"lnvasive" Forschung
Es wird gefragt nach Kühlschrank und Gefrierschrank, nach Toilette innerhalb/außerhalb der Wohnung, nach Begründung des letzten Ar- beitsplatzwechsels, Betriebsklima am Arbeitsplatz, Begründung für ne- benberufliche Tätigkeiten, nach den drei häufigsten Interaktionspartnern außerhalb des Haushalts, nach dem Beruf der drei besten Freunde, und woher diese drei besten Freunde be- kannt sind, nach Urlaubsreisen und Autofahrten am Wochenende, und ob diese allein am Steuer bestritten werden, nach Rauchen, Trinken, nach Hausbau in Gegenseitigkeits- hilfe, nach Beruf der Geschwister, sofern nicht Haushaltsmitglieder, nach Häufigkeit der Kontakte mit Verwandten und Freunden außer- halb des Haushalts, nach Funktio- nen und ehrenamtlichen Tätigkeiten in Organisationen, ob man einen Stammtisch hat oder nicht ...
• Nun sind solche Fragen bei so- zialempirischen Untersuchungen durchaus üblich. Diese Fragen wer- den dann aber nur absolut freiwillig und in der Regel nicht gegenüber Institutionen gegeben, zu denen man in irgendeinem Verhältnis steht und die daher diese Informationen verwenden könnten.
Gerade das ist aber in der Vorstudie vorgeschlagen: der ltem-Katalog solle als Kontrollmittel für die Selbstaustüll-Fragebogen einge- setzt werden. Mit diesem Vorschlag decouvriert sich Datenschutz als leerer Begriff.
Darüber hinaus ist zu fragen, zu wel- chem besonderen Zweckangesichts einer derart detaillierten Befragung die Routinedaten benötigt werden.
Mögliche Folge dieser Art von "inva- siver" Forschung wäre vielleicht ei- ne Erhöhung von Effizienz und Ef- fektivität in der Gesundheitsversor- gung, wie sie sich in Routinedaten widerspiegelt, bei gleichzeitig dra- stisch gemindertem Schutz der Pri- vatsphäre und erhöhter Gesund- heitsgefährdung durch Vorenthal- tung von Krankenscheinen. Dieser Schaden wäre nicht erst im Ergebnis der Forschung, sondern schon bei
Durchführung des Forschungsvor- habens angerichtet.
Im Resümee ist festzuhalten:
~ Die Routinedaten der gesetzli- chen Krankenversicherungen geben für komplexere wissenschaftliche Fragestellungen nichts her.
..,_. Die vorgeschlagenen Auskunfts- eintreibungen sind in drei Punkten rechtswidrig:
1. Einschalten von Krankenschei- nen bei nicht (mindestens) jährlicher Auskunft;
2. Hausbesuche zur Erhöhung der Antwortbereitschaft;
3. Kontrolle der Routineauskünfte durch "Tiefen-Interview".
Es ist demnach die Frage zu klären, ob das Bundesministerium rechtens handelt, wenn es diese Ratschläge durch Freigabe zur Veröffentlichung mit einer beängstigenden Dignität versieht (die Veröffentlichung steht laut Auskunft von Erwin Jahn bevor).
Im Rahmen des Programms der Bundesregierung zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Dienste der Gesundheit, hier: "For- schung zur Verbesserung der Daten- lage im Gesundheitswesen" kündigt das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung mit Datum vom 12. Februar 1980 ein Projekt zur "Er- fassung und Auswertung von Infor- mationen aus Prozeßdaten der
GKV" an. Verschiedene Betroffene
sind geladen, Vorschläge zu ma- chen.
Anschrift des Verfassers:
Dr. phil. Bodo Kosanke Zentralinstitut für die
kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland Haedenkampstraße 5
5000 Köln 41 (Lindenthal)
978 Heft 15 vom 10. April1980 DEUTSCHES ARZTEBLATT
DER KOMMENTAR
Restriktiv
in einer gemeinsamen Presseerklä- rung hatten der Verband der Leiten- den Krankenhausärzte und der Mar- burger Bund Vorwürfe gegen die Kassenärztlichen Vereinigungen er- hoben, in denen sie eine angeblich
"zunehmend restriktive Handha- bung der Beteiligung und Ermächti- gung von Krankenhausärzten an der Kassenärztlichen Versorgung" be- haupteten und entsprechend be- klagten.
Aus zunächst widersprüchlichen Er- klärungen des Geschäftsführers Dr.
Jeute und des Justitiars Dr. Baur er- gab sich schließlich, daß der Vor- stand des Chefarzt-Verbandes diese Erklärung nicht mitzutragen ver- mochte. Ein kluger Beschluß, denn die Kassenärztliche Bundesvereini- gung konnte sehr rasch nachwei- sen, daß die Vorwürfe völlig zu Un- recht erhoben wurden, da bis in die neuesten Statistiken hinein eine steigende Zahl von an der kassen- ärztlichen Versorgung beteiligten Krankenhausärzten nachweisbar ist.
Dennoch geht das Verwirrspiel wei- ter. In der publizistischen Diskus- sion des Themas schlägt der Justiti- ar des Chefarzt-Verbandes nun eine Limitierung der Scheinzahl für betei- ligte Krankenhausärzte - etwa 200 pro Quartal- vor, wofür er allerdings
"leider bei den Zulassungsaus-
schüssen und den Sozialgerichten wenig Gehör" finde.
Danach scheinen hier restriktive Ge- danken eher zu Hause zu sein als bei den Kassenärztlichen Vereinigun- gen, Zulassungsausschüssen und Sozialgerichten. Oder ist das Ganze nur ein gutes Beispiel für schlechte Moral in Verteilungskämpfen? Es darf doch wohl nicht darum gehen, daß- limitiert oder restriktiv- Betei- ligungsportionen verteilt werden.
Ermächtigung und Beteiligung so- wie Art und Umfang der Tätigkeit auf dieser Rechtsgrundlage haben sich ausschließlich nach den Bedürfnis- sen der kassenärztlichen Versor- gung der Versicherten zu richten.
Diese muß zweckmäßig und ausrei- chend sein -, nicht für die beteilig- ten Krankenhausärzte, sondern für die zu versorgenden versicherten
Patienten. FM