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Berliner Barfusser‘ statt Graues Kloster

Im Dokument Das Graue Kloster in Berlin (Seite 28-33)

Die Begriffsgeschichte versteht Sprache als Faktor vorgefundener Realität sowie als Faktor dieser Realitätsfindung .8 Die Erfolgsgeschichte des Begriffsgebrauchs Graues Kloster zeigt, dass dann – überspitzt gesagt – die mittelalterlichen Berliner Franziskaner eine schlechte Presse erhielten . Die Ortsbezeichnung Graues Kloster, so heißt es vielfach, nehme die Farbe des Habits der

Franzis-6 Cante, Die Klosterkirche, S . 54–68; siehe dazu auch den Beitrag von Doris Bulach in diesem Band .

7 Gerd Althoff (Hrsg .), Die Deutschen und ihr Mittelalter . Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, Darmstadt 1992; Otto Gerhard Oexle, Geschichtswissenschaft in einer sich ständig verändern-den Welt, in: Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Hrsg .), Wissenschaften 2001 . Diagnosen und Prog-nosen, Göttingen 2001, S . 89–116; ders . (Hrsg .), Bilder gedeuteter Geschichte . Das Mittelalter in der Kunst und Architektur der Moderne, 2 T ., Göttingen 2004; ders ., Die gotische Kathedrale als Repräsentation der Moderne, in: ders ./Michail A . Bojcov (Hrsg .), Bilder der Macht in Mittelalter und Neuzeit . Byzanz – Okzident – Rußland (Veröffentlichung des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd . 226), Göttingen 2007, S . 631–674; ders ., Die Ge-genwart des Mittelalters (Das mittelalterliche Jahrtausend, Bd . 1), Berlin 2013 . Zum Mythos des Terminus Gotik die einleitenden Kapitel des Katalogs der Thüringer Ausstellung ‚Der Naumburger Meister‘ . Hartmut Krohm/

Holger Kunde (Hrsg .), Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen, Bd . 1 .2, Petersberg 2011; Dietmar Schiersner, Räume der Kulturgeschichte – Räume der Landesgeschichte . Affinitäten, Divergenzen, Perspektiven, in: Sigrid Hirbodian/Christian Jörg/Sabine Klapp (Hrsg .), Methoden und Wege der Landesgeschichte (Landes-geschichte, Bd . 1), Stuttgart 2015, S . 149–160 .

8 Reinhart Koselleck, Begriffsgeschichte, in: Stefan Jordan (Hrsg .), Lexikon Geschichtswissenschaft . Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2002, S . 40–44; Matthias Untermann, Fehlbenennungen von Klosterräumen und ihr Effekt auf die Forschung, in: Gert Melville/Leonie Silberer (Hrsg .), Die Klöster der Franziskaner im Mittelalter . Räume, Nutzungen, Symbolik (Vita regularis, Abhandlungen, Bd . 63), Münster 2014, S . 19–43 .

kaner auf . Für diese Ableitung aber findet sich zum Berliner Konvent nahezu keine Bestätigung . Im Brandenburgischen Klosterbuch werden aus den Schriftzeugnissen spezifische (Selbst- und Fremd-) Bezeichnungen zitiert .9 Offenbar erst nachreformatorisch wurde der Begriff Grau-es Kloster in Berlin umdeutend üblich . Das Verständnis diGrau-eser Benennung und dGrau-es Gemeinten verengte sich im 19 . Jahrhundert im Zuge der Mittelalterentdeckung, der Gotik-Rezeption und mit der Eigentumsübertragung der Immobilie bevorzugt auf das Gymnasium als prominenten Ort Berliner Schulgeschichte . Im Ergebnis heißt das auch, dass der Begriff Graues Kloster heute nahezu keine Merkmale franziskanischen Wirkens transportiert oder erinnert . Zwischen Begriff und vor Augen gestellter Sache, das heißt zur mittelalterlichen beziehungsweise vorreformato- rischen Vergangenheit und Bedeutung des Konvents, besteht eine gravierende sachlich-inhaltliche Wissenslücke . Sie aufzuarbeiten, führt zu einer ausdrücklichen franziskanischen Perspektive . Diese Perspektive muss nicht weitläufig abgeleitet werden . Im Gegenteil . Sie steht eigentlich allen vor Augen, gut dokumentiert in den – im Titel des Beitrags zitierten – Inschriften an der Rück-wand des Chorgestühls der Klosterkirche . Die bisherige Forschung hat im Brandenburgischen Landesdenkmalamt verwahrte Fotodokumente dieser Inschriften bisher kaum beachtet . Die In-schriften, die im späten 15 . Jahrhundert angebracht wurden, sind so etwas wie Selbstzeugnisse der Brüder .10 In diesen Selbstzeugnissen und in weiteren dort zitierten Quellen werden das rekla-mierte Selbst- und Geschichtsverständnis der Brüder sichtbar . Nach diesen Zeugnissen lautete die übliche Benennung der Franziskaner in Berlin gemeyne bruder des closters barfussen ordens, oder Barfusser, an anderer Stelle auch fratres barvoti. Diese Eigen- und zugleich Fremdbenennun-gen besagten damals und besaFremdbenennun-gen heute, dass man mit Barfussen gerade keine Vorstellung von einem Gebäude verband, sehr wohl aber das Barfuß-Gehen als Aussage ihrer religiösen Identität wahrnahm .11 Diese Benennung enthielt also eine Botschaft . Sie nutzte auch Kurfürst Friedrich II .

9 Peter Riedel u . a ., Berlin Franziskaner, in: Heinz-Dieter Heimann u . a . (Hrsg .), Brandenburgisches Klosterbuch . Handbuch der Klöster, Stifte und Kommenden bis zur Mitte des 16 . Jahrhunderts (Brandenburgische Histo-rische Studien, Bd . 14), 2 Bde ., 1 . Aufl ., Berlin 2007, Bd . 1, S . 146–157 .

10 Die Forschung zitierte dazu zumeist Patricius Schlager, Inschriften auf Chorgestühlen im mittelalterlichen Fran-ziskanerkirchen, in: Beiträge zur Geschichte der sächsischen Franziskanerprovinz vom Heiligen Kreuze, Düssel-dorf 1908, S . 1–15, hier S . 12 f . Eine bau- und bildhistorische Dokumentation hat sich in ca . 20 Fotografien wohl aus den dreißiger und vierziger Jahren des 20 . Jahrhunderts im Bildarchiv des Brandenburgischen Landesdenk-malamts und Archäologischen Landesmuseums, Wünsdorf, erhalten, darunter Aufnahmen des Chorgestühls mit den Stiftungsinschriften . Siehe die in diesem Band nun veröffentlichten Abbildungen 4 bis 7 . Diese Bildquelle nutzte Winfried Schich, Die Markgrafen von Brandenburg und die Ansiedlung der Franziskaner in den Städten östlich der Elbe im 13 . Jahrhundert, in: Landesdenkmalamt Berlin, Kirchenruine des Grauen Klosters, S . 13–23, hier S . 19, Abb . 16 . Dagegen ohne diese Bildquellen Roland Pieper, Mittelalterliche Chorgestühle und Dreisitze, in: ders . (Hrsg .), Kunst . Von den Anfängen bis zur Gegenwart (Geschichte der Sächsischen Franziskaner-Provinz von der Gründung bis zum Anfang des 21 . Jahrhunderts, Bd . 5), Paderborn 2012, S . 407–416 .

11 Peter Bell, Gewand(t) . Vestimäre Kommunikation und Bildrhetorik in mittelalterlichen Franziskanerzyklen, in:

Heinz-Dieter Heimann u . a . (Hrsg .), Gelobte Armut . Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Paderborn 2012, S . 81–100 . Der Chronist des Augustinerchorherrenstifts Pe-tersberg bei Halle registrierte um 1225 das Auftreten von duo nove conversacionis ordines und kritisierte sie als primitivi ordinis . Dazu Bernd Schmies/Volker Honemann, Die Franziskanerprovinz Saxonia von den Anfängen bis 1517 . Grundzüge und Entwicklungslinien, in: Volker Honemann (Hrsg .), Vom Mittelalter bis zur Reforma-tion . (Geschichte der Sächsischen Franziskaner-Provinz von der Gründung bis zum Anfang des 21 . Jahrhunderts, Bd . 1), Paderborn 2015, S . 21–43, bes . S . 31 .

Abb. 4: Chorgestühl der Klosterkirche mit Schriftfeld (Abb. 4 und 5 zusammengehörig), Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (BLDAM).

Abb. 5.

Abb. 6: Chorgestühl der Klosterkirche mit Schriftfeld (Abb. 6 und 7 zusammengehörig), Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (BLDAM).

Abb. 7.

von Brandenburg (1440–1470)12 in einer in den Inschriften an der Chorwand ebenfalls zitierten Schenkungsurkunde .

Das Interesse der Hohenzollern an dem Franziskanerkonvent wird oft angeführt . Aus franzis-kanischer Perspektive bleibt anderes hervorzuheben, denn die Franziskaner wiesen in jenen Inschriften ihr mendikantisches Selbst- und Sendungsverständnis aus . Um diese Spur geht es also . Prägnant schrieben die Franziskaner ihren Anspruch in den Inschriften weiter aus, per totum orbem longe lateque diffudit, frei übersetzt ‚zahlreich über den weiten Erdkreis verbreitet‘ . Deshalb führten sie dort auch namentlich alle Provinzen und Kustodien ihrer Ordensfamilie zwischen Schottland, Italien und dem Baltikum sowie die Anzahl der dort lebenden Brüder und Schwestern an . Vor allem wohl an sie selbst und mittelbar auch an ihre Kirchenbesucher gerichtet, besagt dieses Selbstzeugnis, das Wirken der ‚Barfussen‘ in Berlin erschöpft sich nicht in lokaler Bindung . Die Brüder wollten ihr Dasein und Wirken als Teil einer größeren Bewegung innerhalb der rö- mischen Kirche verstanden wissen, die nach dem Vorbild ihres Ordensgründers Franziskus in der Nachfolge Christi allerorten auf die Menschen zugeht .13

Es spricht historisch und konzeptionell viel dafür, dementsprechend das Verständnis über den Standort des Grauen Klosters für eine franziskanische Perspektive zu öffnen und Letztere – auch im Sinn eines interaktiven Museums – so für eine zeitgemäße Vermittlung franziskanischer Wir-kungsgeschichte öffentlich zu machen . Dafür bieten sich weitere Argumente . Die frühe Brüder-gemeinschaft und die franziskanische Ordensfamilie setzten sich von Anfang an und mit Blick auf das Vorbild ihres Ordensgründers Franziskus vehement mit sich und gegenüber der Papstkirche darüber auseinander, wie denn ihr Kloster zu verstehen sei . Ein bezeichnendes Beispiel bietet dazu die frühe Schrift ‚Sacrum commercium‘, der ein Gespräch von Brüdern mit der ‚Herrin Ar-mut‘ zugrunde liegt . Auf die Bitte der ‚Herrin ArAr-mut‘, die Brüder mögen ihr das Kloster zeigen, heißt es im Text: ‚Die Brüder führten sie auf einen Hügel, zeigten ihr die ganze Welt, soweit man sehen konnte, und sprachen: Das ist unser Kloster, Herrin!‘ .14 In Kapitel 6 der Regula bullata

12 Sascha Bütow, Kurfürst Friedrich II . Vom Werden der fürstlichen Residenz in Berlin-Cölln, in: Thomas Fischba-cher (Hrsg .), Die Hohenzollern in Brandenburg . Gesichter einer Herrschaft (Einzelveröffentlichung des Bran-denburgischen Landeshauptarchivs, Bd . 15), Regensburg 2015, S . 28–37 .

13 Dieter Berg (Hrsg .)/Bernd Schmies/Kirsten Rakemann (Bearb .), Spuren franziskanischer Geschichte . Chrono-logischer Abriß der Geschichte der sächsischen Franziskanerprovinzen von den Anfängen bis zur Gegenwart (Saxonia Franciscana, Sonderbd .), Werl 1999; Kaspar Elm, Vitasfratrum . Beiträge zur Geschichte der Eremiten- und Mendikantenorden des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts . Festgabe zum 65 . Geburtstag, hrsg . von Dieter Berg (Saxonia Franciscana, Bd . 5), Werl 1994; ders ., ‚Sacrum Commercium‘ . Über Ankunft und Wirken der ersten Franziskaner in Deutschland, in: Paul-Joachim Heinig (Hrsg .), Reich, Regionen und Europa in Mittel-alter und Neuzeit . Festschrift für Peter Moraw (Historische Forschungen, Bd . 67), Berlin 2000, S . 389–412; Gert Melville, Quoniam ubicumque sumus et ambulamus, habemus cellam nobiscum . Franziskus von Assisi und die räumlichen Muster der ‚vita eremitica‘, in: ders ./Leonie Silberer (Hrsg .), Die Klöster der Franziskaner im Mittel-alter . Räume, Nutzungen, Symbolik (Vita regularis, Bd . 63), Münster 2014, S . 105–123; Heinz-Dieter Heimann, Unterwegs zu einem orbis christianus . Zum kulturellen Umgang mit Nichtchristen in der mittelalterlichen und reformationszeitlichen Missionstätigkeit der Franziskaner, in: Historisches Jahrbuch 135 (2015), S . 9–26 . 14 Zentrale Quellen und Texte der Geschichte der Gemeinschaft finden sich im Band ‚Franziskus-Quellen‘ übers .

und kritisch kommentiert . Der geheiligte Bund des seligen Franziskus mit der Herrin Armut, übers . von Johannes Schlageter, in: Dieter Berg/Leonhard Lehmann (Hrsg .), Franziskus-Quellen . Die Schriften des Heiligen Franzis-kus, Lebensbeschreibungen, Chroniken und Zeugnisse über ihn und seine Orden, Kevelaer 2009, S . 654–686, bes . S . 683 .

von 1223 heißt es dazu und zur Frage des Erwerbs von Eigentum: ‚Die Brüder sollen sich nichts aneignen, weder Haus noch Ort noch sonst eine Sache . Und gleich wie Pilger und Fremdlinge (= 1 Petr 2,11) in dieser Welt, die dem Herrn in Armut und Demut dienen, mögen sie voll Ver-trauen um Almosen bitten gehen und sollen sich dabei nicht schämen, weil der Herr sich für uns in dieser Welt arm gemacht hat .‘15 Die Brüder verstanden soweit ihr Mendikantensein, ihre Mobilität und Ausbreitung auch nicht als linear ubiquitär . Nach jenen Quellen sahen sich die Brüder eher als ‚Pilger‘, als ‚Gehende‘ und – ausgerichtet auf Assisi – als ‚Zurückkommende‘. Ihre Gemeinschaft breitete sich, so fasste es Kaspar Elm zusammen, also nicht weg vom Ursprungsort Assisi aus, sondern in einer zirkulierenden Bewegung . Will sagen: Nichts gegen eine Aneignung der Bedeutung der Gotik an dieser Franziskanerkirche, aber sie relativiert sich angesichts der Kraft des religiösen Unterwegsseins und der Wirkungsgeschichte der Franziskaner .

Nicht also das Gebäude der Kirche, oder gar die Ruine selbst, auch nicht allein die lokale Bin-dung der Brüder an sich, sondern diese zugleich als Teil religiös motivierter Mobilität und der Kommunikation franziskanischen Sendungsbewusstseins bleiben als Ausweise franziskanischer Identität an dieser Stelle den Heutigen verständlich zu machen . Das kann auf ganz verschie- dene Weise geschehen . Nachfolgend sei es an zwei Phänomenen verdeutlicht – zunächst an dem Stadtsässig-Werden der Franziskaner im Kontext der von neuen normativen Setzungen gepräg-ten Ausbreitung der Gemeinschaft im 13 . Jahrhundert und ferner an der von ihnen durch reli- giöse Medien kommunizierten Deutung des Franziskanisch-Seins aus dem späten 15 . Jahrhun-dert . Beides führt zugleich die Semiotik franziskanischer Räume in der Stadt und darüber hinaus vor Augen .

Im Dokument Das Graue Kloster in Berlin (Seite 28-33)

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