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2 LITERATURÜBERSICHT

2.4 Rekombinante Antikörpertechnologie

2.4.3 Antikörperstabilität

Bei der Erzeugung und Anwendung von rekombinanten Antikörperfragmenten in Diagnostik und Therapie sind eine hervorragende Antigenbindung und Funktionalität der Produkte, z.B. durch die Wahl eines geeigneten Antikörperformats (siehe 2.4.1), ebenso wichtig wie die Nutzung eines effizienten Expressionssystems (2.4.2). Für den erfolgreichen Einsatz eines Antikörperfragments in vivo ist jedoch auch dessen Stabilität von herausragender Bedeutung (KRAMER et al. 2002): So ist die Isolation eines Antikörperfragments mit hervorragenden Bindungseigenschaften von geringem Nutzen, solange es die für die Anwendung notwendigen Ansprüche an die Stabilität nicht erfüllt (FILPULA 2007). Dabei ist einerseits die konformative Stabilität als Eigenschaft unterschiedlicher Antikörper bzw. Antikörperformate zu berücksichtigen.

Andererseits ist die Stabilität jedes einzelnen Antikörperfragments unter definierten Bedingungen bzw. in einem bestimmten Milieu von großer praktischer Relevanz (WÖRN 2001).

Aufgrund ihrer vielfältigen Einsatzmöglichkeiten sind scFv- und Fab-Fragmente in Bezug auf ihre konformative Stabilität schon im Detail untersucht worden. Auch den Single-domain-Antikörperfragmenten, Nanobodies, die von den Antikörpern der Cameliden ohne leichte Ketten abgeleitet sind, gilt jedoch in puncto Stabilität besondere Aufmerksamkeit. Viele der allgemeinen Prinzipien, die bei der technologischen Stabilisierung von scFv zum Einsatz kommen, lassen sich auch auf andere Antikörperfragmente und vollständige Antikörper übertragen (WÖRN 2001) und sollen im Folgenden beispielhaft erläutert werden.

Single-chain-Antikörperfragmente gelten im Vergleich zu anderen Antikörperformaten als eher instabil. Welche strukturellen Parameter dazu beitragen, wird immer weiter aufgedeckt: Durch die niedrige Affinität der beiden variablen Domänen von scFv zueinander kann es zur Dissoziation der Domänen und damit zur Denaturierung und Aggregatbildung kommen (WÖRN 2001; HUST et al. 2007).

Dabei haben insbesondere die Länge und die Sequenz des verwendeten Peptidlinkers Einfluss auf den Zusammenhalt der variablen Domänen. Eine Lösungsmöglichkeit bei zu geringem Zusammenhalt der Domänen eines scFv ist die

Einführung einer zusätzlichen Disulfidbrücke. Diese kann die Stabilität des scFv gegenüber Hitze, Proteasen und weiteren denaturierenden Einflüssen in vivo deutlich erhöhen. Darüber hinaus ist die jeweilige intrinsische Stabilität der beiden variablen Domänen von Bedeutung. Diese kann wiederum durch gezielte stabilisierende Punktmutationen verbessert werden. Die genannten Beispiele zeigen, dass die Erzeugung hoch stabiler scFv noch immer eine Herausforderung ist, die Wissenschaftler mit Hilfe rationaler und evolutionärer Verfahren der Antikörpertechnologie zu bewältigen suchen. Hierbei ist entscheidend, dass die Optimierung der Bindungseigenschaften und der Funktionalität eines Antikörpers stets mit der Selektion zugunsten einer erhöhten Stabilität gekoppelt wird (WÖRN 2001).

Fab-Fragmente sind aufgrund ihrer Struktur (siehe 2.4.1) konformativ deutlich stabiler und länger lagerfähig als scFv (KRAMER et al. 2002; HUST et al. 2007). So war beispielsweise die Bindungsaktivität von getesteten Fab-Fragmenten bei einer Lagerung für ein Jahr bei 4 °C noch vollständig erhalten, während die der eingesetzten scFv schon nach einigen Wochen nachließ. Ob dies jedoch aufgrund der stabileren Molekülstruktur der Fab-Fragmente oder aufgrund der unterschiedlichen Produktionsmethoden der Fall war, konnte nicht abschließend geklärt werden (KRAMER et al. 2002).

Single-domain-Antikörperfragmente, Nanobodies, gelten in ihrer Konformation als deutlich stabiler als die meisten konventionellen Antikörperformate. Insbesondere können sie nach einer Denaturierung ihre Antigenbindungsfähigkeit durch Rückfaltung wieder vollständig zurückgewinnen (DUMOULIN et al. 2002) und erweisen sich als widerstandsfähig gegenüber Hitze (bis 90 °C), Proteasen und extremen pH-Werten (ARBABI-GHAHROUDI et al. 2005). Da ihre geringe Molekülgröße weitere Vorteile bietet, ist es möglich, dass sie scFv- und Fab- Fragmenten bei einem Einsatz in vivo überlegen sind und diese in Zukunft ablösen werden.

Bei verschiedenen Anwendungen in vitro und in vivo sind Antikörperfragmente ganz unterschiedlichen physikalischen und chemischen Einflüssen ausgesetzt, die zu

einer Verminderung der Antigenbindung und zu einem Verlust der Funktionalität dieser Fragmente führen können. Für eine erfolgreiche Verabreichung von Antikörperfragmenten insbesondere zur passiven Immunisierung ist daher deren Stabilität bis zum Erreichen des vorgesehenen Wirkungsortes eine wichtige Voraussetzung (HAGEMANN 2006). Nur dann bleibt ihre Immunoreaktivität erhalten und kann zu einer Bindung der Ziel-Antigene führen.

Viele neu entwickelte rekombinante Antikörper sind für eine systemische Anwendung beim Menschen bestimmt, so dass vor allem eine hohe Stabilität bei 37 °C im Plasma bzw. Serum angestrebt wird (REILLY et al. 1997; CONRATH et al.

2001). Daher gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die die Stabilität von Antikörpern im humanen Serum behandeln und Techniken zu einer Verbesserung der Antikörperstabilität in diesem Milieu beurteilen. Einen guten Überblick zur Pharmakokinetik von Single-chain-Fragmenten gibt hier z.B. FILPULA (2007), der insbesondere die Verlangsamung der renalen Ausscheidung durch Bindung der scFv an humanes Serumalbumin oder durch Konjugation mit Polyethylenglykolpolymeren diskutiert.

Bei einer lokalen Anwendung von Antikörpern sind verschiedenste Umwelteinflüsse zu berücksichtigen, die auf die Antikörper einwirken und ihre Bindungsaktivität verändern können. Als Beispiel für Untersuchungen zur Antikörperstabilität mit dem Ziel einer lokalen Anwendung vollständiger monoklonaler Antikörper beim Menschen seien die Versuche von CASTLE et al. (2002) genannt: Hier wurden gegen HIV und humane Spermien gerichtete mAbs zur lokalen vaginalen Anwendung auf ihre Stabilität gegenüber sauren pH-Werten untersucht. Ein erheblicher Aktivitätsverlust war ab einem pH-Wert von < 3,5 zu beobachten, wobei jedoch ein Teil der Bindungsaktivität der Antikörper nach Neutralisation zurückgewonnen wurde. Auch bei einer lokalen Anwendung von Antikörpern im Digestionstrakt, z.B. zur Bekämpfung enteraler Infektionen wie der Kokzidiose des Huhnes, müssen der pH-Wert und weitere auf die Antikörper einwirkende Einflüsse des Milieus berücksichtigt werden. Dies soll im Folgenden anhand verschiedener Studien erläutert werden.

Als Vogel besitzt das Huhn zur Extraktion von Nährstoffen aus dem Futter dieselben Basisstrukturen wie andere Vertebraten, ein tubuläres Intestinum, das zu einer dynamischen Selbstregulation durch verschiedenste Faktoren befähigt ist (RAHMANI u. SPEER 2005). Oral verabreichte Antikörper können als Glykoproteine einer Denaturierung im sauren pH-Milieu des Magens sowie einem Abbau durch Proteasen unterliegen. Dennoch kann unter Umständen eine Fraktion der verabreichten Antikörpermenge, z.B. als Fab-Fragmente, ihre immunologische Aktivität bis zum Erreichen der Caeca erhalten (REILLY et al. 1997; YEGANI u.

KORVER 2007).

Bereits 1942 hat FARNER grundlegende Untersuchungen zur Hydrogenionen-konzentration im Digestionstrakt verschiedener Geflügelspezies veröffentlicht: Beim Huhn konnte er die niedrigsten pH-Werte von durchschnittlich 2,6 im Muskelmagen, die höchsten mit durchschnittlich 6,3-6,4 im distalen Ileum nachweisen. Der Kropf, in dem oral verabreichte Antikörper wahrscheinlich längere Zeit verbleiben, wies einen pH-Wert von durchschnittlich 4,5 auf. In den Caeca, dem Wirkungsort von Antikörpern, die gegen die infektiösen Stadien von Eimeria tenella gerichtet sind, lag der pH im Mittel bei 5,7. Neuere Untersuchungen zum Einfluss unterschiedlicher Futtermittel auf den pH-Wert in verschiedenen Darmabschnitten kommen zu höheren Durchschnittswerten: Muskelmagen 3,9-4,8; Ileum 7,2-7,6 und Caeca 6,1-6,5 (STEENFELDT et al. 2007). Trotz der leicht abweichenden Werte verschiedener Studien lässt sich zusammenfassen, dass die Gefahr einer Denaturierung von Antikörpern durch Säure vor allem im Kropf und im Drüsen- und Muskelmagen gegeben ist. Ein Lösungsansatz könnte eine Selektion von Antikörperfragmenten bei niedrigem pH sein, die zu einer erhöhten Resistenz gegenüber dem sauren Milieu des Magens führt, so dass funktionelle Antikörperfragmente diesen Teil des Digestionstrakts passieren können (VAN-DER-VAART et al. 2006).

Des Weiteren ist ein Abbau von Antikörperfragmenten durch proteolytische Enzyme im Magen und im Dünndarm möglich. Zu den Proteasen des Digestionstraktes gehören Pepsin, Trypsin, Chymotrypsin, Carboxypeptidase und Elastase (REILLY et al. 1997). In vivo-Untersuchungen bei Ferkeln haben gezeigt, dass ein Hauptteil des proteolytischen Abbaus von Single-domain-Antikörperfragmenten im Magen durch

Pepsin erfolgt. Durch Selektion Pepsin-stabilerer Antikörperfragmente kann deren Abbau im Digestionstrakt in vivo vermindert und eine orale Immuntherapie intestinaler Infektionskrankheiten ermöglicht werden (HARMSEN et al. 2006). Bei Versuchen mit bovinen Kolostrumantikörpern wurde deren Aktivitätsverlust vorrangig durch Magensäure und pankreatisches Trypsin hervorgerufen (PETSCHOW u.

TALBOTT 1994). HARMSEN und DE-HAARD (2007) beschreiben ebenfalls eine schlechte in vivo-Protektion von Ferkeln durch oral verabreichte Single-domain-Antikörperfragmente aufgrund eines Abbaus durch Proteasen. Sie halten deshalb eine positive Selektion von Fragmenten mit hoher Säure- und Proteasenresistenz für sinnvoll.

Neben gentechnologischen Methoden zur Erhöhung der Säure- und Proteasenresistenz von Antikörperfragmenten werden noch weitere Ansätze verfolgt, um Antikörper im Digestionstrakt gegen proteolytische und weitere negative Umwelteinflüsse zu schützen: Beispielsweise bieten eine Verkapselung in Liposomen bzw. eine Ummantelung der Antikörper mit Polymeren Schutz vor Säure und Proteasen (SHIMIZU et al. 1993; REILLY et al. 1997).

Aus den genannten Untersuchungen zur Antikörperstabilität im Digestionstrakt ergibt sich, dass auch lokal eingesetzte Antikörper gegen Eimeria tenella-Infektionen beim Huhn - bei oraler Applikation - auf ihrem Weg vom Kropf bis zum Wirkungsort, den Caeca, stabil gegenüber Säure und Proteasen sein müssen. Dass es grundsätzlich möglich ist, ausreichend stabile Antikörper zu erzeugen, um einen wirkungsvollen Einsatz im Digestionstrakt zu ermöglichen, beweist letztlich die Natur selbst: Im Hühnerdarm gebildetes, sekretorisches IgA ist in einer stark proteolytisch wirkenden Umgebung stabil, während daran gebundene Zielantigene zerstört werden (DAVIS u.

PORTER 1979). Dieser Anforderung müssen auch gentechnisch erzeugte Antikörperfragmente genügen, sofern ihr Einsatz in vivo effektiv und ökonomisch sein soll.