Tester liegt (was wir vermuten, da die Einschränkung des Artikels 12.1 des Grundgesetzes zu rechtfertigen
ist), werden vermutlich die Gerichte
bald dafür sorgen, daß das Verfah- ren als Sieb des Zugangs zum Stu- dium der Medizin ad absurdum ge- führt wird. (Die Behauptung eines durch Tests Abgelehnten, daß er trotz des schlechten Testergebnis- ses ein gutes Staatsexamen machen würde, ist nicht zu beweisen, ganz bestimmt aber nicht zu widerlegen, ganz bestimmt aber hat diese Be- hauptung die überwiegende Wahr- scheinlichkeit für sich. Zuletzt - auch Richter werden bald die Aussa- gekraft signifikanter Korrelationsko- effizienten [siehe oben] beurteilen lernen.)
Unser Problem sind die Abgelehnten
Zur Rechtfertigung der Testprojekte wurde auf gute ausländische Erfah- rungen, insbesondere in den USA, hingewiesen: Dieser Hinweis geht leider an unserem Problem völlig vorbei. ln den erwähnten Ländern gibt es kein durch die Verfassung garantiertes Recht auf das ge- wünschte Studium. Wenn ein Be- werber abgelehnt wird, verschwin- det er in der Anonymität, er kann nicht klagen. Da fast alle Bewerber (auch die abgelehnten) studienge- eignet sind, muß man bei guter Aus- bildung mit dem Effekt des Testes zufrieden sein. Es ist aber nur ein Scheinergebnis. Unser deutsches Problem sind nicht die zugelasse- nen, sondern die abgelehnten Stu- dienbewerber.
Es muß etwas getan werden. Was aber kann man tun? Es besteht Handlungszwang zur Ablehnung be- rufsgeeigneter Bewerber.
Eine zureichende Rechtfertigung ei- nes Berufsausbildungsverbotes für Berufsgeeignete ist weder wissen- schaftlich noch human-liberal oder politisch befriedigend zu leisten.
Wir haben es uns nicht leicht ge- macht, als wir als Antwort auf den Handlungszwang das Losverfahren
unter allen finanzierbaren Möglich- keiten als das kleinste Obel mit den geringsten Ungerechtigkeiten und der größten Chancengleichheit empfohlen haben. Dies wie gesagt nicht, weil wir es für besonders wür- dig halten, die Zukunft eines Men- schen durch das Würfelspiel zu len- ken. Auch wir haben in unserer Schrift "Numerus clausus in der Me- dizin" Auswahlverfahren empfohlen, die sicher würdiger und besser sein könnten, die aber an der praktischen Finanzierbarkeil scheitern. Jetzt feh- len alle Voraussetzungen, um mehr zu tun, als einem Notstand mit Behelfsmitteln notdürftig beizu- kommen.
Die Universitäten täten gut daran zu erinnern, daß sie diesen Notstand nicht zu vertreten haben. Der Nume- rus clausus ist durch politische Ent- scheidungen unvermeidlich gewor- den. (Schaffung des Bildungsnot- standes aufgrund seiner Entdek- kung.) Das politisch entstandene Problem ist jetzt leider nur durch politische Entscheidungen zu lösen. ..,.. Die Universitäten sollten sich da- vor hüten vorzugeben, sie könnten die unlösbare Aufgabe der wissen- schaftlichen Rechtfertigung des Verbots der Ausbildung zum Arzt für den einzelnen Berufsgeeigneten ge- recht, objektiv und gültig lösen. Wer sich jetzt als Alibi gebrauchen läßt, der wird später als Sündenbock dienen.
111. Zusammenfassung
Das politische Hauptproblem des Numerus clausus in der Medizin liegt bei der unvermeidlichen Ableh- nung von über 80 Prozent der Be- werber, von denen 80 bis 90 Prozent mit Sicherheit studien- und berufs- geeignet sind.
Die Entwicklung von studienfeldbe- zogenen Auslesetests für das Medi- zinstudium läßt keine wissenschaft- lich begründbaren, gerechten, juri- stisch haltbaren und liberal-human wünschenswerten Lösungen dieses Problems erwarten.
Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Vom Unsinn psychologischer Tests
Das Losverfahren als das kleinste der finanzierbaren Übel verwirklicht am ehesten Chancengleichheit, So- zialgerechtigkeit und die Auswahl eines genügend breit gefächerten Begabungsspektrums, das in den verschiedenartigen ärztlichen Beru- fen erforderlich ist. Die Modifikation des Losverfahrens durch Berück- sichtigung der Abiturleistung (ge- wichtetes Losverfahren) dürfte we- niger wegen der Zukunft des Ärzte- standes, sondern mehr zum Erhalt der Lernmotivation der Schüler bis zum Abitur angezeigt sein.
Das politisch entstandene Problem der Zunahme der Abiturienten kann nur durch politisches Handeln ge- löst werden, wobei im speziellen Falle Medizin, Psychologie und So- ziologie durch Bildungsforschung Entscheidungen vorbereiten und die weitere Entwicklung kontrollierbar machen können.
Literatur bei den Verfassern
Anschrift der Verfasser:
Professor
Dr. med. Hans J. Bochnik Professor
Dr. med. Wolfgang Pittrich Dipi.-Psych. Werner Richtberg Zentrum der Psychiatrie Heinrich-Hoffmann-Straße 10 6000 Frankfurt am Main
ZITAT- - - ,
Kein Exerzierplatz
"Die Sozialversicherung ist
kein Exerzierplatz für ideolo- gische Auseinandersetzungen oder Pflichtübungen, sondern ein fruchtbares Spannungs- feld gemeinsamer Arbeit zum Besten der Versicherungsge- mai nschaft. ·'
Dr. Hanns Martin Schleyer, Präsident der Bundesvereini- gung der Deutschen Arbeitge- berverbände (BOA)
DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 20 vom 19. Mai 1977 1365