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1 Einleitung

1.1 Ausgangssituation und Problemstellung

Seit einigen Jahren wird das Thema „Digitale Transformation“ in Politik, Wissenschaft und Praxis intensiv diskutiert. Mittlerweile ist, ähnlich wie dem oben zitierten Ross Mason, vielen Beteiligten klar, dass die digitale Transformation für die Unternehmen nicht mehr eine Frage des „Ob“, sondern vielmehr eine des „Wann“ und vor allem des „Wie“ ist.

Die aktuelle Diskussion wird oftmals verglichen mit den Bestrebungen der 1980er Jahre, bei denen unter der Überschrift des Computer Integrated Manufacturing (CIM) versucht wurde, IT-Systeme im Produktionskontext miteinander zu vernetzen. Der seinerzeit ausge-bliebene Erfolg wird u. a. damit erklärt, dass die vorhandenen Systeme zu komplex und die notwendigen Technologien noch nicht verfügbar gewesen seien bzw. ihre Leistung zu nied-rig gewesen sei (vgl. Soder 2014, S. 86; Scheer 2016, S. 37). Syska (2018, S. 7) führt das Scheitern zudem darauf zurück, dass Vernetzung zu vulnerablen Systemen führe und die damalige Denkweise den Maschinenbau in den Vordergrund stellte, ohne weitere Akteure zu beachten. Zwar sind aktuell die grundlegenden Fragen im Zusammenhang mit der Digi-talisierung denen ähnlich, die im Kontext von CIM diskutiert wurden. Während jedoch beim CIM von einem zentralistischen Ansatz ausgegangen wurde, steht heute die Dezentralität im Mittelpunkt (vgl. Kärcher 2015, S. 48f.; Syska 2018, S. 9). Zudem sind inzwischen die notwendigen Technologien verfügbar und die Innovationszyklen kurz. Dies spiegelt sich bspw. in der nahezu exponentiell steigenden Leistungsfähigkeit von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie deren sinkende Kosten wider (vgl. Brynjolfsson &

McAfee 2015, S. 63ff.). Der Fortschritt im Rahmen der sog. 4. Industriellen Revolution ist somit mit dem der vorangegangenen Entwicklungsstufen nicht zu vergleichen. Die simple Übertragung gängiger Maßnahmen und Strategien auf die aktuelle Entwicklung würde dem-nach nicht ausreichen (vgl. Hirsch-Kreinsen 2015, S. 9f.). Von den Unternehmen wird daher eine nie da gewesene Reaktionsgeschwindigkeit und zielgerichtete Anpassung auf ein volatiles Wettbewerbsumfeld gefordert (vgl. von Ameln & Wimmer 2016, S. 11f.).

An vielen Beispielen hat sich gezeigt, wie gravierend die Veränderungen im Rahmen der zunehmenden Digitalisierung und deren Vernachlässigung sein können. Diese Beispiele unterstreichen den Bedarf sowie die Relevanz einer zielgerichteten digitalen Transforma-tion. Ein anschaulicher Musterfall ist der um die Jahrtausendwende erfolgte Wandel von

1 MuleSoft Inc. ist ein in 2006 gegründeter Anbieter von cloudbasierten Integrationslösungen zur Verknüp-fung verschiedenster Datenquellen und Anwendungen. MuleSoft wurde im Mai 2018 von Salesforce auf-gekauft (https://www.computerwoche.de/a/salesforce-kauft-mulesoft-fuer-6-5-milliarden-dollar,3544594;

Zugriff am 23.10.2018).

2 Referenz für Zitat: https://www.mulesoft.com/press-center/technology-trends-2018-connectivity-benchmark (Zugriff am 23.10.2018).

der analogen zur Digitalfotografie. Obwohl Kodak zu diesem Zeitpunkt eine Monopolstel-lung innehatte und intensiv an neuen Technologien arbeitete, gelang es dem Unternehmen nicht, aus seinen Investitionen den entscheidenden Nutzen zu ziehen. Die Verantwortlichen hatten das Potenzial der Digitalfotografie unterschätzt, waren zu risikoscheu und das Management hatte es versäumt, einen kulturellen Wandel in der Organisation zu initiieren und durchzusetzen (vgl. Lucas & Goh 2009, S. 54). Ein ähnliches Problem ergab sich zur gleichen Zeit für die Printmedien-Branche. Viele Tageszeitungen und Zeitschriften verloren einen Großteil ihrer Einnahmen an digitale Angebote, da sich das Interesse der Leser auf die Lektüre von Online-Nachrichtenseiten verlagerte. Die etablierte Printmedien-Branche verlor hierdurch nicht nur ihre Abonnenten, sondern auch die Einnahmen aus dem An-zeigengeschäft. Viele traditionelle Tageszeitungen mussten daraufhin Konkurs anmelden, da sie ihr Geschäftsmodell nicht rechtzeitig an die neuen Rahmenbedingungen angepasst hatten (vgl. Gilbert et al. 2012, S. 68).

Vom digitalen Wandel sind jedoch nicht nur physische Produkte betroffen. Dies zeigen Bei-spiele wie Uber oder Airbnb, die als neu aufstrebende, digitale Dienstleistungsunternehmen einen umwälzenden Einfluss auf die Dienstleistungsbranche ausüben. Eine vergleichende Studie von Farrall et al. (2012, S. 9) legt dar, dass sich die Stärke und der Zeitpunkt der digitalen Disruption in den einzelnen Branchen stark unterscheidet. Von besonderer Rele-vanz ist die digitale Transformation somit für hoch vernetzte Wertschöpfungsketten, be-stehend aus unterschiedlichsten Sach- sowie Dienstleistungsbetrieben der Kernakteure Produktion, Logistik und Handel, und damit vor allem für das Supply Chain Management (SCM). Diese Zielgruppe soll daher in der vorliegenden Arbeit adressiert werden. Ins-besondere für die Logistik wird durch die Digitalisierung ein stärkerer Wandel als in anderen Branchen prognostiziert (vgl. ten Hompel & Henke 2017, S. 247). Zurückgeführt wird dies auf die Geschwindigkeit des technologischen Wandels sowie auf die Schnittstellenfunktion der Logistik und des SCM in Bezug auf den Material- sowie Informationsfluss im Wertschöp-fungsnetzwerk (vgl. ten Hompel & Henke 2017, S. 247). Für die Akteure in Wertschöpfungs-netzwerken ergeben sich somit zeitversetzt und in unterschiedlichem Ausmaß Veränderun-gen, die das Gesamtkonstrukt beeinflussen. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass Ver-änderungen bei einem Akteur z. T. direkte, aber auch indirekte Auswirkungen auf andere Akteure haben werden. In Zeiten des globalen Wettbewerbs, in denen nicht nur einzelne Unternehmen, sondern ganze Wertschöpfungsnetzwerke konkurrieren (vgl. Horvath 2001, S. 207), ist es daher essenziell, schnell und adäquat auf Veränderungen reagieren zu können.

Der derzeitige Innovationswandel zeigt sich in der wachsenden Zahl der Start-ups in den Bereichen SCM und Logistik. Für den Bereich Logistik betrug deren Wachstum im Jahr 2017 über 30 %. Die Start-ups finden sich vor allem in Bereichen wie Online-Plattformen, Lieferkonzepten auf der letzten Meile sowie Transparenz und Steuerung von Supply Chains (vgl. Borreck et al. 2018, S. 13). Aber auch etablierte Unternehmen widmen sich neuen Themen und vermarkten diese medienwirksam, wie Abbildung 1 darlegt:

Ausgangssituation und Problemstellung 3

Abbildung 1: Aktuelle Schlagzeilen mit Digitalisierungsbezug

(eigene Darstellung; Quellenverzeichnis siehe Anhang I)

Wie aus der Abbildung hervorgeht, konzentrieren sich die Digitalisierungsbemühungen auf den Einsatz neuer Technologien, wie bspw. Roboter zur Auslieferung auf der letzten Meile oder Datenbrillen zur Unterstützung der Mitarbeiter im Kommissionierprozess, und dienen damit der Effizienzsteigerung. Plattformen werden bspw. vom VW-Konzern genutzt, um Prozesse zu verschlanken und ein Standardisierungssystem für den Einkauf zu schaffen.

Andere Plattform-Modelle, wie bspw. das Start-up Freigthos, verfolgen das Ziel, in der Tou-rismusbranche etablierte Geschäftsmodelle auf die Logistik zu übertragen und auf diese Weise Komplettpreise für Frachten transparent und in Echtzeit anzubieten. Auch der Nutz-fahrzeughersteller MAN hat mit seiner Rio-Plattform und -Box ein neues Geschäftsmodell etabliert, bei dem mithilfe einer serienmäßig verbauten Telematik-Hardware verschlüsselte Fahrzeugdaten, wie bspw. Geschwindigkeit oder Bremsennutzung, über die Plattform an den Kunden weitergeleitet werden können. Dies führt zu Transparenz und ermöglicht die Analyse wichtiger Parameter und Kennzahlen. Andere Beispiele wie das Snowmobile von Amazon – ein Service, bei dem speziell ausgestattete Lkw mithilfe einer Hochgeschwindig-keitsübertragung Daten von Unternehmen abholen und in eine Cloud übertragen – weisen auf bestehende Defizite in Bezug auf Online-Datenübertragungsraten oder auf deren Infra-struktur hin.

Die angeführten Beispiele zeigen deutlich die große Bandbreite der Digitalisierungs-projekte auf. Aktuelle Bestrebungen im Kontext der sog. Industrie 4.0 reichen zudem von eher inkrementellen Prozessoptimierungen bis hin zu radikalen Innovationen des gesamten Geschäftsmodells (vgl. Leyh & Gäbel 2017, S. 36f.). Während im ersten Fall oftmals ledig-lich bestehende Prozesse digitalisiert werden, ohne diese grundsätzledig-lich zu hinterfragen, sind im Fall der radikalen Innovationen die Auswirkungen meist nicht vollständig absehbar.

Doch längst nicht jedes Unternehmen kann mit Schlagzeilen über digitale Innovationen auf-warten. So vielfältig das Thema “Digitale Transformation“ ist, so groß ist die Unsicherheit bzw. die Herausforderung der Unternehmen in diesem Kontext gegenüberstehen. Die

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ist jetzt live. Sie soll bei der Zusammenarbeit des Konzern-Einkaufs mit dem weltweit rund 40.000 Firmen umfassenden Lieferantennetzwerk für mehr Effizienz sorgen.

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25.08.2017, VerkehrsRundschau

LOGISTIK

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Damit wird bei MAN der erste Baustein für eine Infrastruktur gelegt, mit der sich über Telematik hinaus die an einer Transportkette beteiligten Unternehmen vernetzen können.

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Ungläubige Überraschung war Zvi Schreibers erste Reaktion. „Ich fand es skurril und frustrierend,

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Snowmobile: Amazon bringt eure Daten künftig mit einem Truck in die AWS-Cloud

01.12.2016, t3n

03.07.2018, Computerwoche

Reaktion in den Unternehmen reicht von einer regelrechten Schockstarre bis hin zum Aktionismus, wobei es allerdings meist an einem strukturierten Vorgehen mangelt (vgl.

Anding 2018, S. 15). Zwar wird die Vision einer Industrie 4.0 für viele Unternehmen immer greifbarer, die Umsetzung scheitert jedoch oftmals an der Übertragung auf das eigene Unternehmen (vgl. Gleich et al. 2015, S. 105; Hermann et al. 2016, S. 3928). Obwohl der Bedarf erkannt wird, fehlt es an der notwendigen Erfahrung und Führungskompetenz, um Nutzen aus den neuen Technologien und Möglichkeiten zu ziehen (vgl. Fitzgerald et al.

2014, S. 6).

Um „Altlasten“ bspw. in Form von analog d. h. papierbasiert abgebildeten Prozessen (vgl.

Dietrich & Fiege 2017, S. 38) entgegenzuwirken, wird derzeit u. a. als Einstiegstechnologie für die Digitalisierung die robotergesteuerte Prozessautomatisierung (engl. Robotic Process Automation bzw. RPA) propagiert (vgl. Abbildung 1). Hierbei werden repetitive Prozesse, wie die Beantwortung von Standardanfragen von Kunden und Lieferanten oder die Rech-nungsstellung (vgl. Davenport & Kirby 2016, S. 23), die ursprünglich von Mitarbeitern durch-geführt wurden, durch eine Software automatisiert übernommen (vgl. Rutaganda et al.

2017, S. 105). Dies bietet zwar kurzfristig Kostenvorteile, ist jedoch langfristig gesehen wenig sinnvoll, wenn RPA auf veraltete Prozesse angewendet wird, die zunächst selbst einer Überarbeitung bedürfen (vgl. Rutaganda et al. 2017, S. 109). Insbesondere tradierte Unternehmen tun sich schwer mit ihrer Rolle in diesem Transformationsprozess. Erklären lässt sich dies damit, dass sich Technologie und Gesellschaft schneller wandeln, als Unter-nehmen sich den neuen Anforderungen anpassen können (vgl. Kreutzer 2017, S. 34).

Daher ist es wichtiger denn je, möglichst effiziente Strategien im Hinblick auf eine adä-quate digitale Transformation zu entwickeln.

Zudem haben sich in der Vergangenheit viele Unternehmen darauf konzentriert, Effizienz-steigerungen durch IT-induzierte Prozessoptimierungen zu erzielen (vgl. Châlons & Dufft 2016, S. 32). Eine solche Managementphilosophie, bei der jeder einzelne Unternehmens-bereich an Kennzahlen gemessen wird, führte dazu, die Auswirkungen der individuellen Veränderungen auf das Gesamtwohl des Unternehmens außer Acht zu lassen (vgl.

Schmidpeter 2017, S. 596). Als Resultat liegen heute in vielen Unternehmen historisch ge-wachsene IT-Strukturen und -Prozesse vor (vgl. Hanschke 2017, S. 10), die nur mit großem Aufwand aufzulösen sind. Brödner (2018, S. 238) kritisiert darüber hinaus, dass heute, wie bereits im Rahmen der Diskussion um CIM, technikzentrierte Problemlösungsansätze im Vordergrund stehen. Die Vernachlässigung der Kunden und Mitarbeiter wird als ursächlich für den Misserfolg bei der Umsetzung gesehen (vgl. Deuse et al. 2015, S. 101). Demnach ist eine Betrachtung der digitalen Transformation aus einer soziotechnischen Perspektive von Nöten (vgl. Kagermann et al. 2013, S. 28; Dregger et al. 2016, S. 3; Brödner 2018, S. 247), bei der die „Bedürfnisse menschlichen Handelns“ (Brödner 2018, S. 247) in den Mittelpunkt rücken.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Notwendigkeit einer digitalen Transformation den meisten Unternehmen zwar bewusst ist, es jedoch an einem ganzheitlichen Rahmen-gerüst mangelt, welches die Unternehmen auf ihrem Weg bei der digitalen Transformation unterstützen kann.

Zielsetzung und Forschungsfragen 5