Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ
Spinale Abszesse
Spinale Abszesse liegen gewöhnlich extradural, sind also epidurale Em- pyeme. Subdurale Empyeme und in- tramedulläre Abszesse sind Raritä- ten. Unter 22 spinalen Abszessen (1950 bis 1979) lagen 18 Abszesse epidural, je einmal subdural und in- tramedullär. Je einmal war ein Epi- duralabszeß mit einem subduralen und intramedullären Abszeß kombi- niert. Im Gegensatz zu den zerebra- len Abszessen (Tabelle 1) sind sie seltener und haben ein anderes Ver- teilungsmuster.
Lokalisation
Der Epiduralraum liegt zwischen Pe- riost und Dura spinalis. Er ist im Be- reich zwischen der Inturnescentla cervicalis und der Intumescentia lumbalis sowie kaudal des zweiten Lendenwirbels besonders weit. In diesen präformierten Räumen ent- stehen Abszesse am häufigsten (Ta- belle 2). Das lockere Binde- und Fettgewebe des Epiduralraumes, Venenplexus und Lymphgefäße sind für Keime ein günstiger Nährboden.
Klinik
Ursache epiduraler Abszesse Fortgeleitet: Unter den fortgelei- teten epiduralen Abszessen spielen spezifische Prozesse der Wirbelsäu-
le (Tuberkulose, Lues) eine abneh- mende Rolle; bei unseren Patienten lag solch ein Prozeß nur einmal bei bekannter Tuberkulose vor. Unspe- zifische Osteomyelitiden, Psoasab- szesse und — seltener — retroperito- neale Abszesse mit Fistelbildung in den Epiduralraum kommen vor. Zu den fortgeleiteten Abszessen gehö- ren solche nach Lumbalpunktionen, spinaler Anästhesie, epiduralen Überflutungen, operativ inokulierte und von Dekubitalulzera ausgehen- de Abszesse.
41)
Hämatogen: Hämatogene epidu- rale Abszesse kommen vor bei Allge- meininfektionen, Furunkulose, Sep- sis, Pyodermie, Pyelonephrose, Ra- chenmandelinfekt und — in seltenen Fällen — posttraumatisch bei sekun- därer Infizierung eines epiduralen Hämatoms. In einem Teil der Fälle bleibt die Ursache ungeklärt.Nach dem zeitlichen Verlauf unter- scheiden wir akute, subakute und chronische Abszesse.
Akuter
und subakuter Epiduralabszeß Alle Patienten entwickeln über Tage bis zu 1 bis 2 Wochen zunehmende, schließlich heftigste Schmerzen im Bereich des betroffenen Wirbelsäu- lenabschnittes. Je nach Abszeßloka- lisation kommt es zu Schmerzen zwischen den Schulterblättern, gür- telförmig oder radikulär, meistens
Entzündliche Erkrankungen des Spinalkanals und seines Inhalts machen oft differenti- aldiagnostische Schwierigkei- ten. Akute raumfordernde ent- zündliche Prozesse können nach einer Phase heftiger um- schriebener Wirbelsäulen- schmerzen und ausstrahlen- der radikulärer Schmerzen in- nerhalb weniger Stunden bis Tage von Parästhesien in den unteren Extremitäten bis zum Kaudasyndrom mit Blasen- Mastdarm-Störung oder zum kompletten Querschnittsbild führen. Die entscheidende Therapie ist die sofortige ope- rative Entlastung unter Durch- führung der Laminektomie.
Die Prognose ist abhängig von Schweregrad und Dauer der neurologischen Ausfälle.
beiderseits. Begleitende oder nach- folgende Parästhesien, beginnend in den Füßen, leiten die in der Regel stürmische Entwicklung neurologi- scher Ausfälle mit sensiblen Störun- gen und schlaffen motorischen Lähmungen, Blasen-Mastdarm-Läh- mung, Kaudasyndrom oder Quer- schnittslähmung ein.
Vorausgehende und/oder begleiten- de entzündliche Allgemeinsympto- me fehlen fast nie:
• Allgemeine Infektzeichen,
> Fieber,
1> Krankheitsgefühl,
> Appetitlosigkeit,
• Übelkeit, gelegentlich Erbrechen.
Meningitische Symptome mit Nak- kensteifigkeit können hinzutreten, im Einzelfall auch das führende Symptom sein und an eine Meningi- tis denken lassen.
Wegen der heftigen Schmerzen wird der Hausarzt konsultiert, bevor neu-
UNSPEZIFISCHE ENTZÜNDUNGEN:
Abszesse des Spinalkanals
Norfrid Klug und Idris Dag Ellams
Aus der Neurochirurgischen Universitätsklinik der Justus Liebig-Universität Gießen
(Direktor: Professor Dr. med. Dr. h. c. Hans Werner Pia)
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Heft 41 vom 8. Oktober 1981 1919zerviko-thorakal 1
BW 2 — BW 10 9
thorako-lumbal 1
unterhalb LW 2 11 Epidurale
Abszesse Subdurale
Abszesse Intrazerebrale
Abszesse Zerebrale 153
Abszesse
Epidurale Abszesse Subdurale
Abszesse Intramedulläre
Abszesse Spinale
Abszesse
22
160 15 175 193
Gesamt
Tabelle 1: Zerebrospinale Abszesse,
Neurochirurgische Universitätsklinik Gießen, 1950 bis 1979, N: 175 N Isolierte
Abszesse Abszesse
Multiple Abszesse N
Patienten
Lokali- sation
10 6 124
3 10 10
12 146
20 3 2
18 1 1
Tabelle 2: Lokalisation spinaler Abszesse
Gesamt 22
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rologische Ausfälle auftreten. In die- sem Stadium finden sich immer:
> Ein ausgeprägtes Lokalsyndrom (Druck- und Klopfschmerzhaftigkeit des betroffenen Wirbelsäulenab- schnittes, paravertebraler Muskel- hartspann, aufgehobene Wirbelsäu- lenbeweglichkeit),
> erhöhte Temperatur bis Fieber, I> Leu kozytose (10 000 bis 20 000), I> starke BSG-Beschleunigung (meistens über
> 100 mm n. W. in der 2. Stunde) und
> gelegentlich bei Kindern eine Schwellung über dem betroffenen Wirbelsäulenabschnitt.
Bei Parästhesien, Taubheit oder gar Schwäche in den Füßen/Beinen und Miktionsbeschwerden ist die umge- hende Klinikeinweisung erforder- lich, da sich die akute Querschnitts- oder Kaudalähmung innerhalb von Stunden entwickeln kann.
Bei der Aufnahme in die Klinik (Ta- belle 3) hatten 9 Kranke eine kom- plette und 7 eine inkomplette Läh-
mung. Nur 2 waren ohne motorische und 4 ohne sensible Ausfälle.
Spezialuntersuchungen
Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule in zwei Ebenen zeigen — außer einer häufig fixierten Fehlhaltung — keine weiterführenden Veränderungen.
Die Liquoruntersuchung weist mit geringer Zell- und Eiweißerhöhung auf eine begleitende meningeale Re- aktion (keine Meningitis) hin.
Myelographie: Die von subokzipital oder lumbal durchgeführte Myelo- graphie zeigt in fast allen Fällen ei- nen kompletten Kontrastmittelstop mit den typischen Merkmalen der extraduralen Raumforderung.
Cave: Die Lumbalpunktion ist bei lumbal lokalisierten Epiduralabszes- sen gefährlich, da die Keime in den Liquorraum gelangen und eine den weiteren Krankheitsverlauf bestim- mende Meningitis auslösen können.
Chronischer Epiduralabszeß Im Gegensatz zum akuten-subaku- ten Verlauf ist beim chronischen
Epiduralabszeß das Intervall zwi- schen dem Auftreten des Schmerz- syndroms und beginnenden neuro- logischen Störungen länger als zwei Wochen und die Progredienz neuro- logischer Ausfälle weniger drama- tisch. Dementsprechend waren die Lähmungen bei allen akuten For- men vom schlaffen Typ, während die chronisch verlaufenden (thorakalen) Abszesse spastische Zeichen boten.
Bakteriologie
In Übereinstimmung mit der Litera- tur fanden sich auch in unserem Ma- terial überwiegend Staphylococcus aureus, seltener Staphylococcus al- bus und nur vereinzelt Streptokok- ken und Koli, in einem Fall Tuberkel- bakterien. Insgesamt dreimal war der Eiter steril.
Therapie
Die Therapie der Wahl ist die soforti- ge, bereits unter antibiotischer Ab- deckung durchzuführende Laminek- tomie. Der bei den akuten Abszes- sen rahmige Eiter wird abgesaugt und anschließend die Wundhöhle mit Wasserstoffsuperoxid und ande- ren desinfizierenden Mitteln gespült.
1920 Heft 41 vom 8. Oktober 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
(+) 0
1 3 3
Blasen-/Mast-
darmstörung 12 5x
autonome Blase 20 einseitig 4
. .
beidseitig 16 3
18 einseitig 3 . .
beidseitig 15 4 4
17 schlaff 13 spastisch 2
6x Spastik 1 3
Querschnitts-
lähmung 11 inkomplett komplett
1 5
5 inkomplett komplett
2 1 1
4 2 5
1 4
Sensibilität 1
2 2 5
Muskeltonus 3
2 3
8
1 1
1 2
Kaudastörung 4
1
1 1
Tabelle 3: Neurologische Störungen bei Klinikeinweisung und postoperativer Verlauf von 22 Patienten mit spinalem Abszeß
— nicht gebessert, (+) leicht gebessert, + deutlich gebessert, 0 nicht beurteilbar, da verstorben
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Die beim chronischen Abszeß vor- handenen Membranbildungen wer- den soweit als möglich entfernt und anschließend in derselben Weise vorgegangen.
Nach Einlegen von Drainagen und Instillation eines Antibiotikums in die Wundhöhle wird die Wunde lok- ker genäht. Die anschließende syste- mische Antibiotikatherapie erfolgt entsprechend dem Antibiotigramm in höchster Dosierung.
Prognose
Die Prognose der Patienten mit spi- nalem Abszeß hängt entscheidend von der rechtzeitigen Erkennung und Behandlung ab; sie muß nach unseren Erfahrungen und Mitteilun- gen aus der Literatur auch heute noch als schlecht angesehen werden.
Von fünf verstorbenen Patienten erlagen zwei einer aufsteigenden Paralyse mit Atemlähmung, ein Pa- tient einer totalen Rückenmarks- erweichung, ein weiterer einer schweren diffusen eitrigen Meningi- tis mit begleitendem toxischen Herz- versagen und der letzte einer Lun- genembolie (Zeitpunkt des Todes bei allen fünf Patienten 3 bis 4 Wo- chen postoperativ).
Bezüglich des Lokalsyndroms zeig- ten praktisch alle Patienten eine völ- lige beziehungsweise weitgehende Rückbildung der Beschwerden. Pro- gnostisch ungünstig sind fortge- schrittene neurologische Ausfälle (Tabelle 3).
Von den überlebenden sechs der insgesamt acht kompletten schlaf- fen Querschnittsgelähmten entwik- kelte nur einer eine minimale Will- kürmotorik. Zu einer „Besserung"
kam es insofern, als sich bei allen sechs Patienten aus der schlaffen eine spastische Lähmung entwickel- te, wodurch eine gewisse Ge- brauchsfähigkeit der Beine erzielt wurde.
Gleichermaßen ist das Auftreten ei- ner „autonomen" Blase zu verste- hen (Tabelle 3, letzte Spalte).
Differentialdiagnostische Probleme
Nach eigener Erfahrung und nach Mitteilungen anderer Autoren füh- ren epidurale Abszesse der mittleren bis unteren Brustwirbelsäule (BWS) am ehesten zur Fehldiagnose „Ap- pendizitis". So wurde ein Patient zwei Tage, ein weiterer einen Tag vor der Einweisung in unsere Klinik appendektomiert, obwohl die typi- schen Merkmale der Appendizitis fehlten.
Als weitere Fehldiagnose bei aus- strahlenden abdominalen Be- schwerden wird gelegentlich die Pankreatitis erwähnt. Die Abgren- zung gegenüber der Poliomyelitis anterior acuta, in der Hauptphase mit Kopfschmerzen, Meningismus und progredienten Paresen ohne Parästhesien oder eindeutige Sensi- bilitätsstörungen verlaufend, dürfte in der Regel kein Problem sein.
Meningitis, Neuritis, aufsteigende (Guillain-Barrö) und Querschnitts-
myelitis mit ihren typischen Ver- laufsformen gehören in die Hand des Neurologen, der anhand der Zu- satzuntersuchungen — insbesondere Liquor cerebrospinalis — ohne Schwierigkeit die richtige Diagnose stellen wird.
Kommt es postoperativ zur Ausbil- dung eines Epiduralabszesses, zum Beispiel nach einer Bandscheiben- operation, so werden das allgemei- ne Krankheitsgefühl und der Lum- balspasmus in Verbindung mit der erheblichen Leukozytose und der maximal beschleunigten BSG den Verdacht in die richtige Richtung lenken, während lokale inspektori- sche und palpatorische Entzün- dungszeichen völlig fehlen können.
Spinale Tumoren und spontane epi- durale Hämatome des Wirbelkanals, erstere mit protrahiertem, letztere mit mehr oder weniger apoplektifor- mem Verlauf „aus voller Gesund- heit" heraus, dürften nur aus- nahmsweise differentialdiagnosti- sche Schwierigkeiten bereiten. >
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 41 vom 8. Oktober 1981 1921
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Rückenmarksabszesse
Rückenmarksabszesse sind außer- ordentlich selten. Auch in unserem Krankengut finden sich nur zwei in- tramedulläre Abszesse, während im selben Beobachtungszeitraum 134 intrazerebrale Abszesse vorkamen (Tabelle 1). Rückenmarksabszesse können das Rückenmark von der Medulla oblongata bis zum Conus medullaris befallen; Prädilektions- stellen gibt es nicht. Über multiples Vorkommen wird in der Literatur vereinzelt berichtet.
Auch bei den intramedullären Ab- szessen lassen sich nach der Ent- wicklung der Symptome akute bis subakute und chronische Verlaufs- formen unterscheiden:
Akuter und subakuter intramedullärer Abszeß
Das Krankheitsbild verläuft ähnlich wie der akute-subakute Epiduralab- szeß mit allgemeinem Krankheitsge- fühl, Schmerzen im betroffenen Wir- belsäulenabschnitt und rasch pro- gredienter Querschnittssymptoma- tik mit sensiblen und motorischen Ausfällen sowie Blasen- und Mast- darmstörungen.
Chronischer
intramedullärer Abszeß
Der chronisch verlaufende Rücken- marksabszeß entwickelt sich unter dem Bild der allmählich progre- dienten spinalen (intramedullären) Raumforderung, bei der subfibrile Temperaturen, eine erhöhte BSG und Leukozytose an den entzündli- chen Prozeß denken lassen, wobei das lokale Schmerzsyndrom in den Hintergrund tritt. — Diagnostisch wird der raumfordernde Prozeß mit Hilfe der Myelographie nachge- wiesen.
Bei der Operation findet sich bei der Laminektomie eine gespannte Dura, nach deren Eröffnung sich das auf- getriebene Mark vorwölbt. Die Punk- tion und die nachfolgende Spaltung des Rückenmarks zeigten die Ab-
szeßhöhle, die röhrenförmig über mehrere Segmente reichen kann.
Differentialdiagnostisch muß beim akuten Rückenmarksabszeß beson- ders an die Querschnittsmyelitis und bei der mehr chronischen Verlaufs- form an andere extra- und intra- medulläre raumfordernde Prozesse (Tumor, Dermoid) gedacht werden.
Subdurales Empyem
Das isolierte subdurale Epyem ist sehr selten. Wir sahen es in 25 Jah-
ren einmal als Komplikation nach Anlegen einer ventrikulo-zisterna- len Drainage (Torkildsen-Drainage) bei Verschlußhydrozephalus. Menin- geale Reaktion beziehungsweise Meningitis mit erhöhter Liquorzell- zahl und progredienter spinaler Symptomatik führen zur entspre- chenden Diagnostik und Therapie.
Literatur
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Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Norfrid Klug
Oberarzt der Neurochirurgischen Universitätsklinik Gießen Klinikstraße 29, 6300 Gießen
FÜR SIE GELESEN
Vasopressin und Blutdruckregulation
Obwohl der Pressoreffekt von anti- diuretischem Hormon gut bekannt ist, ist bisher die Rolle des endoge- nen Vasopressins in der physiologi- schen Blutdruckregelung nicht ge- klärt. So ist zum Beispiel bei Tierver- suchen eine Erhöhung des endoge- nen Vasopressins bei Mineralokorti- koid-, Nierenarterienstenose- sowie Spontanhochdruck gemessen wor- den, während bei Patienten mit Conn-Syndrom oder essentieller Hy- pertonie keine erhöhten Spiegel en- dogenen Vasopressins festgestellt wurden. In einer Studie (2) wird je- doch über eine durchschnittliche Zunahme der Vasopressinspiegel um zirka 150 Prozent bei 29 Patien- ten mit unbehandeltem, malignem Hochdruck berichtet. Zur Aufklä- rung der Frage, ob diese Spiegel ei- nen Beitrag zur Blutdruckerhöhung leisteten, untersuchten Padfield und Mitarbeiter zwei Kontrollgruppen:
28 Patienten mit vergleichbar er- höhten Vasopressinspiegeln beim Syndrom der inadäquaten ADH-Se- kretion (SIADH)
49
5 gesunde Probanden, deren Va- sopressin-Serumspiegel durch exo- gene Zufuhr auf das Niveau der Pa- tienten mit malignem Hochdruck an- gehoben wurde.In beiden Gruppen wurde jedoch kein Hochdruck bei erhöhtem Va- sopressin-Serumspiegel gefunden.
Diese Beobachtungen sprechen ge- gen eine physiologische Rolle er- höhter Vasopressinspiegel in der Blutdruckerhöhung bei maligner Hy- pertonie (2). Es können jedoch ge- wichtige Einwände gegen die Kon- trollgruppen von Padfield und Mitar- beiter erhoben werden (zum Bei- spiel Verschiedenheit des Katechol- aminstatus bei maligner Hypertonie im Vergleich zu SIADH, so daß die Rolle des Vasopressins in der Blut- druckregulation weiterhin als unklar gelten muß (1). Gos
(1) Bartter, F. C.: Vasopressin and blood pressure, N. Engl. J. Med. 304 (1981) 1097-1098 - (2) Padfield, P. L., et al.: Blood pressure in acute and chronic vasopressin ex- cess, N. Engl. J. Med. 304 (1981) 1067-1070
1922 Heft 41 vom 8. Oktober 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT