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Der Baubestand der Franziskanerklosterkirche – Inspirationen gotischer Vorbilder

Im Dokument Das Graue Kloster in Berlin (Seite 116-122)

Die Berliner Franziskanerkirche lässt ihre architektonischen Besonderheiten vor allem im Innen-raum erkennen, denn hier zeigt sich ein deutlicher Gestaltungsgegensatz von Chor und Langhaus, der in der Vergangenheit immer wieder zur Annahme unterschiedlicher Bauzeiten geführt hat .70 So sind das dreischiffige, basilikale Langhaus und der eingezogene Langchor altertümlicher ge-staltet als das auskragende Chorpolygon, dessen fast vollständig in Formsteingewänden aufgelöste Wandflächen gegenüber dem Langhaus ungewöhnlich modern wirken (Abbildung 12) . Doch be-reits Richard Borrmann kam nach eingehender Betrachtung der vermeintlichen Baunähte zum Schluss, dass es „keine Spur eines nachträglichen Anbaus“ des Chores der Berliner Franziskaner-klosterkirche gibt .71 Auch die zwischen 1999 und 2004 erfolgte bauhistorische Dokumentation an den aufgehenden Wänden der Kirche stellte eine relativ einheitliche Struktur des aufgehenden mittelalterlichen Mauerwerkes fest,72 was für eine zügige Errichtung des Bauwerks spricht, auch wenn sich einzelne Planänderungen und damit verbundene Zäsuren nicht völlig ausschließen las-sen . Zudem legen die Untersuchungen nahe, dass der Bau der Klosterkirche mit dem ambitio-niertesten Teil, dem auskragenden siebenseitigen polygonalen Chor, begonnen und von Ost nach West weitergeführt wurde . Während die Wandflächen des Polygons oberhalb der Fenstersohlbän-ke durch reich profiliert gestufte Fenstergewände fast vollständig aufgelöst werden, liegen in den Wandflächen darunter tiefe spitzbogige Wandblenden mit einem teilweise freistehenden Maß-werk; feingliedrige Dienste verlaufen in den Knickpunkten der Wand . Durch die abweichende Aufrissgestaltung der Innenwände erhält der eigentliche Altarraum den Charakter eines separaten Zentralbaus und wird vom Langchor mit dem Chorgestühl des Konventes deutlich geschieden . Mit seinem ganz allgemeinen Zitat der Grabeskirche in Jerusalem, deren östlicher Zentralbau das Grab Christi enthält, wird der Altarraum der Berliner Franziskanerkirche mit Bedeutung aufge-laden, bei der die Architektur auf den Tod und die Auferstehung Christi verweist . Zudem besitzt die Wandgestaltung des Altarraumes eine Entsprechung in der bedeutendsten Palastkapelle der Hochgotik, der in der Mitte des 13 . Jahrhunderts fertiggestellten Sainte Chapelle in Paris .

Dagegen bildet der Langchor mit seinen glatten Wandflächen, die allein durch die gotischen Fensteröffnungen und die Gewölbevorlagen gegliedert werden, eine deutliche Zäsur . Die an-schließenden Langhausarkaden wiederum weisen auffällige Bezüge zu dem um 1240 begonne-nen Langhaus des Magdeburger Domes auf .73 So zitieren die Arkaden trotz eines abweichenden

70 Adler, Mittelalterliche Backstein-Bauwerke, Bd . 2, S . 41; Schmoll, Das Kloster Chorin, S . 86; zuletzt: Landes-denkmalamt (Hrsg .), Denkmale in Berlin, Bezirk Mitte: Ortsteil Mitte (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland), Petersberg 2003, hier S . 211 .

71 Vgl . Richard Borrmann (Bearb .), Klosterkirche, in: Magistrat der Stadt Berlin (Hrsg .), Die Bau- und Kunstdenk-mäler von Berlin, Berlin 1893, S . 188–203, hier S . 188 f .

72 Vgl . Breitling, Die Franziskaner-Klosterkirche in Berlin – Zur Rekonstruktion der Bauabschnitte, in: Johannes Cramer/Dorothée Sack (Hrsg .), Technik des Backsteinbaus im Europa des Mittelalters, Berlin 2005, S . 113–124 sowie Breitling, Die Franziskaner-Klosterkirche […]: Ergebnisse, S . 106 f .

73 Zu dieser Bauphase zusammenfassend: Michael Süßmann, Zu den Bauphasen und der Bautechnik des Magdebur-ger Doms, in: Matthias Puhle (Hrsg .), Aufbruch in die Gotik . Der MagdeburMagdebur-ger Dom und die späte Stauferzeit . Landesausstellung Sachsen-Anhalt aus Anlass des 800 . Domjubiläums, Bd . 1: Essays, Mainz 2009, S . 126–141, hier S . 132 f .

Abb. 12: Berlin, Franziskanerklosterkirche, Ruine von Chor und Langhaus, Blick nach Osten.

Stützenwechsels und eines anderen Kämpferdekors relativ detailliert das Magdeburger Vorbild mit durchlaufenden Diensten, der darunter flächig gehaltenen Mittelschiffswand, den Arkaden-unterzügen und dem erst in der Leibung einsetzenden Kämpferdekor . Denn wie in Magdeburg liegt bei den Berliner Langhausarkaden neben dem dekorierten Innenbereich des Kapitells ein unvermittelt scharfgeschnittener Versprung, der dem Bogenunterzug folgt (Abbildung 13) . Ganz nach Magdeburger Vorbild enden die Kämpferkapitelle schließlich in der Ebene der Wand und verstärken so absichtsvoll den monumentalen Charakter der Wandfläche, ein Gestal-tungsprinzip, das bereits bei sächsischen und niedersächsischen Bauten der Romanik zu finden ist . Ein charakteristisches Merkmal des Langhausaufrisses der Berliner Franziskanerkirche ist der mit dem Pfeiler angelegte Gewölbedienst, der ohne Unterbrechung in den Gewölbekämp-fer reicht .

Abb. 13: Berlin, Franziskanerklosterkirche, Kämpferkonsole der nördlichen Langhausarkade und Querschnitte der Langhauspfeiler.

Anders als beim Magdeburger Vorbild ist der Dienst hier mit den anderen Halbrundvorlagen zu einer gleichmäßigen bündelartigen Gestalt des Pfeilers zusammengezogen worden . Dabei vari-iert nicht nur die Gestalt der Pfeiler, auch die Stärke der Vorlagen ist unterschiedlich .74 Für die Er-richtung der Vierkantpfeiler war nur ein einziger spezieller Formstein notwendig . Der bündelar-tige Pfeiler mit den acht Rundvorlagen wurde dagegen, soweit erkennbar, aus drei verschiedenen Formsteinen gebildet (Abbildung 14) . Ein einfacher Versatzwechsel führt dazu, dass sich jede

Abb. 14: Berlin, Franziskanerklosterkirche, Kämpferkonsole der nördlichen Langhausarkade und Querschnitte der Langhauspfeiler.

74 So gibt es je nach Pfeilerquerschnitt einen 50 oder einen 30 Zentimeter breiten Gewölbedienst . Die variierenden Pfeilertypen erfordern so jeweils unterschiedliche Formsteine zur Ausführung ihres Querschnittes . Die hier ver-wendeten, aus dem Normalformat entwickelten, Formsteine wurden offensichtlich ebenfalls mittels hölzerner Schablonen aus den noch feuchten Backsteinrohlingen herausgeschnitten .

zweite Steinlage im Verband gleicht . Damit zeigen sich die Berliner Bündelpfeiler im Verband et-was reduzierter als die kurz zuvor am östlichen Langhaus der Klosterkirche Chorin entwickelten Formsteinsysteme .

An den um 1272 begonnenen Ostteilen der Choriner Klosterkirche gibt es (wie auch im Chor der Berliner Franziskanerklosterkirche) wechselnde Formsteinprofile, die aus normalformatigen Backsteinen entwickelt wurden .75 Doch beim Bau des ersten Choriner Langhausabschnittes kamen noch vor der Vollendung von Chor und Querhaus Formsteine zum Einsatz, die die Höhe von zwei Backsteinlagen besitzen und auch in der Länge und der Breite über die Maße der zum Teil relativ gro-ßen Choriner Normalformate hinausgehen (Abbildung 15) . Besonders große Formsteinblöcke

Abb. 15: Zisterzienserklosterkirche Chorin, Langhaus, Mittel- und Seitenschiffskonsolen, Gewölberippenprofile und Pfeilerquerschnitte.

75 So das Sakristeiportal und das Gewändeprofil zwischen Querhaus und Seitenschiff der Choriner Klosterkirche .

treten in der Obergadenwand des Choriner Langhauses auf . Diesen entsprechen schließlich in der Größe und im Anspruch die Konsolformsteine der Arkadenkämpfer am Langhaus der Ber-liner Franziskanerkirche,76 auch wenn es im Detail mehrere Unterschiede gibt .77 Die große He-rausforderung in der Herstellung und dem Versatz solcher über 80 Kilogramm schweren Form-stücke aus Backstein setzt die Annahme eines spezialisierten Baubetriebes voraus, der über eine eigene Ziegelherstellung verfügte, da die Formstücke direkt für die Stelle ihres Versatzes im Mau-erwerk gefertigt wurden .78 Im Gegensatz zur perfektionierten Herstellungstechnik bleiben die Blatt- und Rankenmotiven des Berliner Kämpferdekors auffällig ornamental und stark stilisiert . Verschiedentlich zeigen sie eine Verwandtschaft zu Choriner Blattmotiven, weisen jedoch grund-sätzlich darüber hinaus und zeigen beispielsweise eine gratige Binnenzeichnung wie auffällige Blattrippen . Ein weiteres wichtiges architektonisches Element an der Berliner Franziskanerkir-che ist das zusammen mit dem westliFranziskanerkir-chen Langhausjoch entstandene Westportal .79 Ursprünglich war es zweigeteilt und mit einer Reliefdarstellung des Weltenrichters versehen (Abbildung 16) . Es gehört zu einer ganzen Reihe ehemals gleichartiger repräsentativer Laienportale märkischer Bettelordenskirchen wie in Angermünde, Brandenburg und Prenzlau . Insgesamt trat die Außen-gestaltung der Berliner Franziskanerkirche gegenüber der Gliederung des Innenraums zurück und trug zu einer Vereinheitlichung der Architekturelemente bei . So bestimmen einfache schräge Fenstergewände den gesamten Außenbau und verleugnen geradezu die repräsentative Innenge-staltung des Chores . Dieser GeInnenge-staltungsdualismus zwischen dem Formenreichtum im Chorin-nenraum und der sachlichen Außenhülle des Baukörpers dürfte schließlich ein weiteres Indiz für eine einheitliche Ausführung des Baus sein, der von Anfang an als Franziskanerklosterkirche vorgesehen war .

76 Die Berliner Kämpferformsteine erreichen Ausmaße von 60 × 40 × 24 Zentimetern und dürften damit zu den eindrucksvollsten Beispielen dieser Herstellungstechnik in der Mark gehören .

77 Die Choriner Konsolformsteinblöcke besitzen Seitenlängen von 50–55 Zentimetern sowie Höhen von ca . 24 Zentimetern .

78 Auch beim Bau des Zisterzienserklosters im schweizerischen Sankt Urban wurden in der ersten Hälfte des 13 . Jahrhundert Formsteine mit den Ausmaßen von 54 × 30 × 22 Zentimetern hergestellt . Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt untersuchte 1996–98 die Steine und ihre Herstellungsbedingungen . Vgl . Sophie Wolf, Die Herstellungstechnik der Backsteine des Zisterzienserklosters St . Urban, in: Ernst Badstübner/Dirk Schumann (Hrsg .), Backsteintechnologien in Mittelalter und Neuzeit (Studien zur Backsteinarchitektur, Bd . 4), Berlin 2003, S . 227–239 . Die Tonmasse musste hier über einen Winter hinweg aufwendig vorbereitet werden . Nach der Anfer-tigung des Rohlings wurde dieser unter ganz speziellen Feuchtigkeitsverhältnissen über drei Monate lang getrock-net und schließlich acht Tage lang gebrannt . Wie in Chorin hat man auch bei der Berliner Franziskanerkirche die endgültige Form der Formsteine aus dem noch relativ feuchten Tonrohling herausgeschnitten . Zudem erhielten einige der Formstücke der Langhauskämpfer offenbar durch Polieren vor dem Brand eine leicht glänzende Ober-fläche .

79 Friedrich Adler nahm an, dass das Westportal im 14 . Jahrhundert durch das vorhandene ersetzt wurde, ohne jedoch eine nähere Begründung dafür anzugeben, vgl . Adler, Mittelalterliche Backstein-Bauwerke, Bd . 2, S . 41 . Bei den Sanierungen des westlichen Mauerwerkes haben sich auf der Innenseite von der Einbindung des Portal-gewändes in die Mauerblende nur noch wenige mittelalterliche Mörtelfugen erhalten . Diese sprechen jedoch eher für eine zusammenhängende Entstehung von Portalgewände und Westwand .

Abb. 16: Berlin Franziskanerklosterkirche, Westportal vor der Zerstörung, historisches Foto 1933/36.

Schlussbemerkungen und Überlegungen zur Datierung der Architektur

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