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J. Scheinehe

III. Anwendungsbereich

Die Ehegatten müssen sich darüber einig sein, keine Verpflichtung gemäß § 1353 Abs. 1 BGB begründen zu wollen. § 1353 Abs. 1 BGB bestimmt:

„Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur eheli-chen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung.“

Die Eheschließungserklärung ist, wie sich aus § 1310 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt, lediglich auf die Eingehung der Ehe gerichtet. Der Wille, eine eheliche Gemeinschaft auf Le-benszeit herzustellen, gehört nicht zum Tatbestand der Eheschließungserklärung.404 Die Verpflichtung im Sinne des § 1353 Abs. 1 BGB tritt nicht durch Vereinbarung zwischen den Ehegatten, sondern kraft Gesetzes mit Vollzug der Eheschließung ein.405 Aus die-sem Grund kommt eine Ehe selbst dann zustande, wenn die Eheleute eine eheliche Le-bensgemeinschaft nicht beabsichtigen.

Anders als bei den zuvor (unter A. bis I.) behandelten Fehlertatbeständen liegt hier kein

398 Vgl. die Prüfbitte des Bundesrates zu Art. 2 Nr. 6 des Regierungsentwurfes, BT-Drucks. 13/4898 (Anlage 2) S. 32.

399 Barth/Wagenitz, FamRZ 1998, 833, 839.

400 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/4898 (Anlage 3) S. 35.

401 BT-Drucks. 13/9416 S. 6 ff., 13.

402 Vgl. BT-Drucks. 13/9416 S. 11, 29.

403 Vgl. BT-RechtsA Sitzungsprot. 13/103, S. 27 sowie RechtsA-Drucks. 13/152 S. 5, 7.

404 Hepting, FamRZ 1998, 719.

405 BGB-RGRK-Lohmann, § 1314 Rz. 25.

Mangel des Eheschließungswillens vor. Die Partner wollen eine wirksame Ehe begrün-den, um in den Genuss bestimmter an die Ehe geknüpfter Rechtsvorteile406 zu kommen.

Eine tatsächliche Lebensgemeinschaft beabsichtigen sie hingegen nicht. Der Aufhe-bungsgrund der Scheinehe beruht auf der gesetzlichen Missbilligung des Eheschlie-ßungsmotivs.407 Der Gesetzgeber will einen möglichen Missbrauch des Instituts der Ehe für ehefremde Zwecke verhindern.408 Hierfür wurde der Aufhebungsgrund der Schein-ehe eingeführt, der es über das an den Standesbeamten gerichtete Mitwirkungsverbot in

§ 1310 Abs. 1 S. 2 BGB ermöglicht, schon der Schließung solcher Ehen entgegenzu-wirken.409 Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen gegen eine Regelung, die den Schutz des Instituts der Ehe vor rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme bezweckt, grundsätzlich keine Bedenken. Schließlich gehört die Lebensgemeinschaft zu den We-sensmerkmalen der Ehe.

1. Kein Bezug zum Eheschließungsmotiv

Nach dem allgemein gefassten Wortlaut des § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB kommt es für die Aufhebbarkeit nicht darauf an, welches Motiv der Eheschließung zugrunde liegt, insbe-sondere welche Vorteile sich die Ehegatten davon versprechen. Einen beinsbe-sonderen „e-hefremden Zweck“ nennt das Gesetz nicht. Damit hat der Gesetzgeber auf die Verknüp-fung der fehlenden Lebensgemeinschaft mit dem dafür maßgeblichen Motiv verzichtet, die in der Vergangenheit stets die Struktur von Scheineheverboten prägte.410 § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB gilt nach seinem Wortlaut für alle denkbaren Formen der Schein-ehe.411 Neben den so genannten Aufenthaltsehen sind folglich auch Ehen betroffen, die zum Beispiel zur Erlangung steuer- oder versorgungsrechtlicher Vorteile geschlossen werden oder aus wohnungswirtschaftlichen Gründen oder um in den Genuss von Straf-vergünstigungen oder Zeugnisverweigerungsrechten zu kommen. Hingegen fällt die Eheschließung mit einem Sterbenden, die eine zukünftige Lebensgemeinschaft regel-mäßig ausschließt, nicht in den Anwendungsbereich der Norm.412 Hier wollen die Ehegatten, eine eheliche Lebensgemeinschaft durchaus eingehen. Meist werden sie schon vorher in vergleichbarer Gemeinschaft gelebt haben. Allein wegen des nahenden Todes können sie eine eheliche Gemeinschaft nicht aufnehmen. Gleiches muss für die Ehe mit einem Langzeit-Strafgefangenen gelten, denn auch hier wollen die Ehegatten keine Verpflichtung ausschließen, sondern die tatsächlichen Umstände hindern sie an der ehelichen Lebensgemeinschaft.413

Das so geschaffene allgemeine Eheverbot der „pflichtenlosen Ehe“ ist sehr weitgehend.

406 Z. B. Aufenthaltserlaubnis, Witwenrente, Ehegatten-Splitting, Ehename.

407 Palandt-Brudermüller (63. Aufl.), § 1314 Rz. 14.

408 BT-Drucks. 13/9416 S. 28.

409 BT-Drucks. 13/9416 S. 27 f.; Wagenitz/Bornhofen, EheschlRG, 2. Teil 1. Abschnitt Rz. 110.

410 Wolf, FamRZ 1998, 1477, 1482; vgl. auch die Formulierungsvorschläge bei Diekmann, S. 199, 202:

„Die Ehe darf nicht ohne die Absicht zur Aufnahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft nur zu dem Zweck eingegangen werden, an den Eheschluss geknüpfte (ausländerrechtliche) Rechtsvorteile zu er-langen.“

411 So auch Staudinger-Klippel (13. Aufl.), Vor §§ 1313 ff. Rz. 20; BGB-RGRK-Lohmann, § 1314 Rz.

26; Bornhofen, StAZ 1997, 362, 369; Finger, FuR 1998, 289, 292; Hepting, FamRZ 1998, 713, 722.

412 Andernfalls wäre § 7 PStG nicht beibehalten worden, der im Falle einer lebensgefährlichen Erkran-kung eine erleichterte Eheschließung ermöglicht.

413 Wolf, FamRZ 1998, 1477, 1483.

Ob sich der Gesetzgeber über diese Reichweite im Klaren war, ist nicht gewiss. Mögli-cherweise meinte er, durch eine Generalklausel die Schwierigkeiten bei der begriffli-chen Erfassung einer Scheinehe umgehen zu können. Immer wieder ist zu lesen, dass der Gesetzgeber in erster Linie die Ehen zur Erlangung aufenthaltsrechtlicher Vorteile im Auge gehabt habe.414 Eine Beschränkung auf solchermaßen motivierte Ehen ist den Gesetzesmaterialien jedoch nicht zu entnehmen.415 Entsprechend meint WOLF416, dass nicht nur ein Verbot der Aufenthaltsehe beabsichtigt gewesen sei, sondern ein generel-ler Schutz vor missbräuchlicher Inanspruchnahme der Ehe. Die Ergänzung des § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB um den zweiten Halbsatz „sie tragen füreinander Verantwortung“ habe die Aufwertung der Ehe zu einer Verantwortungsgemeinschaft bezweckt, um die Ehe von anderen Lebensgemeinschaften abzugrenzen. KLIPPEL spricht von einem „Auffang-tatbestand für verschiedene Erscheinungsformen der Scheinehe“.417 Die Deutungen des Gewollten gehen erkennbar auseinander. Insofern ist die von HEPTING418 und DIEDERICHSEN419 vorgeschlagene teleologische Reduktion der „zu weit geratenen“ Vor-schrift „auf das rechtspolitisch tatsächlich Gewollte“ problematisch. Denn die Annah-me, dass nur die Abwehr von Aufenthaltsehen beabsichtigt war, ist durch nichts zu be-legen. Um jedoch eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der verfassungsrechtlich ga-rantierten Eheschließungsfreiheit zu verhindern, ist die Vorschrift zurückhaltend anzu-wenden.420

Erwägenswert scheint der Gedanke, neben der fehlenden Absicht zur ehelichen Lebens-gemeinschaft eine nicht hinnehmbare Rechtsmissbräuchlichkeit der Eheschließung, ge-wissermaßen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB, zu verlangen.421 In dieser Hinsicht käme auch eine Berufung auf den gesetzgeberischen Willen in Betracht: Ausdrücklich bezweckt das Gesetz die Verhinderung oder Beseiti-gung rechtsmissbräuchlich geschlossener Ehen.422 Diese Überlegung ist jedoch insoweit wenig hilfreich, als sich ein Missbrauch in jeder Form von Scheinehe sehen ließe. Ab wann ein Missbrauch nicht mehr hinnehmbar ist, wäre nur schwer zu bestimmen.

2. „Verpflichtung gemäß § 1353 Abs. 1 BGB“

Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Anwendungsbereiches der Vorschrift re-sultieren nicht nur aus der unterlassenen Einbeziehung des für die Eheschließung maß-geblichen Motivs. Auch der durch die Formulierung in § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB not-wendige Rückgriff auf die „Verpflichtung gemäß § 1353 Abs. 1“ ist als unglücklich zu

414 Erman-Roth (10. Aufl.), Rz. 12; Palandt-Diederichsen (58. Aufl.), Rz. 26, beide zu § 1314; Hepting, FamRZ 1998, 713, 722; Bornhofen, StAZ 1997, 362, 369.

415 Insoweit unklar Hepting, FamRZ 1998, 713, 722: „Erklärtermaßen wollte der Gesetzgeber nur die-jenigen Scheinehen treffen, mit denen aufenthaltsrechtliche Vorteile erlangt werden sollen. ... Der his-torische Gesetzgeber des EheschlRG hat nur an die Abwehr von Aufenthaltsehen gedacht.“

416 In: FamRZ 1998, 1477, 1482.

417 Staudinger-Klippel (13. Aufl.), § 1314 Rz. 75.

418 In: FamRZ 1998, 713, 722; ähnlich Otte, JuS 2000, 148, 152.

419 In: Palandt (58. Aufl.), § 1314 Rz. 26.

420 So auch Johannsen/Henrich, Eherecht-Henrich (4. Aufl.), § 1314 Rz. 79.

421 So Hepting, FamRZ 1998, 713, 722; Staudinger-Klippel (13. Aufl.), § 1314 Rz. 76; ähnlich Palandt-Brudermüller (63. Aufl.), § 1314 Rz. 14; Otte, JuS 2000, 148, 152.

422 Vgl. BT-Drucks. 13/9416 S. 27 f.

bezeichnen.423

Schon die pauschale Inbezugnahme von § 1353 Abs. 1 BGB geht fehl: Durch das Le-benszeitpostulat in Satz 1 wird keine Rechtspflicht der Ehegatten begründet. Ebenso wenig ergibt sich aus der in Satz 2 (zweiter Halbsatz) erstmals normierten Verantwor-tungsgemeinschaft eine Rechtspflicht der Ehegatten. Es kann also lediglich die Ver-pflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft im ersten Halbsatz von Satz 2 gemeint sein. Abgesehen davon, dass diese Rechtspflicht gar nicht zur Disposition der Ehegatten steht, denn sie tritt kraft Gesetzes mit Vollzug der Eheschließung ein, ist der Begriff der ehelichen Lebensgemeinschaft äußerst unbestimmt. Zum einen unterliegt er zeitlich ei-nem erheblichen Wandel, zum anderen ist er stark subjektiv geprägt. Ein gesetzliches Eheleitbild gibt es nicht. Einigkeit besteht wohl nur dahingehend, dass der gemeinsame Gang zum Standesamt in keinem Fall zur Begründung einer ehelichen Gemeinschaft genügt.424 Was darüber hinaus erforderlich ist, lässt sich nicht allgemeingültig festlegen.