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Bauleitplanung und Fachplanung (§ 38 BauGB)

Im Dokument Fabian Thiel (Seite 64-69)

II. Steuerung des Flächenverbrauchs im Städtebaurecht unter

1. Das Recht der Bauleitplanung

1.9 Bauleitplanung und Fachplanung (§ 38 BauGB)

Ein wesentliches revitalisierbares Flächenpotenzial der Städte und Gemeinden – deutsch-landweit mit erheblichen Dimensionen237 und zusätzlich in teilweise äußerst zentrumsna-hen Lagen – ist der städtebauliczentrumsna-hen Planung durch die Gemeinden entzogen, denn über die Planungen anderer Träger, z. B. hinsichtlich der Fernstraßenplanung sowie der Errichtung von Betriebsanlagen für Eisenbahnen, kann sich eine Gemeinde nicht hinwegsetzen. Diese Flächen unterliegen dem Planvorbehalt des § 38 BauGB; im Verhältnis zwischen Fach- und Bauleitplanung werden für die Art der Bodennutzung und damit für die planerischen Festsetzungen einer Gemeinde folgerichtig maßgebliche Entscheidungen getroffen238. § 38 BauGB ist nunmehr auf sämtliche Planfeststellungsverfahren sowie Verfahren mit der Rechtswirkung einer Planfeststellung ausgedehnt worden, soweit Vorhaben von überörtli-cher Bedeutung in Rede stehen, eine Beteiligung der Gemeinde stattfindet und städtebauli-che Belange berücksichtigt werden239.

Die überörtliche Bedeutung ist regelmäßig zu bejahen, wenn eine Planung entwickelt wer-den muss, welche die städtebauliche Steuerungsfunktion der Gemeinde angesichts überört-licher und damit raumbedeutsamer Bezüge voraussichtlich überfordert. Das ist vor allem dann der Fall, wenn ein Vorhaben einen Koordinierungsbedarf im Hinblick auf die Belan-ge anderer PlanungsträBelan-ger mit überörtlicher Zielsetzung auslöst, den zu bewältiBelan-gen die planerische Kraft der Gemeinde mutmaßlich übersteigt240. Verfolgt eine Gemeinde eine Wiedernutzungsstrategie auf diesen Plan festgestellten Flächen, die eine erhebliche

235 Dazu Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Baugesetzbuch, §§ 29-38 Vorb., Rdnr. 26.

236 Kloepfer, Umweltrecht, § 10, Rdnr. 39.

237 Der gesamte Brachflächenbestand wird in aktuellen Erhebungen mit 128.000 ha baulich nutzbarer Fläche angegeben, darunter sind aufgegebene militärische Liegenschaften (41 %) sowie stillgelegte Bahn- und Ha-fengelände (12 %). Dazu aktuell Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Baulandumfrage 2003 (www.bbr.bund.de/baulandumfrage).

238 Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 38, Rdnr. 6 f.; Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, § 38, Rdnr.

17; Koch, Zur Konkurrenz zwischen Bauleitplanung und Fachplanung, in: Festschrift für Schlichter, 1995, S.

461 ff.; Kuschnerus, Der sachgerechte Bebauungsplan, 2001, Rdnr. 223.

239 Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 38, Rdnr. 8; Koch, in: Koch/Hendler, Baurecht, § 13, Rdnr.

22. 240 BVerwG, NVwZ 2001, S. 90.

tung für die Innenentwicklung und damit für den Schutz des Außenbereichs vor weiterer Inanspruchnahme innehaben, dürfte im Regelfall ein Übersteigen der planerischen (und finanziellen) Kräfte der Kommune vorliegen241.

Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1988 vermag in anschaulicher Weise zu illustrieren, inwiefern sich für die Gemeinde planerische Unsicherheiten in dem Umfange ergeben können, wie sie den Zeitpunkt des Nutzungsendes auf den der Fachpla-nung zur Verfügung gestellten Flächen nicht zutreffend einzuschätzen vermag, was im Ergebnis auf eine unzureichende planerische Steuerung der baulichen Entwicklung der in Rede stehenden Flächen hinauslaufen kann242. Eine Optimierung dieser Steuerungsinstru-mente zur Verhinderung zusätzlichen Flächenressourcenverbrauchs ist nachfolgend an dem Beispiel nicht mehr betriebsnotwendiger Bahnflächen aufzuzeigen.

1.9.1 Wiedernutzungspotenziale am Beispiel von Bahnflächen

Grundsätzlich stellt sich vor der Einbeziehung von Bahnflächen in eine kommunale Flä-chenrevitalisierungsstrategie die Frage nach dem rechtlichen Charakter dieser Flächen.

Hierzu wird folgende Auffassung vertreten: Bahnflächen sind als Gemeinbedarfs- und Ver-kehrsareale aufzufassen, die – ursprünglich – der öffentlichen Zweckbestimmung vorbe-halten waren und nun eines Entwidmungsaktes bedürfen, bevor sie dem allgemeinen Ge-schäftsverkehr bzw. einer neuen Nutzungsart zugeführt werden können243. Aus dem Erfor-dernis der Durchführung der Widmung, durch die die Zweckbestimmung der Anlage, ei-nem bahnbezogenen Bedarf zu dienen, erfolgt, ergibt sich als Grundlage für die Zurverfü-gungstellung der Flächen in Bezug auf eine Nachfolgenutzung, dass Bahnflächen erst nach ihrer förmlichen Entwidmung seitens des Eisenbahn-Bundesamts (EBA) in die Sphäre ge-meindlicher Planungshoheit überführt werden können244; diese Überplanungssperre wird in

241 Dazu vor dem Hintergrund der Umsetzung des Flächenverbrauchsreduktionsziels der Bundesregierung, Rat für nachhaltige Entwicklung: Mehr Wert für die Fläche, Das „Ziel-30-ha“ für die Nachhaltigkeit bei der Entwicklung von Stadt und Land, 2004, S. 21.

242 BVerwG, ZfBR 1989, S. 123; BVerwG, GewArch. 1990, S. 108 f.; ferner Koch, Zur Konkurrenz zwi-schen Fachplanung und Bauleitplanung, in: Festschrift für Schlichter, 1995, S. 461, 466 f.

243 BVerwG, NVwZ 1996, S. 394, 395; BVerwG, UPR 1996, S. 443 f.; Kraft, Bauleitplanung auf Bahnflä-chen, in: Spannowsky/Mitschang, Bauleitplanung auf Bahnflächen? 2001, S. 34.

244 Präsidialverfügung des Eisenbahnbundesamts (EBA) zu entwidmungsrechtlichen Fragestellungen und der Verzahnung mit dem kommunalen Planungsrecht unter besonderer Berücksichtigung städtebaulicher Belan-ge, Regelfälle für das Entwidmungsverfahren, Anlage 5.1 (Umgang mit gewidmeten Bahnflächen), 2003, S.

1 ff.

informellen Planwerken (z. B. Stadtentwicklungs- und Stadtteilkonzepte, Rahmenplanun-gen245) indes nicht berücksichtigt.

Fasst eine Gemeinde die Überplanung dieser Flächen ins Auge, so muss sie hinsichtlich der planerischen Festlegung der „bahnfremden“ oder „ bahnabgeneigten“ Nutzung beden-ken, dass eine Entwidmung unter Umgehung eines Planfeststellungsverfahrens nur durch eindeutig nachvollziehbare und bekannt gegebene Erklärungen seitens der Deutschen Bahn AG auf Erfolg versprechende Weise zur Realisierung gebracht werden kann246. Nach Auf-fassung der Rechtsprechung hat die Gemeinde, auf deren Territorium die Bahnflächen nebst Liegenschaften belegen sind, unter Berufung auf ihre Planungshoheit gegenüber der Deutschen Bahn AG einen Anspruch darauf, dass jenes Transportunternehmen seine ge-planten Dispositionen auf eindeutige und klar nachvollziehbare Weise im Rahmen einer Willenserklärung zum Ausdruck bringt247.

Unstrittig ist darüber hinaus, dass eine Gemeinde für bestehende Flächen und Liegenschaf-ten der DB AG dieser Fachplanung (Planfeststellungsverfahren nach § 18 Abs. 1 AEG) nicht zuwiderlaufende Aussagen in Bezug auf die Festsetzungen eines Bebauungsplans treffen kann248. Des Weiteren ist der Nachrang gemeindlicher Bauleitplanung gegenüber der Fachplanung nicht in dem Umfange gegeben, dass sie mit der Realisierung ihrer plane-rischen Vorstellungen nicht beginnen darf, solange die bahnseitige Nutzung dieser Areale noch besteht249. Für zulässig wird insbesondere die Einleitung einer Bauleitplanung mit der Folge erachtet, dass zur Sicherung planerischer Ziele von den Instrumenten der Verände-rungssperre oder der Zurückstellung von Baugesuchen gemäß den §§ 14, 15 BauGB Gebrauch gemacht wird250.

In Ergänzung zur Präsidialverfügung des Eisenbahnbundesamts wurde ein Leitfaden zur Aktivierung gewidmeter Bahnflächen und Empfangsgebäude entwickelt, der sich an dieje-nigen Städte und Gemeinden richtet, die eine Entwicklung entbehrlicher Bahnareale

245 Siehe dazu Mitschang, Steuerung der städtebaulichen Entwicklung durch Bauleitplanung, 2003, S. 277.

246 BVerwG, ZfBR 1989, S. 123: Eine derartige Willensbildung und –Äußerung sei Voraussetzung einer vorausschauenden und sachgerechten Bauleitplanung.

247 BVerwG, ZfBR 1989, S. 123 ff.; BVerwG, GewArch. 1990, S. 108 f.

248 Volpert/Bachmann/Diederichsen, Bauplanungs- und Bauordnungsrecht, S. 254.

249 Kraft, Bauleitplanung auf Bahnflächen, in: Spannowsky/Mitschang, Bauleitplanung auf Bahnflächen?

2001, S. 35.

250 Volpert/Bachmann/Diederichsen, Bauplanungs- und Bauordnungsrecht, S. 255.

betreiben251. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich ferner, dass die Erteilung eines Bauvorbescheids für die Eröffnung bahnfremder Nachfolgenut-zungen vor dem entsprechenden Entwidmungsakt prinzipiell statthaft ist252. Im Regelfall eröffnet erst die durchzuführende Entbehrlichkeitsprüfung den Weg für den durch die DB SImm (DB Service Immobilien GmbH) im Namen der DB AG gestellten Entwicklungsan-trag, der das Entwidmungsverfahren durch ein vorgelagertes Planaufhebungs- und Planän-derungsverfahren einleitet253. Lediglich ein nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 AEG zugelassenes Ei-senbahninfrastrukturunternehmen oder ein Unternehmen des Bundeseisenbahnvermögens – die DB AG ist eine Eigengesellschaft des Bundes – sind berechtigt, einen Antrag auf Entlassung einer bestimmten Fläche aus dem Fachplanungsvorbehalt zu stellen, nicht je-doch die Kommune oder ein anderer Dritter (z. B. ein Projektentwickler oder Bauträger).

1.9.2 Nachnutzungsverfahren von Bahnflächen

Eine von der Deutschen Bahn AG als Eigentümerin verfolgte Nutzungsstrategie ihrer Flä-chenressourcen stellt die Freilegung oberirdischer Bahngleise – um diese beispielsweise bei weiterhin projektierter bahngeneigter Nutzung unterirdisch zu verlegen – dar254. Die nicht mehr für den Bahnbetrieb benötigten Gleiskörper und Bahnbetriebsgebäude werden aufgegeben, durch die Verwertungsgesellschaften der DB AG255 zum Verkauf angeboten und auf diese Weise einer Nachnutzung zugeführt256. Teilweise entgegen stehende Strate-gien der Bahnflächenentwicklung sehen auf Seiten der an einer Nutzung interessierten Kommunen hingegen beispielsweise die Ermöglichung von Zwischennutzungen auf Bahn-flächen vor, die einerseits Neuordnungskonzepte zur Erhaltung der Wirtschaftsstruktur etwa durch die Einbeziehung der vorhandenen Betriebe, durch geplante

251 Forum Bahnflächen Nordrhein-Westfalen, Bahnflächen zur Stadt machen, 2003.

252 BVerwG, NVwZ-RR, 1998, S. 542 f.

253 Das Eisenbahnbundesamt besitzt hierbei einen eigenen Beurteilungsspielraum hinsichtlich einer Einschät-zung der „Bahnnotwendigkeit“ von Liegenschaften unter Berücksichtigung der vorfindbaren städtebaulichen Gesamtsituation. Dazu Präsidialverfügung des Eisenbahnbundesamts (EBA) zu entwidmungsrechtlichen Fragestellungen und der Verzahnung mit dem kommunalen Planungsrecht unter besonderer Berücksichti-gung städtebaulicher Belange, Regelfälle für das Entwidmungsverfahren, Anlage 5.1 (Umgang mit gewidme-ten Bahnflächen), 2003, S. 1 ff.

254 Instruktive Beispiele für Umnutzungsprojekte ehemaliger Bahnflächen liefert Reiß-Schmidt, Innenent-wicklung und Flächenmanagement in München, in: Bayerisches Staatsministerium für LandesentInnenent-wicklung und Umweltfragen, 2002, S. 77 f.

255 Beteiligt an dem Flächenverwertungsprozess sind die Tochtergesellschaften (DB Station & Service AG, DB Services Immobilien GmbH, DB Netz AG, VIVICO Real Estate GmbH sowie u. U. das Bundeseisen-bahnvermögen), die auf Grund der Vielzahl entbehrlicher Flächen die einzelnen Liegenschaften einer Ge-winn bringenden Nachnutzung zuführen müssen; vgl. zu den Beispielen instruktiv Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Werkstattbericht Nr. 5/2003 (Experimenteller Wohnungs- und Städtebau), S. 4 f.

256 Mitschang, Steuerung der städtebaulichen Entwicklung durch Bauleitplanung, 2003, S. 98.

rungen, die Schaffung freier Flächen für Kompensationsmaßnahmen, die Konzentration hochwertiger Neuplanungen in städtebaulich attraktiven Arealen, die Optimierung der Er-schließungssituation sowie andererseits eine Finanzierung der Maßnahmen durch eine Ver-rechnung der Bodenwertsteigerungen über die Gesamtfläche im Rahmen eines integrierten Flächenmanagementmodells beinhalten257.

Eingedenk der hier dargestellten Komplikationen in Bezug auf den Ablauf eines Entwid-mungsverfahrens lautet eine Forderung von Kommunen, auf deren Gebieten nicht mehr benötigte Gleiskörper belegen sind, eine Angrenzung der Reichweite des Fachplanungs-rechts zur kommunalen Planungshoheit durchzuführen; als ein weiterer neuralgischer Punkt erweist sich in der städtebaulichen Praxis die mangelnde Transparenz der Eigen-tumsverhältnisse innerhalb des Konzerngeflechts der DB AG. Zur Optimierung der ge-meindlichen Steuerungsmöglichkeiten der Nachnutzung wird daher eine zentrale Stelle verlangt, die im Einzelfall Auskunft über die Eigentumsverhältnisse der gesamten Bahn-liegenschaften geben könnte. Größere Bedeutung besitzt freilich die Forderung nach einem eigenen Antragsrecht der Kommunen auf Durchführung eines formellen Entwidmungsver-fahrens für betriebsbedingt nicht mehr erforderliche Flächen und Empfangsgebäude der DB AG258.

257 Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung / Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, ExWoSt-Expertise: Städtebauliche Chancen und Risiken der Entwicklung von Bahnflächen, 2002, S. 13 ff.

(Beispiele: Berlin „Integriertes Flächenmanagement – Block 9“; „Karlsruhe City Park“).

258 Siehe dazu Rat für nachhaltige Entwicklung: Mehr Wert für die Fläche, Das „Ziel-30-ha“ für die Nachhal-tigkeit bei der Entwicklung von Stadt und Land, 2004, S. 25.

Im Dokument Fabian Thiel (Seite 64-69)