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Abwägungsgebot

Im Dokument Fabian Thiel (Seite 44-47)

II. Steuerung des Flächenverbrauchs im Städtebaurecht unter

1. Das Recht der Bauleitplanung

1.3 Abwägungsgebot

Zur Steuerung der Flächennutzung wurde in der Literatur bislang das bauleitplanerische Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB lediglich im Rahmen der Aufstellung der Bauleit-pläne hinsichtlich der darin einzustellenden öffentlichen und privaten Belange themati-siert140. Unter der Maßgabe, dass die Abwägung rechtsfehlerfrei durchgeführt wird141, sind

137 Bönker, in: Hoppe/Bönker/Grotefels, § 5 Rdnrn. 5 ff.; Koch, in: Koch/Hendler, Baurecht, § 11, Rdnrn. 5 f.

138 Franz, Freiraumschutz und Innenentwicklung, 2000, S. 32 f.

139 Köck, NuR 2004, S. 1, 5.

140 Siehe dazu nur Sendler, UPR 1995, S. 41, 42 f.

141 BVerwGE 45, S. 309 ff., 314 f.; BVerwGE 56, S. 283 ff., 287 ff.

als abwägungsrelevante Belange beispielsweise die bestehende Nutzungsart, der Natur-schutz, die natürliche Nutzungseignung sowie die struktur-, sozial- und arbeitsmarktpoliti-sche Wertigkeit der geplanten Nutzung von Bedeutung. Legt man weiter die Prämisse zu Grunde, dass die Bauleitplanung wie gezeigt die Vorbereitung und Lenkung der Inan-spruchnahme von Grund und Boden zur grundsätzlichen Aufgabe hat, wird zur Zielerrei-chung der Flächenverbrauchsreduktion eingedenk der Rechtstatsache, dass sich die pla-nende Gemeinde in der Kollision verschiedener abwägungsrelevanter Belange für die Be-vorzugung des einen und die Zurückstellung des anderen zu entscheiden vermag142, eine Änderung bzw. Festschreibung der Abwägungspräponderanz bodenpolitischer Belange gefordert143. Hierzu wird angemerkt, dass dieser Vorschlag das Prinzip der gerechten Ab-wägung gleichwertiger Belange untergrabe, indem diese grundsätzliche Gleichwertigkeit im Rahmen weiterer Stärkungen des Boden- und Freiraumschutzes nicht mehr gewährleis-tet sei144.

1.3.1 Änderung der Abwägungsdirektiven für den Stadtumbau

Ungeklärt ist ferner sowohl in Literatur als auch in der Rechtsprechung die stadtumbaupo-litische Sonderfrage, inwieweit eine Handhabbarkeit der Abwägungsdirektiven im Rahmen der Rückabwicklung der Bauleitpläne, mithin bei dem Entzug der baulichen Nutzung und nicht einer – unter Berücksichtigung der Abwägung – eröffneten Nutzungsfunktion vor-liegend gegeben ist. Durch Festsetzungen des Bebauungsplans vermag die Gemeinde dem Eigentümer die zulässige Nutzung seines Grundstücks zu entziehen, wenn dies durch be-sondere Gründe des Wohls der Allgemeinheit gerechtfertigt erscheint145. M. a. W.: Die gegeneinander und untereinander gerecht durchzuführende Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB muss bei der Aufstellung von Bebauungsplänen hinreichend gewichtige, städtebau-lich beachtstädtebau-liche Allgemeinwohlbelange für eine bestimmte ausgewählte Planalternative

142 BVerwGE 34, S. 301, 308 f.

143 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 2000 – Schritte ins nächste Jahrtausend, 2000, S. 1 ff.

144 Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Instrumente zur Steuerung der Flächen-nutzung, 2004, S. 16. Siehe zum EAG Bau Kap. II. 3. Die mit der BauGB-Novelle eingeführte Umweltprü-fung sieht bezüglich des „Schutzguts Boden“ eine Berücksichtigung des Vorrangs von Flächenrecycling und Nachverdichtung, der Beeinträchtigungen des Bodens durch Versiegelung, sonstige Umnutzung, mittelbar durch Schadstoffe sowie eine Berücksichtigung der Auswirkungen hinsichtlich der Überplanung belasteter Bodenflächen vor; die Umweltprüfung lässt freilich die materiellen Vorgaben, insbesondere die Abwägungs-direktiven des BauGB, unberührt. Dazu Kuschnerus, Rechtliche Anforderungen an die Umweltprüfung, Insti-tut für Städtebau Berlin, 2003, S. 9.

145 BVerwG, DVBl. 1971, S. 776, 750; BVerfGE 104, S. 1, 13; BVerwG, NVwZ-RR 1997, S. 83; BVerwG, NVwZ 2001, S. 560, 561.

ergeben. Nach einschlägiger Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts müssen diese Be-lange ein umso größeres Gewicht einnehmen, je stärker die Festsetzungen des Bebauungs-plans die Befugnisse des Eigentümers einzuschränken vermögen bzw. den Eigentümern zugeordnete Grundstücke zur Gänze aus der Privatnützigkeit herausnehmen146.

Im Rahmen der anzustrebenden planerischen Bewältigung von Rückbau- und Innenent-wicklungsprozessen ist daher der Fokus auf folgende Abwägungs-Themenkomplexe zu richten:

● Erforderlichkeit einer „umgekehrten Abwägung“ bei der Rückabwicklung von Be-bauungsplänen;

● Integrierung der Schaffung von Ausgleichsflächen für den Naturschutz im Rahmen einer „Entbauungsabwägung“;

● Konzentration der örtlichen Bebauungsplanung nicht auf die Neuausweisung von Gebieten, sondern auf die Aufhebung von Baurechten.

1.3.2 Berücksichtigung öffentlicher und privater Belange bei der Änderung der Abwägungsdirektiven

Derzeit laufende Untersuchungen147 in von Rückbau- und Umstrukturierungsprozessen betroffenen ostdeutschen Städten und Kommunen, die auch Befragungen bei örtlichen städtischen Wohnungsbaugesellschaften sowie Baugenossenschaften beinhalten, verdeutli-chen die Probleme in Bezug auf die Voraussetzungen für die Zulässigkeit Baurechte ein-schränkender oder aufhebender Festsetzungen: Durch Festsetzungen entstehende, aus-schließliche „Aufgabe-Gebiete“, in denen das gesamte Stadtquartier von der Niederlegung der baulichen Anlagen betroffen ist, werden in der Praxis nach derzeitigem Stand – jeden-falls kurz- bis mittelfristig – kaum zu beobachten sein. Der Stadtrückbau soll sich nach den vorliegenden (informellen) Planwerken ostdeutscher Städte in erster Linie an der Sied-lungskante abspielen, d. h. die Städte sollen dort „schrumpfen“, wo man sie zuletzt erwei-terte148; man wird in diesem Rahmen die Aufhebung baulicher Nutzbarkeit zuvörderst in peripheren Lagen vornehmen.

146 BVerwGE 34, S. 301, 305; BVerwG BRS 47, S. 36.

147 Siehe Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Dokumentation zum Bundeswettbe-werb „Stadtumbau Ost“, 2003; Dazu Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg, Rechts- und Verfahrensinstrumente beim Stadtumbau, 2002, S. 1 ff.

148 Detaillierte Informationen hierzu unter www.schrumpfende-staedte.de

Die vollständige Aufhebung von Baurechten kann darüber hinaus nur unter der Bedingung einer schlüssigen Prognoseentscheidung im Rahmen der Gesamtgüterabwägung erfolgen, die zwar die geplante Nachnutzung (noch) nicht detailliert aufzuführen braucht, die aber den Umfang des zukünftigen Wohnungsbedarfs in den betroffenen Gebieten hinreichend nachvollziehbar abbilden muss. Gemäß dem Verhältnismäßigkeitsprinzip sollte bei der Aufstellung der Pläne auch das jeweils mildere „Abbruch-Mittel“ in Erwägung gezogen werden. Das Städtebaurecht erlaubt die Einschränkung von Baurechten (ergo die Beein-trächtigung privater Belange) auf ein begrenztes Maß insbesondere für den Fall, in dem mit der Reduzierung bisheriger Nutzungsmöglichkeiten auch eine städtebauliche Missstände-beseitigungsabsicht intendiert bzw. eine Verbesserung hinsichtlich der baulichen Infra-struktur angestrebt wird149.

Zu diesem Gesamtkomplex der Abwägung für baurechtsbeseitigende oder baurechtsein-schränkende Festsetzungen wird in der Literatur angemerkt, dass die Gemeinden in einem gestuften Verfahren versuchen sollten, den Abwägungsprozess nach § 1 Abs. 6 BauGB in der Weise zu optimieren, dass vorrangig auf der Basis eines konsensualen Vorgehens mit den betroffenen Wohnungsunternehmen und Baugenossenschaften der Abriss geplant, fi-nanziert und durchgeführt werden sollte und dass erst danach die bereits entwickelten Kon-zepte für eine Folgenutzung der freigeräumten Parzellen wiederum durch Bebauungsplan-festsetzungen erfolgen sollten150. Birk vertritt hierzu die Auffassung, dass eine ordnungs-gemäße Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB mit der Begründung „Bewältigung des Woh-nungsleerstands“ sich dem Grunde nach als unproblematisch darstellt151.

Im Dokument Fabian Thiel (Seite 44-47)