„Alle Kassen spüren eine Rie- sennachfrage nach ganzheitlicher Be- handlung“, begründete Jörg Hoff- mann, Vorstandsvorsitzender des Be- triebskrankenkassen-Landesverban- des Nordrhein-Westfalen, das Inter- esse der BKK für Naturheilverfahren.
Die BKK wolle sich durch eine „be- sondere Nähe“ zu alternativer Medi- zin auszeichnen. „Dabei steht der Ko- stenfaktor im Vordergrund“, sagte Hoffmann vor Journalisten in Essen.
Kostenaspekt ist entscheidend
Da fundierte Erkenntnisse über den ökonomischen Nutzen alternati- ver Medizin bisher fehlten, habe der Landes-Verband Nordrhein-Westfa- len zusammen mit dem Zentrum zur Dokumentation von Naturheilver- fahren (ZDN), Essen, das Modellpro- jekt „Naturheilverfahren“ initiiert.
Das Projekt untersuche, ob und wie Naturheilmethoden die Versorgungs- kosten für Patienten, bei denen die Schulmedizin keine Besserung oder Heilung erzielt habe, senken und ihr Befinden verbessern können. Eine vom Bundesversicherungsamt geneh- migte fünfjährige Erprobungsrege- lung habe den Modellversuch möglich gemacht. Erste Zwischenergebnisse des im Juli 1994 gestarteten Projekts liegen nun vor.
Am Projekt beteiligt seien der- zeit 40 Allgemeinärzte, neun Zahn- ärzte, ein Internist und ein HNO- Arzt. Sie hätten 470 chronisch kranke, austherapierte Versicherte von neun Betriebskrankenkassen aus dem Ruhrgebiet und Oldenburg mit Na-
turheilverfahren wie zum Beispiel Homöopathie, Akupunktur oder Neuraltherapie behandelt. Mittel- punkt ihrer ganzheitlichen Betreuung seien das Gespräch mit dem Patienten und die Beseitigung von Krankheits- ursachen gewesen, erläuterte Hoff- mann. Die meisten Projektteilnehmer hätten unter Rückenbeschwerden, Rheuma oder Migräne gelitten.
Die bisherigen Ergebnisse der BKK-Studie wertete Herbert Hirche vom Institut für Medizinische Infor- matik, Biometrie und Epidemiologie des Universitätsklinikums Essen, das den Versuch wissenschaftlich begleitet und auswertet, positiv. Zwar sei die Höhe der monatlichen Gesamtkosten zunächst auf durchschnittlich 472 DM (Median) pro Patient gestiegen, doch schon im zweiten Jahr um ein Drittel gesunken. Für die Zukunft prognosti- zierte Dr. Klaus-Peter Schlebusch vom ZDN einen weiteren Kosten- rückgang. Besonders teuer sei die auf- wendige ganzheitliche Diagnostik zu Beginn des Versuchs gewesen. Die sta- tionären Kosten seien jährlich um sechs Prozent pro Patient gesunken, während sie im Bundesdurchschnitt um 38 Prozent stiegen. Neben der Zahl der Krankenhausaufenthalte sei- en auch die Arbeitsunfähigkeitstage kontinuierlich zurückgegangen. Hir- che betonte, daß der Modellversuch bisher nur Trends beschreiben könne, seine Methodik sich aber bewährt ha- be. Beweiskräftige Aussagen über den wirtschaftlichen und medizinischen Erfolg von Naturheilmethoden könne das Projekt, das jetzt auf 5 000 Teil- nehmer erweitert werden soll, aller- dings erst nach seiner fünfjährigen Laufzeit liefern. Josy Wübben A-972 (32) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 15, 11. April 1997
T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE