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Archiv "Kontinuität und sukzessive Erneuerung" (10.12.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Kontinuität und

sukzessive Erneuerung

Ära Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin

F

ünfundzwanzig Jahre Deut- sche Oper Berlin: Da ein Jubiläum weniger Anlaß zu Vergangenheitsbeschwörung ist als vielmehr zu einer Bestim- mung von Standort und mög- lichen Perspektiven sein sollte, gilt es, die — immerhin bis 1992 fixierte — Ära Götz Friedrich et- was genauer unter die Lupe zu nehmen:

Der auf dem Intendantenthron ein wenig glücklose Cellist Sieg- fried Palm (1976 bis 1981) holte 1978 den damals bereits interna- tional renommierten DDR-Regis- seur Friedrich nach Berlin. Mit seinen ersten Produktionen, Mo- zarts „Figaro" (1978) und Wag- ners „Tristan" (1980), schien Friedrich geradezu seinen Wil- len, sich zu arrangieren, bekun- den zu wollen, offensichtlich des Ausgebuhtwerdens müde, um Akzeptanz buhlend. Nach vielfäl- tigen internationalen Regieer- fahrungen drängte es den Fel- senstein-Schüler, Verantwor- tung für ein Haus solcher Grö- ßenordnung und verpflichtender Tradition zu übernehmen.

Das Jahr 1981 markiert eine wichtige Zäsur für das Musik- theater in beiden Teilen der Stadt. Kämpft der Felsenstein- Schüler Götz Friedrich, der sei- nem Fernweh nachgegeben hat- te, bevor er sich unweit seiner Kinderstube — durch eine Mauer doch sehr fern — niederließ, seit- her um einen vertretbaren Kom- promiß zwischen den Forderun- gen und Ansprüchen eines psy- chologisierenden menschenzen- trierten „realistischen Musik- theaters" und den strukturellen Zwängen und Pflichten einer re- präsentativen „großen Oper", von der auch die Pflege eines Starsängertheaters erwartet wird, so konnten gleichzeitig, fürwahr Ironie des Schicksals/

Zufalls, auch an der nach Felsen- steins Tod 1976 in eine fatale Weltuntergangsstimmung her- untergewirtschafteten Komi- schen Oper im Berlin der DDR endlich die Weichen neu gestellt werden: In die Chefetage im Ost- teil der Stadt zog 1981 ein subtil aufeinander abgestimmtes Team mit Harry Kupfer als Chefregis- seur ein. Der in der DDR-Provinz solide hochgediente, internatio-

Ingvar Wixell (Rigoletto), Barbara Hendricks (Gilda) in „Rigoletto", 1986 von Neuenfels inszeniert;

Götz Friedrich (kl. Foto ganz oben)

nal nicht zuletzt durch seine wie alle großen Regietaten zu- nächst skandalumwitterte Bay- reuther „Holländer"-Inszenie- rung — angesehene Kupfer be- tont gern, er sei nie Felsenstein- Schüler, nur gelegentlich Hospi- tant gewesen, und ist doch prä- destiniert, das Erbe ganz im Gei- ste des legendären Felsenstein weiterzuführen, unter den idea-

len Konditionen einer besonde- ren künstlerischen Enklave, oh- ne die Fesseln, in die sich, aller- dings gewollt, Friedrich ver- strickte. Dieser hatte in einer glanzvollen Auftaktwoche 1981 mit einem lange in Berlin vermiß- ten Staraufgebot den kulinari- schen Bedürfnissen und Wün- schen eines auch stimmfetischi- stischen Weltstadtpublikums Tribut gezollt. Da sangen Mirella Freni, Agnes Baltsa im „Don Car- los", Montserrat Caballä, Josö Carreras und Ingvar Wixell (bis heute Ensemblemitglied, die Gä- ste an die Wand singend) in

„Tosca", beides Produktionen der Seltner-Ära. Nach fünf Jah- ren, im Jubiläumsjahr 1986 also, schloß sich nun dieser Kreis. Der selten mal Berlin anfliegende Placido Domingo lieferte sei- ne stimmigste Partie, nämlich Othello, nun auch hier ab.

Und in der umstrittenen TV- übertragenen Gala am 24. Sep- tember dieses Jahres nahm man ähnliche Rücksichten: Da tauch- ten für himmlische Momente Pa- varotti und Caballä neben vielen anderen allerdings nicht ganz so 3554 (60) Heft 50 vom 10. Dezember 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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Die Ring-Tetralogie des Intendanten Friedrich erregte Aufsehen, auch durch das Tunnelbühnenbild (im Hintergrund) von Peter Sykora; das Foto zeigt Renä Kollo und Caterina Ligendza in einer Szene aus „Siegfried"

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Die Ära Götz Friedrich

raren Stars auf, und die Geburts- tagsgäste gerieten aus dem Häuschen. Als interne Geburts- tagsparty, die sich per se jeder Kritik entzieht, schön und gut, aber als über Berlin hinaus strahlendes (und de facto per Te- levision ausgestrahltes) Ereignis doch mehr als fragwürdig, wenn nicht dem Ansehen des Hauses empfindlich schadend. Allen ent- täuschten Zuschauern sei daher eidesstattlich versichert: Das Ni- veau, die Leistungsfähigkeit des Hauses waren durch die mitun- ter halbherzig in mehr oder we- niger zufällig entstandenen De- korationscollagen hingeworfe- nen Kostproben mitnichten re- präsentiert. Eher schon in den zum Glück (warum nicht nur?) auch präsentierten Ensemble- szenen aus „Figaro" und „Fal- staff", dessen an und in das Pu- blikum weitergereichte Schluß- fuge hier eine ganz besondere

Bedeutung erhielt.

Dabei war der regieführende In- tendant anfangs auf einem ganz anderen verdienstvollen Weg.

Durch sehr persönlich ausge- wählte Werke, durchweg soge- nannte Problemstücke, mühte er sich, den eingefahrenen Spiel- plan aufzufrischen. Programma- tisch für die selbstgestellten Auf- gaben seines Musiktheaters mochte Janabeks Spätwerk „Aus einem Totenhaus" gemeint sein, ein selbst für überzeugte Anhän- ger dieses mährischen humani- stisch-idealistischen Musik-Dra- mentyps schwer verdaulicher Brocken. Von der Presse wurde diese Einstiegsinszenierung denn auch überschwenglich ge- würdigt und gelobt, vom breite- ren Publikum trotz einer überra- genden Ensembleleistung kaum verstanden oder gar akzeptiert.

Natürlich gehörte auch Bergs

„Lulu" (1982) mit dem interna- tional szenisch erprobten, von Friedrich Cerha rekonstruierten 3. Akt zu den dringenden Bedürf- nissen des dezidiert ein Ensembletheater propagieren- den Regisseurs. Es ist geradezu Ironie, und doch symptomatisch

für das Beharrungsvermögen ei- nes Opernpublikums, daß aus- gerechnet die für den erkrankten Ponelle kurzfristig vom Haus- herrn übernommene, ganz auf den Startenor Pavarotti zuge- schnittene „Aida"-Produktion (1982) in kürzester Zeit zu einem äußerst repertoiredienlichen (vielfach umbesetzten) Dauer- brenner avancierte. Mit seinem Einsatz für erweiternde Literatur jenseits ausgetretener Pfade kam der mutige, dann resignier- te Anfänger auf dem Intendan- tenposten letztlich kaum durch.

Noch nicht?

Weder eine so Maßstab setzende (sofern man sich zu einer Korn- gold-Renaissance bekennen will) „Tote Stadt" (1983), inzwi- schen im Rahmen langfristig ge- planter Bühnenaustauschaktio- nen nach Wien verkauft, noch Berlioz' „Damnation de Faust"

(1983) (Fausts Verdammnis) oder Debussys „Pelleas und Me- lisande" (1984) fanden beim All- tagspublikum die Resonanz, die sie verdient hätten. Mit der ehr- geizigen überfälligen Neuinsze- nierung der „Ring"-Tetralogie aber war ein Wurf gelungen.

Auch anfängliche Kritiker und Skeptiker dieses Berliner „Ring des Nibelungen", der noch bis

einschließlich „Walküre" fast all- gemein verrissen wurde, waren bis auf wenige Ausnahmen nach der „Götterdämmerung" im ver- gangenen Jahr überzeugt und überwältigt. Inzwischen hat sich die maßgeblich von Bühnenbild- ner Peter Sykora mitgeprägte, Tunnelkonzeption auch schon in einigen Serien-Durchgängen be- währen können, sogar Umbeset- zungen mehr oder weniger gut verkraftet.

In der laufenden Jubiläumssai- son, begonnen nicht ganz glück- lich mit einer Konzession an den 200. Todestag Friedrich II, das heißt der ursprünglich von Her- bert Wernicke für das Hebbel- theater inszenierten Graun-Oper

„Montezuma" nach dem Libret- to des Preußenkönigs, wird der

„Ring" insgesamt dreimal vom Anfang in das Ende und vom En- de zurück in den Anfang laufen, bevor die Produktion auch in Ja- pan gezeigt werden soll. Direktor Sasaki vom Tokyo Ballet kaufte ihn als Kulturexportartikel. Pole- miken gegen Sondereinnahmen dürften da fehl am Platze sein, man sollte den internationalen Austausch begrüßen.

Auf die überall Mode geworde- ne, seine Person keineswegs Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 50 vom 10. Dezember 1986 (61) 3555

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Fotos: story-press/Jochen Clauss, Berlin

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Die Ära Götz Friedrich

ausnehmende Intendantenschel- te (ungeachtet der immer größer werdenden Schwierigkeiten, ei- nen starren, durch vielfältige ir- rationale Faktoren determinier- ten Opernbetrieb zu leiten) rea- gierte Friedrich einerseits mit Zurückhaltung bei eigenen Re- gieproduktionen (zwei Spielzei- ten begnügte er sich mit nur je einer Inszenierung auf Nummer Sicher), andererseits mit einem verstärkten Schielen nach der Publikumsgunst, die es im Sin- gular sowieso nicht geben kann.

Im übrigen kann sich Friedrich über zu wenig „fortune" kaum beklagen: So wurde nun endlich die Zeit reif dafür, daß belieb- te, seit Jahren in Städten der Bundesrepublik auftretende, in der Berliner Philharmonie oder dem Hochschulsaal gastierende DDR-Größen wie Peter Schreier und Theo Adam auch die Bühne der Deutschen Oper Berlin be- treten durften. Adam sang be- reits zum zweiten Mal seinen strahlkräftigen faszinierenden Hans Sachs in der penibel-ge- lungenen (vielleicht ein wenig überladenen) „Meistersinger"- Produktion von Peter Beauvais und lieferte auch seinen gran- diosen Holländer in der alten Sellner-Produktion ab.

Kontinuität wird groß geschrie- ben: Wie Friedrich vom Senat im Vertrauen auf seine besonnene künstlerische Souveränitität vor- zeitig noch in der dritten Spiel- zeit bis 1992 verlängert wurde, so macht Friedrich sich schon jetzt über eine Nachfolgerege- lung hinsichtlich der musikali- schen Leitung Gedanken. Denn der Vertrag seines spanischen Generalmusikdirektors Jesus Lopez-Cobos läuft 1990 aus, wird aus persönlichen Gründen wohl kaum verlängert. Nicht zu- letzt die musikalische Stabilisie- rung — etwas durch die neu ge- schaffene Position eines Staats- kapellmeisters — gehört zu den Meriten Friedrichs.

Für die Zukunft propagiert er ei- ne Balance zwischen Konsolidie- rung, verstanden als sukzessive Erneuerung überholter Inszenie- rungshülsen gefragter Werke (wie in dieser Saison der überfäl- ligen Neuproduktionen der noch aus der Kantstraße übernomme- nen langlebigen Kelch-„Butter- fly") und aufregendem, provo- kantem, Denkanstöße vermit- telndem Regietheater auch als Synthese denkbar. Zur 750-Jahr- Feier stehen endlich wieder eini- ge Uraufführungen ins Haus.

Zum Attraktivsten, das die Berli- ner Oper derzeit zu bieten hat, gehört die „Rigoletto"-Produk- tion des mittlerweile auch schon erstaunlich domestizierten Hans Neuenfels mit dem großartigen Ingvar Wixell in der Titelrolle, ei- nem im besten Wortsinn echten Sängerdarsteller.

Im internationalen Vergleich dürfte die Deutsche Oper Berlin recht gut abschneiden. Noch hebt sich fast allabendlich der Vorhang; früher oder später wird wohl das Angebot, auch aus Qualitätsgründen, zeitgemäß re- duziert werden müssen. Für die nächsten fünfundzwanzig Jahre kann man nur weiterhin „for- tune" wünschen, auch im Hin- blick auf die wiedereröffnete Lindenoper, die zur Konkurrenz antritt, da sie dezidiert nicht nur repräsentatives Haus sein will.

Hanna Ulrike Niederdorfer

Liebhabern der Deutschen Oper Berlin, die sich über die Geschichte des Hauses informieren wollen, sei eine kürzlich er- schienene Dokumentation aller Neuin- szenierungen von 1961 bis 1986 empfoh- len. Zu bestellen bei: Förderkreis der Deutschen Oper Berlin, Richard-Wagner- Straße 10, 1000 Berlin 10, per Verrech- nungsscheck 35 DM + 2,40 DM Porto.

Mit der von Kritikern gelobten und vom Publikum wenig verstandenen Janacek-Oper „Aus einem Totenhaus"

(Szenenfoto) begann für die Deutsche Oper Berlin im Jahre 1981 die Ära des Intendanten Götz Friedrich 3556 (62) Heft 50 vom 10. Dezember 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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