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Archiv "Generalversammlung des Weltärztebundes: Offene Fragen, ungelöste Probleme" (10.12.1999)

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er „Ausschuß sozialmedizini- sche Angelegenheiten“ be- faßte sich erneut mit der Erar- beitung eines Dokumentes über die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern. Unverändert beste- hen Abgrenzungsprobleme zwischen beiden Berufsgruppen, die mit unter- schiedlichen Kompetenzen und Zu- ständigkeiten begründet werden. Ins- besondere muß ein Verfahren zur Konsultation des verschreibenden Arztes etabliert werden, wenn Inter- aktionen verordneter Medikamente nach Auffassung des Apothekers zu befürchten sind. Nach entsprechen- den Änderungen wurde ein Doku- ment verabschiedet und dem „Coun- cil“ zur Annahme vorgeschlagen.

Eine Stellungnahme zur Unab- hängigkeit und beruflichen Integrität des Arztes ist soweit gediehen, daß sie den Mitgliedsorganisationen zur Stel- lungnahme zugeleitet werden kann.

Ein Dokument zum Schutz der Pri- vatsphäre des Patienten und seiner persönlichen Daten wurde im Grund- satz gebilligt mit dem weiterführen- den Beschluß, auf dieser Grundlage unter Berücksichtigung von Ände- rungswünschen nationaler Mitglieds- organisationen eine Stellungnahme zu erarbeiten. Die Absicht, eine inter- nationale Konferenz zur Diskussion ethischer Probleme im Zusammen- hang mit der Einrichtung und dem Betrieb zentraler Datenbanken im Gesundheitswesen einzuberufen, wur- de bekräftigt – allerdings muß die Fi- nanzierung noch geklärt werden. An dieser Konferenz, die auch im Hin- blick auf das im Deutschen Ärzteblatt bereits mehrfach angesprochene is- ländische Vorhaben möglichst bald stattfinden sollte, sollen Repräsentan- ten internationaler Organisationen

wie der Weltgesundheitsorganisation oder der Vereinten Nationen ebenso beteiligt werden wie Vertreter inter- nationaler Staatenverbände, gedacht wird hier an die Europäische Union oder an den Europarat. Das Thema der Konferenz sollte erweitert werden auf den Schutz von Daten aus geneti- schen Analysen und die Forschung mit entnommenem Gewebe und seine dauerhafte Lagerung in sogenannten Biobanken. Das künftige Programm der Arbeitsgruppe sieht Themen wie ethische Konflikte zwischen Lei- stungsträgern und

Patienten sowie Pro- bleme der medizini- schen Versorgung in Gefängnissen vor.

Die Arbeits- gruppe „Finanzen und Planung“ hat eher geschäftsmä-

ßig den Finanzbericht für das Jahr 1998, die Zahlungen der Mitglieds- beiträge in den Jahren 1997 bis 1999, die Planungen für die 52. Generalver- sammlung (3. bis 7. Oktober 2000 in Edinburgh, Schottland) sowie den Haushaltsplan erörtert. Besondere Aufmerksamkeit fand die Mitteilung, daß die Kosten der wissenschaftlichen Sitzung (Aufenthalts- und Reiseko- sten der eingeladenen Referenten) sowie des festlichen Abendessens in diesem Jahr zum ersten Mal von ei- nem Sponsor getragen wurden. Dabei

wurde versichert, dieser, hier bewußt nicht genannte, Sponsor nehme kei- nen Einfluß auf die Auswahl der The- men und der Vortragenden. Es war wohl reiner Zufall, daß an geschickt gewählten Orten Plakate auf dieses pharmazeutische Unternehmen hin- wiesen und daß seine Repräsentantin während der wissenschaftlichen Sit- zung in einem längeren Vortrag Gele- genheit hatte, auf Aktivitäten ihres Arbeitgebers hinzuweisen. Daß sie in diesem Zusammenhang eine ethische Frage von zentraler Bedeutung nur unbefriedigend be- antwortete, sei an- gemerkt.

Die Arbeits- gruppe sieht zwar die Verabschie- dung von Richtli- nien zur Zusam- menarbeit zwischen dem Weltärztebund (WMA) und „Körperschaften“ vor, es soll auch eine Beratergruppe aus den Vorsitzenden des „Council“, der Ar- beitgruppen „Finanzen und Planung“

und „Medizinische Ethik“ sowie dem Schatzmeister gebildet werden, die den Generalsekretär bei Anwendung dieser Richtlinien und der Einwer- bung von Drittmitteln berät. Ein scha- ler Beigeschmack stellt sich ange- sichts der Erfahrungen in Tel Aviv gleichwohl ein, dies um so mehr, wenn man die jahrzehntelangen Bemühun- gen der Bundesärztekammer um eine industrieunabhängige Fortbildung bedenkt. Jedenfalls läßt sich derzeit die Gefahr einer zukünftigen Abhän- gigkeit der WMA von interessierten Sponsoren nicht leugnen.

Erneut wurde das Projekt der Konferenz „Medizinische Ethik und Menschenrechte“ erörtert, die in Be-

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Generalversammlung des Weltärztebundes

Offene Fragen, ungelöste Probleme

Die 51. Generalversammlung des Weltärztebundes in Tel Aviv (13. bis 17. Oktober) erörterte Fragen zur Politik, Repräsentanz und Identität des Verbandes. Die wissenschaftliche Sitzung war „Fragen und Antworten zum menschlichen Leben und zum menschlichen Genom“ gewidmet.

D

Dokumente, Stellungnahmen des Weltärzte- bundes, soweit sie in deutschsprachiger Über- setzung vorliegen, sollten bei der Bundesärzte- kammer, Herbert-Lewin-Straße 1, 50931 Köln abgerufen werden.

Fremdsprachige Texte des Welteärztebundes können bei dem Generalsekretär der World Medical Association, BP 63, 01212 Ferney- Voltaire Cedex, France, angefordert werden.

Die Gefahr einer künftigen Ab- hängigkeit der World Medical Association von interessierten Spon-

soren läßt sich nicht leugnen.

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jing stattfinden soll. Man will diese Konferenz nur dann veranstalten, wenn die „Chinese Medical Associa- tion“ für 1999 ihre Mitgliedsbeiträge bezahlt und die chinesische Regierung der WMA zusichert, daß eine vom Weltärztebund in eigener Verantwor- tung und ohne fremde Einflußnahme geplante Konferenz durchgeführt wer- den kann. Frühere Forderungen, den ungehinderten Zugang interessierter chinesischer Bürger zu dieser Konfe- renz zu sichern, die freie, unzensierte Berichterstattung der Presse zu ge- währleisten, wurden nicht mehr erör- tert – überwiegt die Sehnsucht nach China alle Bedenken? Die bekanntge- wordene Versicherung chinesischer Ärzte – wer waren diese? – , man wer- de alle Anstrengungen zur Wahrung der Menschenrechte unternehmen, mag gut gemeint und ehrlich sein – der politisch informierte Leser wird sie zu werten wissen.

Die Debatte über die Zulassung neuer Mitgliedsorganisationen war aufschlußreich im Hinblick auf die Frage, wen der Weltärztebund eigent- lich repräsentiert. Ohne größere Pro- bleme wurde nur der Antrag der „Fiji Medical Association“ angenommen.

Im Zusammenhang mit dem Aufnah- meantrag der „Slovak Medical Asso- ciation“ wurde eingewandt, diese an sich sehr alte und angesehene Vereini- gung umfasse nur Ärzte mit freiwilli- ger Mitgliedschaft. Der in der Slowa- kei bestehenden Ärztekammer hinge- gen gehören nur niedergelassene Ärz- te an. Mit dem Beschluß, die „Slovak Medical Association“ aufzunehmen, hat die WMA einer Organisation mit freiwilliger Mitgliedschaft den Vorzug gegeben – ob und in welcher Weise die in der Ärztekammer des Landes orga- nisierten Ärzte repräsentiert werden, bleibt offen. Die Diskussion über den Aufnahmeantrag der „Brazilian Med- ical Association“ trug eine weitere Nuance zum Thema bei: Mitglied war bisher das „Centro Medico Brazilero“, das offenbar nur eine Minderheit bra- silianischer Ärzte repräsentiert und daher aus der WMA auszuscheiden wünscht. Die „Medical Association“

vertritt eine größere Zahl brasiliani- scher Ärzte, von einer vollkommenen Repräsentanz kann allerdings wohl nicht gesprochen werden. Aus Ruß- land lagen dem Komitee Aufnahme-

anträge von immerhin drei Ärzteorga- nisationen mit unterschiedlichen Sta- tuten und unterschiedlichen Angaben zur Mitgliedschaft vor. Formal wurde dieses Problem sehr einfach dadurch bewältigt, daß den Antragstellern Be- obachterstatus eingeräumt wurde mit der weitergehenden Maßgabe, eine Dachgesellschaft zu gründen, die dann als Vertreterin Rußlands volle Mit- gliedschaft beantragen könne. In der Debatte wurde eingeräumt, daß sich der Weltärztebund auf die Angaben antragstellender Organisationen ver- lassen müsse, ohne die Möglichkeit, diese zu überprüfen. Hieraus kann man schließen, daß der Weltärztebund nur Organisationen

vertritt mit der Zahl der ihm gemelde- ten Mitglieder, für die Beiträge ent- richtet werden. Die- se Schlußfolgerung dürfte auch für Or- ganisationen aus den Staaten gelten,

deren Ärzte Pflichtmitglieder der Ärztekammern sind. Die vollmundi- gen Erklärungen bei Sitzungen des Weltärztebundes, der Verband vertre- te alle Ärztinnen und Ärzte dieser Welt, wird man wohl kritisch bewerten müssen.

Besondere Erwartungen knüpf- ten sich an die Verhandlungen der Ar- beitsgruppe „Medizinische Ethik“.

Die mit der Überarbeitung der Dekla- ration von Helsinki befaßte Arbeits- gruppe aus Vertreterinnen der ameri- kanischen, der kanadischen und der finnischen Mitgliedsorganisationen beachtet die Vorgaben, daß die Dekla- ration in Grundpositionen und Struk- tur nicht verändert werden soll. Unter Berücksichtigung dieser Gesichts- punkte wurden von einigen Mitglieds- organisationen bereits Änderungsvor- schläge eingereicht, unter denen die Stellungnahme der Bundesärztekam- mer wohl einen der vorderen Plätze einnehmen dürfte. Nach dem Eingang der erbetenen ausstehenden Kom- mentare wird die Arbeitsgruppe den Text der geltenden Fassung Punkt für Punkt auf vorgeschlagene Änderun- gen prüfen. Ein Zwischenergebnis soll bei der Sitzung des Council im Mai 2000 vorgetragen werden. Voraus- sichtlich wird es dann möglich sein,

den Vorschlag für eine novellierte Fas- sung der Deklaration einschließlich ei- ner Zusammenstellung der eingegan- genen Kommentare bei der General- versammlung im Oktober 2000 vorzu- legen. Ob es sich dabei dann um einen entscheidungsreifen Text handelt, oder einen, der den Mitgliedsorgani- sationen erneut zur Diskussion vorge- legt werden muß, bleibt abzuwarten.

Im Hinblick auf die zurückliegenden, sehr kontroversen Erörterungen fand das geplante Vorgehen der Dreier- gruppe nachdrücklichen und berech- tigten Beifall.

Im Rahmen der allgemeinen Ver- handlungen wurde Prof. Dr. Tsuboi, Japan, zum „Presi- dent Elect“ ge- wählt. Außerdem wurde die Auffor- derung an alle Me- dizinischen Fakul- täten akzeptiert, Vorlesungen über medizinische Ethik und Menschen- rechte als verpflichtende Lehrveran- staltung einzuführen.

Die wissenschaftliche Sitzung, dem Thema „Fragen und Antworten zum menschlichen Leben und zum menschlichem Genom“ gewidmet, wurde von Vortragenden gestaltet, die, von wenigen Ausnahmen abgese- hen, hohen Zuspruch fanden und als wissenschaftlich ausgewiesen gelten können. Daher konnte die Veranstal- tung eine ungewöhnlich hohe Zahl von Teilnehmern anziehen. Zum Vor- trag des ersten Referenten, eines ge- wiß „hochkarätigen“ Wissenschaftlers des Weizmann-Instituts (Israel) muß kritisch angemerkt werden, daß er zur Erarbeitung und Nutzung wissen- schaftlicher Daten im weitesten Sinne des Wortes einen Standpunkt vertrat, der, jedenfalls aus Sicht insbesondere europäischer Delegierter, als zu sorg- los, zu naiv, ja ethisch bedenklich an- gesehen wurde. Sein Fazit, man solle zunächst Forschung betreiben – dies gelte ausdrücklich auch für das Vorha- ben in Island – und sich dann überle- gen, welche rechtlichen, welche ethi- schen Überlegungen anzustellen sei- en, stieß jedenfalls auf erhebliche Bedenken. Demgegenüber vertraten Redner aus dem Silbermann-Institut (Israel) sowie aus der Abteilung für

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Die Erklärungen, der Weltärz- tebund vertrete alle Ärztinnen und Ärzte dieser Welt, wird man wohl

kritisch bewerten müssen.

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or allem zwei Gesetze regeln in Deutschland den Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens: das Embryonenschutzgesetz (ESG) und der § 218 f. StGB. Ersteres schützt die befruchtete Eizelle bis zur Implantation, also etwa die ersten 14 Tage nach Befruchtung, wie einen erwachsenen Menschen. Begründet wurde das Embryonenschutzgesetz stets mit dem besonderen morali- schen Status des menschlichen Em- bryos, nicht mit den unerwünsch- ten Folgen der Embryonenforschung.

§ 218 StGB hingegen läßt weitgehende Ausnahmen vom Schutz des ungebo- renen Lebens zu: zunächst einmal den Intrauterinpessar, die Spirale, und die hormonellen Nidationshem- mer, die „Pille danach“. Beide berau- ben die befruchtete Eizelle einer etwa 30prozentigen Überlebenschance, in- dem sie eine Implantation verhin- dern. Denn mit dieser Wahrschein- lichkeit würde aus der befruchteten Eizelle ein Neugeborenes.

Ausnahmen vom Tötungsverbot

Die Spirale und die hormonellen Nidationshemmer sind gesellschaft- lich weitestgehend akzeptiert und noch nicht einmal Gegenstand kon- troverser Diskussionen. Verglichen mit dem Embryonenschutzgesetz, er- geben sich allerdings Zweifel, ob bei- de tatsächlich akzeptabel sind. Mit beiden Verhütungsmitteln geschieht, was das Embryonenschutzgesetz strikt unter Strafe stellt. Wenn man ei- ne Schwangerschaft mit der Ver-

schmelzung von Samen- und Eizelle beginnen läßt, dann stimmt die Be- zeichnung „Frühabtreibungsmittel“

anstatt „Verhütungsmittel“ durchaus.

Zudem ist die Spirale nicht das einzige Verhütungsmittel; es gibt andere, die vor der Befruchtung einsetzen.

Neben der erlaubten Spirale und den hormonellen Nidationshemmern gewährt die neue Regelung des § 218 StGB Straffreiheit bei einem Abbruch bis zum dritten Monat nach Konzepti- on, wenn zuvor eine Beratung stattge- funden hat. Faktisch entspricht dies ei- ner Fristenregelung. Zudem erlaubt die Neuregelung eine Abtreibung bis zum Schwangerschaftsende bei „Ge- fahr einer schwerwiegenden Beein- trächtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren“. Der geltende § 218 StGB treibt einerseits Ärzte in unlös- bare Konflikte, wenn sie überlebens- fähige Feten abtreiben sollen. Ande- rerseits ist er, verglichen mit dem Em- bryonenschutzgesetz, geradezu freizü- gig. Vor allem die faktische Fristenre- gelung bis zum dritten Monat stuft das Lebensrecht des ungeborenen Fetus erheblich geringer ein als das Embryo- nenschutzgesetz, das keine Ausnah- meklauseln enthält.

Es mangelt indes nicht an Versu- chen, doch noch Widerspruchsfreiheit zwischen den Regelungen zu unter- stellen. Sie bemühen zumeist die Ar- gumentation der „Kontextsensiti- vität“: Grundsätzlich sei das ungebo- rene Kind zu schützen wie erwachse- nes menschliches Leben, aber der Kontext müsse berücksichtigt wer- den, und der sei bei einem Schwanger- schaftskonflikt ein ganz besonderer.

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND/AUFSÄTZE

Ungeborenes Leben

Widersprüchliche Regelungen

Die unterschiedlichen Auffassungen zum Lebensrecht des Embryos lassen sich nicht miteinander vereinbaren.

V

Urban Wiesing

genetische Forschung und molekulare Physiologie und Pathologie INSERM (Frankreich) den Standpunkt, daß Forschung an sich zwar grundsätzlich wertfrei sei, der Forscher aber die moralische Verantwortung für seine Tätigkeit und für die Nutzung seiner Ergebnisse trage. Sie trugen einige Konstellationen vor, in denen das Klo- nen eines Menschen denkbar sei, zum Beispiel wenn Eltern sich nach dem Tod eines Kindes genau dieses Kind wieder wünschen. Einhellig lehnten beide Redner in überzeugenden per- sönlichen Erklärungen in diesen und ähnlichen denkbaren Fällen das Klo- nen des Menschen ab. Sie wiesen im übrigen darauf hin, daß die Probleme im Zusammenhang mit „Dolly“ und weiteren klonierten Tieren, zum Bei- spiel eine perinatale Mortalität von 44 Prozent aus bisher nicht eindeutig be- kannten Gründen, weiterer Klärung bedürfen. Auch der Appell der Red- ner, Fragen im Zusammenhang mit dem Klonen müßten im Rahmen einer großen, Wissenschaft, Ethik und Reli- gion umfassenden Debatte geklärt werden, verfehlte seinen Eindruck nicht. Den religiösen Gesichtspunkten im Zusammenhang mit dem Thema

„Genetik“ waren weitere bemerkens- werte Vorträge gewidmet. Ein Rabbi- ner, Leiter des „Department of Jew- ish Law and Medical Ethics“ des

„Religious Council“ in Jerusalem, leg- te in dialektisch bemerkenswerter Weise dar, daß das Klonen eines Men- schen nach dem jüdischen Glauben grundsätzlich möglich, nach der Thora jedenfalls nicht ausdrücklich verboten sei. Für den jüdischen Glauben, für das jüdische Recht offenbar besonders gewichtige Probleme ergeben sich im Hinblick auf die Frage der Vaterschaft eines klonierten Menschen.

Immerhin sah sich eine Vertrete- rin des israelischen Justizministeri- ums veranlaßt, in der Diskussion mit- zuteilen, daß nach geltendem israeli- schen Recht das Klonen eines Men- schen verboten ist. Aus katholischer Sicht wurden entsprechende Verlaut- barungen des Papstes und des Vati- kans vorgetragen, die, nicht zuletzt im Hinblick auf die präzisen Ausführun- gen des Redners, tiefen Eindruck hin- terließen, auch bei Hörern, die erkenn- bar anderen Auffassungen folgten.

Prof. Dr. med. Elmar Doppelfeld

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Doch die Versuche, das unter- schiedliche Regelwerk zu verteidigen, sind mißraten, weil ganz ungewöhnli- che Ausnahmen vom Tötungsverbot gebilligt werden. Das könnte man für die mütterliche Indikation noch nach- vollziehen, wenn mütterliches gegen kindliches Leben steht, für andere In- dikationen aber nicht. Vor allem die immer wieder herangezogene Argu- mentation der unzumutbaren Bela- stung ist nicht überzeugend. Denn in jedem anderen Zusammenhang wür- de eine solche Argumentation abge- lehnt.

Der Gedanke, erwachse- ne Menschen töten zu dürfen, weil anderen die „Gefahr ei- ner schwerwiegenden Beein- trächtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheits- zustandes“ droht, wider- spricht allen sonstigen Über- zeugungen, vor allem wenn es um Menschen geht, die tatsächlich eine Belastung darstellen können, zum Bei- spiel chronisch Kranke. Es gibt keine sonstige Phase im erwachsenen menschlichen Leben, bei der eine Tötung selbst in einer extremen Kon- fliktsituation nach vorheriger Beratung straffrei bliebe. Das Lebensrecht von Erwachsenen wird eben nicht durch Verweis auf die Un- zumutbarkeit der Belastungen einge- schränkt.

Optionen

Welche Möglichkeiten ergeben sich, auf diese Situation zu reagieren?

1. Option:Man ändere gar nichts!

Man lebe mit diesen Widersprüchen weiter. Konsistente Regelungen bri- santer und interessengeprägter Berei- che gehören allemal zu den Ausnah- meerscheinungen menschlichen Zu- sammenlebens. Für eine Toleranz der Widersprüche spricht auch, daß ein mühsam gefundener politischer Kom- promiß nicht erneut zur Diskussion stehen würde.

2. Option: Uneingeschränktes Lebensrecht ab der Verschmelzung von Samen- und Eizelle

Als zweite Möglichkeit, auf die Widersprüchlichkeiten zu reagieren,

ergäbe sich, auf dem uneingeschränk- ten Lebensrecht des ungeborenen menschlichen Lebens ab der Ver- schmelzung von Samen- und Eizelle zu beharren und keine neuen Ausnah- men vom Tötungsverbot zuzulassen.

Dieses Vorgehen kann mit der Zu- stimmung wichtiger Institutionen rechnen. Die beiden großen Kirchen und das Bundesverfassungsgericht werden diesem Grundsatz beipflich- ten. Man hätte einen hohen Wert, den des menschlichen Lebens, auf alle Mitglieder der Gattung erweitert und

in angemessene praktische Regelun- gen umgesetzt. Man wäre einen siche- ren Weg gegangen, der Anfechtungen wichtiger Überzeugungen gar nicht erst aufkommen ließe.

Die andere Seite dieser konse- quenten Vorgehensweise wäre aller- dings offenkundig: 1. Das ESG müßte bleiben, wie es ist, sehr zum Unmut der Forscher, die es gerne aufweichen würden. 2. Die „Pille danach“ und ins- besondere die Spirale müßten voll- ständig verboten werden, vor allem weil letztere elektiv genutzt wird. 3.

Der § 218 StGB dürfte allenfalls die

„mütterliche“ Indikation erlauben, al- so die seltene Situation, daß mütterli- ches Leben gegen kindliches Leben steht. Sofern der Schutz des ungebo- renen menschlichen Lebens mit dem des erwachsenen menschlichen Le- bens gleichgesetzt wird, können wei- tere Ausnahmen nicht zugelassen werden.

Die Argumente im Zusammen- hang mit der Selbstbestimmung der

Frau wären in diesem Fall nicht zu berücksichtigen, denn die Selbstbe- stimmung eines Menschen dürfte nicht das Lebensrecht eines anderen Menschen beschneiden. Wenn das Tötungsverbot mit der gleichen Kon- sequenz wie bei Erwachsenen einge- halten werden soll, dann sind, bis auf die „mütterliche“ Indikation, keine Argumente in Sicht, die das Aufbre- chen des Tötungsverbotes rechtferti- gen könnten.

Eine solche Regelung würde hef- tigsten Protest hervorrufen, vor allem von seiten der Frauen, und mühsam erstrittene Rechte in Frage stellen. Ein häufig ge- nutztes Verhütungsmittel wä- re zu verbieten – allein das ist wohl nicht realisierbar. Die Zahl der illegalen und unsach- gemäßen Abtreibungen und der „Abtreibungstourismus“

würden steigen; das wäre zwar kein überzeugendes mo- ralisches Gegenargument, je- doch eine höchst unerwünsch- te Begleiterscheinung.

3. Option: Abgestuftes Lebensrecht für ungeborenes menschliches Leben

Man hat in dieser Situati- on vorgeschlagen, dem unge- borenen menschlichen Leben ein abgestuftes Lebensrecht oder ein uneingeschränktes Lebensrecht erst ab einer bestimmten Stufe der Ent- wicklung zuzuschreiben. Zumeist wird eine neue Stufe der Schutzwür- digkeit mit bestimmten Fähigkeiten des Embryos verknüpft.

Abgestufter Lebensschutz

Unter dieser Prämisse wäre leich- ter zu begründen, was längst prakti- ziert wird. Die Entwicklungsstufe des Embryos fließt faktisch in die Ent- scheidungen über einen Schwanger- schaftsabbruch ein. Wie sonst ließe sich die Dreimonatsfrist begründen?

Zudem käme eine solche Regelung den Intuitionen vieler Bürger näher.

Die Intuition gegenüber einer be- fruchteten Eizelle und einem erwach- senen Menschen ist häufig unter- schiedlich. Inwieweit allerdings der Verweis auf Intuitionen als morali- sches Argument zu gelten hätte, blie-

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Leben Ungebor

enes

Themen der Zeit

Widersprüchliche

Regelungen

Widersprüchliche

Regelungen

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be zu erörtern. Er wäre allenfalls ein schwaches Argument.

Für den Staat wäre die Option des abgestuften Lebensschutzes am- bivalent. Das Grundgesetz sieht sie für Menschen nicht vor. Wenn sich je- doch der uneingeschränkte Lebens- schutz ab befruchteter Eizelle nur als religiös begründbar erweisen sollte, könnte der Staat durch einen abge- stuften Lebensschutz für menschli- che Embryonen seinem immer wie- der betonten Anspruch gerecht wer- den, säkular und liberal zu sein. Eine solche staatliche Regelung würde freilich von anderen, religiös begrün- deten Überzeugungen ein nicht un- beträchtliches Maß an Toleranz ein- fordern.

Praktisch würde diese Option be- deuten: Das ESG steht auf dem Prüf- stand, es sei denn, man be-

kennt sich zu einem Verbot der Embryonenforschung, weil man diese Wissenschaft und ihre Ergebnisse nicht will. Dabei läuft man aller- dings Gefahr, eine Doppel- moral zu verfolgen, wenn man gleichzeitig die Resulta- te der Embryonenforschung aus dem Ausland importiert und nutzt. Die Spirale und die „Pille danach“ könnten weiterhin genutzt werden.

Der § 218 StGB müßte allen- falls in der mißratenen „me- dizinischen Indikation“ re- formiert werden. Insbeson- dere die Frage, inwieweit die technisch unterstützte Über- lebensfähigkeit eines Fetus außerhalb des Mutterleibes

sein Lebensrecht beeinflußt, müßte überdacht werden. Die häufigste An- wendung des § 218 StGB, die inner- halb der Dreimonatsfrist, ließe sich besser als derzeit begründen. Alles das sind jedoch keine eigentlichen moralischen Einwände. Es bedeutet nur: Der gegenwärtige § 218 StGB sowie die Nutzung der Spirale und der hormonellen Nidationshemmer wären unter der Prämisse eines abge- stuften Lebensrechtes erheblich weni- ger bedenklich.

Die immer wieder von Frauen vorgetragenen Argumente der Selbst- bestimmung könnten in die Abwä- gung einbezogen werden. In der zwei-

ten Option stehen sie nicht als Abwä- gungsgründe zur Debatte, weil das Lebensrecht des Embryos – bis auf die Notwehrsituation – wie beim Erwach- senen nicht verhandelbar ist. Die Selbstbestimmung der Frauen wäre bei einem abgestuften Lebensrecht des Embryos kein Argument zweiter Ordnung, sondern könnte in die Ab- wägung einfließen.

Die Option des abgestuften Le- bensrechtes wäre allerdings mit so gravierenden Schwierigkeiten behaf- tet, daß auch sie unrealistisch er- scheint. Die Kirchen und das Bundes- verfassungsgericht würden mit Ge- wißheit widersprechen. Es ist über- dies nicht damit zu rechnen, daß alle Moralphilosophen dieser Option zu- stimmen würden. Nicht nur die theo- logisch orientierte Philosophie, auch

säkulare Richtungen betonen die be- sondere Schutzwürdigkeit menschli- chen Lebens ab der Konzeption und würden vehement gegen einen sol- chen Vorschlag protestieren.

Zudem begibt man sich auf ein argumentativ schwieriges Gebiet.

Man müßte nach Kriterien suchen, die die Abstufungen des Lebensrechts begründen. Die Frage, welche Fähig- keiten (zum Beispiel Schmerzempfin- den, Bewußtsein) welche Schutzwür- digkeit gewähren, müßte geklärt wer- den. Gewiß, eine langwierige und äußerst kontroverse Diskussion stün- de bevor. Auch wenn man sich grund- sätzlich auf ein abgestuftes Lebens-

recht einigen würde, bliebe man von den Schwierigkeiten einer konkreten Festlegung noch lange nicht ver- schont.

Am Ende einer solchen Zuwei- sung stünden überdies sorgsam ge- pflegte Normen in anderen Berei- chen auf dem Prüfstand. Wenn die Schutzwürdigkeit eines Lebewesens – egal ob Mensch oder Tier – an seine Fähigkeiten wie zum Beispiel Schmerz- empfinden oder Bewußtsein geknüpft wird, dann dürfte das Verhalten ge- genüber Tieren neu zu bedenken sein.

Und es wäre zu klären, wie mit Men- schen ohne besagte Eigenschaften im Erwachsenenalter umzugehen ist, al- so beispielsweise mit komatösen Pati- enten.

Gibt es eine Möglichkeit, aus al- len drei Optionen eine Mischung zu gestalten? Nein! Eine Kom- bination aus vollständigem Lebensrecht ab Befruchtung und abgestuftem Lebens- recht gibt es nicht – es wäre sofort ein abgestuftes Le- bensrecht. Gleichwohl ist es nur realistisch anzunehmen, daß sich in der entscheiden- den Frage keine Einigkeit erzielen läßt. Man mag es be- dauern, aber es ist nicht da- mit zu rechnen, daß die un- terschiedlichen Auffassun- gen in der Frage „Vollständi- ges Lebensrecht ab Befruch- tung oder abgestuftes Le- bensrecht?“ einem Konsens zuzuführen sind. Die politi- sche Aufgabe besteht folg- lich darin, juristische Rege- lungen zu finden, die einer- seits die Toleranz der Gegenpartei einfordern, ohne sie zu überfordern, und die andererseits untereinander ein gewisses Maß an Konsistenz für sich beanspruchen können.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-3163–3166 [Heft 49]

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr.med. Dr. phil. Urban Wiesing Lehrstuhl für Ethik in der Medizin Universität Tübingen

Keplerstraße 15 72074 Tübingen

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Fetus in der 18. Woche p. c.: Die Körperform ist schon vollständig entwickelt,

die Verknöcherung beginnt. Foto: Archiv

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