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1. EINLEITUNG

1.2. Behandlungskonzept für Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte

1.2.1. Behandlungsprotokoll

Die Behandlung von Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten beginnt direkt nach der Ge-burt und setzt sich bis in das Alter von ca. 20 Jahren fort. Das Ziel ist eine vollständige Reha-bilitation durch die Harmonisierung der skelettalen und dentalen Relationen mit übereinstim-menden Basen und Zahnbögen und einem harmonischen Weichteilprofil sowie ein langzeit-stabiles Behandlungsergebnis. Hierzu ist ein interdisziplinäres Behandlungskonzept notwen-dig, in dem Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, Kieferorthopäden, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Phoniater, Pädaudiologen, Logopäden und Prothetiker eng zusammenarbeiten (Hausamen 1986, Lisson et al. 2001).

Direkt nach der Geburt beginnt die prächirurgische kieferorthopädische Behandlung mit der Eingliederung einer Gaumenplatte. Sie trennt Mund- und Nasenhöhle, damit die Zunge aus dem Spaltbereich herausgehalten wird und somit Schlucken, Saugen und Nasenatmung mög-lich sind (Opitz 2002, Tränkmann 1986). Die Platte wird während des Wachstums kontinuier-lich angepasst bzw. erneuert (Lisson 2002).

Regelmäßige Kontrollen der Hals-Nasen-Ohrenärzte, Phoniater und Pädaudiologen sollen ei-ne Früherkennung von Hörschäden durch Kontrolle der Mittel- und Inei-nenohrfunktion ermög-lichen. Störungen der Tuba auditiva oder vergrößerte Rachenmandeln und damit verbundene Entzündungen können zu Sprachentwicklungsstörungen führen. Parazentesen mit Pauken-drainage oder Rachenmandelentfernungen können notwendig sein (Schönweiler et al. 1999).

Ferner erhalten die Eltern Anregungen zur Förderung der Mundmotorik.

Das operative Protokoll sieht im Alter von fünf bis sechs Monaten den plastischen Verschluss der Lippe vor. Bei Patienten mit einseitiger Lippen-Kiefer-Gaumenspalte erfolgt dies nach der Technik von Tennison-Randall-Stellmach, bei Patienten mit beidseitiger Lippen-Kiefer-Gaumenspalte in der Technik von Veau-Cronin. Die Kinder sollten bei gutem Allgemeinzu-stand ein Körpergewicht von 5000 bis 6000 g und einen Hämoglobinwert von 10 g% aufwei-sen. Ungefähr eine Woche nach dieser Operation wird eine neue Gaumenplatte eingesetzt.

Im Alter von 24 bis 30 Monaten, wenn die Eckzähne und die ersten Molaren der ersten Denti-tion durchgebrochen sind, wird in der Technik nach Pichler der harte Gaumen verschlossen

(Tränkmann 1986, Hausamen 1986). In der Regel wird nun keine neue Gaumenplatte mehr eingegliedert.

Drei Monate nach dem Verschluss des harten Gaumens wird der weiche Gaumen in der Technik nach Widmaier gedeckt.

Es werden auch nach Absetzen der Gaumenplatte regelmäßig kieferorthopädische Kontrollun-tersuchungen durchgeführt, spätestens einmal jährlich im Geburtsmonat (Hausamen 1986, Tränkmann 1986). Falls erforderlich werden bei lateralen oder anterioren Kreuzbissen ab-nehmbare Apparaturen eingegliedert (Tränkmann 1989). Die Kontrollen und später auch kie-ferorthopädischen Behandlungen dauern in der Regel bis zum Wachstumsabschluss an (1986).

1.2.2. Ziele des Behandlungskonzepts

Jedes Therapiekonzept, das eine möglichst vollständige ästhetische und funktionelle Rehabili-tation der Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten anstrebt, gründet auf der gleichberech-tigten Zusammenarbeit der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie mit der Kieferorthopädie und der Phoniatrie respektive Pädaudiologie. Ein stigmata-reduziertes Aussehen setzt natür-lich bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten primär die plastische Deckung der Lippe mit der Rekonstruktion des Naseneingangs voraus. Ohne Verschluss des Kiefers sowie des harten und weichen Gaumens zur Trennung von Mund- und Nasenhöhle wäre eine maximale Sprachlaut- und Gehörbildung nicht möglich (Schönweiler 1999). Auch eine physiologisch regelrechte Okklusion und damit die vollständige ästhetische und funktionelle Rehabilitation sind sonst nicht zu erreichen.

Abhängig von Lokalisation und Ausprägungsgrad (siehe auch Abbildung 2) erfordern die zum Verschluss der Lippe, des Kiefers und des Gaumens genannten Operationen oft eine um-fangreiche Gewebsmobilisierung, was bei nachfolgender Narbenbildung langfristig ein ohne-hin gemindertes Kieferwachstum und eine geminderte Alveolarfortsatzentwicklung hemmen kann.

Typische Anomalien der Zahnstellung sowie der Position und Größe des Oberkiefers können ein Ausdruck dieser Hemmung der Alveolarfortsatzentwicklung bzw. der Minderung des Kie-ferwachstums sein. Erste Hinweise mit einer dementsprechend vom physiologisch regelrech-ten abweichenden Okklusion finden sich gewöhnlich schon im Gebiss der ersregelrech-ten Dentition.

Abbildung 3: Physiologisch regelrechte Okklusion im Gebiss der zweiten Dentition bei einem gesunden Patienten.

Die Referenzpunkte zur Beurteilung der Okklusion in der Sagittalen sind grün dargestellt: die Spitze des oberen Eckzahnes okkludiert zwischen unterem Eckzahn und erstem Prämolaren; die mesiobukkale Höckerspitze des oberen ersten Molaren okkludiert mit der bukkalen Fissur des unteren ersten Molaren.

Wie die chirurgische Rehabilitation muss auch die kieferorthopädische Behandlung der Pati-enten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten funktionellen und ästhetischen Kriterien genügen.

Die Stellung der für jedermann sichtbaren oberen Schneidezähne mag ein nach ästhetischen Kriterien absolut gerechtfertigtes Behandlungsziel sein. Eine vollständige funktionelle Reha-bilitation ist aber erst erreicht, wenn zwischen den Schneidezähnen des Ober- und des Unter-kiefers eine physiologisch regelrechte sagittale und vertikale Frontzahnstufe besteht, wie sie auch in Abbildung 3 dargestellt ist. Die funktionellen Behandlungsaufgaben betreffen daher Seitenzähne und Front- bzw. Schneidezähne gleichermaßen.

Abbildung 4: Kongruente und symmetrische Zahnbögen im Ober- und Unterkiefer.

Die Zahnbögen sind symmetrisch und zueinander kongruent, nur hierdurch ist auch eine physiologisch regel-rechte und langzeitig stabile Okklusion möglich.

Die eingezeichneten Linien beschreiben im Unterkiefer die Verbindungslinie der okkludierenden Höcker und im Oberkiefer die Verbindungslinie der Zentralfissuren.

Die physiologisch regelrechte Okklusion, eindeutig für den Front- und Seitenzahnbereich de-finiert, setzt die sagittale, transversale und vertikale Kongruenz der Zahnbögen voraus (Abbildung 4). Eine solche Kongruenz erfordert wiederum die Symmetrie der Einzelzahnbö-gen in den Einzelzahnbö-genannten drei Raumebenen, wobei bei Patienten mit uni- wie bilateralen Lippen-Kiefer-Gaumenspalten hier der größte Behandlungsbedarf vermutet werden kann.