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Archiv "Allgemeinmedizin: Offene Fragen" (29.10.1982)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 43 vom 29. Oktober 1982

Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

Allgemeinmedizin: Offene Fragen

Fritz Beske und Wolfgang Ciszewski

Die Verfasser vertreten, zusammenfassend, folgende Auffassung:

Wenn der Gesetzgeber im Interesse der bestmöglichen Versor- gung der Kassenmitglieder normiert, daß der Kassenarzt in dem Gebiet, in welchem er tätig sein will, weitergebildet sein muß, so hält sich eine derartige Regelung im Rahmen der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 12 GG. Sie wird auch noch durch Art, 2 Abs. 2 S.

1 GG abgestützt. Ob der Gesetzgeber den Weg der Qualifikation durch Weiterbildung wählt, liegt in seinem Ermessen. Die Ent- scheidung wird jedoch nicht dadurch fraglich, daß es auch noch andere Wege gäbe, um dieses Ziel zu erreichen, etwa eine Ausbil- dung nach dem Modell der ASG oder eine zehnjährige Tätigkeit in eigener Praxis.

Die Aussagen der Ärztetage von 1980 und 1981, vor allem aber des 84. Deutschen Ärztetages 1981 in Trier, zum Thema „Allgemeinmedi- zin" sind unterschiedlich bewertet worden. Weniger deutlich wurde in den Kommentaren, daß zahlreiche Fragen in dem Sinne „offen" ge- blieben sind, als ihre fachliche und/

oder rechtliche Problematik nicht oder nicht hinreichend geklärt ist.

Gegenstand der Diskussion waren und sind vor allem

1> das Verfahren für die Zulassung zum Studium der Medizin;

> die Zahl der Bewerber, die zum Studium zugelassen werden sollen;

> die Verbesserung der Ausbil- dung unter Berücksichtigung der finanziellen Lage der öffentlichen Hand;

> die gebotenen Voraussetzun- gen für die Niederlassung in einer Privatpraxis oder die Zulassung als Kassenarzt unter besonderer Be- rücksichtigung des Entwurfs einer Richtlinie der EG zum praktischen Arzt.

Nachfolgend soll versucht werden, zur weiteren Klärung dieser Proble- me einen Diskussionsbeitrag zu lei- sten.

Verfahren für die Zulassung zum Studium der Medizin

Das Zulassungsverfahren zum Me- dizinstudium wurde 1980 durch in- haltlich übereinstimmendes Lan- desrecht neu geordnet. Dieser Neuordnung gingen lange Bera- tungen in der Kultusministerkon- ferenz voraus. Gleichwohl wurden auch in Trier zwei Vorschläge für die Neuordnung der Zulassung gemacht. Bechtoldt forderte (DÄ 1981, S. 1173), die Auswahl der Bewerber erst im Rahmen des Stu- diums durchzuführen und demge- mäß jeden hochschulreifen Be- werber zum Studium zuzulassen.

Klotz (DÄ 1981, S. 1167) regte ein Krankenpflegepraktikum im Sinne einer Selbstprüfung des einzelnen Bewerbers an. Grabener, damals Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, setzte sich später ebenfalls für die Zulassung jedes hochschulreifen Bewerbers unter Vorschaltung einer Kranken- pflegeausbildung von einem Jahr ein.

Diese und andere Vorschläge für die Zulassung zum Studium der

Medizin zeigen die Unruhe der Ärzteschaft, ob wirklich die geeig- netsten Bewerber zum Studium (Studierfähigkeit für Medizin) oder sogar die geeignetsten künftigen Ärzte (Berufsfähigkeit) ausgelesen werden.

Vorschläge für das Zulassungsver- fahren müssen sich an der Recht- sprechung des Bundesverfas- sungsgerichtes (BVerfG) messen lassen. Da das BVerfG jeden hoch- schulreifen Bewerber als grund- sätzlich gleichwertig und die Nichtzulassung eines derartigen Bewerbers daher als mit dem Gleichheitsgrundsatz kaum ver- einbar ansieht, fordert es, daß we- nigstens jeder Bewerber eine Chance haben müsse, zugelassen zu werden. Demgemäß muß sich jedes Verfahren an denjenigen Be- werbern bewähren, die wegen er- schöpfender Nutzung der Ausbil- dungskapazitäten nicht zugelas- sen werden können.

Die fachlichen und rechtlichen Fragen, die mit dem Zulassungs- verfahren verbunden sind, hat das Institut für Gesundheits-System-

Ausgabe B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 43 vom 29. Oktober 1982 61

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Spektrum der Woche Aufsätze · Notizen Allgemeinmedizin

Forschung Kiel in einem Gutach- ten zur Allgemeinmedizin erörtert.

Das Gutachten lag den Delegier- ten des 84. Deutschen Ärztetages vor und ist inzwischen veröffent- licht worden*).

Zahl der Bewerber,

die zum Studium zugelassen werden sollen

Fast allgemein wird die Ansicht vertreten, daß die Approbations- ordnung für Ärzte von 1970 vor- nehmlich an der zu großen Zahl der Studenten gescheitert sei. Aus der Sicht der Eitern von Abiturien- ten ist verständlich, daß sie unter allen Umständen die Zulassung ih- rer Kinder zum Studium im ge- wünschten Fach anstreben. Dieser Wunsch wird verstärkt, wenn eine ärztliche Praxis vorhanden ist, die das Kind einmal übernehmen soll.

Die Bildungspolitiker, die nach dem Ausrufen einer angeblichen Bildungskatastrophe eine soge- nannte "Bildungswerbung" ohne Augenmaß betrieben hatten und teilweise auch heute noch weiter- betreiben, arbeiten seit 1977 mit

"Notzuschlägen" und "Überlast- quoten" im Hochschulbereich.

Ganz besonders prägen jetzt die geburtenstarken Jahrgänge, die zum Studium heranstehen, die

Lage.

Ein kurzer Hinweis auf die Rechts- lage soll klarstellen, und dieser Klarstellung bedarf es, daß eine Reduktion der Zahl der Medizin- studenten möglich ist,

..,.. wenn nur so eine ordnungsge- mäße Ausbildung möglich wäre, oder

..,.. im Hinblick auf den "gesamt- gesellschaftlichen Bedarf".

Das BVerfG fordert zwar die er- schöpfende Nutzung der vorhan- denen Ausbildungskapazitäten.

Dies bedeutet aber auch nach Auf- fassung des Bundesverfassungs- gerichtes nicht, daß eine schlech- te Ausbildung in Kauf genommen werden müsse, nur um möglichst

viele Bewerber zulassen zu kön- nen. Somit wäre eine Überprüfung der Kapazitäten und ihre Neuaus- lastung zulässig.

Ansätze gäbe es z. B. beim Perso- nal. Hier könnte geprüft werden, ob nicht sowohl von Kultusmini- sterien als auch von Gerichten aus dem bloßen Vorhandensein von Stellen gefolgert worden ist, daß entsprechend qualifiziertes Perso- nal (z. B. in dem betreffenden Fache habilitierte Lehrpersonen) auch tatsächlich zur Verfügung steht -was durchaus nicht immer zutrifft. Eine weitere Frage ist die nach einer ausreichenden und für den Unterricht geeigneten Zahl von Patienten. Der Mangel an ge- eigneten Patienten wird allgemein beklagt. Im Vergleich zu anderen Ländern hat Deutschland eine überaus ungünstige Relation von Medizinstudenten zu klinischen Betten in Universitätskliniken.

Ein Unterricht in kleinen Gruppen, wie ihn die Approbationsordnung als zentrale Maßnahme zur praxis- nahen Ausbildung vorsieht, ist of- fenbar aus Mangel an Personal und an geeigneten Patienten nicht möglich. Die sich dramatisch zu- spitzende finanzielle Lage der öf- fentlichen Hand gestattet es in ab- sehbarer Zeit sicher nicht, hier durch den Einsatz von mehr Mit- teln und von mehr Personal Abhil- fe zu schaffen.

Das BVerfG hat ferner betont, eine Berufslenkung dürfe zwar im Rah- men der Zulassung zum Studium nicht vorgenommen werden, doch könne der "gesamtgesellschaftli- che Bedarf" mitberücksichtigt werden, wenn nicht schon eine Studienberatung erfolgreich sei.

Das BVerfG führt zutreffend aus, daß es schwierig sei, diesen Be- darf zu ermitteln. Es kommt hinzu, daß sich jeder, der versucht, den gesamtgesellschaftlichen Bedarf

•) Fritz Beske und Wolfram L. Boschke:

Standortbestimmung und Konzept Allge- meinmedizin. Wissenschaftliche Reihe, Band 22 des Zentralinstituts für die kassen- ärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland. Deutscher Ärzte-Verlag, 1982

an Ärzten auch nur zu prüfen, so- fort Vorwürfen dahingehend aus- gesetzt sieht, er strebe in Wahrheit nur einen Konkurrenzschutz für die bereits tätigen Ärzte an, deren hohe Einkünfte gewiß noch Kon- kurrenz vertrügen.

Zweifelsfrei hat die Zahl der zuge- lassenen Studenten Bedeutung für die wirtschaftlichen Erwartun- gen der bereits berufstätigen und dabei besonders der niedergelas- senen Ärzte. Denn wenn sich poli- tisch die Forderung durchsetzt, daß sich die Leistungserbringer in der GKV künftig auf den Zuwachs an Mitteln einrichten müssen, der durch die Entwicklung der Grund- lohnsumma zur Verfügung steht (einnahmeorientierte Ausgaben- politik), weil Arbeitgeber und Ar- beitnehmer bis zur Grenze ihrer Belastbarkeit belastet seien, dann wird sich der Verteilungskampf auch unter den einzelnen Lei- stungserbringern verschärfen. Ein Zurücknehmen der Zulassungs- zahlen unter Mitberücksichtigung des gesamtgesellschaftlichen Be- darfs wäre jedoch verfassungs- rechtlich zulässig, weil Konkur- renzschutz nur die Nebenwirkung einer derartigen im Interesse der Allgemeinheit getroffenen Rege- lung wäre - und nur dies gilt es festzustellen.

Verbesserung der Ausbildung Der für die Ausbildung entschei- dende Teil der Arbeit der "Kleinen Kommission zu Fragen der ärztli- chen Ausbildung und der künfti- gen Entwicklung im Bereich des ärztlichen Berufsstandes" war im September 1979 abgeschlossen. Zum Ärztetag in Trierlag aber we- der der Entwurf einer Novelle zur Approbationsordnung noch ein Positionspapier des Bundesmini- steriums für Jugend, Familie und Gesundheit (BMJFG) vor. Dieses wurde mit Datum vom 31. 7. 1981 präsentiert. Es geht in dem Ab- schnitt A IV von einer "Stabilisie- rung der Zahl der zum Medizinstu- dium Zuzulassenden" aus und da- mit von rund 12 000 jährlichen

Neuzugängen. ~

62 Heft 43 vom 29. Oktober 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausj:Jabe B

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Allgemeinmedizin II

II II

II II II I II II

Gyn. Chir. Lab. Rö. Innere Päd. Psy. HNO Aug.

Ärztliches Angebot: Primärversorgung und fachspezifische Versorgung (aus der im Text zitierten Untersuchung von Fritz Beske und Wolfram L. Boschke), modifiziert nach Sturm

Ärztliches Angebot

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Allgemeinmedizin

Ob unter solchen Umständen eine Ausbildungsreform überhaupt et- was bringen kann, ist mehr als zweifelhaft. Es ist nicht möglich, bei einem derartigen Massenstu- dium — und darüber besteht im wesentlichen Einigkeit — einen Arzt auszubilden, dessen Kennt- nisse, Fähigkeiten und Fertigkei- ten auch schon für eine eigene Praxis als niedergelassener Arzt ausreichen. Dies läßt sich nach Meinung der Verfasser auch durch eine Verlängerung der Ausbildung nicht ändern. Deshalb bleibt der Bundesgesundheitsminister auch bei einer Ausbildungsdauer von 6 Jahren. Er verweist im übrigen auf die Vorstellungen des Bundesar- beitsministeriums für eine zwei- jährige Eignungszeit als Voraus- setzung für die Zulassung zum Kassenarzt und schließlich auf den Entwurf der EG für eine Richt- linie zum praktischen Arzt, deren Kern es ist, ab 1. 1. 1990 nur noch solche Ärzte zur kassenärztlichen Tätigkeit zuzulassen, die in dem Gebiet — einschließlich Allgemein- medizin —, in dem sie kassenärzt- lich tätig sein wollen, erfolgreich weitergebildet sind.

Das BMJFG will die praktische Ausbildung intensivieren, Neuord- nungen im Bereich des Prüfungs- systems vornehmen und die in- haltliche Gestaltung des Studiums verbessern. Für alle drei Bereiche werden Vorschläge unterbreitet.

Intensivierung

der praktischen Ausbildung Zu Recht wird vom Bundesge- sundheitsministerium hervorge- hoben, daß der unmittelbare Kon- takt mit dem Patienten für die praktische Ausbildung besonders förderlich ist. Damit stellt sich je- doch die schwierige Frage, wie die Zahl der geeigneten und zur Mit- wirkung bereiten Patienten ver- größert werden kann, ohne daß dies zu Kostensteigerungen führt.

Diese Kosten müßten in vollem Umfange die Länder übernehmen.

Die finanzielle Situation der Län- der indessen ist nicht günstiger als die des Bundes. Es läßt sich

daher bereits jetzt vorhersagen, daß alle Forderungen zur Verbes- serung der Ausbildung, die zusätz- liche Mittel etwa über zusätzliches Personal erfordern, nicht reali- stisch sind. Daher dürfte auch die im Positionspapier des BMJFG er- wähnte Untersuchung über die Beteiligung außeruniversitärer Krankenhäuser an der klinischen Grundausbildung wenig nützen.

Zudem ist zu befürchten, daß mit der Einbeziehung weiterer außer- universitärer Krankenhäuser eine Vergrößerung der Ausbildungska- pazitäten angenommen werden könnte, zumindest aus der Sicht der Gerichte.

Der BMJFG erwägt eine klarstel- lende Regelung in den Kapazitäts- verordnungen. Jedoch hat sich die Rechtsprechung durch derartige Regelungen bisher nicht daran hindern lassen festzustellen, daß weitergehende Kapazitäten vor- handen sind, die — wie das Bun- desverfassungsgericht betont hat

— erschöpfend genutzt werden müssen.

Neuordnung im Bereich des Prüfungssystems

Es ist zu begrüßen, daß der BMJFG weitere mündliche und mündlich-praktische Prüfungen einführen will. Im Rahmen dieser Prüfungen sollen auch ärztliche Fähigkeiten und Fertigkeiten ge-

prüft werden. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß nur das geprüft werden kann, was vor- her auch vermittelt worden ist. So- weit es sich daher nicht um Eigen- schaften handelt, die der Prüfling bereits mitbringt, müßte sicherge- stellt werden, daß und wie solche ärztlichen Fähigkeiten und Fertig- keiten vermittelt werden können.

Voraussetzung für eine Intensivie- rung der Ausbildung in diese Rich- tung wäre also neben einer drasti- schen Reduktion der Neuzulas- sungen zum Studium der Medizin auch eine rigorose Neuordnung der Prüfungsinhalte.

Der BMJFG weist ferner, und dies wohl zu Recht, darauf hin, daß Lei- stung kontrollen im Rahmen der Scheinerteilung bei den Pflicht- praktika verstärkt mündlich-prak- tisch ausgerichtet werden sollten.

Dies wäre eine gute und sachlich begründete Voraussetzung für mündliche Prüfungen, welche die Prüfer nicht unangemessen bela- sten.

Im Positionspapier ist nicht vorge- sehen, wieder Prüfungsnoten ein- zuführen. Dies ist ein erheblicher Mangel, da eine Prüfungsnote bei Bewerbungen eine nicht geringe Bedeutung hat und das Fehlen der Note nur Veranlassung gibt, sich auf anderen Wegen über die Qua- lität eines Bewerbers zu orientie- ren.

Ausgabe B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 43 vom 29. Oktober 1982 63

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Allgemeinmedizin

Verbesserte

inhaltliche Gestaltung

Der BMJFG spricht von Grund- kenntnissen, Grundfertigkeiten und Grundfähigkeiten für „den Arzt" und dürfte damit meinen, daß solche Kenntnisse, Fähigkei- ten und Fertigkeiten im Vorder- grund zu stehen haben, die für alle Ärzte Bedeutung haben. Damit stellt sich jedoch die Frage, wie dies festgestellt werden kann. Un- abhängig von der Problematik die- ser Grundkenntnisse müßte der Aspekt der nichtklinischen Medi- zin oder besser der Medizin in der

Praxis der niedergelassenen Ärz- te, besonders aber der Allgemein- ärzte, als strukturierender Faktor anerkannt werden.

Von besonderer Wichtigkeit wird es sein zu prüfen, welche Fächer unerläßlich gelehrt, gelernt und auch geprüft werden müssen, denn es kann nicht das Ziel der Ausbildung sein, Grundkenntnisse in sämtlichen Fächern zu vermit- teln. Das kann zu einem nicht ge- ringen Teil dem Selbststudium überlassen werden. Entsprechen- de Hinweise können im Rahmen einer Einführung in das Studium der Medizin gegeben werden.

Der Fächerkatalog und damit der Katalog der unabdingbaren Grundkenntnisse müßte von einer Fachkommission erarbeitet wer- den, die beim Institut für medizini- sche und pharmazeutische Prü- fungsfragen installiert werden könnte. Jedoch müßte die letzte Entscheidung beim BMJFG im Zu- sammenwirken mit den Ländern liegen.

Von Bedeutung könnte die Frage sein, auf welcher Wissensgrundla- ge das Studium der Medizin zu beginnen hätte.

Über Jahrzehnte war es üblich, Grundkenntnisse in Physik, Che- mie, Mathematik und Biologie vor- auszusetzen. Das brachte z. B. für die Studenten, die ihre Schulzeit in einem humanistischen Gymna- sium absolviert hatten, nicht ge-

ringe Schwierigkeiten. Man mute- te diesen Studenten aber zu, die Lücken auf diesen Gebieten selbst zu schließen. Heute beruhen der- artige Lücken nicht nur auf den Besonderheiten bestimmter Schu- len, sondern auch auf der Abwahl der betreffenden Fächer. Vielfach hat es sich eingebürgert, die feh- lenden Grundkenntnisse auf der Universität zu vermitteln. Dies muß zu Lasten der akademischen Aus- bildung gehen. Im übrigen hat es sich eingebürgert, z. B. statt medi- zinischer Physik einfach Physik zu

lehren. Dies sollte nicht länger hingenommen werden.

Zur Beschränkung in den natur- wissenschaftlichen Fächern auf das, was für den Arzt Bedeutung hat, könnte erwogen werden, Teile der Vorklinik in die Klinik zu inte- grieren. Der BMJFG ist der An- sicht, daß die derzeitige Gliede- rung vorklinische Ausbildung — klinische Ausbildung nicht aufge- geben werden sollte. Jedoch über- zeugt seine Argumentation nicht.

Es ist zwar unstrittig, daß natur- wissenschaftlich-theoretische Grundlagen für das Verständnis klinischer Zusammenhänge und Probleme unverzichtbar sind. Wä- re dies nicht der Fall, dann könnte auf die Vermittlung und Prüfung entsprechender Kenntnisse ver- zichtet werden.

Damit ist jedoch die Frage nicht entschieden, ob die naturwissen- schaftlichen Fächer vor der klini- schen Ausbildung gesondert ver- mittelt werden sollten. Die Darstel- lung dieser Fächer im Rahmen des klinischen Unterrichts würde dazu beitragen, daß der Ausbildungs- stoff in den vorklinischen Fächern stärker auf die Belange der Medi- zin hin strukturiert werden könnte.

Dies hat z. B. für die Fächer Anato- mie und Biochemie erhebliche Be- deutung.

Die vom BMJFG unter III 2.5 des Positionspapiers genannten Fä- cher Biomathematik und medizini- sche Statistik werden nach vielfa- chen Hinweisen von Studenten unangemessen breit angeboten.

Es handelt sich um medizinische Hilfswissenschaften vornehmlich für den wissenschaftlich tätigen Arzt. Sofern sie überhaupt im Ka- talog der Ausbildungsfächer ver- bleiben, sollten sie nur in Grund- zügen angeboten werden. Der Arzt kann bei Bedarf auf Lehr- und Handbücher zurückgreifen.

In diesem Zusammenhang muß betont werden, daß eine Ausbil- dung, die sich schwerpunktmäßig orientiert und keine Vollständig- keit anstrebt, einen Schwerpunkt in der Vermittlung der Fähigkeit haben muß, sich unbekanntes Wissen anzueignen.

Unter III 2.6 hebt der BMJFG die stärkere Berücksichtigung allge- meinmedizinischer Aspekte in der Lehre und bei den Prüfungen her- vor. Dieser Hinweis bedarf der Ver- deutlichung.

Die Allgemeinmedizin ist ein eige- nes Fach. Dieses Fach geht, um es plastisch auszudrücken, nicht in die Tiefe, sondern in die Breite und gewährleistet, daß der Primär- arzt mit dem breiten Ansatz der gesamten Medizin Kontakt zum Patienten aufnimmt. Sofern die Prüfung ergibt, daß die ärztlichen Bemühungen in die Tiefe gehen müssen, können Fachärzte einge- schaltet werden.

Die Worte „Breite" und „Tiefe"

sind dabei keine Wertung. Sie lei- ten sich von einem Bild der Medi- zin ab, auf dem die Allgemeinme- dizin unten und die Spezialfächer nach oben eingezeichnet sind (Ab- bildung).

Geht man von diesem Bild aus, so erkennt man, daß alle Fächer, die Anteile zur Allgemeinmedizin er- bringen, den Studenten diesen Anteil zu vermitteln hätten. Dieje- nigen Ärzte, die Fachärzte werden wollen, spezialisieren sich auf der Basis des Grundwissens, das teil- weise zugleich einen Baustein zur Allgemeinmedizin abgibt, und dringen somit auf einem Teilge- biet, etwa der Chirurgie, in die Tie- fe vor.

64 Heft 43 vom 29. Oktober 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen Allgemeinmedizin

Es versteht sich von selbst, daß ein Lehrbeauftragter für Allgemein- medizin die Vermittlung der ge- samten Allgemeinmedizin nicht leisten kann. Es muß daher in Kauf genommen werden, daß dem Stu- denten die Allgemeinmedizin zu- nächst als Addition aus Teilen der Spezialfächer erscheint, obwohl die Allgemeinmedizin lediglich deshalb, weil sie anders nicht ver- mittelt werden kann, in Teile zer- legt werden muß.

FORUM

Können Ärzte zur Verhinderung eines Atomkrieges beitragen?

Über die Bestrebungen der „Internationalen Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges" (IPPNW) und ihrer bundesdeutschen Sektion

Ulrich Gottstein, Helmut Koch, Horst-Eberhard Richter, Knut Sroka

Die „kleine" Atombombe von Hi- roshima tötete sofort über 75 000 Menschen und verletzte 100 000 schwer. Von 150 Ärzten überleb- ten 30, von 1780 Krankenschwe- stern 126. 76 000 Gebäude wurden zerstört, darunter die Krankenhäu- ser, Ambulanzen und Versor- gungseinrichtungen (12)*). Heute lagern in Ost und West bereits über 50 000 Atomwaffenköpfe mit einer Zerstörungskraft von etwa 1 Million Hiroshimabomben (12).

Trotz verschiedener eingeleiteter Verhandlungen hält die Politik der eskalierenden wechselseitigen Bedrohung mit ewig weiterwach- senden nuklearen Potentialen un- vermindert an. Dadurch rückt die Gefahr eines Atomkrieges immer näher. Bereits das Risiko eines Atomkrieges aus Versehen oder infolge technischer Pannen wird immer schwerer kontrollierbar (4, 5, 13). Technische und menschli- che Fehler haben in den USA im Verlauf von 18 Monaten 151 gra- vierende Falschalarme ausgelöst.

Fünfmal mußte höchste Alarmstu- fe für die Mannschaften der Atom- bomben-Flugzeuge und an den ballistischen Interkontinentalrake- ten ausgegeben werden. Die Kür- ze der Raketenflugzeiten und da- mit der Vorwarn- und Reaktions- zeiten durch die vorhandene und weiter geplante Stationierung der neuen Massenvernichtungswaffen in Mitteleuropa erhöht diese Ge- fahr laufend. Daß die Atomkriegs- drohung in der Tat stetig zunimmt, wurde von den meisten Rednern auf der kürzlich beendeten UN-Ab- rüstungstagung in New York be- kräftigt. Der Generalsekretär der UN, Pörez de Cuällar, rief alle Re- gierungen auf, den „Wahnsinn

und die Immoralität des Rüstungs- wettlaufs" zu beenden, bevor es zu spät sei. Pro Minute werde 1 Million Dollar für die Aufrü- stung verschwendet, während in den Entwicklungsländern täglich 40 000 Kinder sterben müßten.

Das von der ersten UN-Abrü- stungskonferenz vor 4 Jahren ver- abschiedete Programm existiere zum größten Teil nur noch auf dem Papier (14).

Die bedrohliche Entwicklung ver- anlaßte bereits 1962 eine Gruppe amerikanischer Ärzte, die sich

„Physicians for Social Responsi- bility" (PSR) nannten, zu einer Studie über die zu erwartenden medizinischen Folgen eines Atom- angriffs auf ihre Heimatstadt Bo- ston. Sie leiteten aus ihrer Unter- suchung die folgenden Thesen ab:

„1. Keine moderne Gesellschaft kann einen Atomschlag über- leben.

2. Vorbereitungen zum Zivil- schutz schützen wenig und kön- nen schnell durch geänderte An- griffsstrategien zunichte gemacht werden.

3. Überlebende Ärzte und Ge- sundheitseinrichtungen, die üb- rigbleiben, sind außerstande, auch nur die elementarsten Wundver- sorgungen auszuführen. Die Ver- wundeten, Verbrannten, Strahlen- kranken und die Sterbenden ge- hen in die Millionen.

4. Während gründliche Analysen über die unmittelbaren Folgen vorliegen, können die Langzeitfol- gen ökologischer Zerstörung, die Veränderung im Klima, Verseu-

*) Die Zahlen in beziehen sich auf das Lite- raturverzeichnis beim Sonderdruck

Dagegen ist es Sache des Lehrbe- auftragten für Allgemeinmedizin, auf der Grundlage dieser Baustei- ne die Integration glaubhaft zu machen und damit das einheitli- che Fach Allgemeinmedizin bei den Studenten aufscheinen zu las- sen. Sie müssen aber auch ihren klinischen Fachkollegen dabei helfen, daß diese den Baustein, den sie zur Allgemeinmedizin zu- liefern sollen, richtig zuschneiden.

Unter III 2.7 weist der BMJFG dar- auf hin, daß ein Abbau entbehrli- chen Ausbildungsstoffes geboten ist. Es handelt sich, wie er formu- liert, um Spezialausbildungsstoff, der in die Weiterbildung gehört.

Hier darf nicht übersehen werden, daß Kliniker, die zu einem nicht geringen Teil hochspezialisiert sind, große Mühe haben werden, den Ausbildungsstoff so zu ord- nen, daß dabei kein der Weiterbil- dung zuzuordnender Stoff vermit- telt wird.

• Wird fortgesetzt

Literatur bei den Verfassern

Anschrift der Verfasser:

Prof. Dr. med. Fritz Beske Ministerialdirigent

Wolfgang Ciszewski am Institut für

Gesundheits-System-Forschung Beseler Allee 41

2300 Kiel

Ausgabe B DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 43 vom 29. Oktober 1982 65

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