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Alternative Begrifflichkeiten, Konzepte und Kritik

Im Dokument Ideologien der Ungleichwertigkeit (Seite 32-35)

Das Konzept des Syndroms Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, das durch den gemeinsamen Kern der Ideologie der Ungleichwertigkeit zusammengehalten wird, wird auf der einen Seite vielfach genutzt, hat aber auch Kritik aus Wissenschaft und Praxis auf sich gezogen. Diese bezieht sich auf die Konzeption als solches, auf Begrifflichkeiten und die methodische Herangehensweise. Hierbei spielen auch fachdisziplinäre und kontextspezifische Zugänge und Traditionen eine Rolle, wobei es nicht immer einfach ist, Unterschiede und Überschneidungen im Verständnis herauszulesen. Im Folgenden wird zu einigen ausgewählten Aspekten kurz Stellung genommen.

Das Konzept des Syndroms Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit legt den Fokus auf Ähnlichkeiten in der Abwertung verschiedener sozialer Gruppen – bezo-gen auf die Art und Weise, Prozesse, Motive und Folbezo-gen. Dies ermöglicht es, Abwer-tungsmuster ggf. auch bei neu oder erneut fokussierten Gruppen zu erkennen. Es legt für Politik und insbesondere für Prävention und Intervention (z.B. gegen Antisemi-tismus) nahe, von Erkenntnissen aus benachbarten Feldern zu lernen, was Zugänge, Methodik, Wirksamkeit und Theorien betrifft. Zudem öffnet das Konzept den Blick für Abwertungsprozesse entlang diverser Merkmale, was viele Menschen zugleich zu Betroffenen wie zu Akteur/innen von Abwertung werden lässt und gleichzeitig neue, große Bündnisse für mehr Gleichwertigkeit schaffen kann.

Umgekehrt betont das Konzept der Intersektionalität Unterschiede von Abwer-tungsprozessen sozialer Gruppen in Abhängigkeit jeweils spezifischer Merkmalskom-binationen von Ethnie, Klasse und Geschlecht (und ggf. auch weiterer Merkmale wie z.B. die sexuelle Orientierung). Abwertung und Ausgrenzung betrifft eben nicht alle Angehörigen einer sozialen Gruppe in gleicher Weise, sondern hier wirken Merkmale wie die ethnische, kulturelle sowie religiöse Herkunft, das Geschlecht und die sexuelle Identität ggf. kompensatorisch oder additiv. Diese Betrachtung ermöglicht es, Beson-derheiten zu entdecken und ggf. besondere Handlungsstrategien zu entwickeln. Die Konzepte der Intersektionalität und des GMF-Syndroms schließen sich nicht aus, son-dern ergänzen einander.

28 Zur Übersicht siehe Van Knippenberg/Schipperts (2007).

Ideologien der Ungleichwertigkeit und das Syndrom «Gruppenbe zogener Menschenfeindlichkei

Etliche Akteur/innen aus Wissenschaft und Praxis der antirassistischen Arbeit lehnen den Begriff (und z.T. auch die Konzeption) der Gruppenbezogenen Men-schenfeindlichkeit nicht nur aus begrifflicher und konzeptioneller, sondern auch aus politisch-strategischer Sicht ab, weil er Raum biete, sich dahinter zu verstecken.

Abwertung und Ausgrenzung bleibe im Vagen und verlange nicht nach konkretem Handeln. Sie bevorzugen den Begriff (und die Konzeption) des Rassismus und ggf. der Diskriminierung. Der Begriff des Rassismus wird derzeit kontrovers verhandelt, nicht zuletzt mit Verweis auf seine extreme historische Belastung und weil er das rassis-tische Konzept von «Rassen» perpetuiere.29 Im allgemeinen Laienverständnis domi-niert oft ein enges Begriffsverständnis von Rassismus, das z.B. Antisemitismus und (Hetero-)Sexismus nicht mitdenkt.

In der wissenschaftlichen sowie praxisorientierten Arbeit wird der Begriff des Rassismus inzwischen jedoch vielfach weiter gefasst. Er wird nicht nur in seiner ursprünglich engeren biologistischen Bedeutung in Bezug auf ethnische Gruppen verwendet, sondern in der postkolonialen und postnationalsozialistischen Ausein-andersetzung vielfach auch in einem weiteren Verständnis als kulturalisierter Ras-sismus, der kulturelle Unvereinbarkeiten behauptet (und der ggf. den nach wie vor virulenten biologistischen Rassismus kaschiert).30 Der Begriff Rassismus umfasst dabei nicht allein eine abwertende Ideologie, sondern auch diskriminierende Praxen und Strukturen. Vor diesem Hintergrund erscheint vielen auch der Begriff des Vor-urteils als zu «dünn» oder gar unzutreffend, da dieser nur Einstellungen beschreibt.

Zugleich erschwert das umfassende Konzept des Rassismus die differenzierte Analyse von Haltung und Handlung, wie dies die sozialpsychologische Vorurteils- und Dis-kriminierungsforschung tut, die wiederum seltener strukturelle Bedingungsfaktoren und Folgen in den Blick nimmt.

Das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit fokussiert auf die Täter/innen von Ungleichwertigkeit. Die von Abwertung und Ausgrenzung Betrof-fenen, ihre Erfahrungen, ihr Erleben von Ungleichwertigkeit und ihre Stärkung im Sinne von Empowerment sind nur am Rande Thema. Hier wäre es m.E. zukünftig geboten, die Perspektive der Betroffenen stärker in den Blick zu nehmen, wie es bis-her schon die eng verwandte Forschung über Stigmata tut. Von Abwertung Betrof-fene werden jedoch als Teil der sozialen Hierarchie verstanden, die zugleich mögliche Akteur/innen von Abwertung sein können. Selbst von Abwertung und Ausgrenzung betroffen zu sein schützt demnach nicht davor, andere abzuwerten. Im Gegenteil, gerade Personen mit niedrigem Einkommen und geringerer Bildung, die selbst von Menschenfeindlichkeit betroffen sind, neigen besonders stark zu Vorurteilen.31 Dies fordert jede/n dazu auf, sich der eigenen Feindlichkeit zu stellen und sich für Gleich-wertigkeit nicht nur der eigenen Gruppe, sondern für die GleichGleich-wertigkeit aller stark zu machen.

29 U.a. auch aus juristischer Perspektive mit Bezug auf Artikel 3 des Grundgesetzes und des Allge-meinen Gleichbehandlungsgesetztes (AGG); Cremer (2009).

30 Messerschmidt (2008)

31 U.a. Küpper/Zick (2011); Küpper/Heitmeyer (2005)

Ideologien der Ungleichwertigkeit

Kritisiert wird ferner die Einbettung des GMF-Syndroms in den theoretischen Kontext von Desintegration, wie Heitmeyer dies tut.32 Dies ist allerdings nur eine mögliche und keineswegs zwingende theoretische Anbindung, und diverse Arbeiten haben das Konzept mit anderen theoretischen Ansätzen in Zusammenhang gebracht.

Mit Blick auf die Methodik wird auf die Begrenztheit (z.T. auch auf die Unangemes-senheit) der bisherig überwiegend quantitativ erfolgten Erfassung und Analyse ver-wiesen, die dem Phänomen nicht gerecht werde. In der Tat wurde das Syndrom im Rahmen des GMF-Projekts primär über einen quantitativen empirischen Zugang erfasst. Dies schließt jedoch andere Zugänge keineswegs aus, sondern fordert im Gegenteil dazu auf, die theoretische Konzeption verstärkt auch mit qualitativen und experimentellen Zugängen zu untersuchen. Weitere Kritik hat die Operationalisie-rung der Konstrukte (die Items/Aussagen), wie sie in der gleichnamigen Langzeitstu-die zur Erfassung erfolgte, auf sich gezogen. Die verwendeten Skalen wurden zuvor einer ausführlichen empirische Prüfung der Reliabilität und Validität unterzogen, die aus empirischer Sicht zwar nicht in jedem Fall aber überwiegend zufriedenstellend ausfällt.33 Unabhängig davon hängt die theoretische Konzeption des GMF-Syndroms nicht an der spezifischen Operationalisierung, die immer verbessert, ergänzt oder alternativ umgesetzt werden kann.

Kritisch wird zudem die Einbindung von verschiedenen Elementen gesehen, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. Z.B. werden Antisemitismus und ethnischer Rassismus als eigenständige (übergreifende) Ideologie hervorgehoben. Die empiri-schen Befunde bestätigen die bisherige Konzeption des GMF-Syndroms allerdings weitgehend. Die Zustimmung zu Etabliertenvorrechten könnte, empirisch gestützt, ggf. den anderen Elementen vorgeordnet konzeptioniert werden. Darüber hinaus schließt eine Betrachtung von Gemeinsamkeiten nicht die Betrachtung von Beson-derheiten aus, im Gegenteil, beide Perspektiven können sich m.E. ergänzen. Die Frage mag für Wissenschaft, Praxis und politische Strategie auch jeweils anders beantwortet werden. Sicher bergen Vergleiche immer die Gefahr, als Entlastungsstrategie miss-braucht zu werden.

Kritisch wird zudem darauf verwiesen, dass weitere mögliche Elemente von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bislang nicht berücksichtigt wurden, wie z.B. die Abwertung von dicken, alten, jungen, drogenabhängigen, HIV-kranken und Trans*-Personen. Gefordert wird auch eine differenziertere Erfassung einiger Elemente, u.a. von lesbischen und schwulen sowie von geistig und körperlich behin-derten Personen. Ferner wird kritisiert, dass nicht umfänglicher weitere Facetten eines Elements erfasst wurden, was bislang nur bei Antisemitismus und der Abwer-tung von Muslimen ausführlicher gemacht wurde. Diese durchaus berechtigten Punkte sind dem begrenzt möglichen Umfang einer Bevölkerungsbefragung geschul-det und verlangen nach weiterer Untersuchung. Hier ist beispielsweise auch das

32 U.a. Heitmeyer (2008)

33 Hier sei auch noch einmal auf die erfolgreiche empirische Prüfung des GMF-Syndroms mittels Strukturgleichungsmodellen verwiesen, die eine Prüfung der Messqualität einschließt; u.a.

Groß/Zick/Krause (2012).

Ideologien der Ungleichwertigkeit und das Syndrom «Gruppenbe zogener Menschenfeindlichkei

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung aufgefordert, die Forschungs-förderung im Bereich Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stärker in den Blick zu nehmen.

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