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Archiv "Die Zukunft der Medizin" (22.01.1976)

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

Es ist sehr zu begrüßen, daß Prof.

Schaefer die Geistlosigkeit der heutigen Medizin bemängelt. Ver- fällt er aber dabei nicht dem glei- chen Mechanismus, den er be- kämpft? Prof. Schaefer meint die Psychosomatik völlig durch Tier- versuche erklären zu können, also durch ein quasi materialistisches Modell, bei dem ja gerade das Geistig-Seelische ignoriert wird.

Schaefer schaltet das Seelisch-ln- dividuelle, also die Biographie aus.

Er ersetzt es durch ein pseudo-me- chanistisches Modell, wundert sich, daß der Laie darin dem Wis- senschaftler folgt, und macht es dem Laien sogar noch zum Vor- wurf. Trotz seiner ausgezeichneten theoretischen Erkenntnisse scheint Schaefer selbst ein gutes Beispiel dafür zu bieten, daß sich die Wis- senschaft auf einem bedenklichen Weg befindet, und wie notwendig Selbsterfahrung und Selbstwahr- nehmung insbesondere für den Wissenschaftler sind.

Die Ätiologie der häufigsten Krank- heitsgruppen sieht Schaefer „fast ausschließlich in sozialen Fakto- ren", in „gesellschaftlich vorge- prägtem falschen Verhalten". Wie er aber tiefenpsychologisch rele- vante Faktoren lediglich mit dem

„Meßinstrument" Fragebogen und sogar mit Tierversuchen, also an gänzlich anders gearteten Lebe- wesen, erfassen will, ist uns rätsel- haft.

Nach Boor und Mitscherlich gibt es zwei Formen der psychosomati- schen Medizin: Die eine befaßt sich mit Korrelationen zwischen Psyche und Soma, die sie mit ex- perimentellen Methoden unter- sucht. Die andere geht ganzheitlich vor und versucht das Krankheits- geschehen von der Seite des Pa-

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tienten und seiner Biographie her zu erkennen. Der naturwissen- schaftlichen Medizin entspricht zwar die „Affektpsychologie" mehr, sie kann aber keine kausale Thera- pie anbieten. Mitscherlich bemän- gelt die Naivität der somatischen Medizin, die so verfährt, als ob es keinen anderen Weg zur Lösung der Aufgabe gäbe. „Meist werden als psychosomatische Forschung Meßergebnisse in psychischen Streßsituationen angeboten. Die Psychologie derartiger Unter- suchungen ist meist von geradezu archaischer Primitivität." Es ist in der Medizin unumgänglich, die Bio- graphie des Erkrankten in die For- schungsmethodik einzubeziehen.

Das ist bei Tierversuchen natürlich unmöglich. — Psychosomatische Tierversuche werden am ungeeig- neten Objekt mit ungeeigneten Mit- teln von unqualifizierten Forschern durchgeführt.

Nach Mitscherlich ist die naturwis- senschaftliche Medizin eine subjekt- lose Medizin. Man kann das psy- chosomatische Ziel nicht ins Auge fassen, wenn man vom Wunsch der Objekterkenntnis behext bleibt und die Subjektivität, die dem Objekt unauflöslich anhaftet, verschweigt.

Die allgemeine Fehlentwicklung der Wissenschaft, die Schaefer be- klagt, hat bekanntlich nach Mit- scherlich zu einer gesetzmäßigen Abstumpfung des ethischen menschlichen Empfindens geführt.

Mitscherlich: „Wenn wir den Schritt von der Veterinärmedizin zur Humanmedizin wagen, müssen wir für ein Gespräch bereit sein."

Nur wenn die Wissenschaft bereit ist, ihre ausbeuterische, fordernde Haltung aufzugeben, könnte sie vielleicht der Menschheit nützen.

Wie die Wissenschaftler bei der Chirurgie

keine echte Alternative, weil wir sie eigentlich nur vom Patienten her betrachten dürfen. Der kranke Mensch verlangt im Endeffekt die Integration. Wir müssen uns indes- sen fragen, welche Momente der Autonomie und welche der Integra- tion wesentlicher sind. Integration tut dort not, wo die Probleme der allgemeinen Patientenbehandlung liegen.

Mir scheint die departementale Or- ganisationsform die mögliche Lö- sung unserer interdisziplinären Probleme darzustellen. In sie kön- nen — ohne Opferung ihrer eige- nen Dynamik — selbständig ge- wordene Disziplinen wieder zu- rückfinden. Alle Beteiligten — nicht zuletzt der Patient — werden davon profitieren. Die Weiterbil- dung der jungen Ärzte wird ver- mehrte Anregung erfahren, und je- des Spezialgebiet zieht sicherlich seinen Nutzen aus dem steten Ver- folgen der Fortschritte anderer Dis- ziplinen, da sich immer wieder Par- allelen ergeben. Die in einer inte- grierten Einrichtung weitergebilde- ten Spitalärzte werden am besten in der Lage sein, als Chefärzte und leitende Ärzte Aufgaben in kleine- ren Spitälern zu übernehmen — sofern sie wirklich bis zu der Über- nahme einer solchen Stelle im Not- falldienst verantwortlich tätig sind.

Ich mache mir keine Illusionen — das Überschneiden der Arbeitsge- biete in den vorgeschlagenen Mo- dellen stellt Probleme der Tole- ranz, die im Alltag nicht immer leicht lösbar sind. Lösen wir sie, so können wir das heutige System in einer menschlich ansprechenden und hinsichtlich der Kosten ver- nünftigen Weise ausbauen. Lösen wir sie nicht, so wird es wohl in re- lativ kurzer Zeit durch ein zentrali- stisches, sehr teures System von Spitalzentren der Spezialisten ab- gelöst.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Martin Allgöwer

Departement für Chirurgie der Universität Basel Kantonsspital

CH-4000 Basel (Schweiz)

Die Zukunft der Medizin

Zu dem Aufsatz von Professor Dr. Hans Schaefer in den Heften 8 und 9/1975

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 4 vom 22. Januar 1976 205

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

Die Zukunft der Medizin

Mechanisierung vorausgegangen sind, müßten sie jetzt den Weg der Selbsterfahrung beschreiten. Es ist müßig, die fehlende zwischen- menschliche Beziehung anzupran- gern, sie sollte zum Beispiel in Ba- lint-Gruppen erfahrbar gemacht werden. Leider wird dies bis heute immer noch von den Universitäten versäumt. Das ist nicht ganz unver- ständlich, wenn man bedenkt, daß viele Nichtärzte wie zum Beispiel Physiologen, Anatomen, Biologen usw. die angehenden Ärzte ausbil- den.

Nach Schaefer ist die Prävention die Ideallösung, wird aber tech- nisch immer schwieriger und finan- ziell immer aufwendiger. Es wäre daher angebracht, auch psychi- sche und biographische Gesichts- punkte in die Prävention einzube- ziehen, da psychosomatische Er- krankungen ja unter anderem auch nach Schaefer den Hauptanteil der heutigen Zivilisationskrankheiten stellen. Das würde technisch wie fi- nanziell eine große Ersparnis be- deuten. Schaefer hat völlig recht, daß der Bürger „nicht mehr bereit sein wird, steigende Anteile seines Verdienstes für sinkende medizini- sche Effizienzen zu opfern". Je- doch haben weniger die „Heilapo- stel" — wie Schaefer meint —, sondern die Psychotherapeuten billigere und wirkungsvollere Kon- zepte anzubieten, vor allem ohne Arzneimittelschäden. Diese lernt man allerdings während des medi- zinischen Studiums nicht. Sehr zum Schaden von Patient und Arzt.

Daher sind die niedergelassenen Ärzte gezwungen, sich der Selbst- und Fremderfahrung zum Beispiel in Balint-Gruppen zu stellen, um dem Patienten und seinen Nöten gerechter werden zu können, und die durchaus vorhandene „Droge Arzt" nicht wie bisher völlig unkon- trolliert einzusetzen. Nicht der Computer, sondern das auch von Schaefer gewünschte Arzt-Patient- Verhältnis — allerdings wissen- schaftlich kontrolliert — muß die künftige Medizin bestimmen.

Ein autoritäres Verhalten, das le- diglich eine Überkompensation von

Insuffizienzgefühlen darstellen wür- de, wäre die ungünstigste Einstel- lung des Arztes zum Arzt-Patient- Verhältnis. Schaefer möchte die Mündigkeit des Patienten, ver- dammt ihn aber zur Hörigkeit.

Ein autoritärer Führungsstil verführt zu Machtmißbrauch und damit zur Inhumanität. Wissenschaft jedoch, die der Humanität entbehrt, ist im- mer gefährlich. Wenn Wissenschaft human werden soll, so ist es drin- gend erforderlich, daß der Wissen- schaftler über seine eigenen unbe- wußten Motive und Antriebe Klar- heit gewinnt, sonst wird, wie schon Mitscherlich betonte, die Rückbil- dung der ärztlichen Kunst gegen- über der Entwicklung einer medizi- nischen Technik weitere erschrek- kende Fortschritte machen.

Dr. med. Herbert Stiller Dr. med. Dipl.-Psych.

Margot Stiller Dieterichstraße 24 3000 Hannover

Schlußwort

Es ist offenbar schwer, sich ver- ständlich zu machen. Mit dem sachlichen Inhalt der Leserzu- schrift von Herrn und Frau Stiller stimme ich durchwegs überein.

Was die beiden Kritiker ärgert, ist meine Behauptung, die Psychoso- matik sei mit ihren Thesen im Tier- versuch erhärtet worden. Das heißt nicht, daß man die Krankheiten des Menschen ohne Biographie, ohne das „Geistig-Seelische" verstehen könne. Im Gegenteil. Der Tierver- such zeigt uns, daß von der Seite der Information herkommende Wir- kungen tief ins Leibliche eingrei- fen. Der Tierversuch legt (mit S.

Kuhn zu reden) die Paradigmata der Wirkungsarten offen, mit denen man leibliche Krankheit als Folge seelischer Prozesse erklären kann.

Nur eine einseitige („häretische") Theorie der psychischen Ätiologien leiblicher Prozesse kann das leug- nen. Wer Psychosomatik ernst nimmt, muß die Verflechtung leibli-

cher und seelischer Prozesse ken- nen, die (was den Leib angeht) im Tierversuch demonstriert werden können, die (was die Seele angeht) natürlich nur mit Methoden analy- siert werden können, die dem Men- schen adäquat sind. Nur eine sol- che Medizin bietet eine kausale Therapie an, da nur sie die Zuord- nung seelischer und leiblicher Pro- zesse, die es zu therapieren gilt, offenlegt.

Was wir an Zuschriften wie der vorliegenden sehen, ist, wie tief in ihren einseitigen Gedankengebäu- den beide Teile der Medizin, die somatische ebenso wie die psychi- sche (die eben keinesfalls schon eine „psychosomatische" ist), noch verstrickt sind. Sie haben sich ge- genseitig hinsichtlich ihrer Häresi- en wenig vorzuwerfen. Natürlich hat Mitscherlich recht ,wenn er sagt, die heutige Medizin sei weit- gehend eine subjektlose Medizin.

Muß aber die Medizin nun unbe- dingt „objektlos" werden? Daß die Psychotherapeuten „billigere und wirkungsvollere" Konzepte anbie- ten, ist übrigens doch wohl eine sanfte Fehlinformation: Es gibt der- zeit nichts Kostspieligeres als die Psychotherapie klassischer Prä- gung, abgesehen davon, daß es viel zu wenig Psychotherapeuten gibt. Über die Wirkungen dieser Therapie mag ich mich nicht strei- ten. Es gibt keine befriedigende Statistik über deren Nutzen, und ich gestatte mir, aus Erfahrung skeptisch zu sein. Was den Frage- bogen anlangt: Er ist dort am Platz, wo man Risikofaktoren mit Scree- ning-Methoden erhebt. Nirgends wurde von mir empfohlen, daß Ärz- te wie Herr Stiller sich mit ihm be- gnügen sollten. Der Patient endlich braucht beides: Mündigkeit und Hörigkeit. Er ist zum Beispiel kaum irgendwo höriger als in der Psy- chotherapie. Nur nennt man das dort anders. Es hat eben jede Seite ihre eigene Sprache und damit ihre eigenen Vorurteile.

Prof. Dr. med. Hans Schaefer Im Neuenheimer Feld 326 6900 Heidelberg

206 Heft 4 vom 22. Januar 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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