Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Arzneimittelprüfung
tion etwas viel Weiteres, ein Bild
vom kranken Menschen und von sei- nen persönlichen Bezügen in seiner eigenen kleinen Welt. An diesem Bild, das als etwas Ganzes erfaßt wird, stellt der erfahrene Arzt die Diagnose, orientiert er die Therapie und mißt er in der Regel auch die Wirksamkeit seiner Maßnahmen.Das so erfaßte Bild vom kranken Menschen hat nur den Nachteil, es ist zwar inhaltlich darstellbar, aber nicht formulierbar, damit schwer do- kumentierbar und in der konkreten Situation der aktuellen Arzt-Patien- ten-Beziehung schon gar nicht über- prüfbar. Dieser Bereich ärztlichen Krankheitsverständnisses wird heu- te, weil er nicht den naturwis- senschaftlichen Grundforderungen nach Überprüfbarkeit, Reproduzier- barkeit und Dokumentierbarkeit ge- nügt, bei der Arzneimittelprüfung zwangsläufig ausgeklammert.
Um zu reproduzierbaren, überprüf- baren und dokumentierbaren Ergeb- nissen in der Arzneimittelprüfung zu .
kommen, reduziert die Wissenschaft die Kriterien auf eine übersehbare Zahl — manchmal sogar auf ein einzi- ges Symptom. Man formuliert also Wirksamkeit nur im Hinblick auf be- stimmte Teilaspekte, die natürlich jeweils vom Krankheitsverständnis des zu prüfenden Arztes oder besser noch seiner Schule her geprägt sind. Wir zerlegen das Gesamtbild in Ausschnitte, die immer nur Indikato- ren für eine Krankheit sein können, die wir aber nicht mit der Krankheit gleichsetzen dürfen. Zu diesen Indi- katoren gehören mit zunehmender Komplexität die subjektiven Be- schwerden, die objektiven Sympto- me, die objektiven Syndrome, das Ausbleiben von Komplikationen oder gar die Lebensdauer, und sehr selten soziale Bewertungen für das Verhalten in der Familie und im Be- ruf. Jeder dieser Indikatoren hat ei- nen bestimmten Wert innerhalb der Gesamtaussage „Krankheit". So ist zum Beispiel der gemessene Blut- druck von hohem Aussagewert für das Krankheitsbild der essentiellen Hypertonie, aber er ist nicht die Krankheit selbst. Bei diesem Vorge- hen hat der Meßwert nur Wahr- scheinlichkeitscharakter für die Dia-
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EDITORIAL
Grundlagen und Grundfragen der
N Arzneimittelprüfung
n unserer Sicht hat der me- dizinisch-wissenschaftliche Teil des DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATTES vor allem die Anlie- gen: Darstellung neuer und gesicherter Ergebnisse; Über- sichten mit Fortbildungscha- rakter; Aufzeigen neuer, noch nicht abgeschlossener Ent- wicklungen; Gegenüberstel- lung kontroverser Ergebnisse und Meinungen; Besinnung auf die Grundlagen und Grundfragen.
Der Beitrag von Professor Stil- le gehört sicher in die zuletzt
gnose. Verwenden wir also den Blut- druck als Kriterium in einer Arznei- mittelprüfung, müssen vorab einige grundsätzliche Fragen geklärt sein:
• Welche Bedeutung hat die Höhe des Blutdruckes für den Verlauf des Krankheitsbildes der essentiellen Hypertonie? Beeinflußt seine Sen- kung den Verlauf des Leidens?
O Welche Bedeutung hat die Höhe des Blutdruckes für die Lebenser- wartung?
O Welche Bedeutung hat die Höhe des Blutdruckes für die Lebensqua- lität?
O Welche Bedeutung hat die Höhe des Blutdruckes für die Erwerbsfä- higkeit? usw.
Erst wenn die Wissenschaft diese Fragen beantwortet hat, kann man entscheiden, ob der Blutdruckmeß- wert als Erfolgskriterium bei der kli- nischen Prüfung von Arzneimitteln zu verwenden ist. Fragen zum Bei- spiel nach der Lebensqualität und
genannte Kategorie. Wir ha- ben ihn nicht ohne Bedenken angenommen, weil er zum Teil alte Auseinandersetzungen um das Arzneimittelgesetz, den Wirksamkeitsnachweis und die Erfahrungsheilkunde wieder aufgreift. Weiter kann man über die Rangfolge etwa einer klinischen Prüfung durchaus verschiedener Mei- nung sein. Ferner: Wie sollte der Biostatistiker nachträglich Krankheitsgruppen herausar- beiten, wenn er nicht Aus- wahlkriterien vorgibt?
Andererseits erinnert hier ein erfahrener Pharmakologe an Dinge, die selbstverständlich erscheinen mögen, aber kei- neswegs so selbstverständlich bedacht und — vor allem — ge- handhabt werden. R. Gross
der Erwerbsfähigkeit zeigen die Komplexität der Zusammenhänge, und bereits hier stoßen wir auf Erfas- sungsschwierigkeiten. Man wird kaum Arbeiten finden, die bei Arz- neimittelprüfungen Kriterien dieser Komplexität verwenden. Doch wäre es wichtig, gerade in diese Dimen- sion vorzustoßen, besonders auch, weil sich hier die erwünschten und unerwünschten Wirkungen ver- schränken. Um beim Beispiel der es- sentiellen Hypertonie zu bleiben — es kann doch gerade durch eine Sen- kung des erhöhten Blutdruckes, zum Beispiel durch Reserpin, die Befindlichkeit des Patienten erheb- lich gestört sein und bis hin zur ma- nifesten Depression ungünstig be- einflußt werden.
Das Symptom Hypertonie wird zwar gebessert, vielleicht auch die Le- benserwartung erhöht, jedoch ist die Erwerbsfähigkeit oder die Le- bensqualität vielleicht schlechter als vor der Behandlung.
In vielen Fällen ist der Wert einer üblichen Meßgröße als Indikator so- Ausgabe A/B