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A. Unterhalt

II. Zweckmäßigkeit der Unterhaltsregelung

2. Aufhebung wegen Geschäftsunfähigkeit

Ist die Ehe wegen der Geschäftsunfähigkeit eines oder beider Ehegatten aufgehoben worden (§ 1314 Abs. 1, § 1304 BGB), gilt gemäß § 1318 Abs. 2 S. 1 BGB das Gleiche wie bei der Eheaufhebung wegen fehlender Ehemündigkeit: Die scheidungsrechtlichen Unterhaltsvorschriften sind nur zugunsten des Ehegatten anwendbar, der die Aufheb-barkeit der Ehe nicht kannte. Die Regelung soll anhand des folgenden Beispielsfalls un-tersucht werden:

M und F lernen sich während einer speziellen Berufsausbildung für Lernbehinderte kennen und lieben, wobei nur der geistig behinderte M ehegeschäftsunfähig ist. Ih-ren Heiratswunsch erfüllen sie sich, ohne dass dem Standesbeamten die geistige Behinderung des M mitgeteilt wird oder sie ihm auffällt.

Theoretisch kämen hier ebenfalls vier verschiedene Varianten in Betracht:

a) Nur der M kannte den Mangel.

b) Beide Ehegatten kannten den Mangel.

c) Kein Ehegatte kannte den Mangel.

d) Nur die F kannte den Mangel.

a) Kenntnis des geschäftsunfähigen Ehegatten

Dieser Variante kommt keine praktische Bedeutung zu, denn zum einen ist die Kenntnis der eigenen Geschäftsunfähigkeit kaum vorstellbar.539 Zum anderen kann einem Ge-schäftsunfähigen, der nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen

538 So auch Tschernitschek, FamRZ 1999, 829 f., der seinen Beitrag mit „ Der missglückte § 1318 BGB“

überschreibt.

539 BT-Drucks. 13/4898 S. 21; Palandt-Diederichsen (58. Aufl.), Rz. 11; Johannsen/Henrich; Eherecht-Henrich (4. Aufl.), Rz. 7, beide zu § 1318.

Willenserklärung einzusehen, eine eventuell vorhandene Kenntnis nicht zugerechnet werden.540 Deshalb ist der Geschäftsunfähige immer als gutgläubig anzusehen. Ihm kann nicht entgegengehalten werden, dass er die Ehe trotz Kenntnis von der Aufheb-barkeit eingegangen ist.541

b) Beiderseitige Kenntnis

Nach dem eben Gesagten ist auch diese Variante nicht denkbar. Wenn der Geschäftsun-fähige stets als gutgläubig gilt, ist eine beiderseitige Kenntnis der Aufhebbarkeit ausge-schlossen.

c) Beiderseitige Unkenntnis

Diese Konstellation kann auftreten, wenn ein Fall der unerkannten Geistesstörung vor-liegt:

F weiß um die Lernschwächen des M. Von seiner geistigen Behinderung und der darauf beruhenden Geschäftsunfähigkeit hat sie keine Kenntnis.

(1) Unterhaltsanspruch der F

Nach dem Wortlaut des § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB wären die §§ 1569 ff. BGB zu-gunsten der F anzuwenden, denn sie hatte von der Geschäftsunfähigkeit des M keine Kenntnis.

(2) Unterhaltsanspruch des M

Auf Seiten des geschäftsunfähigen M, der nach den oben getroffenen Feststellungen stets als gutgläubig anzusehen ist, kommt ein Unterhaltsanspruch gleichermaßen in Be-tracht, denn die §§ 1569 ff. BGB sind zu seinen Gunsten anwendbar.

(3) Widerspruch zu § 1304 BGB

Wiederum ergeben sich Bedenken: Ein Unterhaltsanspruch gegen den bei Eheschlie-ßung Geschäftsunfähigen könnte im Widerspruch zum Schutzzweck des § 1304 BGB stehen.542 Die bei TSCHERNITSCHEK543 geäußerten Zweifel verwundern deshalb nicht.

Auch für ihn

„... bleibt unklar, ob es wirklich gewollt ist, dass ein Ehegatte, der von der Ge-schäftsunfähigkeit des anderen keine Kenntnis hatte, infolge seiner Gutgläubigkeit berechtigt sein soll, gegen den geschäftsunfähigen Partner Unterhaltsansprüche geltend zu machen.“

Wie der beschränkt Geschäftsfähige soll der Geschäftsunfähige nach der Wertung des Gesetzes generell vor den nachteiligen Folgen einer Willenserklärung bewahrt wer-den.544 Die Vorschrift des § 1304 BGB sowie die in § 1314 Abs. 1 2. Alt. BGB

540 BGB-RGRK-Lohmann, Rz. 10; Johannsen/Henrich, Eherecht-Henrich (4. Aufl.), Rz. 7, beide zu § 1318; Staudinger-Hübner/Funk (12. Aufl.), § 26 EheG Rz. 22 noch zur alten Rechtslage.

541 BT-Drucks. 13/4898, S. 21; Palandt-Brudermüller (63. Aufl.), § 1318 Rz. 4.

542 Tschernitschek, FamRZ 1999, 829, 830 (Fn. 4). Vgl. schon Beitzke, FS Knur, 39, 47 zum Entwurf ei-nes ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts.

543 In: FamRZ 1999, 829, 830 (Fn. 4).

544 MünchKomm-Gitter (4. Aufl.), Vor § 104 Rz. 2.

sehene Aufhebungsmöglichkeit setzen diesen Schutzgedanken für das Eherecht um.

Dabei genießt der Schutz des Geschäftsunfähigen Vorrang vor dem Schutzbedürfnis des anderen Ehegatten. Die Möglichkeit einer unterhaltsrechtlichen Inanspruchnahme des bei der Eheschließung Geschäftsunfähigen ist damit nicht vereinbar.545

Die für die vergleichbar gelagerten Fälle des § 1303 BGB erörterten Lösungsmöglich-keiten sind an dieser Stelle ebenfalls in Betracht zu ziehen.546 Einer einschränkenden Auslegung des § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB, die DIEDERICHSEN547 auch für die Fälle einer Eheaufhebung wegen Geschäftsunfähigkeit vorschlägt, steht der eindeutige Wort-laut der Vorschrift entgegen. Hingegen kann eine teleologische Reduktion des § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB den Widerspruch zu § 1304 BGB vermeiden. Wird die Anwend-barkeit der scheidungsrechtlichen Unterhaltsvorschriften nur zugunsten des unfähigen Ehegatten und nur gegenüber einem bei der Eheschließung selbst geschäfts-fähigen bzw. ehemündigen Ehegatten zugelassen, ist die Inanspruchnahme eines ge-schäftsunfähigen Ehegatten ausgeschlossen. Ihm entstehen infolge der Eheaufhebung keine Nachteile.

In Übereinstimmung mit diesem Ergebnis gehen auch BRUDERMÜLLER548 und HENRICH549 davon aus, dass nur der bei der Eheschließung geschäftsunfähige Ehegatte Unterhalt verlangen kann. Allerdings führen sie diese Feststellung offenbar nicht auf ei-ne Einschränkung des Gesetzes zurück, sondern argumentieren in Anlehnung an die Begründung des Regierungsentwurfs550, dass dem Geschäftsunfähigen nicht entgegen-gehalten werden kann, dass er die Aufhebbarkeit der Ehe kannte. Dabei wird übersehen, dass § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB die Unterhaltsberechtigung des gutgläubigen Ehe-gatten gerade nicht von der Kenntnis des anderen EheEhe-gatten abhängig macht.551 Nach dem Gesetz kann selbst der Ehegatte, der keine Kenntnis von der Aufhebbarkeit hatte, unterhaltspflichtig werden. Insofern vermag zwar die Argumentation nicht zu überzeu-gen. Die Intention, den Geschäftsunfähigen vor Unterhaltsansprüchen des anderen Ehe-gatten zu bewahren, entspricht indes dem Schutzzweck des § 1304 BGB.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass der bei der Eheschließung Geschäftsunfähige wie der beschränkt Geschäftsfähige schon nach früherem Recht (§ 26 EheG) unterhalts-pflichtig werden konnte.552 Erstaunlicherweise war die unterhaltsrechtliche Inanspruch-nahme des Geschäftsunfähigen bisher nicht in dem Maße Gegenstand der Diskussion wie die des beschränkt Geschäftsfähigen, obwohl auch sie dem insoweit gleichgerichte-ten Schutzprinzip zuwiderläuft. Nur wenige Autoren erörtergleichgerichte-ten diese Thematik

545 A. A. BGB-RGRK-Lohmann, Rz. 10; Staudinger-Strätz (13. Aufl.), Rz. 18, beide zu § 1318, aller-dings jeweils ohne Hinweis auf den Widerspruch zu § 1304 BGB.

546 Vgl. oben S. 87 ff.

547 In: Palandt (58. Aufl.), § 1318 Rz. 7.

548 In: Palandt (63. Aufl.), § 1318 Rz. 4.

549 In: Johannsen/Henrich, Eherecht (3. Aufl.), § 1318 Rz. 7. Im Gegensatz dazu wird in der 4. Auflage (a.a.O.) die nach dem Wortlaut bestehende Möglichkeit der Inanspruchnahme des Geschäftsunfähigen eingeräumt, jedoch eine dahingehende gesetzgeberische Absicht bezweifelt.

550 BT-Drucks. 13/4898 S. 21.

551 BGB-RGRK-Lohmann, § 1318 Rz. 10.

552 Siehe dazu schon oben S. 88.

haupt.553 Vor diesem Hintergrund überrascht die diesbezügliche Indifferenz des Gesetz-gebers nicht so sehr. Weder der Regierungsentwurf noch die endgültige Fassung des

§ 1318 BGB wollten an der grundsätzlichen Möglichkeit der Inanspruchnahme des ge-schäftsunfähigen Ehegatten etwas ändern. Dennoch ist die Vorschrift zur Verwirkli-chung des Schutzprinzips in der oben beschriebenen Weise teleologisch zu reduzieren.

d) Kenntnis des geschäftsfähigen Ehegatten

Diese Variante dürfte äußerst selten sein. Wenn der andere Ehegatte Kenntnis von der Geschäftsunfähigkeit seines Partners hat, wird sie im Regelfall auch dem Standesbeam-ten nicht verborgen bleiben. Gleichwohl sind Ausnahmen vorstellbar:

Die geistige Behinderung des M ist nicht offensichtlich. F hat durch einen Zufall davon erfahren. Von ihren Hochzeitsplänen kann sie diese Erkenntnis nicht abbrin-gen.

(1) Unterhaltsanspruch der F

Der F steht wegen ihrer Kenntnis von der Aufhebbarkeit gemäß § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB kein Unterhaltsanspruch gegen M zu.

(2) Unterhaltsanspruch des M

Zugunsten des M sind die §§ 1569 ff. BGB anwendbar, denn er gilt stets als gutgläubig.

(3) Kein Widerspruch zu § 1304 BGB

Ein Widerspruch zu § 1304 BGB ergibt sich in dieser Variante nicht, denn der ge-schäftsunfähige Ehegatte bleibt von Unterhaltsansprüchen des anderen Ehegatten ver-schont. Umgekehrt kann er selbst unter den Voraussetzungen der §§ 1569 ff. BGB Un-terhalt verlangen.

e) Ergebnis

Die gesetzliche Regelung über den Unterhalt im Fall einer Eheaufhebung wegen Ge-schäftsunfähigkeit befriedigt nicht. Der Schutz des Geschäftsunfähigen wurde nicht im gebotenen Umfang berücksichtigt. Selbst wenn der Widerspruch zum Schutzgedanken des § 1304 BGB mit einer teleologischen Reduktion der Vorschrift zu lösen ist, kann dies über die Mangelhaftigkeit des Gesetzes nicht hinwegtäuschen. Die im Zusammen-hang mit der Eheunmündigkeit vorgeschlagene Lösung554 trägt auch dem Schutz des Geschäftsunfähigen Rechnung. Da der zur Zeit der Eheschließung geschäftsunfähige Ehegatte stets als gutgläubig gilt, kann er eine unterhaltsrechtliche Inanspruchnahme in jedem Fall durch Ausschlusserklärung abwenden.