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Begriff und Benennung in der Terminologiearbeit

Die „Terminologiewissenschaft befasst sich mit den Begriffen und Bezeichnungen in Fachsprachen“

(Schmitz 2007). Die Gesamtheit aller Begriffe und Benennungen (Termini) in einem Fachgebiet, bzw.

die Fachsprache selbst bezeichnet man als Terminologie (vgl. DIN 2342, 2004). Aus dieser Sicht ist Terminologie das Vokabular einer speziellen Sprache, definiert als eine Menge von Konzepten und Begriffen innerhalb eines spezifischen Bereichs. Viele Terminologien bilden ein kontrolliertes Vokabular. Begriffe sind nicht notwendigerweise an bestimmte Sprachen gebunden, sie werden jedoch von dem jeweiligen gesellschaftlichen, technischen oder kulturellen Hintergrund der spezifischen Sprachgemeinschaft beeinflusst (vgl. Schmitz 2008a).

Neben der ursprünglichen Aufgabe der fachlichen Klassifizierung (z.B. biologische Nomenklatura) hat die Terminologiewissenschaft für die Industrie eine große Bedeutung gewonnen. Die IT-Industrie ist laufend damit befasst, neue Terminologien zu generieren, um neue Konzepte und Produkte zu platzieren und zu kommunizieren. Insbesondere ist dies bei Software-Anwendungen relevant, da die Begriffe betriebsbedingte Komponenten des Produktes selbst sind. Microsoft

beschäftigt achtzehn Vollzeit-Terminologen mit sowohl linguistischem als auch interkulturellem Hintergrund, da erkannt wurde, dass hohe Qualität der Terminologie ein Schlüsselfaktor für die Nutzerakzeptanz ist. Schmitz hat im Auftrag von Microsoft den Zusammenhang zwischen Terminolo-giemanagement und „Empowerment“ im Software-Entwicklungsprozess untersucht und konstatiert:

„… terminology is the primary means of communication and knowledge transfer between software developer and end-users via the user assistance material“ (Schmitz 2004, S.1).

Für neue Konzepte, die aus der Entwicklung neuer Technologien, Prozesse oder Produkte entstehen, verweist die Terminologie auf Objekte in der realen Welt. Für neu einzuführende konkrete oder abstrakte Objekte müssen neue kognitive Repräsentationen etabliert werden. Neue Bezeichnungen sollten laut der ISO 704 nach den in Tabelle 6 aufgeführten Prinzipien entwickelt werden (zitiert nach Schmitz 2004).

Richtlinie Erläuterung

Transparenz, Motivation

Das Konzept (Begriff), das mit dem Term bezeichnet wird, soll ohne Definition verstanden werden. Die Bedeutung des Ausdrucks ist mit seiner Morphologie sichtbar, z.B. thermisches Rauschen vs. Johnson Noise.29

Konsistenz Alle Ausdrücke gehören zum selben Konzept (Begriff), z.B. Nylon, Orlon, Rayon

Angemessenheit Vertraut, etabliert in der Sprache, so neutral wie möglich, negative Konnotation vermeiden, z.B. genetic engineering vs. genetic manipulation

Linguistisch ökonomisch

So prägnant wie möglich, keine unnötigen Längen. Übermäßige Länge führt zur Gefahr der Weglassung, z.B. Datenbank vs.

Terminologie-Datenbank

Ableitungsfähig Produktive Ausdrücke, die viele Ableitungen erlauben, z.B. herb vs.

medical plant; erlaubt: herbal, herbalist, herby.

Linguistische Korrektheit Morphologische, morphosyntaktische, phonologische Konventionen beachten, z.B. aktualisieren vs. updaten.

Präferenz für native Sprache Startseite vs. Homepage Gut zu lokalisieren

Tabelle 6: Richtlinien für das Erzeugen neuer Termini (ISO 704 2000)

Als eine transparente und semantisch motivierte Bezeichnung kann z.B. ein Icon für eine Firewall im User Interface gelten. Der Inhalt ist durch die Semantik der Bestandteile erschließbar. Mangelnde Konsistenz hinsichtlich der Bezeichnungen ist jedoch für die einzelnen Tasten auf der PC-Tastatur feststellbar. Die Eingabetaste wird sowohl als Enter-Key, Return-Taste oder auch Carriage Return bezeichnet. Neben inkonsistenten Bezeichnungen der Hardware sind auch inkonsistente Bezeich-nungen von verschiedenen Software-Modulen kritisch. So hat Microsoft im Rahmen der Terminolo-giearbeit auch seine Sicherheits-Terminologie überarbeitet, um die Begriffsverwirrung um Update, Hotfix, Patches zu minimieren (vgl. Schmitz 2004). Schmitz nennt ein anderes Beispiel für die

29 J. Johnson hat als erster diese Art von Geräusch gemessen.

geforderte Vermeidung negativer Konnotation: Bei der Neuinstallation von Programmen wird der Nutzer aufgefordert zu wählen, ob er eine Expressinstallation oder eine Netzwerkinstallation vorneh-men möchte. Dies kann zu Verwirrungen führen, da angenomvorneh-men werden kann, dass bei einer Ex-pressinstallation etwas fehlt. Durch eine Umbenennung der Auswahl in Optimale Installation oder Komplette Installation gab es weniger Verwirrungen bei Nutzern. Mit diesen Begriffen wird das Konzept, welches hinter den verschiedenen Installationsarten steht, besser transportiert.

Für die Erstellung von Begriffssystemen ist zu fordern:

ƒ Eindeutigkeit: Beziehung und Unterteilungskriterien: klar und eindeutig

ƒ Verständlichkeit: angepasst an Fachverständnis der Zielgruppe (wenn bekannt)

ƒ Übersichtlichkeit: nicht zu komplex, benutzerfreundliche Darstellung

ƒ Ergänzbarkeit: flexibel und offen für Neues und Veränderungen Schmitz (vgl. Schmitz 2007).

Benennungen sollen sich zwanglos in das Sprachgefüge einordnen, angemessen kurz, einprägsam, leicht sprechbar und zum Bilden von Ableitungen geeignet sein. Für die Bildung von Fachtermini sollen die Regeln der deutschen Wortbildung kreativ genutzt werden (vgl. DIN 2330, 1993).

Terminologen kommt auch die Kompetenz zu, neue Wörter zu ersinnen. Gerade für neue technische Entwicklungen können Wortneuschöpfungen sinnvoll sein, wenn sie sich nicht ohnehin durch die All-tagssprache ergeben, wie z.B. simsen oder googeln. Die häufigste Form der Neubildung von Wörtern ist die Zusammensetzung aus einem Grundwort, das die Hauptbedeutung trägt und einem Be-stimmungswort, das das Grundwort in seiner Bedeutung verändert (vgl. Nickl 2008). Ein Beispiel fürs User Interface lautet zwischenspeichern.

Für Datenbanken zur Terminologieverwaltung werden Begriffs-, Benennungs- und verwaltungs-technische Datenkategorien vorgesehen. Begriffsbezogene Kategorien sind z.B. Fachgebiet, Defini-tion, Abbildung. Benennungsbezogene Kategorien sind Benennung (Synonym, Kurzform, Variante), Kontext, grammatikalische Information, geografische Einschränkung. Zu den verwaltungstechnischen Kategorien gehören Autor oder Quelle (vgl. Schmitz 2000, S.140).

Ein Ziel von Terminologiearbeit ist die Vermeidung von Mehrdeutigkeiten. Mehrdeutigkeit der Spra-che meint die Mehrdeutigkeit der Begriffe. Semantisch untersSpra-cheidet man Synonymität, Homonymi-tät und Polysemie. Synonyme, also sinnverwandte Wörter, sind Wörter mit (fast) gleicher Bedeutung, wie gehen und sich fortbewegen, Orange und Apfelsine. Es ist die gleiche Bezeichnung und die gleiche Definition. In User Interfaces könnten es Benennungen wie Merken/Speichern sein. Es han-delt sich also um einen Begriff, aber zwei Benennungen. Homonyme, also gleichlautende Wörter, sind Begriffe, die gleich geschrieben und gesprochen werden, aber unterschiedliche Bedeutung haben:

Anlage (Industriewerk/Finanzbegriff); Steuer (Finanzschuld/Lenkrad). Diese sind in Wörterbüchern getrennt aufgeführt, haben eventuell eine Bedeutungsnähe, aber etymologisch oft unterschiedliche Quellen. Ein Homonym im User Interface könnte Status sein. Polyseme, also wirklich mehrdeutige

Wörter, sind ebenfalls Wörter mit mehr als einer Bedeutung, z.B. Schloss (Schließvorrichtung/

Gebäude) oder Pferd (Schachfigur/Tier/Turngerät). Etymologisch lassen sich die verschiedenen Bedeutungen aber auf eine gemeinsame Quelle zurückverfolgen, deshalb findet man diese Inhalte im Wörterbuch unter einem Eintrag. Ein Polysem im User Interface könnte leihen (ausleihen/ verleihen) sein. Die Unterscheidung, ob eine Benennung homonym oder polysem ist, ist auf Anhieb nicht trivial, in beiden Fällen handelt es sich um zwei Begriffe und eine Benennung. Polysemie ist im Gegensatz zur Homonymie die Hauptursache für Mehrdeutigkeit (vgl. Universität Trier 2006). Polysemie gilt aber, und das ist interessant, in der gesprochenen Sprache als (natürlichsprachlicher) Normalfall und als Ausdruck des sprachlichen Ökonomie-Prinzips. Polysemie ist nicht auf Wörter beschränkt, auch Zeichen können polysem sein. Um eine einheitliche Terminologie innerhalb eines Softwareprodukts zu gewährleisten, sollten Homonyme beseitigt und Synonyme und Polyseme kontrolliert werden.

Eine bedeutende Rolle für User Interfaces spielt auch die sogenannte Äquipollenz30 (Gleichgeltung).

Ein Beispiel ist die Bezeichnung Lagerbestand als mengenmäßige und Warenkonto als wertmäßige Rechnung über den Artikelbestand eines Unternehmens. Dasselbe Objekt (Extension = Sinn) wird unter unterschiedlichen Blickwinkeln (Intension = Bedeutung) betrachtet und unterschiedlich bezeich-net. Die Benennung Artikelbestandin einem User Interface kann also sehr missverständlich sein. Als Begriffsinhalt (Intension) wird „die Gesamtheit der Merkmale, die einen Begriff ausmachen.“ Defi-niert (DIN 2342, 2004). Die Intension z.B. von „Blume“ ist duftend, farbig, pflanzlich. Der Begriffs-umfang (Extension) ist definiert als „die Gesamtheit der einem Begriff untergeordneten Begriffe, die auf derselben Stufe stehen“ (DIN 2342, 2004) oder auch Menge aller Objekte, die dieser Begriff umfasst. Bezogen auf den Fachbegriff DATEV nennt Ortner Intension und Extension des Begriffs (Tabelle 7).

Individualbegriff Allgemeinbegriff

Begriffsinhalt (Intension)

Spezifische Merkmale (Bedeutung + Sinn)

DV-Organisation des steuerberatenden Berufes in Deutschland, eingetragene Genossenschaft

In der Liste der Genossen-schaften eingetragene, zur unbeschränkten Hilfe-leistung in Steuersachen befugte Person oder Gesellschaft

Zeichenebene DATEV e.G. Mitglied

Begriffsumfang (Extension)

Alle untergeordneten Begriffe

Diejenige Organisation, die diesen Namen trägt

z.B. 27000 DATEV ange-schlossene Steuerberater

Tabelle 7: Intension und Extension eines Begriffs einer Fachapplikation (in Anlehnung an Ortner 1993)

30 Als äquipollent bezeichnet man in der traditionellen Logik zwei Begriffe, wenn sie dieselbe Extension, aber unterschiedliche Intensionen besitzen. Zwei Aussagen gelten als äquipollent, wenn sie in unterschiedlicher Form denselben Sachverhalt widerspiegeln. Beispiel: Jeder Mensch ist sterblich und Kein Mensch ist nicht sterblich.

Ortner führt einige weitere Quellen von Missverständnissen bzw. Hinweise zum Prüfen von Dokumentationen an: So z.B. Vagheiten. Wenn inhaltlich (Intension) keine klare Abgrenzung (Defi-nition) von Begriffen erfolgt, treten hinsichtlich der Objekte, die unter die Begriffe fallen, Unklarheiten auf. Beispiel: Gehört der Wohnsitz als Ort der Berufsausübung (eines Beraters) noch zum Begriff Kanzlei? Vagheiten müssen geklärt werden. Als weiteres Beispiel nennt er falsche Be-zeichner. Abweichung der tatsächlichen von der zunächst suggerierten Wortbedeutung (Extension/

Intension) eines Begriffs. Die Beraternummer hat nicht die Funktion, Steuerberater zu identifizieren, sondern sie identifiziert eine von mehreren Nutzungsberechtigungen, die ein Steuerberater hat.

Falsche Bezeichner müssen ersetzt werden. (vgl. Ortner 1993, S. 22).

Eher den Dokumentationswissenschaften entspringen Instrumente wie ein Thesaurus und kon-trolliertes Vokabular. Ein Thesaurus (Schlagwortkatalog) ist eine Sammlung bevorzugter Bezeichn-ungen, um z.B. Inhalte in Retrieval-Systemen besser zugreifbar zu machen. Informationen werden mittels Schlagwörtern beschrieben (Indexierung). Ein Thesaurus kann teilweise oder vollständige Grundlage für ein kontrolliertes Vokabular sein. Kontrollierte Vokabulare sind Sammlungen von Bezeichnungen (Wortschatz), die einem Begriff zugeordnet sind. So werden Homonyme bzw.

Polyseme vermieden. In vielen Fällen gilt auch die umgekehrte Richtung, jeder Begriff hat nur eine Benennung, es gibt keine Synonyme. Kontrollierte Vokabulare treten beispielsweise als Fachwort-verzeichnisse31 oder Glossare auf. Auch einige Arten von Nachschlagewerken enthalten kontrollierte Vokabulare; so muss beispielsweise in Wikipedia entschieden werden, ob ein Artikel über Personen-kraftwagen unter „Wagen“, „Auto“ oder „PKW“ kategorisiert wird.