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Zur Prüfung der Biokompatibilität war es unabdingbar, die in dieser Arbeit unter-suchten Platten-Schrauben-Systeme auch in vivo zu untersuchen. Um die Biokompa-tibilitätseigenschaften der Magnesiumimplantate hinsichtlich hervorgerufener Körper- und Immunreaktionen beurteilen zu können, wurden klinische, röntgenologische und histologische Untersuchungsmethoden herangezogen.

Der Untersuchungszeitraum für die ersten vier Tiere (mit und ohne NaOH Behand-lung von > 6 Monate gelagertem LAE442 und jeweils einer Stahlplatte als Kontrolle) war auf sechs und 12 Wochen terminiert. Da sich bei allen Tieren ab den ersten Tagen post OP starke subkutane Gasbildungen sowie Knochenzubildungen und Osteolysen in der direkten Magnesiumplattenumgebung fanden, was auf die bereits diskutierte schnelle Degradation zurückzuführen war, überlebte nur ein Tier 12 Wochen. Im Gegensatz dazu wies die Stahl-Gruppe klinisch, röntgenologisch oder histologisch keine Gasbildung und nur geringe Knochenreaktionen auf. Das fünfte Tier mit Magnesiumplatten mit glatterer Oberfläche zeigte ähnliche Reaktionen, wie die vier Tiere zuvor und musste deshalb auf Grund einer durch Osteolysen ausgelösten Fraktur nach vier Wochen vorzeitig euthanasiert werden.

Beim sechsten Tier mit La2 legierten Platten und Schrauben wurden zwar kaum Osteolysen beobachtet, dafür aber neben der subkutanen Gasformation deutliche Knochenzubildungen.

Die in dieser Studie in den in vivo Untersuchungen identifizierten Knochen-zubildungen waren insbesondere im Zusammenhang mit der La2-Legierung äußerst ausgeprägt. Anhand der histologischen Schnittbilder, der Röntgenaufnahmen und der µCT Scans ergaben sich im Wesentlichen periostale sowie endostale Zu-bildungen. Auch die Knochenkortikalis unterhalb des Implantats war von Umbaupro-zessen (geringe Lysen und Zubildungen) betroffen. Das Auftreten von Knochenzu-bildungen in der Nähe von Magnesiumimplantaten ist bereits in einer Vielzahl von Publikation beschrieben worden und wurde meist als positiv bewertet (LAMBOTTE

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1932, VERBRUGGE 1934, ZHANG et al. 2009a, WONG et al. 2010, REIFENRATH et al. 2011, HUEHNERSCHULTE et al. 2012). So sind eine erhöhte Osteoblasten-aktivität und osteoinduktive Mechanismen grundsätzlich im Rahmen einer raschen Frakturheilung erwünscht. Ein solcher Effekt auf den Knochen wird auch im Zusam-menhang mit Magnesium im Schriftum angeführt (SONG u. ATRENS 1999, WITTE et al. 2005). Derartige Knochenzubildungen werden durch Janning et al. (2010) im Wesentlichen dadurch erklärt, dass es zu einer erhöhten Osteoblastenaktivität mit temporärer Osteoklasteninaktivität im knochennahen Implantationsbereich kommt, welche durch die im Implantatbereich erhöhten Mg2+-Konzentrationen oder einer lokalen Alkalose begünstigt werden kann. Des Weiteren wird von einigen Autoren diskutiert, dass erhöhte Magnesiumkonzentrationen Knochenaufbauprozesse fördern könnten. Dieses Argument basiert dabei auf dem Umkehrschluss des Faktums, dass eine starke Hypomagnesiämie zu einer Osteoporose führt (RUDE et al. 2006, JANNING et al. 2010). Knochenumbauvorgänge sollten allerdings nicht so ausge-prägt sein, wie in dieser Studie, wo sich bereits nach zwei bis drei Wochen Implanta-tionszeit knöcherne Auswüchse zeigten, die teilweise über das Implantat hinaus ragten. Auch stellten sich höhlenartige Ausbuchtungen ein, die mit Gas und Blut ge-füllt waren. Solche Knochenwuchsartefakte sind zwar auch von permanenten Implan-tatsystemen bekannt, allerdings bilden sich hier die knöchernen Strukturen erst nach mehreren Jahren um das Implantat herum aus (GAUTIER et al. 2000).

Mehrere Autoren berichten in Zusammenhang mit in der Klinik verwendeten Metallimplantaten (z.B. Gelenksimplantaten) von einer Knochenresorption (BAUER u. SCHILS 1999, HALLAB et al. 2001, SCHMIDT et al. 2001, CADOSCH et al. 2009).

Unterhalb der in dieser Studie verwendeten Magnesiumplatten bildeten sich eben-falls µ-computertomographisch und histologisch nachweisbare Knochenlysezonen aus. Diese Lysezonen lagen vor allem im direkten Kontaktbereich zwischen Platte und Knochen. Ursache hierfür kann ebenfalls ein Spalteffekt zwischen Implantat und Knochen sein. Auch in diesem Bereich ist anzunehmen, dass es aufgrund der Korro-sionsschichtbildung des Magnesiums und einer eingeschränkten Flüssigkeitszirkula-tion zu einer Sauerstoffarmut im Medium kommen kann. Diese Hypoxie könnte bereits eine reversible oder auch irreversible Schädigung des Gewebes herbeiführen

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(REUTER 2004). Zusätzlich stellt sich, aufgrund der vorherrschenden Kapillarwirkung im Spalt ein lediglich eingeschränkter Stofftransport ein, wodurch lokal überhöhte pH-Werte resultieren können. Alternativ kann die lokale Gewebsauflösung jedoch auch mit einer unspezifischen Entzündung des Körpers in Zusammenhang stehen.

Werden am Implantationsort Partikel durch Abrieb oder in Folge von Korrosion frei-gesetzt, versucht der Organismus durch massiven Einsatz von Makrophagen diese abzubauen bzw. abzutransportieren. Im Rahmen der so genannten Phagozytose kommt es dabei lokal zu einer massiven Ansammlung von Makrophagen. Durch die Phagozytose der Makrophagen werden proinflammatorische Zytokine wie TNF-α, IL-6 und IL-1α/ß freigesetzt. Durch diese Zytokine kommt es zu einer gesteigerten Osteoklastendifferenzierung und einer damit verbundenen Resorption des Knochens (LOONEY et al. 2006, KAUFMAN et al. 2008, CADOSCH et al. 2009, CAICEDO et al. 2009). Außerdem handelt es sich bei den freigesetzten Partikeln nicht um organi-sche Stoffe, sondern um chemisch durchaus stabile Magnesiumhydroxid-Salze, die mitunter als größere Strukturen vorkommen. Möglicherweise erweist sich deren Eli-mination durch Makrophagen als problematisch und könnte in Folge durch Anreiche-rung von Makrophagen zur Nekrose des angrenzenden Gewebes führen. Solche lokalen Gewebsnekrosen aufgrund von Partikelbildungen sind im Zusammenhang mit Schaftlockerung von Hüftprothesen beschrieben (NICOLE 1947, LOMBARDI et al. 1989, HALLAB et al. 2001), allerdings für Magnesiumimplantate bisher nicht be-kannt.

Weiterhin wird auch ein erhöhter Gasdruck als mögliche Ursache für die zu beobach-tende Knochenresorption bei schnell degradierenden Magnesiumlegierungen ange-nommen (REIFENRATH et al. 2010, KRAUS et al. 2012, DZIUBA et al. 2013, FISCHERAUER et al. 2013). Kraus et al. (2012) berichteten bei transkortikal implan-tierten ZX50-Pins von starker, raumfordernde Gasbildung in der Markhöhle mit extremen Kallusbildungen und Knochenresorptionen in der frühen postoperativen Phase. Ungewiss ist weiterhin, inwiefern die Gasansammlungen oder der dadurch resultierende Druck auf den Knochen zu Irritationen im angrenzenden Gewebe führen.

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Allerdings widerspricht diese Ansicht der Tatsache, dass das Tier mit La2-Implantaten trotz massiver Gasansammlung so gut wie keine Lysezonen aufwies.

Diese Beobachtung deutet möglicherweise darauf hin, dass eins der verwendeten Legierungselemente in LAE442 eine Osteoklastenaktivität fördert.

Unabhängig von der verwendeten Mg-Legierung spielt für die Degradation und für die damit korrelierende Biokompatibilität der Implantationsort eine entscheidende Rolle. In diesem Zusammenhang sind Stoffaustauschraten und Belastungen am Applikationsort maßgebliche Größen, die über die Eignung einer Magnesiumlegie-rung entscheiden können. In dieser Studie hatten die Platten und Schrauben einer-seits Kontakt zur Knochenkortikalis, anderereiner-seits auch zu Weichteilgewebe. Diese Tatsache könnte die unzureichenden Korrosions- und Biokompatibilitätseigen-schaften für das Platten-Schrauben-System erklären, obwohl die Legierung LAE442 in intramedullären Anwendungen hervorragende Ergebnisse erzielte (WITTE et al.

2005, THOMANN et al. 2009, KRAUSE et al. 2010, MEYER-LINDENBERG et al.

2010, ULLMANN et al. 2011). Diese Ortsabhängigkeit wird auch für subkutan an der Rückenmittellinie von Ratten implantierte Mg-Nd-Y-Zr Zylinder beschrieben (AGHION et al. 2012). In der Magnesiumimplantatforschung wird aktuell viel an knochenappli-zierten Implantaten geforscht. Über die Auswirkungen von Mg-Implantaten auf das Gewebe bei subkutaner oder intramuskulärer Implantation ist nur wenig bekannt, allerdings wurde meist eine gute Biokompatibilität ermittelt (HÄNZI et al. 2010, REMENNIK et al. 2011, XUE et al. 2012, AGHION et al. 2012, WALKER et al.

2014a). Es ist jedoch durchgängig eine höhere Korrosionsrate in diesen Gebieten, als intramedullär festzustellen. So zeigte ein Kaninchenmodell, dass Mg-Bismut Im-plantate nach vier Wochen im Knochen zu 30 %, im Muskel zu 60 % und unter der Haut zu 90 % korrodiert waren (REMENNIK et al. 2011). Bei der Verwendung von Magnesiumschrauben, die mit Knochen sowie Weichteilgewebe in Verbindung stehen, wurde meist eine gute Biokompatibilität nachgewiesen (DENKENA et al.

2005, DUYGULU et al. 2007, ERDMANN et al. 2010, WILLBOLD et al. 2011, ERDMANN et al. 2011, HENDERSON et al. 2013). Bisher wurden allerdings keine Schrauben aus der Legierung LAE442 getestet.

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Aufgrund der negativen Ergebnisse im Zusammenhang mit den Pilottieren wurde von weiteren Tierstudien mit LAE442 und La2 basierten Platten-Schrauben-Systemen abgesehen.

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5.3 Kritische Betrachtung der eigenen Methodik