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2. LITERATURÜBERSICHT

2.4 Volumenänderungen der unteren Extremität bei Mensch und Pferd

2.4.3 Angelaufene Beine beim Pferd

Die Begriffe „angelaufene“ bzw. „dicke Beine“, „Herbst- oder Winterbeine“, „swollen legs“, „stocking edema“ oder „cold edema“ beschreiben ein bekanntes Phänomen in der Pferdepraxis (s. Abb. 2.3) (JUBB, 1993; ROMERO u. DYSON, 1997; SCHÄFER et al., 1999; BERENS VON RAUTENFELD u. FEDELE, 2005). Da es nicht als Krankheit im eigentlichen Sinne gewertet wird und im Allgemeinen keine akuten Probleme verursacht, finden sich in der veterinärmedizinischen Literatur nur wenige Informationen zu diesem Thema.

Abb. 2.3: Exemplarische Ansicht angelaufener Hintergliedmaßen eines Pferdes (MEINARDUS, 2005).

Angelaufene Beine können an allen vier Gliedmaßen auftreten. In der Regel sind jedoch nur die Hintergliedmaßen betroffen. BERENS VON RAUTENFELD u.

FEDELE (2005), die die angelaufenen Beine als eine Form von Lymphödem

ansehen, führen dies auf den längeren Lymphdrainageweg vom Hinterfuß zum linken Venenwinkel als vom Vorderfuß zurück. Auch der längere Weg des Blutes zum Herzen könnte hierbei von Bedeutung sein (FELSINGER, 2006).

Die Schwellung tritt nach Meinung vieler Autoren wie z.B. ROMERO u. DYSON (1997) bilateral symmetrisch auf. BERENS VON RAUTENFELD u. FEDELE (2005) sehen teilweise, ähnlich wie beim primären Lymphödem des Menschen, eine Asym-metrie, die in der Regel nur undeutlich ist.

Das Ödem beschränkt sich normalerweise auf den distalen Gliedmaßenbereich bis zur Höhe des Karpus bzw. Tarsus. Die Gliedmaßen sind nicht warm und die Schwel-lungen sind weich, eindrückbar und nicht schmerzhaft. Das Allgemeinbefinden der betroffenen Pferde ist nicht gestört, und sie zeigen keine Lahmheit.

Die Ätiologie der angelaufenen Beine ist bisher noch nicht abschließend geklärt. Auf-fällig ist, dass vor allem Pferde in Boxenhaltung betroffen sind, so dass fehlende Be-wegung als prädisponierender Faktor angesehen werden kann.

Da nicht alle Pferde unter diesen Haltungsbedingungen angelaufene Beine ausbil-den, ist eine genetische Disposition sehr wahrscheinlich.

Wie bereits oben erwähnt, wird von einigen Autoren eine lymphatische Abfluss-schwäche für dieses Phänomen verantwortlich gemacht (ROMERO u. DYSON, 1997; BERENS VON RAUTENFELD et al., 2000; BERENS VON RAUTENFELD u.

FEDELE, 2005).

ROTHE (2004) konnte Hinweise finden, dass Pferde mit angelaufenen Beinen eine Hypoplasie des Lymphdrainagesystems besitzen. Sie unterscheidet einen kollekto-renarmen vom kollektorenreichen Typ. Bei beiden Typen ist die Anzahl der ober-flächlichen und tiefen Hauptkollektoren nahezu identisch, während die Anzahl der kurzen hypodermalen Kollektoren des Fußes, der Kollateralen und der Anastomosen zwischen den Hauptkollektoren jedoch außerordentlich variieren können. Diese Aus-bildung könnte genetisch fixiert sein. Der Befund von ROTHE (2004) ist allerdings nicht statistisch abgesichert. MEYER (1988) wies in seinen Untersuchungen bereits beim stehenden, optisch gesunden Pferd Anzeichen einer Stauung in den Lymphge-fäßen nach. Aufgrund dieser Gegebenheiten könnten die angelaufenen Beine als

hereditäres primäres Lymphödem gedeutet werden (BERENS VON RAUTENFELD u. FEDELE, 2005). Bei einer langen Immobilisation in Form von Boxenhaltung steigt das Nettoultrafiltrat aufgrund des erhöhten Kapillardruckes, die ohnehin schon schwache Transportkapazität des Lymphgefäßsystems wird überschritten und es entstehen angelaufene Beine. Daher bezeichnen BERENS VON RAUTENFELD u.

FEDELE (2005) die angelaufenen Beine auch als (angeborenes) orthostatisches Ödem.

MEINARDUS (2005) sieht die Ursache der angelaufenen Beine ebenfalls in einer entsprechenden Anfälligkeit, kombiniert mit Bewegungsmangel. Sie schreibt das Phänomen allerdings eher Problemen bei der Blutversorgung zu. Durch Kontraktion und Erschlaffung der Muskulatur in den bemuskelten Körperteilen und in den Glied-maßen werden vor allem die für den Rücktransport des Blutes zuständigen Venen in ihrer Arbeit unterstützt. Bewegungsmangel kann dazu führen, dass die Venen es nicht schaffen, das Blut schnell genug wieder zurück zum Herzen zu transportieren.

Die deshalb zu hohe Blutmenge in den Venen führt dazu, dass Flüssigkeit in das um-liegende Gewebe eintritt und die Beine von unten beginnend anlaufen.

VON ENGELHARDT (2000b) hat eine ähnliche Erklärung dafür, was mit verantwort-lich für die bei ruhigem Stehen gehäuft auftretenden Ödembildungen in den unteren Extremitäten bei Tieren ist. Da die Skelettmuskelpumpe nur bei Bewegung arbeiten kann, kann es beim sehr ruhig stehenden Tier in den Gliedmaßen zur vermehrten Füllung der Venen und damit zu einem Auseinanderweichen der Venenklappen kommen. Schließlich ist eine kontinuierliche Blutsäule vorhanden und der Druck in den unteren Extremitäten entspricht somit der Schwerkraft. Durch den dadurch hohen Venendruck ist auch der Druck in den Kapillaren erhöht, was zu einer ver-stärkten Filtration führt.

SCHMITZ (1987) liefert in seinem Buch auf der Grundlage dieser Ätiologie eine Er-klärung dafür, warum Gliedmaßen bei Tieren deutlich weniger schnell anlaufen als beim Menschen. An den Gliedmaßen von Tieren sind unterhalb der Wade kaum Muskeln vorhanden. Daher brauchen die Venen ihr Kaliber nicht ständig zu ändern, und sie können in ihrer Dehnungsfähigkeit starr begrenzt werden. So ist bei den Tieren das Venensystem zwischen Fuß und Unterschenkel so in Bindegewebe

großer Festigkeit eingebettet, dass es fast wandstarr ist. Daher kann ein Pferd stun-denlang im Stehen schlafen, während sich beim Menschen bereits nach wenigen Minuten die erste Beinschwellung bemerkbar macht. SCHMITZ (1987) gibt in seinem Buch allerdings keine Untersuchungen an, die seine Theorie praktisch bestätigen.

SCHÄFER et al. (1999) verstehen unter Herbst- oder Winterbeinen Stauungsödeme an den Hintergliedmaßen durch venöse Stauung oder Lymphstauung.

Die Autoren vertreten auch in Hinblick auf die Therapie verschiedene Meinungen.

ROMERO u. DYSON (1997) halten eine Therapie für nicht notwendig, da sich das Ödem nach Bewegung weitgehend wieder zurückbildet. Zur Prophylaxe empfehlen sie genügend Bewegung sowie den Gebrauch von Stallbandagen.

Auch MEINARDUS (2005) ist der Meinung, dass regelmäßige Bewegung Abhilfe bei angelaufenen Beinen schafft und somit keine weitere Therapie notwendig ist.

SCHÄFER et al. (1999) befinden Massage und Bewegung als günstig bei Stauungs-ödemen. Ein therapeutischer Einsatz von Kompressionsverbänden an den Gliedma-ßen soll die weitere Ausbreitung des Unterhautödems verhindern und die Resorption fördern.

Auch KEEGAN et al. (1992) schätzen weiche Bandagen als positiv für die Reduktion und Prävention von Beinödemen sowie für die Unterstützung der Blutzirkulation der Extremität ein.

BERENS VON RAUTENFELD u. FEDELE (2005) lehnen den Gebrauch von Stall-bandagen über Nacht ab, da sie ihrer Meinung nach den Lymphfluss einschränken und längerfristig zur Schädigung der Kollektoren führen. Sie empfehlen genügend Bewegung, den Gebrauch von Kompressionsstrümpfen sowie die Therapie mit Hilfe der Manuellen Lymphdrainage, da diese das Lymphgefäßsystem stärken und die Ödembildung zurückdrängen soll. Diesen Effekt zu forcieren, scheint notwendig und sinnvoll zu sein, da Pferde mit angelaufenen Beinen offensichtlich verstärkt zu aku-ten Phlegmonen neigen (JUBB, 1993; BERENS VON RAUTENFELD u. FEDELE, 2005). Viele Autoren sind sich außerdem sicher, dass der rezidiv auftretende Ein-schuss häufig die Elephantiasis zur Folge hat (THUM, 1916; HANEL, 1931). JÖHNK (1917) konnte dies jedoch nicht bestätigen.