 neuer MNV-Isolate mit 5 bekannten und nehmen eine phylogenetische Einteilung in 15 Stämme vor (THACKRAY et al. 2007). Auch aktuell werden weitere Isolate publiziert (KIM et al. 2010). Bisher konnten keine Noroviren bei Ratten oder anderen Nagern nachgewiesen werden (HENDERSON 2008).

3 2.2 Genetik und Molekularbiologie von MNV

Das murine Norovirus besitzt ein lineares, positiv polares, einsträngiges RNA-Genom, das ungefähr 7,5 kb lang ist und drei offene Leseraster beinhaltet (ORF1, ORF2 und ORF3; Abbildung 1) (FIELDS et al. 2007). ORF1 kodiert ein Polyprotein, das durch eine 3C-ähnliche Protease endolytisch in mindestens sechs nicht-strukturelle Proteine gespalten wird (BLAKENEY et al. 2003). ORF2 kodiert das Haupt-Kapsid-Protein (Virales Protein 1). ORF 3 kodiert das virale Protein 2, das eine Rolle bei der Stabilität vom Kapsid-Protein spielt (HSU et al. 2006). Ein viertes offenes Leseraster, das sich mit ORF2 überlappt, wird von Thackray beschrieben (THACKRAY et al. 2007). Die verschiedenen murinen Noroviren weisen eine genetische Diversität von bis zu 13% auf (THACKRAY et al. 2007). Konservierte Bereiche werden in der „junction region“ zwischen ORF1 und ORF2 beschrieben (MÜLLER 2009).

Abbildung 1: Schema des MNV-Genoms; unterhalb der Leseraster sind die verschiedenen Proteinprodukte mit ihrem Gewicht in Kilodalton aufgeführt; N, N Terminus; 3A, NTPase 3A-like; P, Vpg Protease; RdRp, RNA dependent RNA Polymerase; VP1, VP2 Hauptkapsidproteine (HENDERSON 2008).

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Das murine Norovirus ist unbehüllt, hat eine Größe von 28 - 35 nm und weist die typische äußere Kelchstruktur der Caliciviridae auf (siehe Abbildung 2 und Abbildung 3) (KARST et al. 2003).

Abbildung 2: Elektronenmikroskopische Aufnahme von MNV-1 (markiert durch schwarze Pfeile) (HSU et al. 2005).

5 Abbildung 3: Dreidimensionale Rekonstruktion anhand cryoelektronen-mikroskopischer Aufnahmen von humanem Norovirus (NV, virus-like particles), murinem Norovirus (MNV) und dem Virus der hämorrhagischen Erkrankung beim Kaninchen (RHDV, virus-like particles) im Vergleich (KATPALLY et al. 2010).

2.3 MNV in der Zellkultur

Als erstes Virus des Genus Norovirus ist eine Anzucht von MNV in der Zellkultur möglich. Das murine Norovirus zeigt dabei einen Tropismus zu Makrophagen und dendritischen Zellen (WOBUS et al. 2004). Die Anzucht erfolgt in der Mausmakrophagen-Zelllinie RAW 264.7 (RASCHKE et al. 1978; WOBUS et al.

2004). Das Virus verursacht einen deutlichen cytopathischen Effekt (CPE). Eine

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Virusquantifizierung erfolgt daher mittels Plaque-Test (WOBUS et al. 2004). Nicht alle isolierten MNV-Stämme weisen jedoch auszählbare Resultate im Plaque-Test auf. In diesen Fällen wird ein „tissue culture infectious dose“ (TCID)50-Test angewandt (MÜLLER et al. 2007; THACKRAY et al. 2007).

Durch Passagieren in der Zellkultur kann es zu einer Attenuierung von MNV kommen (WOBUS et al. 2004). In einem Fall ließ sich diese Attenuierung auf eine Aminosäurenveränderung auf Position 296 des Viruskapsid-Proteins zurückführen.

Wird die Veränderung rückgängig gemacht, erreicht der Erreger seine alte Virulenz im Infektionsversuch mit signal transducer and activator of transcription (STAT) 1-defizienten Mäusen (KARST et al. 2003; BAILEY et al. 2008). Die erfolgreiche Anzucht ermöglicht biochemische und molekulare Untersuchungen zum Zelleintritt und zur Replikation des murinen Norovirus. So untersuchten Perry et al. den Mechanismus des Zelleintritts von MNV1-Virionen, der im Gegensatz zu felinen Caliciviren keinen niedrigen pH-Wert im Endosom erfordert (PERRY et al. 2009;

PERRY u. WOBUS 2010). Ein niedriger pH-Wert löst bei felinen Caliciviren die Freisetzung des Virusgenoms in der Zelle aus (STUART u. BROWN 2006).

Gerondopoulos et al. untersuchten weitere Abhängigkeiten der Virusendozytose bei MNV-1 (GERONDOPOULOS et al. 2010). Elektronenmikroskopische Aufnahmen der Virusreplikation zeigen starke Veränderungen der Zellmorphologie. Unter Verlust eines intakten Golgi-Apparates werden intrazelluläre Membranen extensiv umgewandelt (WOBUS et al. 2004). Hyde et al. untersuchten die Virus-Replikation und spätere Proteinlokalisation in der Wirtszelle bei MNV-1 (HYDE et al. 2009; HYDE u. MACKENZIE 2010). Han et al. analysierten die in vitro RNA-Synthese-Aktivität der

„RNA dependent RNA Polymerase“ (HAN et al. 2010). Die virusbedingte Zellapoptose mit MNV infizierter Makrophagen erfolgt durch eine Aktivierung von Kaspase-9 und Kaspase-3. Außerdem wird die Expression von Survivin herunterreguliert (BOK et al. 2009).

7 2.4 Nachweisverfahren für MNV

MNV kann in der Zellkultur vermehrt und anschließend mittels Ultrazentrifugation per Cäsiumchlorid (CsCl)-Gradient aufgereinigt werden. Es ergibt sich eine Bande auf der Höhe anderer Noroviren (Dichte 1,36 ± 0,04 g/cm³) (KARST et al. 2003). Aus der entnommenen Bande angefertigte elektronenmikroskopische Präparate zeigen Partikel mit der für Caliciviren typischen Struktur (KARST et al. 2003).

Das MNV-Genom kann mittels PCR nachgewiesen werden. Hierzu muss die Virus-RNA zuerst zu cDNA umgeschrieben werden. Dann erfolgt im zweiten Schritt eine Vervielfältigung der cDNA. Da Noroviren eine hohe Mutationsrate haben, ist ein Nachweis aller murinen Noroviren mit einem Primerpaar bisher nicht beschrieben.

Bisher werden mehrere Primerpaare für einen diagnostischen Nachweis herangezogen (HENDERSON 2008). Ein Nachweis ist beschrieben aus Milz, Leber, Mesenteriallymphknoten, Duodenum, Jejunum, Zäkum und Kotproben (HSU et al.

2005; MANUEL et al. 2008; GOTO et al. 2009). Dabei gelten Kot sowie Organe des Magen-Darm-Traktes, vor allem Zäkum und Mesenteriallymphknoten, als zuverlässige Nachweisorte für MNV (GOTO et al. 2009). Auch das „Poolen“ von mehreren MNV-negativen und einer MNV-positiven Kotprobe sowie das anschließende Lagern bei Raumtemperatur für 14 Tage führten zu einem positiven PCR-Ergebnis (MANUEL et al. 2008). Der PCR-Nachweis wird erschwert durch die variable Ausscheidungsdauer von MNV je nach Virusstamm und infiziertem Mausstamm (HSU et al. 2006).

Von der Maus gegen MNV gebildete Antikörper können mit serologischen Tests nachgewiesen werden. Hsu et al. stellten eine Kreuzreaktivität bei Antikörpern gegen MNV-1, MNV-2, MNV-3 und MNV-4 fest (HSU et al. 2006). Die Antikörper richten sich dabei gegen das Viruskapsid (CHACHU et al. 2008). Die Kreuzreaktivität ermöglicht die Anwendung serologischer Testverfahren wie multiplex fluorescent immunoassay (MFI), enzyme-linked immunosorbent assay (ELISA) und immunofluorescence assay (IFA) (HSU et al. 2005). Murine Noroviren sind

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Bestandteil einer einzigen Genogruppe und weisen einen Serotyp auf (THACKRAY et al. 2007).

2.5 MNV-Prävalenz in Versuchstierhaltungen

Die Prävalenz von MNV in Labortierhaltungen in den USA und Kanada wurde 2005 anhand von 12639 Serumproben untersucht. Hierbei ergab sich eine Prävalenzrate von 22,1% (HSU et al. 2005). Eine von Januar 2007 bis Juni 2008 durchgeführte Erhebung bei Mäuseseren aus westeuropäischen Labortierhaltungen ergab für MNV eine Prävalenzrate von 31,8% (MÄHLER u. KÖHL 2009). Die bisher größte Studie ergab eine Prävalenzrate von 32,4% bei 44876 auf MNV getesteten Mäuseseren, die aus Versuchstierhaltungen in Nordamerika und Europa stammten (PRITCHETT-CORNING et al. 2009). Eine koreanische Studie zeigte eine 36,5 prozentige serologische Prävalenz für MNV bei gentechnisch veränderten Mäusen (YEOM et al.

2009). Goto et al. untersuchten Maus-Zäkum-Proben von verschiedenen Labortierhaltungen per PCR auf ein Vorhandensein von MNV und ermittelten dabei eine Prävalenzrate von 13,1% (GOTO et al. 2009).

2.6 Erfassung und Bekämpfung von MNV in der Labortierhaltung

Der Einsatz von Anzeiger-Mäusen zur MNV-Erfassung im Experiment wird in zwei Studien erläutert. Bei Manuel et al. waren 80% der Anzeiger-Mäuse positiv für MNV im PCR-Nachweis, nachdem sie Kontakt zur Einstreu von mit MNV infizierten Mäusen hatten (MANUEL et al. 2008). Eine gegensätzliche Beobachtung schildern Compton et al. Hier kam es keineswegs immer zu einer MNV-Infektion nach Haltung von Anzeiger-Mäusen auf der Einstreu von MNV-infizierten Mäusen (COMPTON et al. 2010).

Die Sanierung eines Haltungsbereichs, in dem Mäuse mit MNV infiziert waren, gelang nur durch Keulen aller Tiere und anschließende Raumdesinfektion vor der Neubesiedlung. Eine Testung und Entfernung positiver Tiere allein war nicht erfolgreich (KASTENMAYER et al. 2008; GOTO et al. 2009). Eine Infektion neugeborener Mäuse von MNV-positiven Muttertieren konnte durch Transfer der

9 Säuglinge auf MNV-freie Ammen („cross fostering“) in den ersten 24 Stunden nach der Geburt verhindert werden (ARTWOHL et al. 2008; COMPTON 2008). Eine andere Studie hatte weniger Erfolg bei der Sanierung von gentechnisch manipulierten Mäusen durch „cross fostering“ (YEOM et al. 2009). Embryotransfer und Hysterektomie wurden ebenfalls als erfolgreiche Eradikationsmethoden beschrieben (PERDUE et al. 2007; GOTO et al. 2009).

2.7 Infektionsverlauf

Die Infektion mit MNV unterscheidet sich in Dauer und klinischer Symptomatik je nach infiziertem Mausstamm als auch dem für die Infektion verantwortlichen Norovirusstamm (WOBUS et al. 2004; MUMPHREY et al. 2007; THACKRAY et al.

2007; KELMENSON et al. 2009). Je nach Virusstamm und infiziertem Mäusestamm kann es zu einer persistenten Infektion oder verlängerten Ausscheidung über den Kot kommen (HSU et al. 2006). Bei immunkompetenten 129S6 Mäusen wurde eine Infektionsdauer mit MNV-1 von 7-14 Tagen festgestellt. Bei immunkompetenten Hsd:ICR Mäusen dauerte die Infektion 5 Wochen und länger. Die Infektion ging nicht mit klinischen Symptomen einher (KARST et al. 2003; HSU et al. 2005). Bei bestimmten immundefizienten Mausstämmen [Interferon (INF)-αβγ Rezeptor-Defizienz und STAT1-Rezeptor-Defizienz] konnte die Infektion jedoch zu tödlichen systemischen Erkrankungen wie Enzephalitis, Vaskulitis, Meningitis, Hepatitis und Pneumonie führen. Bei anderen immundefizienten Mausstämmen [Recombination-activating gene (RAG)1- und RAG2-Defzienz] persistierte die Infektion länger als 90 Tage ohne jegliche Krankheitssymptome (KARST et al. 2003).

2.8 Untersuchungen zum Einfluss von MNV auf bestimmte Mausstämme und Tiermodelle

- Ward et al. erforschten die Pathologie natürlich vorkommender MNV-Infektionen bei 28 immundefizienten Mäusen verschiedener Genotypen in zwei verschiedenen Maushaltungen. In der einen Haltung stellten sie bei Tieren mit verschiedenen kombinierten genetischen Defekten Hepatitis, Peritonitis oder Pneumonie anhand histologischer Veränderungen fest. Diese kombinierten

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genetischen Defekte betrafen das RAG1, den IFNγ-Rezeptor, OT-1, OT-2 und STAT1. RAG2-defiziente Mäuse aus der zweiten Maushaltung waren histologisch unauffällig. Bei ihnen wurde MNV jedoch per PCR im Mesenteriallymphknoten nachgewiesen (WARD et al. 2006).

- Wobus et al. stellten eine STAT1-abhängige Interferon-Immunantwort im Zellkultur- und Infektionsversuch fest (WOBUS et al. 2004). Mumphrey et al.

infizierten im Folgeversuch Wildtyp- und STAT1-defiziente Mäuse. Verwandt wurden zwei verschiedene MNV-Isolate, eines davon war attenuiert.

Neugeborene Wildtyp-Mäuse zeigten weder Diarrhoe noch Gewichtsverlust. Bei den STAT1-defizienten Mäusen kam es zu einem Gewichtsverlust. Außerdem wurden milde histologische Veränderungen in Darm und Milz erfasst. Das Virus wurde in Milz, Leber, Lunge und Lymphknoten nachgewiesen; in der Milz konnte MNV dauerhaft bis Versuchsende nachgewiesen werden, was für eine persistente Infektion spricht (MUMPHREY et al. 2007).

- Chachu et al. beobachteten einen längeren Verlauf einer MNV-Infektion bei B-Zell-defizienten Mäusen. Außerdem versahen sie RAG1-defiziente Mäuse mit Splenozyten von B-Zell defizienten Mäusen. Dies führte nicht zu einer Virusclearance. Die Gabe von polyklonalem Anti-MNV-Serum oder monoklonalen Antikörpern verringerte den systemischen und luminalen Virusgehalt (CHACHU et al. 2008).

- Lencioni et al. untersuchten den Einfluss von MNV-4 auf die multiple drug resistance 1α (MDR1α) defiziente Maus, ein Tiermodell für CED. Die Infektion mit MNV-4 und anschließender Verabreichung von Helicobacter (H.) bilis 7 Tage danach führte hierbei zu größerem Gewichtsverlust und höhergradigen histologischen Veränderungen im Vergleich zur Kontrollgruppe, die nur mit H. bilis infiziert wurde. Eine alleinige MNV-4-Infektion führte zu erhöhten Serum-Biomarkern. Mittels Durchflusszytometrie wurden außerdem Veränderungen bei dendritischen Zellen (CD11c+) und anderen nicht T-Zell (CD4- CD8-)

11 Populationen ermittelt. Dendritische Zellen, gewonnen aus MNV-4-infizierten Mäusen, sorgten für eine höhere IFNγ-Sekretion bei polyklonalen T-Zellen im in vitro-Versuch an Tag 2 p.i. Zu späteren Messzeitpunkten wurde keine höhere IFNγ-Sekretion gemessen. Die akute Infektion mit MNV-4 förderte die Antigen-Präsentation dendritischer Zellen und wirkte sich immunmodulatorisch auf den Krankheitsverlauf aus. Es wurden keine klinische Symptome bei Mäusen beobachtet, die nur mit MNV-4 infiziert waren (LENCIONI et al. 2008).

- McCartney et al. untersuchten den Einfluss von MNV auf melanoma-differentiation-associated gene (MDA)5- und toll-like receptor (TLR)3-defiziente Mäuse sowie dendritische Zellen mit dem jeweiligen Defekt. Sowohl bei MDA5-defizienten Mäusen als auch bei MDA5-defizienten dendritischen Zellen wurde ein höherer Virustiter im Vergleich zum Wildtyp durch einen Plaquetest ermittelt.

TLR3-defiziente dendritische Zellen hatten keinen höheren Virustiter im in vitro-Versuch, TLR3-defiziente Mäuse wiesen jedoch einen leicht erhöhten Virustiter auf. MDA5-defiziente Mäuse eliminierten die MNV-Infektion vollständig (MCCARTNEY et al. 2008).

- Doom et al. zeigten, dass MNV kaum Einfluss auf die experimentelle Infektion mit dem Cytomegalievirus der Maus (MCMV) hat. Lediglich die CD8 T-Zell-Antwort wurde in der akuten Phase der Infektion geringgradig herabgesetzt. Eine MNV-Infektion führte nicht zu einem Wiederaufblühen einer latenten MCMV-MNV-Infektion (DOOM et al. 2009).

- Hensley et al. stellten keinen Einfluss von MNV auf die adaptive Immunität gegen das Vaccinia oder Influenza A Virus bei C57BL/6 Wildtyp Mäusen fest (HENSLEY et al. 2009).

- Compton et al. erforschten den Einfluss von MNV auf die Ausscheidung von Maus Parvovirus (MPV). Eine MNV-Infektion verlängerte die Ausscheidungsdauer von MPV über den Kot und erhöhte den MPV-DNA-Spiegel in Organen von

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BALB/c-Mäusen. Die Serokonversion für MPV erfolgte bei einer Doppelinfektion von BALB/c-Mäusen innerhalb kürzerer Zeit. Außerdem konnte bei Anzeiger-Mäusen, die Kontakt mit der Einstreu MNV-infizierter Tiere hatten, nicht in jedem Fall eine Serokonversion für MNV festgestellt werden (COMPTON et al. 2010).

- Paik et al. stellten keinen Einfluss von MNV auf ernährungsbedingte Fettleibigkeit und Insulinresistenz bei C57BL/6 Wildtyp Mäusen fest. Bei diesen Mäusen war vor der Infektion durch eine extrem fettreiche Diät eine Insulinresistenz herbeigeführt worden (PAIK et al. 2010).

2.9 Weitere Forschung mit murinen Noroviren

Da das murine Norovirus in der Zellkultur anzüchtbar ist, wird es als Ersatz für das humane Norovirus im Rahmen der Effektivitätsuntersuchung von Desinfektions-techniken und -mitteln verwendet (BAERT et al. 2008; PARK et al. 2010). Auch für die Erfassung sowie Reduktion des Eintrags von Noroviren in die Lebensmittelkette über Muscheln, Fisch, Salat und Gemüse wird MNV als Surrogatmarker eingesetzt (WEI et al. 2010, 2011).

2.10 Tiermodelle für chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED)

CED sind charakterisiert durch rezidivierende oder kontinuierliche Entzündungen des Intestinaltraktes (BAUMGART u. CARDING 2007; BAUMGART u. SANDBORN 2007). Zu den häufigsten CED beim Menschen gehören Morbus Crohn und Colitis ulcerosa (FARROKHYAR et al. 2001). Morbus Crohn ist durch eine transmurale Entzündung verschiedener Segmente des Gastrointestinaltraktes mit diskontinuierlicher Ausbreitung und episodischer Progression gekennzeichnet.

Hierbei können Strikturen, Abszesse und Fisteln als Komplikation auftreten (BAUMGART u. SANDBORN 2007). Colitis ulcerosa weist eine Entzündung der Mukosa und oberflächlichen Submukosa des Kolons auf, die schubweise voranschreitet und sich kontinuierlich nach oral ausbreitet. Typische Symptome für beide Erkrankungen sind blutige bis wässrige Durchfälle, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Fieber (BAUMGART u. SANDBORN 2007). Die Äthiopathogenese

13 der CED ist bisher noch nicht vollständig aufgeklärt. Es gibt deutliche Hinweise, dass durch eine Kombination von immunologischen und umweltbedingten Faktoren eine unkontrollierte Immunantwort innerhalb des Darms ausgelöst wird, die in einem genetisch prädisponierten Individuum zu einer chronischen Entzündung führt (TORRES u. RIOS 2008).

Tiermodelle, zum Beispiel für CED, ermöglichen es, störende Umwelteinflüsse durch standardisierte Haltungsbedingungen zu kontrollieren. Durch den Einsatz von Inzuchtstämmen können Studien an genetisch homogenen Populationen durchgeführt werden. Techniken der Transgenese und der gerichteten Mutagenese stehen zur Verfügung, um das Genom der Tiere gentechnisch zu verändern. Seit Anfang der 90er Jahre werden zahlreiche Tiermodelle, v.a. Mausmodelle, für CED beschrieben, die klinische und histopathologische Analogien zum Morbus Crohn oder zur Colitis ulcerosa aufweisen.

Einige Tiermodelle für CED - spontan:

SAMP1/Yit-Maus (MATSUMOTO et al. 1998) - durch Chemikalien induziert:

Dextran Natriumsulfat (OKAYASU et al. 1990) Trinitrobenzolsulfonsäure (ELSON et al. 1996) Oxazolon (BOIRIVANT et al. 1998)

- durch Zelltransfer:

CD4+/CD45RBhigh-Zellen in Prkdcscid-Mäuse (POWRIE et al. 1993)

Knochenmarkszellen in CD3ε transgene Mäuse (HOLLANDER et al. 1995)

- durch genetische Manipulation:

IL2-defiziente Maus (SADLACK et al. 1993) IL10-defiziente Maus (KÜHN et al. 1993)

MDR1α-defiziente Maus (PANWALA et al. 1998)

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SMAD3-defiziente Maus (YANG et al. 1999)

Verschiedene Tiermodelle für CED werden durch Umweltfaktoren beeinflusst.

Besonders die Zusammensetzung der intestinalen Mikroflora sowie spezifische Keime haben starken Einfluss (siehe Tabelle 1). Der genetische Hintergrundstamm der Merkmalsträger kann sich ebenfalls auf den Verlauf der CED auswirken (siehe Tabelle 2).

Tabelle 1: Interaktion verschiedener Umweltfaktoren auf das CED-Modell der IL10-defizienten Maus

Umweltfaktor Auswirkung Referenz

Haltung unter keimfreien

Bedingungen Keine Kolitis (SELLON et al. 1998) Haltung unter keimarmen

Bedingungen bzw. nach Antibiotikagabe

Enterococcus faecalis Proinflammatorisch (BALISH u. WARNER 2002) Keim

Helicobacter spp. Proinflammatorisch (CAHILL et al. 1997; KULLBERG et al.

1998; BURICH et al. 2001)

Tabelle 2: Ausprägung der Kolitis bei IL10-defizienten Inzuchtstämmen Hintergrundstamm Schwere und Verlauf der

Kolitis Referenz

C57BL/6J Mild, protrahiert

(BERG et al. 1996; TAKEDA et al. 1999; BRISTOL et al.

2000)

BALB/c Intermediär, progressiv (BERG et al. 1996)

NOD/Lt Intermediär, progressiv (MÄHLER u. LEITER 2002) NOD.NON-H2nb1 Intermediär, progressiv (MÄHLER u. LEITER 2002)

129/SvEv Schwer, progressiv (TAKEDA et al. 1999)

C3H/HeJBir Schwer, beginnt sehr früh (BRISTOL et al. 2000) C3H.SW Schwer, beginnt sehr früh (MÄHLER u. LEITER 2002)

15 2.11 Die Interleukin-10 defiziente Maus

Die IL10-defiziente Maus (formal: Il10tm1Cgn; abgekürzt Il10-/-) wurde 1993 am Institut für Genetik der Universität Köln durch gezielte Mutation entwickelt (KÜHN et al.

1993). Ein Teil des ersten Exons des IL10-Gens (Codon 5-55) wurde mit Hilfe homologer Rekombination durch ein Stopcodon und ein neo-Gen (Neomycin exprimierend) ersetzt. Zusätzlich wurde ein Stopcodon in Exon 3 des Gens eingefügt. Mäuse mit dieser Nullmutation entwickeln nach dem Absetzen eine spontane Form der CED. Der Entzündungsprozess kann sich über den gesamten Intestinaltrakt erstrecken. Er tritt dabei segmental, teilweise transmural auf.

Histologisch ist diese Enterokolitis durch Entzündungszellinfiltrate in der Lamina propria und der Submukosa, Erosionen und Ulzerationen der Mukosa, Schleimhauthyperplasie, eine abnorme Kryptarchitektur, Becherzelldepletionen sowie Kryptabszesse gekennzeichnet (KÜHN et al. 1993; LÖHLER et al. 1995;

BERG et al. 1996). Im Spätstadium der Erkrankung können kolorektale Tumoren auftreten (BERG et al. 1996). Da bei IL10-defizienten Mäusen außer dem Intestinaltrakt keine weiteren Organsysteme entzündlich verändert sind, eignet sich dieses Tiermodell besonders für Studien bezüglich der CED. Daher wurde es auch an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) bereits häufig untersucht und für CED-Studien eingesetzt (MOST 2001; BLEICH 2003; BÜCHLER 2010).

IL10 ist ein regulatorisches Zytokin, welches von zahlreichen Immunzellen, wie Makrophagen, dendritischen Zellen und Zellen produziert wird. Innerhalb der T-Zellen sezernieren fast alle Untergruppen IL10, inklusive Th1-, Th2- und regulatorischen T-Zellen (MURRAY 2006). Neben Immunzellen sind auch Epithelzellen und Keratinozyten in der Lage, IL10 freizusetzen. IL10 unterdrückt die Effektorfunktion von Th1/Th17-Zellen, Natürlichen Killerzellen und Makrophagen. Es moduliert die zelluläre Immunreaktion (MOORE et al. 1993). Diese modulierenden Effekte bleiben bei IL10-defizienten Mäusen aus. Ihr Immunsystem reagiert gegenüber luminalen Antigenen bzw. der intestinalen Bakterienflora mit einer überschießenden Immunantwort (siehe Abbildung 4) (BERG et al. 1996). Eine Analyse von konditionalen Knockout-Mäusen, bei denen IL10 nur in T-Zellen

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inaktiviert wurde, zeigte eine vergleichbare Kolitis wie bei IL10-defizienten Mäusen (ROERS et al. 2004). Das von T-Zellen produzierte IL10 ist also essentiell für die Verhinderung einer spontanen CED in diesem Tiermodell. Vermutlich nehmen die IL23-Th17-Achse und die von Th17-Zellen produzierten Zytokine wie IL17, IL21, IL22, Tumornekrosefaktor (TNF), granulocyte macrophage colony-stimulating factor (GM-CSF) und IL6 eine wichtige Funktion bei der Entzündungsreaktion ein (YEN et al. 2006).

Abbildung 4: Pathogenese der CED bei IL10-defizienten Mäusen, modifiziert nach Powrie (POWRIE 1995) und Elson (ELSON 1999).

17 2.12 Ziele dieser Arbeit

Ziel dieser Arbeit war es, das bereits isolierte murine Norovirus zu charakterisieren.

Das Virus sollte mit gebräuchlichen Methoden quantifiziert werden. Zusätzlich sollte eine serologische Diagnostik in Form eines ELISA aufgebaut werden. Mit Hilfe serologischer Testverfahren sollte die Prävalenz für MNV in einer Labortierhaltung - dem Zentralen Tierlaboratorium (ZTL) der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) – ermittelt werden.

Nach der Charakterisierung sollten dann Infektionsversuche durchgeführt werden, die den Einfluss von MNV auf die IL10-defiziente Maus - ein Tiermodell für CED (KÜHN et al. 1993) - erfassen.

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3 Eigene Untersuchungen

3.1 Material

Die Durchführung der Versuche wurde mit den Bescheiden vom 13.03.2008 und 10.04.2008 durch das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit mit den Aktenzeichen 08/1443 und 08/1467 genehmigt.

3.1.1 Mäuse

In der Zeit vom 2.4.2008 bis 6.5.2009 wurden die in Tabelle 3 aufgeführten Mäuseinzucht- und Defektmutantenstämme für den Infektionsversuch mit dem murinen Norovirus Stamm Hannover eingesetzt. Im Weiteren werden für eine übersichtlichere Gestaltung nur noch die entsprechenden Abkürzungen für die Mausstämme benutzt.

Tabelle 3: Verwendete Mausstämme und ihre Abkürzung

Stammbezeichnung Knockout/

Wildtyp Abkürzung

C3H/HeJBirZtm Wildtyp C3-wt

C57BL/6JZtm Wildtyp B6-wt

C3Bir.129P2-Il10tm1Cgn/JZtm Knockout C3-Il10 -/-B6.129P2-Il10tm1Cgn/JZtm Knockout B6-Il10 -/-3.1.2 Herkunft

Alle im Experiment eingesetzten Mäuse stammten aus Zuchten des ZTL der MHH.

Sie wurden dort regelmäßigen, mikrobiologischen Kontrolluntersuchungen entsprechend den Empfehlungen der Federation of European Laboratory Animal Science Associations (FELASA) unterzogen (NICKLAS et al. 2002). Die Versuchstiere entstammten aus Haltungsbereichen, die frei von bakteriellen, viralen

Sie wurden dort regelmäßigen, mikrobiologischen Kontrolluntersuchungen entsprechend den Empfehlungen der Federation of European Laboratory Animal Science Associations (FELASA) unterzogen (NICKLAS et al. 2002). Die Versuchstiere entstammten aus Haltungsbereichen, die frei von bakteriellen, viralen