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7. Diskussion

7.4 Beid- und einbeinige Sprünge

Beim Vergleich der Landungswinkel nach dem beidbeinigen Sprung zeigt sich, dass sich die Kniewinkel der betr. und nicht betroffenen Beine der einzelnen Gruppen nur geringfügig unterscheiden (ns). Bei der statistischen Analyse der Patellargruppe und der Semitendinosusgruppe ist ein signifikanter Unterschiede feststellbar. Die Patien-ten der SemiPatien-tend.gruppe landen mit dem betroffenen Bein mit einem um 10,7 Grad grösseren Winkel (31,90) als die Patienten der Patellargruppe (21,20). Dieses Verhal-ten der PatienVerhal-ten nach Belastungen einen tieferen Winkel einzunehmen, zeigt sich ebenfalls beim Stabilisationswinkel. Hier stabilisierte die Semitendinosusgruppe mit 21,60 und die Patellargruppe mit 19,10 mit dem betr. Bein. Dieser Unterschied ist ge-ringfügiger (ns) als der beim Landungswinkel.

Eine mögliche und sinnvolle Erklärung für den grösseren Kniewinkel bei der Semi-tend.gruppe könnte sein, dass die ischiocrurale Muskulatur besser gegen eine ante-riore Subluxationstendenz der Tibia wirken kann. In diesem Sinne ist auch die um 33,09 % erhöhte Aktivität der Hamstrings auf der nicht betroffenen Seite und die um 7,07 % erhöhte Aktivität auf der betroffenen Seite beim beidbeinigen Sprung zu in-terpretieren (im Vergleich zur Patellargruppe). Vergleicht man die Semitendinosus-gruppe mit der KontrollSemitendinosus-gruppe, zeigen sich sogar erhöhte Aktivitäten von 38,56 % für die betroffene Seite und 138,01 % für die nicht betroffene Seite.

Der Frage, ob Patienten mit Kreuzbandverletzungen ihr motorisches Muster in Situa-tionen, die Instabilitäten provozieren, verändern, sind ebenfalls GAUFFIN et al.

(1992) nachgegangen. 9 Patienten mit alten kompletten und isolierten Rissen des vorderen Kreuzbandes ( mindestens 12 Monate nach der Verletzung) wurden einer isokinetischen Drehmomentmessung, einer Messung der Kniestabilität (Arthrometer) und einem funktionellen dynamischen Test (einbeiniger Standweitsprung) unterzo-gen. Beim Vergleich des betroffenen mit dem nicht betroffenen Bein gab es signifi-kante Unterschiede. Das betroffene Beine zeigte geringere Drehmomente, grössere Hüftbeugewinkel und Kniewinkel sowie höhere vertikale Bodenreaktionskräfte. Die bei der Landung gemessene Kniewinkelgeschwindigkeit war im betroffenen Bein kleiner, der maximale Kniewinkel war grösser. Im nicht verletzten Kniegelenk wurde ein signifikant höheres externes Gelenkmoment berechnet und die an einer MVC normierte EMG-Aktivität des M.rectus fem. war signifikant größer. Die reduzierte Quadriceps- Aktivität bei Bodenkontakt und Absprung zeigt nach Ansicht der Auto-ren, dass nicht die gesamte vorhanden Muskelkraft genutzt wird. Die wird als Verän-derung des Aktivierungsmusters interpretiert. Der grössere Kniebeugewinkel des be-troffenen Beines bei Bodenkontakt ermöglicht der ischiocruralen Muskulatur nach Ansicht der Autoren, besser gegen eine anteriore Subluxationstendenz der Tibia wir-ken zu können. In diesem Sinne ist auch die um 16 % (n.s.) erhöhte Aktivität des M.biceps fem. beim Bodenkontakt zu interpretieren. Unterstützt wird diese These durch die ermittelte Korrelation zwischen Kniebeugewinkel und Laxität. Im betroffe-nen Bein war die EMG-Aktivität beim Absprung um 20 % geringer. Damit kam die Arbeitsgruppe um GAUFFIN et al. (1992) teilweise zu ähnlichen Ergebnissen.

Die bilateralen Veränderungen der Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe können als eine zentrale Anpassung an die verletzungsbedingten Störungen interpretiert.

Zudem weisen sie daraufhin, dass die bilateralen Veränderungen für fehlende Unter-schiede beim Vergleich zwischen betroffener und nicht betroffener Seite mit Hilfe von

Scores oder Kraftmessungen verantwortlich sind und dann ein falsch positives Bild geben können.

Die vorliegende Untersuchung zeigt deutliche Veränderungen der Muskelaktivität bei Patienten in einem großem Zeitraum nach der erlittenen Verletzung. Die erhöhte Ak-tivität der ischiocruralen Muskulatur kann als Kompensation der verlorengegangenen anterioren Stabilität durch das gerissene Kreuzband interpretiert werden. Eine redu-zierte Aktivität der Streckermuskulatur, vor allem des M. vastus med., in der Stabilisationsphase der Bewegung kann beim Vergleich der betr. und nicht betroffe-nen Beine bestätigt werden. In der Patellargruppe zeigt sich eine Minderaktivierung des VM von 16,2 % und des VL von 6,1 % (ns). In der Semitend.gruppe zeigt sich eine Minderaktivierung von 2,6 % und 14,8 % (ns) der beiden Kniestrecker. Ver-gleicht man die Aktivitäten dieser beiden Muskeln der zwei Versuchsgruppen mit der gesunden Kontrollgruppe, so zeigt sich eine deutlich höhere Aktivität. Die VKB-Patienten nutzen also in höherem Maße die vorhanden Muskelkraft.

Autoren wie GAUFFIN et al. (1992), BANZER et al.(1994), PFEIFER et al. (1995) und VAN LENT et al.(1994) berichten ebenfalls von einer Minderaktivierung des M.

vast. med. bei ihren angewendeten Testverfahren. Sie untersuchten in ihren Studien ausschliesslich Patienten nach VKB-Rekonstruktion mit der Patellarsehne.

BANZER et al.(1994) und PFEIFER et al. (1995) wendeten in ihren Studien dynami-sche Testverfahren an, bei denen neben kinematidynami-schen Parametern auch die Ober – flächenelektromyographie eingesetzt wurde. Das neuromuskuläre Verhalten sollte analysiert werden. 12 Patienten nach einer VKB-Rekonstruktion mit einer Trevira-bandplastik wurden 1 Jahr postoperativ mit einer gesunden Kontrollgruppe vergli-chen. Es wurden erhebliche Unterschiede bei der Aktivierung der Quadricepsanteile festgestellt. Als dynamische Tests wurde der einbeinige Drop jump und ein Herab-steigen von einer 40 cm hohen Stufe durchgeführt. Kniewinkelverläufe wurden mit einem Elektrogoniometer gemessen und die Dauer des Bodenkontaktes mit einer Kontaktmatte. Zusätzlich wurden die Oberflächen-EMGs des M. vast. med., M.

vast.lat. und des M. rect. fem. abgeleitet. Die Patienten zeigten im betroffenen Bein beim Drop Jump signifikant längere Bodenkontaktzeiten, kürzer Flugzeiten, kleinere maximale Kniewinkel und geringere Kniewinkelgeschwindigkeiten. Ferner zeigte sich in allen Phasen im Vergleich zur Kontrollgruppe eine deutliche Minderaktivierung des M. vast. med. bis zu 10 % und eine Erhöhung der M. vast. lat. Aktivität bis zu 11,2 %.

In der Kontrollgruppe konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden.

Ebenso wie in der Untersuchung von VAN LENT et al.(1994) konnten Veränderun-gen der neuromuskulären Aktivierung im gesunden Bein der Versuchsgruppe festge-stellt werden. Hier kam es zu einer durchgängigen Erhöhung der Aktivität des M.

vast. med. bis zu 7,3 %. Beim Treppabsteigen konnten keine signifikanten Unter-schiede festgestellt werden.

Die Verschiebungen der Aktivitätsverteilung zeigten auch hier Veränderungen in der neuromuskulären Aktivierung. Minderaktivierung des M. vast. med. kann einerseits atrophiebedingt sein, also auf einer durch die Verkleinerung der Muskelmasse und Einsprossungen von Bindegewebe in die Muskulatur bedingten Veränderung der ab-leitbaren elektrischen Aktivität beruhen. Weiterhin kann die Minderaktivierung durch reflektorische Hemmung hervorgerufen werden. Als Ursachen für eine solche Hem-mung kommen bei den untersuchten Probanden Veränderungen der intraartikulären Druckverhältnisse durch bestehengebliebene arthrofibröse Veränderungen, durch

rung aufgetretene Instabilitäten in Frage, die zu einer Reizung der Mechanorezepto-ren und einer entsprechenden reflektorischen Beeinflussung der Muskelaktivierung führen können. Eine reflektorische Hemmung kommt nicht in Frage, da die Proban-den während der Testbewegungen schmerzfrei waren. Eine weitere Ursache für die Minderaktivierung kann in einer durch die in der Immobilisationsphase bzw. den er-sten Wochen nach der Operation auftretenden reflektorischen Hemmungen erlernten Veränderung der Muskelaktivierung im Sinne eines veränderten motorischen Pro-grammes liegen. Dafür sprechen auch die veränderten Aktivierungsmuster im nicht betroffenen Bein.

Die bei den Untersuchungen zyklischer Bewegungsformen ermittelten neuromusku-lären Veränderungen werden von allen Autoren als Kompensationsmechanismen in Bezug auf die Untersuchung von SOLOMONOW et al.(1987) interpretiert. Im Vor-dergrund steht dabei die mechanische Entlastung des vorderen Kreuzbandes bzw.

der Ersatz des der Kreuzbandfunktion durch die ischiocrurale Muskulatur, da alle vorhandenen Untersuchungen an Patienten mit alten konservativ behandelten Rup-turen des vorderen Kreuzbandes durchgeführt worden sind.

HURLEY et al. (1992) untersuchten 10 Patienten mit isolierten Rupturen des vorde-ren Kreuzbandes. Sie zeigten in beiden Extremitäten Hemmungen der Quadriceps-Aktivierung und wurden einem intensiven 4-wöchigen Rehabilitationsprogramm un-terzogen. Die Patienten verbesserten ihre isometrische und isokinetische Maximal-kraft um durchschnittlich 17,8 %. Die ermittelte Aktivierungshemmung nahm in bei-den Beinen nur gering und nicht signifikant ab (betroffenes Bein von 9,5 % auf 6,8 %, nicht betroffenes Bein von 8,7 % auf 6,0%).

Die aufgetretenen Hemmungen werden von den Autoren auf eine veränderte Gelen-kafferenz bei den durchgeführten mechanische Belastungen zurückgeführt, da keiner der Patienten Schmerzen oder einen Erguss im Gelenk hatte. Die Autoren ziehen die Schlussfolgerung, dass die festgestellte Hemmung auch bei intensiver Rehabilitation die Wiederherstellung der Muskelkraft verhindern kann und empfehlen unter Bezug-nahme auf NEWHAM et al.(1989) den Einsatz von schnellen Kontraktionsformen zur Überwindung dieser Hemmung.

Die Untersuchung bestätigt das Vorhandensein einer veränderten neuromuskulären Aktivierung nach Rupturen des vorderen Kreuzbandes. Dies gilt hier ebenfalls für das nicht betroffene Bein der Probanden. Dies ist ein Hinweis, dass ein einfacher Rechts-Links-Vergleich zur Beurteilung der betroffenen Extremität nicht ausreicht. Diese Er-gebnisse stehen allerdings etwas im Widerspruch zu den vorher geschilderten Un-tersuchungen, da die Aktivität der ischiocruralen Muskulatur bei der Geh- und Lauf-belastung auf dem Laufband deutlich niedriger und kürzer war. Die Auffassung der anderen Autoren, dass diese Muskelgruppe synergistisch zum vorderen Kreuzband arbeitet bzw. dessen Funktion übernimmt, kann hier keine Anwendung finden.

Die Ergebnisse von NEWHAM et al. (1989) führen zu der Frage, ob die Rekonstruk-tion des vorderen Kreuzbandes und die damit verbundene Wiederherstellung der anterioren Gelenkstabilität zur Vermeidung der beschriebenen Hemmungen führen.

SNYDER-MACKLER et al. (1994) sind dieser Fragestellung nachgegangen und un-tersuchten 20 Patienten nach KKB-Rekonstruktion mit Achillessehnen-, Patellarseh-nen- und Semitendinosussehnentransplantat. Ferner wurden zwei weitere Gruppen

untersucht, die aus Patienten mit nichtoperierten Rupturen des VKBs und alten chro-nischen VKB-Rupturen bestanden. Alle Patienten führten isometrische Maximal-kraftmessungen im Sitzen (600 Kniewinkel, offene kinetische Kette) durch. Während der Messung erfolgte zusätzlich eine überlagerte Muskelstimulation über zwei distal und proximal über dem Muskelbauch angebrachte Elektroden. Ein möglicher simula-tionsbedingter Kraftanstieg wurde in den ersten 100 ms nach Applikation des Reizes ermittelt. Die Gruppe der operierten Probanden zeigte ein Kraftdefizit von 23 % auf der betroffenen Seite im Vergleich zur nicht betroffenen Seite. Bei keinem der ope-rierten Probanden kam es durch Stimulation zu einem Kraftanstieg von mehr als 5 %.

Die Gruppe mit den chronischen Rupturen zeigte ebenfalls keinen stimulationsbe-dingten Kraftanstieg von mehr als 5 %. Die Kraft der betroffenen Seite betrug hier 76

% der nicht betroffenen Seite. Bei 9 von 12 Patienten mit den subakuten Kreuzban-drupturen konnte eine Hemmung von mehr als 5 % festgestellt werden. Die Kraft auf der betroffenen Seite betrug hier ebenfalls 76 %. Die Ergebnisse der zweiten Gruppe bestätigen nach Ansicht der Autoren das Vorhandensein einer Aktivierungshemmung und damit die Untersuchungsergebnisse von NEWHAM et al. (1989) oder HURLEY et al.(1992). Die fehlende Hemmung der operierten Gruppe führen die Autoren auf die wiederhergestellte Stabilität des Gelenkes zurück, die die Reizungen der Mecha-norezeptoren während der Maximalkontraktionen durch Subluxationstendenzen o.ä.

verhindert. Die fehlende Hemmung bei den Probanden mit alten VKB-Rupturen wird im Sinne einer langfristigen hemmungsbedingten Atrophie der Muskelfasern interpre-tiert, die dann weder willkürlich noch durch Elektrostimulation zu aktivieren seien.

Langfristige bestehende Kraftdefizite, aus der Praxis häufig berichtete mangelnde Trainierbarkeit verletzter bzw. operierter Extremitäten oder Defizite in dynamischen Belastungssituationen sind möglicherweise auf Hemmungen der neuromuskulären Aktivierbarkeit zurückzuführen, die als kurzfristige Immobilisationsfolge häufig be-schrieben ist. Untersuchungen zur Aufdeckung solcher Hemmungen bei Patienten mit Rupturen des VKBs sind bisher wenig durchgeführt worden (NEWHAM et al.

1989, HURLEY et al. 1992, SNYDER-MACKLER et al.1994).

Gruppenunterschiede können möglicherweise auf eine bessere motorische Lei-stungsfähigkeit der Probanden der Kontrollgruppe zurückgeführt werden, die zu den im Gruppenvergleich kürzeren Kontakt- und längeren Flugzeiten bei den dynami-schen Tests geführt hat.

Eine Erklärungsmöglichkeit für den niedrigeren Kniewinkel in der Patellargruppe ge-genüber den anderen zwei Gruppen kann ein reduziertes Kraftniveau des betroffe-nen Beines sein. Bei grösseren Kniebeugewinkeln entstehen im Kniegelenk grössere Beugemomente, deren Überwindung eine ausreichende Kraft der Extensoren vor-aussetzt. Um bei geringerer Kraft trotzdem die Testaufgaben zu bewältigen, vermei-den die Probanvermei-den möglicherweise grössere Kniebeugewinkel. Dieses Kraftdefizit ist jedoch nicht vorhanden.

Reduzierte Fähigkeiten einer operierten Extremität können demzufolge nicht alleine auf eine niedrigere Kraft zurückgeführt werden, sondern, dass weitere Faktoren eine Rolle spielen müssen, die u.a. vor dem Hintergrund der neuromuskulären Aktivierung der Muskulatur bei den Testbewegungen diskutiert werden können.

YACK et al. (1994) zeigen, das die anteriore Verschiebung bei Probanden mit kon-servativ versorgten Rupturen des vorderen Kreuzbandes bei beidbeinig ausgeführ-ten Kniebeugen mit grösser werdenden Kniebeugewinkel stetig zu. Insofern können

fenen Bein als biomechanisch günstiger bezeichnet werden, da sie die Zugbelastun-gen auf den Kreuzbandersatz gering halten. Die Zugbelastung auf das Implantat ist dabei allerdings wahrscheinlich nicht als angesteuerte Grösse bei der Bewegungs-ausführung zu verstehen. Dagegen spricht einerseits die fehlende sensorische Ver-schaltung des Kreuzbandersatzes, wie sie bei unversehrten Kniegelenken beschrie-ben worden ist (SOLOMONOW et al.1987, SCHUTTE et al.1987, MIYATSU et al.1993), andererseits bezeichnen YACK et al. (1993) die auftretenden anterioren Verschiebungen während der Bewegung in der geschlossenen kinetischen Kette als minimal im Vergleich zu Situationen in der offenen kinetischen Kette und bei manuel-len Untersuchungen. Die neuromuskuläre Bewegungskontrolle wird auch bei YACK et al. (1993) problematisiert, in dem einer Koaktivierung der Kniegelenkstrecker und –beuger eine große Rolle bei der Vermeidung anterioren Translationen der Tibia zu-geschrieben wird.

In der vorliegenden Untersuchung ist die mechanische Stabilität des Kniegelenkes durch die operative Rekonstruktion wiederhergestellt worden, daher kann wahr-scheinlich nicht von einer instabilitätsbedingten kompensatorischen Muskelaktivität gesprochen werden. SOLOMONOW et al. (1987) haben das Vorhandensein eines Reflexbogens zwischen VKB und der ischiocruralen Muskulatur beschrieben, der zu einer Aktivierung der Muskulatur bei Belastungen des VKB führt. Bei Patienten mit gerissenem VKB entdeckten sie einen alternativen Reflexbogen, der in einer gestei-gerten Aktivität der ischiocruralen Muskulatur bei Subluxationstendenzen des Gelen-kes zum Ausdruck kam. Als Sensoren für die reflektorische Auslösung der Muskelak-tivität vermuten die Autoren die Mechanorezeptoren des Kniegelenkes und die Deh-nungsrezeptoren der ischiocruralen Muskulatur. In diesem Sinne kann die Aktivität der ischiocruralen Muskulatur ähnlich wie bei der von den oben genannten Autoren angeführten Kompensationsfunktion als eine synergistische Muskelaktivität zur Funk-tion des rekonstruierten VKB interpretiert werden.

MCNAIR et al.(1992) bringen in diesem Zusammenhang den Begriff der Stiffness der ischiocruralen Muskulatur in die Diskussion, wobei sie diese Muskelgruppe als ein-dimensionales Federmodell mit Dämpfungselement betrachten. Die Frequenz der Oszillation des Modells wird dabei als Funktion der Stiffness des Muskels angese-hen. In einer entsprechenden Messapparatur wurde die Stiffness der ischiocruralen Muskulatur bei Probanden mit konservativ versorgten Rupturen des VKB während willkürlicher Kontraktionen gemessen. Die Ergebnisse wurden mit den bei einer sub-jektiven Beurteilung der Kniegelenkfunktion (Noyes-Score) erzielten Ergebnissen in Beziehung gesetzt. Die Korrelationsuntersuchungen zeigen einen mäßigen bis guten Zusammenhang und weisen auf die mögliche Bedeutung der Stiffness der ischiocru-ralen Muskulatur hin. Die frühe Aktivierung in der Studie kann ebenfalls zu einer hö-heren Stiffness beigetragen haben, die dann wieder im Sinne eines Synergismus hilft, Subluxationstendenzen zu begrenzen.

Die sogenannte Stiffness der Muskulatur wird durch eine Kraft-Längenbeziehung dargestellt , in der das Verhältnis zwischen einer einwirkenden Kraft und der dadurch bedingten Längenänderung eines Muskels unter statischen („static stiffness) oder dynamischen Bedingungen („incremental dynamic stiffness“ und „instantaneous stiff-ness“) beschrieben wird (HOUK et al. 1981). Dabei ist die aktive mechanische Kom-ponente der Stiffness abhängig von der Aktivität der motorischen Einheiten und der jeweiligen Muskellänge. Mit Veränderungen der Kontraktionsstärke durch die

Rekru-tierung weiterer motorischer Einheiten der Innervationsfrequenz sind gleichsinnige Veränderungen der Stiffness des Muskels verbunden. Die bei schnellen Dehnungen eines Muskels vorhandene hohe initiale Stiffness bezeichnet man dabei als „short range stiffness “oder „ short range elasticity“, die von der Anzahl der gebildeten Querbrücken abhängig ist (MORGAN 1977, HOUK et al. 1981).

Die Einbeziehung der neuromuskulären Parameter in die Interpretation der, bei den motorischen Tests erbrachten, Leistungen führt also zu einer differenzierten Betrach-tung, bei der die erreichten und im Vergleich zur gesunden Extremität geringeren motorischen Fähigkeiten nicht einfach nur als defizitär bezeichnet werden dürfen, sondern auch als sinnvoller Kompensationsmechanismus für die nach der Verletzung und Operation veränderten biomechanischen und neuromuskulären Verhältnisse angesehen werden können. Die meisten der genannten Autoren sprechen bei der Interpretation ihrer Untersuchungsergebnisse von kompensatorischen Veränderun-gen des motorischen Programmes im Sinne einer neu gelernten Bewegungsausfüh-rung bei gerissenen VKB. So interpretieren z. B. auch GAUFFIN et al. (1992) die veränderte „performance“ bei den durchgeführten funktionellen Tests nicht als direk-tes Ergebnis ligamentärer Defizite, sondern als Ausdruck eines veränderten Bewe-gungsmusters im kompensatorischen Sinne.

Die Betrachtung der Koaktivierung von Kniegelenkstreckern und –beugern bei den durchgeführten Bewegungen an Bedeutung. Für Kniegelenkstreckungen in der offe-nen kinetischen Kette konnten z.B. BARATTA et al.(1988) und DRAGANICH et al.

(1989) deutliche Koaktivierungen der ischiocruralen Muskulatur darstellen. Beide Au-torengruppe interpretieren dies als synergistische Muskelaktivität zur Funktion des VKB und somit als einen Schutzmechanismus, da die Koaktivierung mit zunehmen-der Kniegelenkstreckung anstieg. Zu zunehmen-der Frage, welche genauen neurophysiologi-schen Funktionsweisen dieser Koaktivierung zugrunde liegen, liegen bislang noch keine eindeutigen Erkenntnisse vor. Als mögliche Mediatoren der Koaktivierung im Sinne einer reflektorischen Erregung werden die Mechanorezeptoren des Kniegelen-kes (NYLAND et al.1994) und die sensiblen Organe der Muskulatur (Muskelspindeln und Golgi-Rezeptoren) betrachte. Ebenso kann die Steuerung der gleichzeitigen Beugeaktivität über entsprechende motorische Programme geregelt und damit nicht primär reflektorisch bedingt sein. Die in den Untersuchungen von SOLOMONOW et al. (1987) dargestellte reflektorische Verschaltung des VKB mit der ischiocruralen Muskulatur wird auch von BARATTA et al.(1988) und DRAGANICH et al. (1989) als eine mögliche Ursache für die aufgetretene Koaktivierung angeführt.

In dieser Untersuchung scheidet diese Möglichkeit aus, da zwischen der eingesetz-ten Transplantatplastik und der ischiocruralen Muskulatur keine neuronalen Verbin-dungen mehr zu vermuten sind. Akzeptiert man die bei den neuromuskulären Para-metern auftretenden Gruppeneffekte als bilaterale Anpassungen an die Verletzungs- bzw. Operationsfolgen, so erscheint die Veränderung der neuromuskulären Ansteue-rung der Muskulatur über die Anpassung des motorischen Programmes als wahr-scheinlich. Dabei schliesst diese Interpretation die reflektorische Beeinflussung der Muskelaktivität über die Mechanorezeptoren des Kniegelenks nicht aus. Die wieder-hergestellte mechanische Instabilität lässt diesen Einfluss aber als gering erschie-nen. Die gemeinsame Aktivität von Quadricepsmuskulatur und ischiocruraler Musku-latur bei gesunden Probanden auch in der geschlossenen kinetischen Kette konnten CICOTTI et al. (1994) bei verschiedenen Geh- und Laufformen zeigen. Dabei kam es nach Angaben der Autoren zu einer gleichzeitigen Aktivierung der beiden

Muskel-latur.

CICOTTI et al. (1994) untersuchten in ihrer Studie eine Gruppe von Patienten mit konservativ und operativ versorgten Rupturen des VKB. Beim Vergleich der Patien-ten mit VKB-Rekonstruktion mit der gesunden Kontrollgruppe wurden keine Unter-schiede in der muskulären Aktivierung festgestellt. Die koordinierte Aktivität von Quadriceps und ischiocruraler Muskulatur war in allen drei Gruppen vorhanden, in der Gruppe mit den konservativ versorgten VKB-Rupturen waren neben den Aktivitä-ten von M. vast. lat, M. auch der M. biceps. fem. stärker aktiv. Diese Biceps-Aktivierung wird auch hier als Ersatzfunktion zum fehlenden Kreuzband angesehen.

Im vorliegenden Abschnitt wurde erneut auf die mögliche Bedeutung des von SO-LOMONOW et al. (1987) beschriebenen Reflexbogen zwischen VKB und ischiocruraler Muskulatur hingewiesen. Die meisten der in der vorliegenden Arbeit genannten Autoren verweisen bei der Diskussion ihrer Ergebnisse auf diesen Zusammenhang. An dieser Stelle sei angemerkt, dass auch Untersuchungen vorhanden sind, die die Ergebnisse von SOLOMONOW et al. (1987) widerlegen.

POPE et al. (1990) versuchten in einem ähnlichen Versuchsaufbau durch mechanische Belastungen des VKB der Katze ebenfalls reflektorische Muskelantworten der ischiocruralen Muskulatur auszulösen, was ihnen nicht gelang.

Auch GRABINER et al. (1992) konnten an kniegesunden Probanden keine reflektorische Muskelantwort der ischiocruralen Muskulatur bei Extensionsbewegungen in der offenen Kette ermitteln, wie dies von SOLOMONOW et al.(1987) beschrieben wurde. Eine direkte reflektorische Verbindung zwischen

Auch GRABINER et al. (1992) konnten an kniegesunden Probanden keine reflektorische Muskelantwort der ischiocruralen Muskulatur bei Extensionsbewegungen in der offenen Kette ermitteln, wie dies von SOLOMONOW et al.(1987) beschrieben wurde. Eine direkte reflektorische Verbindung zwischen