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ANWENDUNGSFÄLLE UND FESTSETZUNGSBEISPIELE A Festsetzung größerer Abstandsflächentiefen

Im Dokument Arbeitshilfe Bebauungsplanung (Seite 192-195)

Fallbeispiel 1: Ein Ende des 19. Jahrhunderts erschlossenes Villengebiet weist heute eine Einzelhausbebauung unterschiedlicher Bebauungsphasen auf. Bei aller Unterschiedlichkeit der Baukörpergrößen und Bebauungshöhen wird das insgesamt harmonische Ortsbild maßgeblich durch geringe Bebauungsdichten und großzügige Abstände zwischen den Gebäuden geprägt.

Zur planerischen Steuerung der Nachverdichtung hat die Gemeinde die Aufstellung eines Bebauungsplans beschlossen, der mittels Vorgabe geringer Bebauungsdichten eine aufgelockerte Bebauung bisher unbebauter Grundstücke gewährleisten soll. Während der Planaufstellung wird für ein größeres Baugrundstück ein Bauantrag gestellt, der die Errichtung einer Hausgruppe aus drei dicht beieinanderstehenden Einzelgebäuden vorsieht. Aufgrund der geringen Abstände zwischen den Gebäuden fügt sich das Vorhaben nicht in die vorhandene Bebauungsstruktur ein, obwohl die vorgesehenen GRZ- und GFZ-Obergrenzen von 0,15 und 0,3 eingehalten werden und auch ein ausreichend tiefer Vorgartenbereich von Bebauung freigehalten wird.

Die Gemeinde beantragt auf der Grundlage von § 15 BauGB eine Zurückstellung des Bau-antrages, da das geplante Vorhaben nicht mit den Zielen des im Aufstellungsverfahren befind-lichen Bebauungsplans vereinbar ist.

Da die vorgesehene flächige Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen im Zusam-menwirken mit der starken Begrenzung der zulässigen baulichen Dichte keine ausreichenden Abstände zwischen den Gebäuden gewährleisten können, wird der Entwurf des Bebauungs-plans um eine textliche Festsetzung nach § Abs. Nr. a BauGB ergänzt, die größere Mindesttiefen der Abstandsflächen vorschreibt, als sie bauordnungsrechtlich erforderlich sind:

 Im reinen Wohngebiet beträgt die erforderliche Mindesttiefe der Abstandsflächen 10 m. Abweichend von Satz 1 ist zu einer Gebäudeseite eine Abstandsflächentiefe von 5 m ausreichend.

Die Festsetzung einer Mindest-Abstandsflächentiefe von 10 m stellt ausreichende Abstände zwischen den Gebäuden sicher, ohne dass die Standorte für eine Neubebauung konkret fest-gelegt werden müssen. Die Einräumung geringerer Mindesttiefen für eine Gebäudeseite berücksichtigt die vorhandenen Grundstücksbreiten und ermöglicht zu einer Seite ein stär-keres Heranrücken der Bebauung an die seitliche Grundstücksgrenze.

Zur Sicherung der aufgelockerten Einzelhausbebauung bieten sich darüber hinaus Rege-lungen zur Begrenzung der Gebäudelängen (Festsetzung einer abweichenden Bauweise gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i.V.m. § 22 Abs. 4 BauNVO,

B 2.1) und zur Begrenzung der Zahl der Wohnungen je Wohngebäude (gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 6,

B 6) an.

Alternativ zur Festsetzung abweichender Tiefen der Abstandsflächen hätte die Gemeinde auch die flächige Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen in eine Mischung aus Baukörperausweisungen für erhaltenswerte Bestandsgebäude und der Festsetzung kleiner Baufelder für mögliche Neubauten ändern können (

B 2.2). Diese Festsetzung setzt jedoch voraus, dass sich die Gemeinde bereits während der Planungsphase auf Standorte für eine Neubebauung festlegen und diese Festlegung städtebaulich begründen kann.

Problematisch sind Baukörper- und kleinteilige Baufensterausweisungen für größere unbebaute Flächen vor allem dann, wenn kein konkretes Bauvorhaben vorliegt und verschiedene Varianten einer städtebaulich verträglichen Gebäudeanordnung denkbar sind.

Aufgrund der größeren Flexibilität bei der Umsetzung der Planung und des geringeren Eingriffs in die private Baufreiheit entscheidet sich die Gemeinde im Planungsfall für die Festsetzung abweichender Tiefen der Abstandsflächen bei Beibehaltung der flächigen Festsetzung überbaubarer Grundstücksflächen.

Fallbeispiel 2: Bei der Aufstellung eines Bebauungsplans für ein Wohngebiet ist die Gemeinde X Ende der 1990er-Jahre von den seinerzeit geltenden Abstandsflächenregelungen der Brandenburgischen Bauordnung von 1994 ausgegangen. Von besonderer Bedeutung war dabei das in § 6 Abs. 5 BbgBO a.F. enthaltene Schmalseitenprivileg, das geringere Abstands-flächentiefen von 0,5 H nur für solche Gebäudeseiten zuließ, die nicht länger als 16 m sind. Im Vertrauen auf diese Regelung hat die Gemeinde im Sinne der planerischen Zurückhaltung auf Festsetzungen zur Begrenzung der zulässigen Gebäudelänge verzichtet und lediglich die offene Bauweise nach § 22 Abs. 2 BauNVO festgesetzt. Mit der Reduzierung des bau-ordnungsrechtlichen Abstandsflächenerfordernisses auf 0,4 H im Rahmen der am 1. Juli 2016 in Kraft getretenen Novelle der Brandenburgischen Bauordnung ist nunmehr auch eine Bebauung durch frei stehende Mehrfamilienhäuser („Stadtvillen“) mit einer größeren Seitenlänge als 16 m zu erwarten.

Die Gemeinde beschließt die Änderung des rechtskräftigen Bebauungsplans mit dem Ziel, für größere Gebäude auch größere Abstandsflächenanforderungen vorzugeben, als sie aus dem bauordnungsrechtlich erforderlichen Maß von 0,4 H erwachsen. Die Gemeinde ergänzt den rechtskräftigen Bebauungsplan daher um eine Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB, die die Abstandsflächenerfordernisse entsprechend der Rechtslage zum Zeitpunkt der Beschluss-fassung über den Bebauungsplan weitestgehend wiederherstellt.

 Im allgemeinen Wohngebiet beträgt die erforderliche Tiefe der Abstandsflächen für Außenwände, die nicht länger als 16,0 m sind, 0,5 H. Für Außenwände mit einer Länge von über 16,0 m gilt ein Maß von 1,0 H.

Eine vollständige Anpassung an die Abstandsflächenerfordernisse der alten Bauordnung kann insofern nicht erreicht werden, als sich mit den Novellierungen der Bauordnung seit 1994 auch die Art und Weise der Ermittlung der Abstandsflächen geändert hat und § Abs. Nr. a BauGB keine hiervon abweichende Festsetzungen im Bebauungsplan ermöglicht.

Die „Wiedereinführung“ der alten Abstandsflächenanforderungen ist städtebaulich begründet, da größere Gebäude aus Gründen der Erhaltung und Entwicklung des vorhandenen Orts-bildes auch künftig größere Abstände zu benachbarten Gebäuden aufweisen sollen. Da die Grundzüge der Planung nicht berührt sind, kann der Bebauungsplan in einem vereinfachten Verfahren nach § 13 BauGB geändert bzw. ergänzt und dementsprechend auf die Durch-führung einer Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB und frühzeitigen Beteiligungsverfahren nach § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 BauGB verzichtet werden.

Alternativ zur abweichenden Festsetzung der Abstandsflächentiefen hätte die Gemeinde auch Begrenzungen der zulässigen Gebäudelängen als Festsetzung einer abweichenden Bauweise (

B 2.1) in den Bebauungsplan aufnehmen können. Eine solche Ergänzung des Bebau-ungsplans würde jedoch die Grundzüge der Planung berühren und die Durchführung eines normalen Änderungsverfahrens erfordern. Da es sich zudem nicht um einen Bebauungsplan der Innenentwicklung handelt, käme auch eine Planänderung im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB (

F 5) nicht in Betracht.

B Festsetzung geringerer Abstandsflächentiefen

Fallbeispiel 3: Die Gemeinde X stellt im Rahmen ihrer Stadterneuerungsplanungen für ein innerstädtisches Wohn- und Mischgebiet einen Bebauungsplan auf. Ziel der Planung ist unter anderem die Erhaltung des historischen Stadtgrundrisses unter Berücksichtigung der vorhan-denen Bebauungshöhen. Dabei soll der Bebauungsplan Lückenschließungen und Ersatz-bauten ermöglichen, die sich in die vorhandene Bebauungsstruktur einfügen. Bei einigen schmaleren Straßen und Gassen sind die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenerforder-nisse nicht mit den städtebaulichen Zielen der Planung vereinbar.

Wohngebiet mit offener mit schmalen Straßen

und Gassen

Abweichende Tiefen der Abstandsflächen

B 2.4

Beiderseits einer schmalen Gasse soll der Bebauungsplan die planungsrechtlichen Voraus-setzungen für bauliche Ergänzungen des Bestandes durch dreigeschossige traufständige Gebäude schaffen. Die zulässige Traufhöhe wird dabei auf 9,5 m begrenzt. Die Abstands-flächenerfordernisse des § 6 Abs. 4 BbgBO geben bei einer WA- und MI-Festsetzung ein Maß von 0,4H für die Tiefe der Abstandsflächen vor. Bei Straßenraumbreiten zwischen 7,0 m und 7,5 m wäre eine dreigeschossige Bebauung unmittelbar an der straßenseitigen Baugrenze bauordnungsrechtlich unzulässig, da sich die über 4,0 m tiefen Abstandsflächen über die Straßenmitte erstrecken bzw. sich die Abstandsflächen gegenüberliegender Gebäude in diesem Bereich überschneiden würden. Ohne die planungsrechtliche Ermöglichung gerin-gerer Tiefen der Abstandsflächentiefen könnte an der straßenseitigen Baugrenze nur eine niedrigere zweigeschossige Bebauung errichtet werden oder eine dreigeschossige Bebauung müsste gegenüber der Bauflucht zurücktreten. Beides ist mit den städtebaulichen Zielen einer sich in den Bestand einfügenden Bebebauung nicht vereinbar.

Für die Umsetzung der Planung muss der Bebauungsplan eine Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB beinhalten, die vom Bauordnungsrecht abweichende geringere Tiefen der Abstandsflächen ermöglicht. Um die zulässige Traufhöhe von 9,5 m auch an der engsten Stelle des Straßenraumes zu ermöglichen, muss das Maß der erforderlichen Tiefe der Abstandsflächen auf 0,35 H reduziert werden. Bei einer maximal zulässigen Dachneigung von 50 Grad können Dächer bei der Ermittlung der Abstandsflächen unberücksichtigt bleiben.

 Auf den Grundstücken Kirchgasse 1-9 und 10-18 darf an die straßenseitigen Baulinien bis zur zulässigen Traufhöhe von 9,5 m herangebaut werden; die erforderliche Tiefe der straßenseitigen Abstandsflächen beträgt hier 0,35 H.

Die Voraussetzungen für eine Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB sind gegeben, da für die Festsetzung ausschließlich städtebauliche Gründe, hier die Sicherung eines erhaltens-werten Ortsbildes, herangezogen werden. Die Reduzierung der Abstandsflächentiefen ist auch unter Berücksichtigung des bauordnungsrechtlichen Aspekts der Gefahrenabwehr ver-tretbar, da das festgesetzte Maß von 0,35 H nach herrschender Meinung den Mindestanforde-rungen von 2 x 3,0 m Metern zwischen zwei Gebäuden genügt, die an eine hinreichende Belichtung zu stellen sind. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Ermöglichung geringerer Abstandsflächentiefen nur für die straßenseitigen und nicht für alle Außenwände gilt.

bauordnungsrechtliches Abstandsflächenerfordernis im Widerspruch zu städtebaulichen Zielen

Ermöglichung geringer Abstands-flächentiefen zu beiden Seiten

einer schmalen Straße

Im Dokument Arbeitshilfe Bebauungsplanung (Seite 192-195)

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