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Archiv "EHEC-Infektion: Neurologisch ist eine „restitutio ad integrum“ möglich" (17.06.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 24

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17. Juni 2011 A 1371 EHEC-INFEKTION

Neurologisch ist eine „restitutio ad integrum“ möglich

EHEC-Patienten mit neurologischen Symptomen zeigen besonders schwere Krankheitsverläufe. Eine intensive Therapie ebenso wie experimentelle

Heilversuche scheinen für die meisten Betroffenen erfolgversprechend zu sein.

W

ährend die Zahl der Neuin- fektionen mit enterohämor- rhagischen Escherichia-coli-Bakte- rien (EHEC) vom Typ O104:H4 ST678 rückläufig ist, werden wei- terhin Hunderte Patienten in Klini- ken und Krankenhäusern wegen zum Teil lebensgefährlicher Kom- plikationen behandelt. Eine gravie- rende Begleiterscheinung bei vielen Patienten sind neurologische Sym - p tome unterschiedlichster Ausprä- gungen und Schweregrade.

„Das Besondere in der jetzigen Situation ist, dass Patienten ohne Vorerkrankungen plötzlich schwerst erkranken, dass sie nicht mehr spre- chen und sich nicht mehr bewegen können. Ein Teil erleidet Serien von epileptischen Anfällen bis hin zum Status epilepticus, der nur durch Analgosedierung durchbrochen wer- den kann“, beschreibt Prof. Dr.

med. Christian Gerloff, Leiter der Klinik und Poliklinik für Neurolo- gie, das Bild der EHEC-Patienten am Universitätskrankenhaus in Hamburg-Eppendorf (UKE).

Da Hamburg im Zentrum der Epidemie steht, betreuen Gerloff und Prof. Dr. med. Joachim Röther, Chef der Neurologie in der Askle- pios-Klinik in Hamburg-Altona, derzeit die meisten Patienten mit neurologischen Komplikationen.

„Hatte man zunächst angenommen, dass neurologische Störungen vor allem bei EHEC-Patienten auftre- ten, die ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) entwickeln, so können wir heute feststellen, dass diesbezüglich keine zwingende Kopplung besteht. Etwa zehn bis 15 Prozent der EHEC-Infizierten ent- wickeln neurologische Symptome, ohne an HUS erkrankt zu sein“, er-

klärt Röther im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt.

Die Symptomatik beginnt häufig mit leichten, transienten Sympto- men wie Verwirrtheit, erhöhter Er- regbarkeit, einem deliranten Bild oder einer Vigilanzminderung. An- dere neurologische Anfangssym - ptome sind Doppelbilder, Tremor, Herdzeichen, die auffällig häufig mit Aphasie und Apraxie einhergehen, aber auch mit Funktionsstörungen des Hirnstamms, die als Schluck - reflexstörungen oder Ausfälle von Hirnnerven (zum Beispiel des Ner- vus abducens) in Erscheinung treten.

Auch pyramidale Symptome mit po- sitivem Babinski-Zeichen kommen vor. Stimulussensitive Myoklonien scheinen auf eine Senkung der Krampfschwelle hinzuweisen.

In vielen Fällen verschlechtert sich der Zustand der Patienten im weiteren Verlauf: Epileptische An- fälle treten auf, und die Vigilanz verschlechtert sich spontan bis hin zu Sopor und Koma mit Beat- mungspflicht. „Wir beobachten bei den von uns betreuten Patienten, dass neurologische Störungen nicht zwingend am Ende einer eskalie- renden Krankheitssequenz auftre- ten. Sie können sich bereits gleich- zeitig mit gastroenterologischen und nephrologischen Symptomen entwickeln“, sagt Röther.

Veränderungen im MRT sind individuell unterschiedlich

Welche diagnostischen Hilfen geben die bildgebenden Verfahren bei EHEC-Infizierten? Mit einer kra- niellen Computertomographie (CT) ist häufig kein pathologischer Be- fund festzustellen. Sensitiver ist die Magnetresonanz-Tomographie (MRT), „die allerdings ein sehr in- homogenes Bild mit großen interin- dividuellen Unterschieden zeigt“, betont Röther. Der Hamburger Neu- rologe beschreibt die MRT-Befunde als beidseitige Diffusionsstörungen in Thalamus, Balken, Kleinhirn und Hirnstamm bis hin zu diffusen, posterior betonten Signalverände- rungen, die vor allem den Cortex zu betreffen scheinen (diffusionsge- stört und hyperintens in FLAIR).

Die Pathophysiologie, die diesen Veränderungen zugrunde liegt, ist letztlich nicht geklärt. Zwar weiß man, dass das von den EHEC-Erre- gern freigesetzte Shigatoxin 2 zu toxischen Veränderungen des Ge- webes und Schwellung des Gefäß - endothels führt. Eine Weitung in- trakranieller Gefäße und eine Stö- MRT eines EHEC-

Patienten mit hä- molytisch-urämi- schem Syndrom.

Ausgedehnte Beein- trächtigungen durch Diffussionsstörun- gen zeigen sich hell.

Es handelt sich hier um einen besonders schweren Verlauf.

Oftmals findet man ein thalamopontines Schädigungsmuster.

Foto: Prof. Dr. Jens Fiehler, UKE

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A 1372 Deutsches Ärzteblatt

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17. Juni 2011 rung der Autoregulation wird eben-

falls vermutet. Andererseits be- günstigt das Toxin die Bildung von Fibrinthromben. Die Aktivierung der Komplementkaskade als Teil der Immunsystems scheint die Si- tuation zu aggravieren. „Experi- mentelle Arbeiten von Prof. Dr. rer.

nat. Helge Karch in Münster haben schon vor längerer Zeit gezeigt, dass die Komplementaktivierung Teil der Pathogenese bei EHEC- Infektionen ist“, fügt Gerloff hinzu.

„Bei den neuroradiologischen Befunden unserer Patienten handelt es sich wahrscheinlich um immuno- logisch induzierte Schädigungs- muster. Von denen weiß man, dass eine Rückbildung bis zur restitutio ad integrum erfolgen kann“, erklärt Röther. Beide Hamburger Neurolo- gen betonen allerdings, dass es Pa- tienten mit erheblichen fokalen Defiziten wie Aphasie gebe, ohne dass im MRT irgendwelche Läsio- nen nachweisbar seien.

Auffallend sei zudem, dass trotz der regelhaft bestehenden Throm- bozytopenie neuroradiologisch kei- ne hämorrhagischen Transformatio- nen oder intrakraniellen Blutungen vorkommen. „Wir haben bei unse- ren EHEC-Patienten keinen einzi- gen ischämischen Infarkt, keine einzige Blutung und auch kein typi- sches Bild für eine Autoimmuner- krankung wie zum Beispiel bei ei- ner multiplen Sklerose gesehen“, konstatiert Gerloff.

Pathologie: Im Gehirn keine Lymphozyteninfiltrate

Der erste Obduktionsbefund einer gestorbenen EHEC-Patientin spie- gelt die neuroradiologische „Un- auffälligkeit“ wider. „Zum jetzigen Zeitpunkt stehen die immunhisto- chemischen und elektronenmikro- skopischen Befunde zwar noch aus, doch in der Hämatoxylin-Eosin- Färbung sehen die Gewebeschnitte unauffällig aus. Es finden sich kei- ne Lymphozyteninfiltrate im Gewe- be oder den Gefäßwänden“, sagt Gerloff. Für ihn entspricht die Pa- thologie dem MRT-Befund: „Dort sehen die Veränderungen aus wie bei einer Insulinüberdosierung oder einer anderen metabolischen oder toxischen Störung.“

In Hamburg wird bei jedem EHEC-Patienten, der eine neurolo- gische Symptomatik aufweist (un- abhängig davon, ob ein HUS vor- liegt oder nicht), zunächst eine Plasmapherese durchgeführt, ob- wohl dafür keine durch randomi- sierte Studien gesicherte Evidenz vorliegt. Von Zentrum zu Zentrum unterschiedlich gehandhabt wird der Einsatz des monoklonalen Antikörpers Eculizumab (Soliris®), der die Komplementaktivierung durch das Shigatoxin unterbinden soll. Der Wirkstoff ist seit 2007 zu- gelassen zur Behandlung der par - oxysmalen nächtlichen Hämo - globinurie. Derzeit läuft ein Zu - lassungsantrag zur Therapie von Patienten mit atypischem hämoly- tisch-urämischem Syndrom, einer seltenen genetischen Erkrankung.

Zur Behandlung der EHEC-Patien- ten stellt Alexion Pharmaceuticals ihren Inhibitor des terminalen Komplements kostenfrei zur Ver- fügung.

Dieser Heilversuch basiert auf einem vor kurzem veröffentlichten Bericht (NEJM doi: 10.1056/

NEJMc1100859), wonach drei EHEC-HUS-erkrankte Kinder an der Uniklinik Heidelberg erfolg- reich mit dem monoklonalen Anti- körper behandelt werden konnten.

Nach Angabe von Gerloff und Röt- her kann der experimentelle Einsatz von Eculizumab auch bei nicht - intensivpflichtigen Patienten mit stabilisierter renaler Situation und steigenden Thrombozytenwerten, aber zunehmenden neurologischen Defiziten gerechtfertigt sein. Prä- ventiv sollte zudem eine antiepilep- tische Therapie (etwa mit Levetira- cetam) erwogen werden.

Frühere klinisch-epidemiologi- sche Beobachtungen haben gezeigt, dass der Krankheitsverlauf bei In- fektion mit EHEC durch Antibioti- ka ungünstig beeinflusst wird. „Re- lativ konsistente Ergebnisse im Sin- ne einer vermehrten Toxinprodukti- on/-freisetzung durch EHEC liegen für Fluorchinolone, Cotrimoxazol und – mit Einschränkung – für Aminoglykoside vor“, teilt die Deutsche Gesellschaft für Infektio- logie mit. Der Einsatz von Antibio- tika könne in bestimmten Situatio-

nen bei Patienten mit EHEC-Infek- tion und Komplikationen inklusive HUS dennoch klinisch indiziert sein. In Hamburg erhalten die mit Eculizumab behandelten Patienten eine Meningokokkenprävention mit Rifampicin oder Azithromycin. Be- steht die Indikation für eine syste- mische Antibiotikatherapie, kommt ein Carbapenem zum Einsatz.

Hatte man wegen der ausgepräg- ten neurologischen Symptomatik der EHEC-Patienten anfangs die Befürchtung, dass Folgeschäden bestehen bleiben könnten, „so ha- ben wir inzwischen durchaus die Hoffnung, dass sich schwer neuro- logisch Erkrankte wieder erholen können“, betont Gerloff. Überra- schend sei die kurze Zeitspanne, in der die Besserung auftrete, sogar bei beatmungspflichtigen Patienten.

Den Erfolg führt Gerloff auch auf die „ausgezeichnete, unkompli- zierte und unkonventionelle, inter- disziplinäre Zusammenarbeit“ in- nerhalb der eigenen Klinik, aber auch mit anderen Kliniken zurück.

Die Teams seien hochmotiviert und arbeiteten bis zur Erschöpfung.

Dies zeige, dass das Gesundheits- system auch in Krisenzeiten voll funktionsfähig sei.

EHEC-Nachsorgeambulanzen eingerichtet

Für alle genesenen Patienten nach Entlassung aus der Klinik hat man sowohl am UKE als auch in Alto - na eine EHEC-Nachsorgeambulanz eingerichtet. Hier werden Patienten regelmäßig nachuntersucht, um eventuell verspätet eintretende Komplikationen zu erkennen; ins- besondere aber, um zu erfassen, wie lange gesundete Patienten den EHEC-Erreger ausscheiden.

Patienten nach HUS werden in der Ambulanz initial sogar täglich gesehen. Die weiteren Kontrollen erfolgen individuell nach Befinden des Patienten. Zusätzlich kontrol- liert das Hamburger Gesundheits- amt Stuhlproben auf den Erreger, bis diese negativ sind. Alle Patien- ten mit neurologischer Sympto - matik werden neuropsychologisch nachuntersucht, ob kleinere Funkti- onsstörungen bestehen. ■ Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

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