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Archiv "Zelltherapie - eine Medizin der Zukunft?" (03.09.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

FÜR SIE GELESEN

Zelltherapie —

eine Medizin der Zukunft?

Über die weitverbreitete Zellthera- pie ist im jüngsten „Arzneimittel- brief" eine vernichtende Kritik ent- halten. Die von Niehans entwickel- te Frischzellentherapie ging von einer „revitalisierenden" Wirkung intramuskulär injizierter Zellen aus Organhomogenaten aus. Die- se Vorstellung wurde inzwischen von den meisten seiner Schüler aufgegeben. Nach Schmidt ist die

„wirksame Substanz nicht in der lebenden Zelle, sondern in der Vielfalt der zugeführten biochemi- schen Substrate und Enzyme zu suchen".

Dementsprechend behandelt heu- te eine wesentlich größere Gruppe von Zelltherapeuten mit gefrier- getrockneten Zellpräparaten. We- gen zahlreicher, teilweise töd- licher Zwischenfälle werden heute (fast) nur noch embryonale Gewe- be verarbeitet. Schock oder Se- rumkrankheit, Polyradikuloneu ri- tis vom Typ des Landry-Guillain- Barrö-Syndroms mit Lähmungen, Spritzenabszesse, Zoonosen und Hyperthyreose wurden als Kompli- kationen auch bei Therapie mit embryonalen Geweben beschrie- ben. Baenkler hat mehrfach dar- gelegt, daß Kreuzreaktionen auch das körpereigene Gewebe des Pa- tienten treffen können. Ferner könnten auch bei klinisch gesun- den Tieren Slow-virus-lnfektionen übertragen werden.

Die Bereitschaft, Zwischenfälle aufzuklären und Wiederholungs- fälle zu vermeiden, ist aber bei den Zelltherapeuten nach dem Bericht nicht erkennbar. Die Zelltherapie einschließlich der Therapie mit Thymusextrakten wird als „natür- liches, biologisches Heilverfah- ren" bezeichnet. Sie sei unter an- derem bei Verschleißerscheinun- gen, vielen Organschäden, bei all- gemeinen Erschöpfungszustän- den, „Geriatrie", „Migräne" und zur „Stärkung" der natürlichen

Abwehrkräfte anzuwenden. Die Erfolgsquote wird mit „bis zu 80 Prozent" pauschaliert oder auf

„nahezu 90 Prozent" angehoben.

Die Gefährlichkeit der Zelltherapie wird als „Gerücht" abgetan.

Der Indikationsanspruch der Zell- therapeuten betrifft nicht nur Krankheiten, Entwicklungsstörun- gen (zum Beispiel Morbus Down) und Erschöpfungszustände, son- dern auch Impotenz und Unfrucht- barkeit sowie Kosmetik einschließ- lich Haarausfall. Aber auch ohne medizinische Indikation wird die Zelltherapie als angeblich vorbeu- gende Maßnahme auch bei jungen Patienten („jeder Mensch ab 40"!) empfohlen.

Der Nutzen der Zelltherapie ist nach wissenschaftlichen Kriterien nicht erwiesen, dagegen sind schwere, teils tödliche Zwischenfälle doku- mentiert worden. Ebenso unhalt- bar ist das vielverwendete Argu- ment, daß Effekte in der Veterinär- medizin beweisend seien, weil Pla- cebowirkungen hier nicht vorkä- men. Diese Leugnung läßt auf gro- be Unkenntnis schließen.

Das Vorkommen und die Schwere unerwünschter Reaktionen nach Zelltherapie sind spätestens seit den 50er Jahren bekannt. Zwi- schenfälle nach Zelltherapie oder Impfungen betreffen zwar nur ei- nen kleinen Prozentsatz der Pa- tienten. Die Frequenz der Kompli- kationen nach Zelltherapie liegt vermutlich mindestens in dersel- ben Größenordnung wie diejenige nach erfolgten Schutzimpfungen (1:20 000 bis 1:100 000 zum Bei- spiel bei Pockenimpfung). Die ei- ne Enzephalopathie auslösenden Impfstoffe wurden aus dem Han- del gezogen. Auch der neuerdings erkannte Zusammenhang zwi- schen der Applikation von Wachs- tumshormon (ebenfalls inzwi- schen aus dem Handel genom-

men) und Creutzfeld-Jakobscher Erkrankung sollte zum Anlaß ge- nommen werden, auf entspre- chende Gefahren bei der Zell- therapie zu achten. Es muß als un- verantwortlich und unärztlich be- zeichnet werden, wenn zum Bei- spiel bei Niereninsuffizienz, Krebs, Diabetes, Schüttellähmung und

„weit fortgeschrittenen Gefäß- schäden" in unangemessener Weise Heilungschancen durch Zelltherapie in Aussicht gestellt werden, zumal hier eher eine Ver- schlechterung zu befürchten ist.

Für das Geschäft mit der Krank- heit trifft die ganze Härte des Vor- wurfs zu, den Ewerbeck solchen Ärzten vorhält, die Außenseiter- methoden anwenden, von denen sie wissen oder wissen müßten, daß sie wirkungslos oder gar schädlich sind.

Was bleibt zu tun? Es sollten we- nigstens Auflagen für die Anwen- dung der umstrittenen Methode gemacht werden, falls man sich nicht zu einem generellen Verzicht entschließen kann. Wasers Frage, ob Zelltherapie wirklich mehr als ein teures Placebo oder ein ge- fährliches Naturheilverfahren ist, sollte nicht vergessen werden. Um die Überschaubarkeit zu gewähr- leisten, sollten unter anderem der Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erbracht wer- den. Alle erdenklichen Vorsichts- maßnahmen sollten zur Pflicht ge- macht werden. Heilpraktikern soll- te die Zelltherapie nicht mehr ge- stattet werden. Objektive Kontroll- gremien müßten eingerichtet wer- den. Kosten für die Zelltherapie sollten nicht erstattungsfähig sein.

Verstößen gegen die Werbebe- schränkungen oder andere ärzt- liche Pflichten sollte endlich kon- sequent nachgegangen werden.

Die beste Lösung wäre nach dem Arzneimittelbrief jedoch, die An- wendung dieser Methode wegen ihrer ungünstigen Nutzen-Risiko- Relation zu verbieten. cas

Leitartikel: Zelltherapie — die Medizin der Zu- kunft? Arzneimittelbrief 4 (1986) 25 (West- kreuz-Druckerei und Verlag, Rehagener Stra- ße 30, 1000 Berlin 49).

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 36 vom 3. September 1986 (45) 2367

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