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Jugendliche realistisch einschätzen

Im Dokument Ideologien der Ungleichwertigkeit (Seite 150-153)

2 Ziele und Rahmenbedingungen der Jugendarbeit

2.3 Jugendliche realistisch einschätzen

Für das Team einer Einrichtung ist es nicht immer einfach, zu einer gemeinsamen und einheitlichen Einschätzung eines Jugendlichen zu kommen. Wird ein Jugendlicher von einigen zum Beispiel als Mitläufer beschrieben, schätzen ihn andere als rechts-extremen Aktivisten ein, der das Jugendhaus unterwandern will. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) hat Kriterien entwickelt, um rechtsextreme

Jugendarbeit in der Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit

Kader bzw. Aktivist/innen von Mitläufer/innen und Sympathisant/innen zu unter-scheiden. Diese Typisierung der MBR will Jugendliche nicht in Schubladen stecken, sie soll vielmehr dabei helfen, das Ausmaß der Szene-Einbindung und die Verbrei-tung bestimmter Ideologien einzuschätzen.

Tabelle 1: Ausdrucksweisen, Organisationsgrad und Ideologiedichte rechtsextremer Orientierung Kriterien zur Unterscheidung

Protago-nist/in Weltbild und deren

Quelle Einbindung Funktion/Verhalten Diskussionsver-halten Kader geschlossenes und

vollständiges rechts-extremes Weltbild in sich (fast)

wider-spruchsfreie ideologi-sche Argumentation langjährige Soziali-sation und Karriere in rechtsextremen Sze-nen und Strukturen

steht im Zentrum rechtsextremer Strukturen meist überregional, teilw. auch

inter-national vernetzt bewegt sich (fast)

ausschließlich in rechtsextremen Zusammenhängen

Funktionär/in bzw.

Führungskraft Entwicklung von

Strate-gien, Aufbau und Organi-sation von Strukturen Vernetzung

Regelmäßige/r Redner/in Vortragsreisende Autor/in Anmelder/in

strate- gisch-takti-sches Verhal-ten geschulte

Argumentati-on

Aktivist/in geschlossenes rechts-extremes Weltbild ideologisch fundierte

Argumentation Sozialisation in

rechtsextremen Sze-nen und Strukturen Teilnahme an

Schu-lungen

ist Teil rechtsex- tremer Struk-turen

meist überregio-nal vernetzt Großteil des

Lebensvollzugs in rechtsextre-men Szenen und Erlebniswelten

Basis des aktionsorien-tierten Rechtsextremis-mus

regelmäßige aktive Teilnahme an rechtsex- tremen Veranstaltungen tragende Rolle in

rechtsextremen Veran-staltungen (Mobilisie-rung, Schutz, Vorberei-tung von Transparenten und Propaganda) gewaltbereit/-tätig Bindeglied zu

Mitläu-fer/innen und Sympa-thisant/innen

strate- gisch-takti-sches Verhal-ten

Mitläufer/

in

rechtsextrem orien-tiertes Weltbild rechtsextreme Parolen

und Ideologiefrag-mente, z.T. wider-sprüchliche Argumen-tation, zudem nicht auf alle Lebensberei-che angewandt Konsum rechtsex-

tremer Medien und Angebote (hauptsäch-lich Musik, Kleidung, Internet)

tritt hauptsäch-lich in kulturellen rechtsextremen Erlebniswelten auf

eingebunden in rechtsextrem-ori-entierte Zusam-menhänge oder Cliquen

Basis der rechtsextre-men Erlebniswelten erlebnisorientierte

Aktivitäten

auch illegale/gewalttä-tige Aktionen vereinzelt Teilnahme an

politischen Aktionsfor-men, ggf. persönlicher Kontakt zu Aktivist/

innen

äußerlich wahrnehmba-re Identifikation (Lifes-tyle)

Suche nach Orientierung eher offenes

Diskussions-verhalten

Sympathi-sant/in

»rechts«-orientiertes Weltbild

vertritt Stereotype und Vorurteile, verein-zelt Slogans aus der rechtsextremen Szene vereinzelt Konsum

rechtsextremer Ange-bote

hält sich in gemischten und in rechtsex- trem-orientierten Cliquen auf vereinzelt

Anbindung an rechtsextreme Erlebniswelten

passiver Konsum (Musik, Chat-Rooms etc.)

äußerlich wahrnehmba-re Identifikation (Life- style)

keine Teilnahme an politischen Aktivitäten

offenes Dis- kussionsver-halten

Quelle: mobile beratung gegen rechtsextremismus berlin

Ideologien der Ungleichwertigkeit

Sympathisant/innen und Mitläufer/innen haben meist ein unpolitisches Selbst-verständnis. Politische Themen und Organisationen oder staatliche Einrichtun-gen werden von ihnen kritisiert oder abgelehnt. Sie betrachten ihre rechtsextreme Orientierung und ihre ablehnende Haltung zur Demokratie oft nicht als politisch.

Gleichzeitig konsumieren sie jedoch auch rechtsextreme Propaganda (Musik, Soziale Medien) und übernehmen teilweise deren Parolen und Aussagen. Die Einstellungen von Sympathisant/innen gleichen mitunter der gesellschaftlichen Normalität. Das gilt gerade dort, wo Ressentiments gegenüber Eingewanderten sowie Ungleichheitsvor-stellungen weit verbreitet sind. Sie geben eher selten spezifisch rechtsextreme Parolen wieder, konsumieren aber neben nicht-rechtsextremen auch rechtsextreme Medien.

In den Einstellungen und Äußerungen der Mitläufer/innen finden sich deutlichere Bezüge zum Rechtsextremismus. Sie nutzen stärker deren mediale Angebote, neh-men an rechtsextreneh-men Aktivitäten teil, haben persönliche Kontakte in die rechtsext-reme Szene und nehmen mitunter an ihren Aktionen (Aufmärsche) teil, jedoch ohne diese mit zu organisieren.

Personen dieser beiden Kategorien werden als «rechtsextrem-orientiert»

beschrieben, da ihre Einstellungen lediglich Bezüge zu rechtsextremer Ideologie haben, sie in der Szene jedoch keine aktive Rolle spielen. Diese Jugendlichen pro-vozieren häufig und suchen die Diskussion und Auseinandersetzungen mit den Jugendarbeiter/innen.

Kader und Aktivist/innen verhalten sich eher strategisch und zurückhaltend bzw.

wägen ab, inwieweit eine Diskussion für sie erfolgreich verlaufen könnte oder welche Konsequenzen es haben kann, sollten sie ihre Positionen offensiv vertreten. Personen dieser Kategorien haben ein gefestigtes rechtsextremes Weltbild und, auf Grund ihrer zentralen Gruppenstellung, einen wichtigen Einfluss auf die lokale rechtsextreme Szene.

In der Offenen Jugendarbeit ist es möglich, mit Jugendlichen zu arbeiten, die teils von Ungleichheitsvorstellungen geprägt sind, dergleichen jedoch (noch) nicht offen vertreten. Diese Jugendlichen lassen sich oft noch auf Irritationen, Kritik und Fragen ein, und es kann durch pädagogische Arbeit durchaus gelingen, dass sie sich von ihren Positionen distanzieren. Bei rechtsextremen Kadern und Aktivist/innen stoßen Jugendarbeiter/innen hingegen rasch an ihre Grenzen, lassen sich mit diesen doch keine ergebnisoffenen Diskussionen führen. Rechtsextreme Aktivist/innen nut-zen solche argumentativen Auseinandersetzungen vielmehr dazu, ihre rechtsextre-men Argurechtsextre-mentationsstrategien zu erproben. Rechtsextreme Jugendliche besuchen die Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit, um rechtsextrem Orientierte weiter zu politisieren und zu rekrutieren. Mitunter wollen Jugendarbeiter/innen die jungen Rechtsextremen «retten». Zwar ist die Vorstellung zu begrüßen, alle Menschen ließen sich zum «Guten» verändern, jedoch bietet die Offene Jugendarbeit nicht die Rah-menbedingungen, die notwendig sind, um eine solche ausstiegsorientierte Arbeit zu leisten. Michaela Köttig kam in ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass es jungen Rechtsextremen in der Regel gelingt, Angebote der Offenen Jugendarbeit «in

Jugendarbeit in der Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit

ihrem Sinne zu nutzen und auch ihre Ziele umzusetzen».10 Gleichzeitig waren die untersuchten Jugendarbeiter/innen der Ansicht, ihr Angebot und ihre Arbeit wende sich klar gegen Rechtsextremismus.

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