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Archiv "EHEC-Infektion: Nachsorge und Nachlese" (29.07.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 30

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29. Juli 2011 A 1627 EHEC-INFEKTION

Nachsorge und Nachlese

Nachdem die Infektionswelle mit EHEC O104:H4 offenbar überwunden ist, beginnt die medizinische und politische Aufarbeitung.

M

ehr als zwei Monate nach dem Beginn der EHEC-Epi- demie haben die meisten Patienten die Kliniken verlassen. Gemeldete Fälle deuten nach Mitteilung des Robert-Koch-Instituts (RKI) darauf hin, dass sich der Ausbruch der Infektionserkrankung zum Ende

neigt. Allerdings müsse man auch in Zukunft mit weiteren Erkran - kungen beziehungsweise Ausbrü- chen durch EHEC O104:H4 rech- nen, da der Erreger weiterhin in der Bevölkerung kursiert. Seit Anfang Mai sind bundesweit mehr als 4 300 Patienten erkrankt, davon 49 gestor- ben (Tabelle).

Aus Sicht der Deutschen Gesell- schaft für Nephrologie (DGfN) ist die Anzahl der EHEC-Patienten mit Langzeitfolgen offenbar kleiner als zeitweise befürchtet. „Von den circa 850 HUS-Patienten könnten 100 bis 150 dauerhaft auf die Dialyse ange- wiesen bleiben“, sagte Prof. Dr.

med. Jan Galle, Direktor der Klinik für Nephrologie und Dialyseverfah- ren am Klinikum Lüdenscheid, dem Deutschen Ärzteblatt. „Die Erho- lungsphase der Nierenfunktion kann mehrere Monate dauern“, erklärte der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie. Bei den Patienten finde man alle Übergänge: Junge

Frauen, die nach Plasmapherese und Dialyse ihre Nierenfunktion zu 90 bis 100 Prozent wiedererlangten, ebenso wie Patienten mit initial schwerer Gewebezerstörung, die dialysepflichtig blieben oder es nach Monaten, vielleicht auch Jahren, wieder würden. „Von Versorgungs-

problemen für diese Patien- ten oder einem durch die HUS-Epidemie hervorgeru- fenen akuten Organmangel zu sprechen, wie teilweise geschehen, ist völlig über- trieben“, betonte Galle. „Der- zeit werden circa 65 000 Pa- tienten in Deutschland dia- lysiert und etwa 8 000 ste- hen auf der Warteliste für eine Nierentransplantation – da fallen 100 oder 150 Pa- tienten mehr nicht ins Ge- wicht.“

Bewährt habe sich ein schon zuvor etabliertes Netz- werk von Chefärzten, in dem 90 Pro- zent der leitenden Nephrologen per E-Mail und SMS miteinander in Verbindung stünden. „Über dieses Netzwerk haben wir uns beraten und Bettenkapazitäten ab- und aus- geglichen. Auch ambulant tätige Nephrologen kamen zur Unterstüt- zung“, sagte Galle. Die Langzeitver- läufe der EHEC-HUS-Fälle würden nun mit Hilfe eines Nierenregisters verfolgt, das während der Epidemie von der Fachgesellschaft eingerich- tet worden sei (www.dgfn.eu). „Den akuten Belastungstest haben die Nephrologen bestanden, jetzt folgt eine lange Phase der Aufarbeitung.“

Am Universitätsklinikum Ham- burg-Eppendorf (UKE) ging die Zahl der HUS-Patienten von insgesamt 140 auf fünf zurück, wie Prof. Dr.

med. Sigrid Harendza, Oberärztin der nephrologischen Abteilung, berichtet.

Mehr als 100 von ihnen würden aber weiter ambulant betreut. Nach der Entlassung aus der Klinik sei es

wichtig, „die Patienten in der Nach- sorge engmaschig zu betreuen, um den Verlauf der Nierenfunktion zu kontrollieren“. Die Dauer der weite- ren ambulanten Behandlung könne sich von einigen Monaten bis über ein Jahr hinziehen. Nach Angaben von Priv.-Doz. Dr. med. Jan T. Kiel- stein wurden die HUS-Patienten der Medizinischen Hochschule Hanno- ver im Mittel 16 bis 18 Tage stationär behandelt, eine knappe Woche davon auf der Intensivstation.

Für den Mikrobiologen Prof. Dr.

Dag Harmsen von der Poliklinik für Parodontologie der Universität Münster war der EHEC-Ausbruch

„die Geburt einer neuen Disziplin – der prospektiven genomischen Epi- demiologie“. Harmsen und Prof. Dr.

rer. nat. Helge Karch, Direktor des In- stituts für Hygiene der Universität Münster, gehören zu dem Team, das am 3. Juni die Genomsequenz vom EHEC-Ausbruchsstamm öffentlich zugänglich gemacht hatte. Einen Tag zuvor hatte das Beijing Genomics Institute (Peking) eine mit derselben Technologie (Ion Torrent Next Gen - eration Sequencing) angefertigte Genomanalyse auf seine Website ge- stellt. Karch und Harmsen haben, ge- meinsam mit weiteren an der geneti- schen Charakterisierung des Stamms beteiligten Wissenschaftlern, ihre Daten am 21. Juli online veröffent- licht (PLoS ONE 6[7]: e22751.doi:

10.1371/journal. pone.0022751).

Empfehlung: HUSEC-Isolate weltweit sammeln

Die Publikation schließt auch die Sequenzanalyse eines bereits 2001 von Patienten in Köln isolierten HUSEC-O104:H4-Klons ein, den Karch in die Münsteraner Samm- lung der HUS-auslösenden E.-coli- Stämme aufgenommen hatte. Der Genomvergleich zwischen diesen beiden Stämmen und genetisch eng verwandten E. coli ergibt nach Mei- Großer For-

schungsbedarf:

Der EHEC-Ausbruch hat das Dogma wi- derlegt, dass diese Infektionserkran- kungen überwie- gend bei Kleinkin- dern und älteren Menschen auftreten.

Foto: Manfred Rohde/HZI

M E D I Z I N R E P O R T

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A 1628 Deutsches Ärzteblatt

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29. Juli 2011 nung der Forscher folgendes Bild:

Der Ausbruchsstamm stamme nicht – wie ursprünglich vermutet – di- rekt von einem sehr ähnlichen, en- teroaggregativen E. coli (EAEC) Stamm ab (O104:H4 55989), son- dern beide Stämme hätten einen noch unbekannten, Shigatoxin pro- duzierenden EHEC-O104:H4-Stamm als gemeinsamen Vorläufer.

„Dieser Ausbruch hat den un- schätzbaren Wert historischer Ver- gleichsisolate gezeigt“, sagte Karch dem Deutschen Ärzteblatt. „Nur so konnten wir erste Ansätze liefern, wie neue hochpathogene Varianten innerhalb des HUSEC-041-Kom- plexes entstehen können.“ Die HUSEC-Kollektion, die zurzeit Iso- late aus Deutschland umfasst, sollte auf europäische oder sogar weltwei- te HUS-Isolate ausgeweitet werden, um der zunehmenden Globalisie- rung Rechnung zu tragen.

Eine Arbeitsgruppe um Priv.-Doz.

Dr. Rolf Daniel vom Institut für Mi- krobiologie und Genetik der Univer- sität Göttingen hatte unabhängig vom Team aus Münster am 29. Juni die Ergebnisse der Genomsequenz- analyse von zwei Isolaten des Aus- bruchsstamms online publiziert (Ar- chives of Microbiology 10. 1007/

s00203-011-0725-6). Auch die Göt- tinger Forscher stellen eine enge ge- netische Verwandtschaft des Aus- bruchsstamms mit EAEC 55989 fest und postulieren, damit sei ein neuer Pathotyp aufgetreten: ein enteroag-

gregativer hämorrhagischer E. coli (EAHEC). Die Hypothese eines ge- meinsamen Vorläufers von EAEC 55989 und EHEC O104:H4 hält Da- niel für nicht belegt. „Die These geht von einem zeitlichen Ablauf aus, auf den es aus meiner Sicht noch nicht ausreichend Hinweise gibt.“

Der EHEC-Ausbruch war nicht nur eine medizinische, sondern auch

eine organisatorische Herausforde- rung – insbesondere für die Univer- sitätskliniken in Hamburg, Kiel und Hannover. Ärzte und Pflegekräfte haben bis an die Belastungsgrenze gearbeitet. Die Kliniken mussten zu- sätzliche Beatmungs- und Dialyse- geräte beschaffen und Isolierberei- che einrichten. Wochenlang waren die Intensivstationen blockiert, so dass elektive Operationen verscho- ben werden mussten.

Hochleistungskrankenhäuser brauchen Pufferkapazitäten Nach Ansicht des Verbandes der Uni- versitätsklinika Deutschlands (VUD) hat sich durch EHEC gezeigt: In Krisensituationen kommen die Uni- kliniken an ihre Grenzen. „Die Hoch- leistungskrankenhäuser brauchen Pufferkapazitäten“, forderte VUD- Generalsekretär Rüdiger Strehl am 14. Juli beim Innovationskongress der deutschen Hochschulmedizin in Berlin. Zudem würden solche Aus- nahmesituationen nicht adäquat im DRG-System abgebildet. Die Kli - niken fürchten nun, auf den Mehr-

kosten sitzen zu bleiben. Einige rechnen mit einer durchschnittlichen Unterdeckung von 8 000 Euro pro Fall. Und das, obwohl der Antikör- per Eculizumab vom Hersteller kos- tenfrei zur Verfügung gestellt wurde.

Mit der Entlassung eines EHEC- Patienten ist für die Unikliniken der Fall aber nicht erledigt. Faktisch übernehmen sie vielfach die Nach- behandlung. Aus Sicht der Hoch- schulmediziner ist dies absolut sinnvoll. Neuartige Therapien und Folgebeschwerden bedürften einer wissenschaftlichen Auswertung. Ei- gentlich würde die ambulante Nach- sorge vorrangig den Vertragsärzten obliegen, sagte Strehl. Aber: „Die niedergelassenen Ärzte haben oft nicht das Know-how.“ An den EHEC-Patienten werde deutlich, dass eine ehrliche gesetzliche Regelung zur ambulanten Behandlung durch Uniklinika notwendig sei – ebenso eine angemessene Vergütung.

Handlungsbedarf gibt es aus Sicht der Hochschulmediziner au- ßerdem beim Meldewesen für In- fektionskrankheiten. Das Verfahren müsse vor allem beschleunigt wer- den, verlangte Prof. Dr. med. Dieter Bitter-Suermann, Präsident des Me- dizinischen Fakultätentages (MFT).

„Nicht mit der Pferdekutsche, son- dern elektronisch“ sollten die Mel- dungen erfolgen. Umgekehrt seien die Ärzte – auch die Niedergelasse- nen – schneller und unkomplizierter über eine sich abzeichnende Epide- mie zu informieren. Eine zentrale Rolle soll nach Vorstellung des MFT-Präsidenten das Robert-Koch- Institut spielen. Die Bundesländer müssten Kompetenzen abgeben.

Obwohl Bundesgesundheitsmi- nister Daniel Bahr (FDP) bereits an- gekündigt hatte, das Meldeverfahren für Infektionskrankheiten vereinfa- chen zu wollen, ist bislang nichts geschehen. Der Bundesrat fasste mit Verabschiedung des Infektions- schutzgesetzes am 8. Juli lediglich folgenden Beschluss: Die Bundes - regierung solle die Übermittlungs- fristen und Verfahren (§ 11 Infekti- onsschutzgesetz) prüfen und mit ei- ner Gesetzesinitiative anpassen. ■ Dr. med. Vera Zylka-Menhorn, Dr. rer nat. Nicola Sigmund-Schultze, Dr. med. Birgit Hibbeler TABELLE

Epidemiologische Daten des Robert-Koch-Instituts

* Das Erkrankungsdatum ist nicht bei allen übermittelten Fällen bekannt.

EHEC

Erkrankungen Infektionen mit nicht- erfülltem klinischen Bild HUS

Erkrankungen Verdachtsfälle Summe

Fallzahlen (davon Todes - fälle) SurvNet vom 21. 7. 2011

3 039 (16) 416 (1)

727 (27) 119 (5) 4 301 (49)

Erkrankungs - beginn* in den letzten 10 Tagen

6 0

0 0 6

Letzter Erkran- kungsbeginn*

17. 7. 2011 30. 6. 2011

10. 7. 2011 2. 7. 2011

M E D I Z I N R E P O R T

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