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Archiv "Ungelöste Probleme bei der Inkorporierung von radioaktiven Substanzen" (11.07.1986)

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(1)

Aktuelle Medizin

Zur Fortbildung

Ungelöste Probleme

bei der Inkorporierung von radioaktiven Substanzen

Emil Heinz Graul 1 Aus der Abteilung für Environtologie und Nuklearmedizin (Direktor: Professor Dr. med.

Dr. rer. nat. Emil Heinz Graul) der Philipps-Universität Marburg

D

ie nuklearmedizinische und radiobiologische Bewertung inkorporierter radioaktiver Sub- stanzen, insbesondere von radio- aktiven Spaltprodukten, ist nicht erst seit Tschernobyl ein bisher ungelöstes Problem, vor allem dann, wenn es sich um geringe Mengen solcher Substanzen han- delt. Die Beurteilung der damit verbundenen Einzelfragen sind ei- ne Herausforderung an die radio- biologische und nuklearmedizini- sche Grundlagenforschung.

Bei den Fragen nach möglichen Schädigungen durch den radioak- tiven Fallout (Niederschlag) aus der sogenannten „Tschernobyl- Wolke" spielt die Inkorporierung radioaktiver Spaltprodukte in den menschlichen Organismus eine Schlüsselrolle. Deshalb soll sine ira et studio über das aktuelle Ta- gesgeschehen hinaus das Inkor- porierungsproblem einer wissen- schaftlichen Analyse unterzogen werden mit dem Ziel, festzustellen, was wir wissen und welche Fragen wir zur Zeit nicht beantworten können.

Das Problem der Strahlenexposi- tion durch langlebige, in den Or- ganen fest gebundene Radionukli- de ist bis heute noch nicht gelöst.

Die zur Verfügung stehenden hu- manmedizinischen Daten reichen nicht aus, das „Restrisiko" nach Inkorporierung kleinster Aktivi- tätsmengen abzuschätzen. Denn zu viele Einzelprobleme müssen noch geklärt werden. Deshalb ist jede Art der Extrapolierung auf diesem Gebiet reine „Schätzome- trie". Auch das Problem einer wirksamen Dekorporierungsthera- pie ist zur Zeit noch ungelöst. The- rapeutische Ansätze sind • bisher über das Stadium der Tierexperi- mente nicht hinausgekommen.

Welche Informationen werden gebraucht?

Die Radioaktivität eines Radionu- klids wird in Becquerel (Bq) ge- messen. Es ist ein physikalisches Maß und gibt an, wieviel Atom- kernzerfälle pro Sekunde stattfin- den (1 Bq = 1 Zerfall/Sekunde).

Die so in Bq gemessene Radioakti- vität besagt noch gar nichts über eventuell dadurch bedingte radio- biologische Wirkungen. Um diese beurteilen zu können, müssen mehr Informationen vorliegen:

Welches Radionuklid zerfällt?

C) Welche Strahlung tritt auf?

® Wie wird das Radionuklid in- korporiert?

® Wie verhält sich das Radionu- klid nach Inkorporierung im Orga- nismus? (Nuklidkinetik)

® Liegen Kumulierungen im be- stimmten Organ vor? (Kritisches Organ)

C) Welche physikalische Halb- wertszeit weist das Radionuklid auf?

C) Wie sind die biologischen Halbwertszeiten zu beurteilen?

® Welche effektive Halbwertszeit resultiert schließlich daraus?

Erst dann kann man mit den Ab- schätzungen über Dosis und Strah- lenbelastung beginnen. Auch im Tschernobyl-Fallout liegt ein Spalt- produktgemisch vor, wovon bisher mindestens zehn Radionuklide ra- diochemisch und meßtechnisch charakterisiert worden sind, darun- ter Jod-131 (V) und Strontium-90 (°Sr)38 1 Bq 1 2IJ mit 1 Bq 3'°Sr zu ver- gleichen, wäre ebenso abwegig wie der Vergleich von 1 kg Sand mit 1 kg Pfirsichen.

Bei der Kernspaltung von Uran und Plutonium brechen diese Ker- ne nicht etwa in zwei Hälfen aus- einander, sondern es entsteht ein Gemisch von Spaltprodukten, wo- von wiederum der größte Teil ra- dioaktiv ist. Es bilden sich radioak- tive Spaltprodukte mit äußerst kur- zen physikalischen Halbwertszei- ten (HWZp) im Nano-Sekundenbe- reich (10 -9 sec), aber auch solche, die Halbwertszeiten von 30 Jahren und mehr aufweisen. Schließlich entstehen durch Kernaufbaureak- tionen auch Transurane wie Pluto- Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 28/29 vom 11. Juli 1986 (41) 2013

(2)

Einheiten Umrechnung SI-Einheit:

Becquerel (Bq) 1 Bq = 1 Zerfall/s alte Einheit:

Curie (Ci)

1 Bq = 2,7 x 10-11 Ci

1 Ci = 3,7 x 10 1° Bq Aktivität

SI-Einheit:

Gray (Gy) 1 Gy = 100 rd 1 Gy = 1 Joule/kg

alte Einheit:

Rad (rd) 1 rd = 0,01 Gy Energiedosis

SI-Einheit:

Sievert (Sv) 1 Sv = 1 Joule/kg alte Einheit:

Rem (rem)

1 Sv = 100 rem

1 rem = 0,01 Sv Äquivalentdosis

SI-Einheit:

Coulomb/kg alte Einheit:

Röntgen (R)

1 C/kg = 3876 R 1 R = 2,58 x 10 - C/kg lonendosis

Tabelle 1: Radiologische Einheiten*)

*) Anfang des Jahres haben neue Einheiten die bisher üblichen Einheiten für Aktivität, Energie-, Äquivalent- und lonendosis endgültig ersetzt. Es handelt sich um abgeleitete SI-Einheiten, die mit eigenen Namen versehen sind.

Inkorporierte radioaktive Substanzen

nium-Radionuklide, deren HWZp etwa 24 000 Jahre und mehr betra- gen. Uns beunruhigen vor allem die langlebigen Spaltprodukte, al- so solche mit großen HWZp wie Cäsium-137 ( 1 giCs), Strontium-90 (Sr) und das Plutonium-239 (2 Pu), da diese Radionuklide zu- gleich eine lange biologische Halbwertszeit (HWZb) haben und damit gemäß der folgenden For- mel zu langen effektiven Halb- wertszeiten (HWZeff) führen:

HWZeff = HWZp.HWZb HWZp + HWZb Für uns Mediziner ist also die HWZeff entscheidend, weil sie uns erste Einblicke in die daraus resul- tierende Strahlenexposition gibt, denn logischerweise können nur die Radionuklide biologisch wirk- sam werden, die sich zum Zeit- punkt ihres Zerfalls im Körper be- finden.

Hierzu ein Beispiel: 92Sr zerfällt un- ter Emission von (3-Teilchen mit ei- ner HWZp von etwa 28 Jahren (a) in das Tochternuklid Yttrium-90 (Y). Danach berechnet sich für Sr die effektive HWZ auf etwa 18

38

Jahre, da als biologische HWZ 18 250 Tage (d) für das kritische Organ (Skelettsystem) angenom- men werden.

Vergleicht man diese HWZeff mit der von igp (HWZp = 8 d, HWZb = 140d) mit etwa 7,6 Tagen (kriti- sches Organ: Schilddrüse), so wird deutlich, wie unterschiedlich die Strahlenwirkungen auf diese Organe sein müssen.

Das Radio-Jod-Problem

Eine große Rolle spielt die HWZeff bei der Dosisberechnung mittels komplizierter Formeln (zum Bei- spiel die Marinellische Gleichung,

vergleiche ad-hoc-Glossar im Deutschen Ärzteblatt 1986, Heft 22, Seite 1623). Für ß- und y-Strah- len können in erster Näherung die Dosen Gray mit Sievert bezie- hungsweise rad mit rem gleichge- setzt werden (Tabelle 1).

Uns Mediziner interessiert das Maß Sv, weil es Auskunft über die radiobiologische Wirkung einer Strahlung gibt. Zum Beispiel sind beim 12,,J ((3-,y-Strahler) 1 p.Ci (3,7 x 104 Bq) mit ungefähr 10 mSv (1000 mrem) äquivalent. Trinkt ein Mensch einen Liter Milch, die mit 500 Bq radioaktiv verseucht ist, und nimmt man weiter an, daß die- se Radioaktivitätsmenge zu 100 Prozent in der jodaviden Schild- drüse angereichert wurde, dann beträgt die Strahlenexposition dieses kritischen Organs etwa 0,15 mSv (15 mrem).

Auch diese konkrete Zahl kann uns nur etwas sagen, wenn wir Vergleiche haben. In einer Lang- zeitstudie wurden über 11 000 Pa- tienten in der Jod-131-Ära bei der Schilddrüsenuntersuchung 25 bis 50 j1Ci appliziert. Die Schilddrüsen dieser Patienten wurden also mit 250 bis 500 mSv (25 000 bis 50 000 mrem) exponiert. Die Studie hat bisher gezeigt, daß durch solche Strahlendosen keine Schilddrü- senkarzinome induziert worden sind. Allerdings kann es sich hier nur um eine vorläufige Aussage handeln, da strahleninduzierte Karzinome Latenzzeiten zwischen 15 und 50 Jahren aufweisen.

Bei welchen Aktivitätsmengen be- ziehungsweise Dosen ist mit strah- leninduzierten Schilddrüsenkreb- sen überhaupt zu rechnen? Durch Fallout induzierte Schilddrüsen- karzinome wurden bei den Mar- shall-lnsulanern beobachtet, de- ren Inseln, insbesondere das Ron- gelap-Atoll, nach dem Atomtest auf dem rund 170 km entfernten Bikini-Atoll durch Explosion einer Wasserstoffbombe (mit Kernspalt- zünder) durch radioaktive Nieder- schläge kontaminiert wurden. Die- ser Fallout verseuchte Luft, Boden sowie Flora und Fauna der Inseln.

(3)

Tabelle 2: Schilddrüsenuntersuchung bei 251 Marshallesen, die nach dem Atombombentest dem radioaktiven Fallout ausgesetzt waren

Sifo in utero unter 10 10 bis 18 über 18

alle Altersstufen

6,1 11,0

4,1 6,7 0,079

0,50 0,92 2,7 4,2

0,026 0,17 0,15 0,21 0,56

0 0

2 0

4 0

6 0

1 7

0,026 0,18 0,98 1,2

0,0087 0,061 0,075 0,15

8 56 19 84 167

0 4 4 9 17

0 1 2 1 4

0,21 1,5 1,4 7,5 11

0,070 0,49 0,24 0,58 1,4

12 82 31 126 251

2 21 7 16 46

0 2 3 3 8

0,32 2,2 2,3 11 16

0,10 0,72 0,39 0,87 2,1 Alter zum

Zeitpunkt der Exposition

Gesamt- Knoten*) Knoten mit

zahl Karzinomen

erwartete erwartete Knoten - ) Karzinome**)

mittlere absorbierte Dosis in Gray

Rongelap in utero unter 10 10 bis 18 über 18

alle Altersstufen

6,4 40,0 17,0 13,0 21,0

Utririk in utero unter 10 10 bis 18 über 18

alle Altersstufen alle Exponierte in utero

unter 10 10 bis 18 über 18

alle Altersstufen

1,3 4,9 2,2 1,7 2,8

2,9 14,0 7,9 4,7 8,0 3

19***) 12 31 65

2 15 3 3 23

0 1 1 2 4

*) einbezogen auch einige nicht chirurgisch behandelte Fälle

**) basierend auf der Häufigkeit bei nicht exponierten Marshallesen

**") nicht berücksichtigt sind 2 Jungen mit Schilddrüsenatropie Die Insulaner wurden bis zur Eva-

kuierung 48 Stunden diesem Fall- out ausgesetzt. Sie wurden y-be- strahlt durch die auf dem Boden abgelagerten Spaltprodukte. Die Haut der Menschen wurde kon- taminiert (für Hautschäden sind vor allem die (3- und a-Strahlen der radioaktiven Spaltprodukte maß- gebend).

Schließlich wurden die Spaltpro- dukte via Inhalation und durch verseuchte Nahrungsmittel (bio- zyklische Anreicherung über Nah- rungskette) über den Magen- Darm-Trakt inkorporiert. Diese verschiedenen Arten der Strahlen- exposition komplizieren die Ab-

schätzung der empfangenen Strahlendosen, sowohl was die Ganzkörperdosis als auch die Or- gandosis anbetrifft und speziell die Strahlenbelastung der Schild- drüse durch Radiojod.

Zur Abschätzung dieser Strahlen- belastungen sind komplizierte Re- chenmodelle aufgestellt worden.

In Tabelle 2 sind die Ergebnisse der Schilddrüsenuntersuchungen bei 65 exponierten Marshallesen des Rongelap-Atolls zusammen- gestellt. Die Ganzkörperdosis be- trug 1,72 Sv (172 rem.). Die Schild- drüsendosen lagen zwischen 3,34 und 18 Sv, das entspricht einer Ak- tivität von rund 10 7 Bq. Trotz des

Einsatzes komplizierter Meß- und Berechnungsmethoden sind die Werte als „Schätzungen" anzuse- hen. Jedoch dürften die errechne- ten Dosen mit den tatsächlichen

Expositionswerten wenigstens in der Größenordnung übereinstim- men.

Vergleicht man diese Zahlen mit den Werten, die bei uns nach Tschernobyl gemessen wurden, so sieht man, daß die Schilddrü- sendosen der Marshallesen um den Faktor 104 bis 105 höher lagen.

Beurteilen wir die Ergebnisse vom Rongelap-Atoll, so muß festge- stellt werden, daß für alle Alters- 2016 (44) Heft 28/29 vom 11. Juli 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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Radium Strontium Plutonium Polonium Cer-Praseodym Yttrium Inkorporierte radioaktive Substanzen

gruppen im Schnitt nach Einwir- kung von 20 Sv (2000 rem) bei rund 42 Prozent der Insulaner 20 bis 25 Jahre nach der radioaktiven Kontamination Schilddrüsentu- moren aufgetreten sind, (Schild- drüsenkarzinome und Schilddrü- senknoten).

Histologisch gesichert werden konnten nur vier Karzinome; das sind sechs Prozent der Exponier- ten. Interessant ist auch der Ver- gleich zwischen den vier nachge- wiesenen und den epidemiolo- gisch normalerweise zu erwarten- den 0,56 Karzinomen. Danach war

von 60 Millionen Exponierten Spontantumoren in der Größen- ordnung von 600 000 Fällen zu er- warten sind, müßten insgesamt 605 000 Karzinome zu erwarten sein.

Bewußt wurde mit diesen auf den Marshall-Inseln erhobenen Zahlen jongliert, um zu zeigen, was pas- siert, wenn man an einem kleine- ren Kollektiv erhobene Befunde nach oben oder unten extrapo- liert, vor allem, wenn man nicht weiß, ob und in welchem Ausmaß im Niedrig-Dosis-Bereich bionega- tive Wirkungen auftreten.

ist unseriös. Wir müssen schlicht feststellen, daß noch erhebliche Wissenslücken bestehen. So ist es nicht verwunderlich, daß Behaup- tungen im Raume stehen, die ra- dioaktiven Niederschläge aus dem fernen Tschernobyl würden zu Späteffekten (Leukämien, Karzi- nomen und Sarkomen) führen, und es würden — je nach radiobio- logischen Ansätzen — 50 bis meh- rere hunderttausend Menschen al- lein in der BRD sterben.

Das hat nichts mehr mit Wissen- schaft zu tun, sondern kann nur als spekulative „Schätzometrie"

Abbildung 1: Ma- kroautoradiographi- sche Darstellung des Verteilungsmu- sters verschiedener inkorporierter Ra- dionuklide im Kno- chen und Knochen- mark. Man sieht, daß die gemeinhin als Knochen-affine Substanzen einge- stuften Radionukli- de unterschiedliche Verteilungsmuster aufweisen. So ge- hen Radium und Strontium in die knöcherne Sub- stanz, während Plu- tonium sowohl dort als auch im Kno- chenmark gefunden wird

im Kollektiv (65!) die Krebsinzi- denzrate immerhin siebenfach hö- her als in normalen Fällen.

Versucht man diese Zahl gegen Null zu extrapolieren, dann kommt man größenordnungsmäßig auf 5000 Karzinome für ein Kollektiv von 60 Millionen Menschen (das entspricht der Bevölkerung der BRD). Dabei nimmt man an, daß in einem Kollektiv von 65 Menschen bei Einwirkung von 1 mSv (100 mrem) rechnerisch etwa 0,005 Krebsfälle auftreten.

Da aber nach den Angaben aus dem Marshall-Kollektiv nach Hochrechnung auf ein Kollektiv

Jeder Wissenschaftler ist im Be- reich der Dosen, die in der Grö- ßenordnung des natürlichen Strahlenpegels von etwa 2 mSv (200 mrem) pro Jahr liegen, auf Hypothesen angewiesen und

„mißbraucht", nolens volens, das uns heute zur Verfügung stehende Zahlenmaterial.

Auch heute ist noch völlig offen, ob im Background-Bereich eine Linearität der Dosis-Effekt-Kurven besteht, ob es Schwellendosen gibt, unterhalb derer keine Effekte auftreten und so weiter.

Wer hier Annahmen macht und diese als „Wissenschaft" verkauft,

bezeichnet werden. Von Natur aus hat jeder Mensch natürlich vor- kommende Radionuklide im Kör- per, Radium ( 22Ra) und Zerfalls- produkte, Kalium (;SK), Radio- Kohlenstoff ( 1tC), Tritium (>1), um nur die wichtigsten zu nennen. Da- zu kommen langlebige radioaktive Spaltprodukte, welche wir bereits inkorporiert haben, die aus dem globalen Fallout der Atomwaffen- tests vor allem der 50er Jahre stammen.So wurde beispielsweise im menschlichen Skelettsystem das knochenaffine Spaltprodukt

38

Sr bereits 1956/57 auch in Deutschland nachgewiesen (Grö- ßenordnung: 1 x 10-12 Ci pro Gramm Calcium).

(5)

Abbildung 2: Verteilungsmuster von Radium-Strontium (als Strontiumchlorid intraperitoneal injiziert) vier Stunden (links), drei Ta- ge (Mitte) und 14 Tage (rechts) nach Injektion. Die Änderung des Verteilungsmusters wurde mittels Makroautoradiographie und Röntgenbild verfolgt. Es ist deutlich zu erkennen, wie sich das Strontium-90 genauso wie das sich ähnlich verhaltende Calcium dort anreichert, wo Knochenum- und -anbauvorgänge stattfinden. Vor allen Dingen sieht man subepiphysäre Konzentrierung des Radionuklids (rechts); nota bene: da Mäuse Nagetiere sind, findet man auch eine starke Anreicherung im Kopfbereich (Zähne)

Das Strontium-90-Problem

Bereits 1958 publizierten wir im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT unter dem Titel „Das spekulative Stron- tium-90-Problem" Fragen der In- korporationsprobleme von langle- bigen knochenaffinen Substanzen im Anschluß an eigene tierexperi- mentelle Versuche mit 103Sr-Appli- kation. Liest man den Artikel heu- te, dann muß mit Erstaunen fest- gestellt werden, daß diese Arbeit mit kleinen Korrekturen in ihren wesentlichen Aussagen auch heu- te, 28 Jahre danach, im wesent- lichen unverändert ist. Damals gingen wir davon aus, daß beim Standardmenschen 1 tCi r3Sr äquivalent ist mit 0,1 .tCi 22Ra.

Gefunden wurden größenord- nungsmäßig in den Jahren 1955 bis 1957 als Weltdurchschnitt rund 0,18 MikromikroCi/gCa. Da ein Mi- kromikro-Ci in der damaligen Lite- ratur heute einem Piko-Ci ent- spricht (1042 Ci) und etwa 1000 g Calcium im Körper beim Standard-

menschen vorhanden sind, so wä- re die lnkorpartionsmenge im Standardmenschen mit 10-3 p,Ci zu veranschlagen. Das wäre nach der damaligen zulässigen Dosis (1,0 p,Ci) eine 1000fach geringere Dosis als der empfohlene Richt- wert. Unter dem Eindruck des ver- fügbaren Zahlenmaterials forder- ten wir, die MZK (damals ge- bräuchliche Bezeichnung für ma- ximal zulässige Konzentration für die Bevölkerung) für Lo Sr auf 0,054i festzulegen. Damit wäre immerhin eine 20fache Sicher- heitsmarge erreicht. Auch das sind reine Zahlenspiele, die unter dem Eindruck entstanden sind, daß auch die MZK-Werte für Radi- um (Standardmensch) durch neu hinzugekommene Erfahrung von 1926 bis 1956 von 1,0 auf 0,1 1.1,Ci reduziert wurden; reine Vorsichts- maßnahme ohne wissenschaft- lichen Hintergrund.

Was diese inkorporierten Lo Sr- Mengen für eine radiobiologische Bedeutung haben, weiß niemand

zu sagen, zumal die Inkorpora- tionskinetik sehr kompliziert sein kann. Lo S r wird zwar vor allem in das Skelettsystem und dort vor al- len Dingen in die subepiphysären Wachstumszonen gegen das (Knochen-)Calcium eingetauscht.

Es emittiert dort (3-Strahlen mit ei- ner effektiven Halbwertszeit von etwa 18 Jahren. LoSr HWZp: 28,5a) zerfällt aber gemäß der Formel 9°Sr ) 90y 1,43Zr

38 HWZ=28,5a 39 HWZ---, 64h in das Tochterprodukt Yttrium

go,

das eine physikalische Halb- wertszeit von etwa 64 h aufweist und unter (3-Emission in ein stabiles Zirkonisotop übergeht. Yttrium zeigt nun ein ganz anderes Verhal- ten im Organismus. Es geht beim Gewebs-Blut-pH in eine kolloidale Form über und wird wie alle Kollo- ide im RES (Leber, Knochenmark usw.) abgelagert.

Man muß also die Grundlagen der Kernphysik ebenso kennen, wie die 2018 (46) Heft 28/29 vom 11. Juli 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

(6)

Abbildung 3: „hot spot", also die Ablagerung eines sogenannten heißen Teilchens (Thorium X) im Gewebe (Leber). Vom Ablagerungs-Schwerpunkt gehen die typischen a-Bahnspuren aus. An der Übergangszone vom „hot spot" zum umliegenden Gewebe ist die für die Karzinogenese kritische Zone. Diese mikroautoradiographische Darstel- lung des radioaktiven Partikels wird auch als a-Stern bezeichnet

Abbildung 4:

Röntgenologi- scher Nachweis von Th0 2 bei ei- nem Thorotrast- Patienten (Milz).

Die Kolloide wer- den vornehmlich im RES abgela- gert

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Inkorporierte radioaktive Substanzen

der Radiochemie und Biochemie, um sich ein Gesamtbild vom Inkor- porations-Verteilungsmuster eines Radionuklids und seiner Folgepro- dukte machen zu können. Erst dann kann über die strahlende Be- lastung diskutiert werden, wenn die Aktivität bekannt ist.

Das Plutonium-239-Problem

Das ebenfalls im Fallout nachzu- weisende Transuran Plutonium

2UPu bildet nach Inkorporierung ebenfalls Kolloide und wird dem- entsprechend im RES abgelagert.

Dort einmal gespeichert ist es fak- tisch eine permanente a-Strahlen- quelle, da die effektive HWZ rund 117 Jahre beträgt!

Was Kleinstmengen von Plutoni- um (zum Beispiel 1µg Pu pro Standard-Mensch) radiobiolo- gisch bewirken, auch darüber kann man zur Zeit nur spekulieren.

Die von im Gewebe abgelagerten

Partikeln ausgehende a-Strahlung (Abbildung 3) zerstört dort durch ihre dichte Ionisation die Inkorpo- rationszellen (RES-Zellen) und an- liegenden Zellen. Was aber wird zum Beispiel aus den Rand-Zellen, die noch ionisiert werden, aber keine (zell-)tötende Strahlung ab- bekommen? Werden sie zu Krebs- zellen transformiert? Läuft dort die strahleninduzierte Kanzeroge- nese an? Reicht das transformier- te Zellmaterial aus, um einen Tu- mor zu bilden? Gibt es doch in der Onkologie die Behauptung, daß im Menschen täglich spontan 150 000 Krebszellen entstehen, welche offenbar immunologisch eliminiert werden.

Vom Menschen liegen keine Er- fahrungen über strahleninduzierte Späteffekte von

Lo

S r und 2S2Pu vor. Jedoch sind zahlreiche Inkor- porierungsexperimente mit Tieren (Mäuse, Ratten, Hunde) gemacht worden.

Die dabei gewonnenen Ergebnis- se geben uns zwar Anhaltspunkte über zu erwartende Späteffekte, helfen uns aber nicht weiter bei der radiobiologischen Beurteilung kleinster Mengen, wie sie nach Tschernobyl zur Diskussion ste- hen.

Das Radium-226-Problem

Radium ( 2gRa) emittiert neben (S- und 7-Strahlen vor allem auch a- Strahlen. Deshalb ist die Radi- uminkorporierung ein wichtiges Bezugssystem für das Krebspro- blem bei Inkorporierung radioakti- ver Substanzen mit langer effekti- ver HWZ. Auch hier wissen wir aus humanmedizinischen Untersu- chungen, daß bei Inkorporierung bestimmter Mengen an Radium und radioaktiven Folgeprodukten Knochensarkome (Osteo- und Fi- brosarkome) entstehen.

So wurden bei Leuchtzifferblatt- malerinnen 21Ra-induzierte Kno- chentumoren mit Latenzzeiten zwischen 10 und 35 Jahren nach Inkorporierung von etwa 1 µCi Ra-

(7)

dium (3,7 x 104 Bq) festgestellt.

Leukämien wurden bei diesen Ex- ponierten nicht beobachtet.

Erfahrungen liegen auch über das Schicksal von Patienten vor, de- nen 2r8 Ra (Thorium X, a-Strahler, HWZp 3,6 d) injiziert wurde. Die Patienten erhielten in den 40er bis 50er Jahren das von Troch inaugu- rierte, damals im Handel befind- liche Peteosthor (Mischung von kolloidalem Platin, Eosin und 7,48 Ra) i.v. injiziert, um Erkrankun- gen wie Bechterew und Tuberku- lose (vor allem bei Kindern) zu be- handeln.

So fand man in einem Kollektiv von 861 Patienten 49 Knochensar- kome nach einer geschätzten Do- sis von 6 bis 57,5 Gy (600 bis 5750 rd). Berücksichtigt man ei- nen Äquivalenzfaktor von 20, so resultieren daraus 120 bis rund 1000 Sv (1,2 x 10 4 bis 105 rem).

Die niedrigste Inkorporationsdosis von 22,3Ra, von welcher bekannt wurde, daß sie noch Knochensar- kome induzierten, lag bei 0,9 Gy (90 rd). Das entspricht 18 Sv (1800 rem). Das sind im Vergleich mit den zur Zeit diskutierten Dosen von 0,1 bis 5 mSv (10 bis 500 mrem) schon gewaltige Dosen, die benötigt werden. Unter 0,9 Gy wurden jedoch Knochenmarktu- moren (Retikulumzell-Sarkom) und Plasmozytome beobachtet.

Das Thorium-Problem

Ein anderes hier zum Vergleich heranzuziehendes humanmedizi- nisches „Massenexperiment" ist das Schicksal von Patienten, bei denen zur Angiographie Thoro- trast (Th0 2 ) injiziert wurde. Dieses Kontrastmittel wurde 1929 in die Angiographie eingeführt und schließlich 1949/50 auf Interven- tion von Bauer und Rajewsky aus dem Handel gezogen. Es wird ge- schätzt, daß in den Jahren von 1930 bis 1950 allein in Deutsch- land zwischen 10 000 und 20 000 Thorotrast-Angiographien durch- geführt worden sind.

Wie 219,Pu ist Th0 2 in der gewählten Applikationsform ein Kolloid (Par- tikeldurchschnittswert: 5,5 nm) und geht daher vornehmlich ins RES. Deshalb stehen als Spätfol- gen Leberkarzinome im Vorder- grund. Die Verteilung von injizier- tem 2902Th (HWZp 10 10 Jahre!) wurde für den Standardmenschen (70 kg) abgeschätzt. Danach ge- hen in die RES-Organe 97 Prozent der applizierten Menge, und zwar 59 Prozent in die Leber, 29 Pro- zent in die Milz und 9 Prozent in das rote Knochenmark. Im Kno- chen werden 2 Prozent, in den Lungen 0,7 Prozent und in den Nieren 0,1 Prozent wiedergefun- den. Das Th0 2 wird recht inhomo- gen in der Leber verteilt und vari- iert dort um den Faktor 100! Das ist wichtig zu wissen, um entspre- chende Dosisvorstellungen zu ent- wickeln (hot spots!).

Weiterhin wurden in der deut- schen Thorotrast-Studie Zahlen über jährliche Dosen genannt, welche von den Partikeln ausge- hen, wenn einem Standardmen- schen 25 ml Thorotrast i.v. gege- ben werden: Leber 25 rad/a, Milz 17 rad/a, Knochenmark 9 rad/a, endosteale Knochenschicht 16 rad/a, Knochenmark 9 rad/a, Hauptbronchen 13 rad/a und Nie- ren 0,4 rad/a.

Die Strahlenexposition des Lun- gengewebes ist hauptsächlich durch das Tochternuklid 2 Rn (Thoron) bedingt, weil es als Gas exhaliert wird. (Im übrigen wurden bei den Thorotrast-Patienten zwi- schen 5 und 100 ml injiziert;

durchschnittlich jedoch 25 ml).

Die Latenzzeiten für die thoro- trastinduzierten Leberkarzinome lagen zwischen 20 und 40 Jahren.

Es handelt sich also um Latenzzei- ten, wie man sie in der Strahlen- karzinogenese erwartet.

Summiert man die Strahlendosen bis zum manifesten Lebertumor auf, so kommt man bei einer La- tenzzeit von 20 Jahren auf 5 Gy (500 rd). Unter Berücksichtigung des Äquivalenzfaktors (20 für a-

Emitter) ergeben sich 100 Sv (10 4 rem)! Auch hier findet man rein rechnerisch sehr hohe Strahlen- dosen für die Tumorinduktion.

Biologische Wirksamkeit von a-Strahlung

Das rem (roentgen equivalent man) beziehungsweise Sievert sind das auf den Menschen (und andere Säugetiere) adaptierte rad (roentgen absorbed dose) bezie- hungsweise Gray, also eine Chi- märe aus Physik und Biologie. rem (oder Sievert) wurde eingeführt, um entsprechend der Formel

rem = f x rd Sv = f X Gy

worin f auch als RBW-Faktor (RBW = relative biologische Wirk- samkeit) bezeichnet wird, der (ra- dio-)biologischen Wirkung dicht ionisierender Strahlung Rech- nung zu tragen. Für Röntgen-, y- sowie für 8-Strahlen ist f 1, so daß rem = rd beziehungsweise Sv = Gy sind.

Nimmt man, gleiche absorbierte Energie in rd vorausgesetzt, für die besonders dicht ionisierende a-Strahlung f = 20 an, so ergibt sich für a-Strahler wie Radium, Thorium X oder Plutonium

rem = 20 x rd Sv = 20 x Gy

Die a-emittierenden Radionuklide sind also 20fach wirksamer als Röntgen-Strahlen.

Kompliziert wird das „rem" noch dadurch, daß f von Gewebe zu Ge- webe beziehungsweise Organ zum Gesamtorganismus für die- selbe Strahlung unterschiedliche Werte annehmen kann. So fanden wir bereits Mitte der 60er Jahre bei Tierbestrahlungsversuchen mit schnellen Neutronen (14 MeV), de- ren f laut Literatur bei etwa 10 lie- gen soll, für Kataraktbildung f =

2,5, für LID 50 f = 1,98, für Hoden- Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 28/29 vom 11. Juli 1986 (49) 2021

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Abbildung 5:

Unterschiedliche Wirksamkeit der Komplexbildner bei der täglichen Urinausscheidung in Prozent der in- jizierten Pu-239- Dosis. Pfeil: Zeit- punkt der Chelat- therapie

Abbildung 6: Urinausscheidung von i.v. injiziertem Pu-239 bei der Chelattherapie mit DTPA und BAETA bezogen auf die Therapie mit EDTA. Der Wert Eins bedeutet gleiche Ausscheidung, Pfeil: Zeitpunkt der Chelattherapie

Inkorporierte radioaktive Substanzen

atrophie f = 3,5. Ein Faktor von 10 wurde also bei unseren sehr inten- siven Forschungen nicht gesehen.

Es erheben sich daher auch Zwei- fel, ob für a-Emitter f 20 berech- tigt ist. Die von Geweben zum Orga- nismus unterschiedlichen rem- Werte resultieren offenbar daraus, daß neben dem LET (linearer Ener- gietransfer: Maßfürdie lonisations- dichte) noch andere Faktoren wie Art und Zustand des biologischen

„Materials" (Temperatur, Sauer- stoffsättigungsgrad, Anwesenheit von Radikalfängern, Mitoserate) von Bedeutung sind. Wenn man von rem beziehungsweise Sievert spricht, muß man also bei dichtioni- sierender Strahlung auf jeden Fall noch das zur Diskussion stehende Gewebe oderOrgan zur Charakteri- sierung nennen. Oder anders aus- gedrückt, müßte man f mit einem Zusatz versehen wie f (Augenlinse), f (Ganzkörperletaldosis), f (Gona- den), f (Darmzottenzellen) usw.

Da Plutonium und Radium zu den dicht ionisierenden Strahlern ge- hören, kommen diesen Befunden eine große Bedeutung zu.

Bei der geringen Reichweite der a- Strahlen mit ihrer hohen lonisa- tionsdichte ist es recht fraglich, ob man zur Charakterisierung der Strahlenwirkung auf Dosen in Gy beziehungsweise rd zurückgreifen soll. Vielleicht wäre es beim der- zeitigen Stand der radiobiologi- schen Forschung über Schäden durch inkorporierte Radionuklide, insbesondere der radioaktiven Spaltprodukte besser, die Werte nur in Bq anzugeben, denn im Be- reich der Zellen verlieren das Gray und auch das Sievert an Bedeu- tung. Hier sind neue Methoden der Mikrodosimetrie gefragt. Gray und Sievert beziehen sich auf 1 Gramm Wasser beziehungsweise Gewebe.

Es können aber in einem Gramm Gewebe Millionen Zellen enthal- ten sein, die mikrodosimetrisch gesehen sehr unterschiedliche lonisationsmengen abbekommen.

Es wurde bewußt die Problematik aufgezeigt: Was wir über Inkorpo- rationsstrahlenschäden wissen,

aber auch was wir aufgrund des derzeitigen Standes der radiobio- logischen und nuklearbiologi- schen Forschung nicht wissen können. Bis dahin sind wir auf Vermutungen angewiesen.

So können weder diejenigen den Beweis erbringen, die behaupten, daß in jeder noch so geringen Menge eines inkorporierten Ra- dionuklids ein potentielles Krebs- risiko steckt, noch diejenigen, die behaupten, es gäbe eine Konzen- tration, unterhalb deren kein Krebsrisiko bestehe.

Vieles spricht für die zuletzt ge- nannte Annahme. Wenn über- haupt, werden durch den Tscher- nobyl-Fallout durch Inkorporie- rung von radioaktiven Spaltpro- dukten so wenige Neoplasmen als Späteffekte induziert, daß sie epi- demiologisch gar nicht zu erfas- sen sind.

Es dürfte jedoch sinnvoll sein, durch Stichproben (extrahierte Zähne, Gewebeproben aus Sek- tionsmaterial) die Gesamtsituation der Inkorporation in Zukunft zu verfolgen und zu den Dokumenta-

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tionen eines hoffentlich besseren Krebsregisters in Beziehung zu setzen. ln diesem Zusammenhang dürfen wir jedoch die chemischen Karzinogene nicht vergessen. Wir leben in einem Meer krebserzeu- gender Stoffe, in welchem wir nur die Spitze des Eisberges kennen.

Einem Krebs ist eben nicht anzu- sehen, ob seine Karzinogenese auf physikalische oder chemische Noxen zurückzuführen ist.

Möglichkeiten zur Eliminierung radioaktiver Nuklide

Die Dekorporierungstherapie zur Eliminierung inkorporierter Radio- nuklide, insbesondere von kno- chenaffinen radioaktiven Spalt- produkten wie ~Sr und als Kollo- ide abgelagerte Nuklide wie Th02 oder Plutonium ist noch im tierex- perimentellen Stadium. Schon 1958 führten wir in USA umfang- reiche Rattenversuche mit dem Ziel durch, inkorporiertes 2~~Pu und ~Sr (verhält sich kinetisch ge- nauso wie ~~Sr) durch Applikation von uns damals neuentwickelter Chelat-bildender Substanzen zu dekorporieren.

Wir injizierten rund 250 g schwe- ren Sprague-Dawley-Ratten 0,4 ml Zitratlösung eines Isotopengemi- sches aus 25 f.tg 2~~Pu und 1 f.tCi

~Sr. Als Vergleichsstandard zur Beurteilung der Wirksamkeit von zwei anderen Chelatbildnern -

Diethylentriam i npentaessigsäu re {DTPA) und 2:2'-bis- Di(carboxy- methyl(amino-)Diaethyläther (BA- ETA) - diente Aethylendiamintet- raessigsäure (EDTA). Sechs Tage nach intravenöser Injektion eines Gemisches von 2~Pu und ~Sr wur- den den Versuchstieren äquimola- re Mengen der drei Chelatbildner intraperitoneal injiziert.

Die Ergebnisse zeigen, daß für die Dekorporierung von Plutonium DTPA und BAETA wesentlich wirk- samer als EDTA sind. Selbst bei Protrahierung der Behandlung sind DTPA und BAETA imstande, größere Mengen des im Gewebe abgelagerten Plutoniums zur Ex-

kretion zu bringen als EDT A. Mit keinem der drei Chelatbildner wurde ein nennenswerter, beson- ders statistisch zu sichernder De- korporierungseffekt beim ~Sr er- zielt. Diese Tatsache war wegen der bevorzugten Bindung des Cal- ciums im Vergleich zum Strontium vorauszusehen. Danach {Abbil- dungen 5 und 6) ist es also mög- lich, mit geeigneten Chelatbild- nern noch nennenswerte Plutoni- ummengen durch Urinausschei- dung zu eliminieren. Mit zuneh- mender Verzögerung des Beginns der Chelattherapie nach der lnkor- porierung wird allerdings die De- korporierungschance immer ge- ringer. Wird die Therapie erst vier Wochen nach der lnkorporierung begonnen, ist der Effekt faktisch gleich Null. Dann nutzt auch eine forcierte Chelattherapie in höhe- rer Dosierung nicht mehr, zumal dann die unerwünschten toxi- schen Nebenwirkungen immer mehr in Erscheinung treten.

Neuerdings werden neben Ca- DTPA auch Zn-DTPA und Desfer- rioxamin B empfohlen. Die medi- kamentöse Dekorporieru ngsthera- pie hat also nur dann eine Chance, so lange das Nuklid noch im Blut beziehungsweise noch nicht fest im Gewebe gebunden ist. Die De- korporierungstherapie ist also ei- ne Frühtherapie.

Chelatbildner sind sehr differente Arzneimittel mit geringer thera- peutischer Breite, die beim Men- schen nicht als Langzeittherapie (Monate/Jahre) angewendet wer- den dürfen. Diese Therapie kann immer nur unter dem Gesichts- punkt des Nutzen-Risiko-Prinzips in Erwägung gezogen werden.

Literatur beim Verfasser (Sonderdruck):

Professor Dr. med. Dr. rer. nat Emil Heinz Graul

Direktor des Instituts für Environtologie und Nuklearmedizin

Phitipps-Universität Marburg Bahnhofstraße 7

3550 Marburg/Lahn

Schnarchen

kann Hinweis auf eine Erkrankung sein

Nach einer bei 6000 Einwohnern von San Marino durchgeführten Studie schnarchen 40 Prozent der Männerund 28 Prozent aller Frau- en. Im Alter von 70 Jahren steigt dieser Prozentsatz auf 60 und 40 Prozent an.

Kanadische Autoren gingen der Frage nach, ob bei Schnarchern bestimmte Erkrankungen gehäuft nachweisbar waren. Untersucht wurden über 2000 Personen. Bei den über 50jährigen ließ sich so- wohl bei den Frauen als auch bei den Männern ein Hypertonus dop- pelt so häufig bei Personen, die schnarchten, finden wie bei Nicht- Schnarchern.

Auch nach einer statistischen Kor- rektur für Übergewichtige und Raucher blieben zwei epidemiolo- gische Fakten bestehen:

~ Bei Personen, die nach Anga- ben des Ehepartners schnarchten, fanden sich gehäuft Bluthoch- druck und Herzkrankheiten. Als Erklärung wird angeführt, daß sich bei Schnarchern eine pulmo- nale Hypertonie während des Schlafes nachweisen läßt und daß es wahrscheinlich auch zu einer verminderten Sauerstoffaufnahme kommt. Gewichtsreduktion und Aufgabe des Nikotinabusus führte bei einer Reihe der Patienten zu einem Verschwinden des Schnar- chens.

Auf der anderen Seite lag das Hy- pertonie-Risiko bei übergewichti- gen Schnarchern, die auch noch rauchten, 4,2mal höher als in einer Vergleichsgruppe ohne diese Risi-

kofaktoren. W

Norton. P. G.; Dunn, E. V.: Snoring as a risk factor for disease: an epidemiological survey.

Br. med. J. 291: 630-632, 1985

Department of Family and Community Medici·

ne, University of Toronto, Ontario.

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 28/29 vom 11. Juli 1986 (51) 2023

Referenzen

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