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Archiv "DGB-Kongreß: Zensuren für die Ärzte" (09.07.1982)

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Bericht und Meinung TAGUNGSBERICHT

DGB-Kongreß:

Zensuren für die Ärzte

Der Bundeskanzler äußerte sich in seiner Grußrede vor dem 12. Or- dentlichen DGB-Bundeskongreß in Berlin (16. bis 22. Mai) über die Bundesärztekammer sehr ungnä- dig. „Vor ein paar Tagen las ich in der Presse Artikel unter der dicken Überschrift ,Die Ärzte machen ge- gen die Politik der Bundesregie- rung Front' ", tadelte er. Gesessen hatte besonders die Kritik des BÄK-Präsidenten an der „angeb- lich sozialen Umverteilungsge- setzgebung" mit dem „verfrüh- stückten Sparkapital".

„Man sollte einmal das Durch- schnittseinkommen der Kassen- ärzte nachrechnen und verglei- chen: Es würde sich zeigen, daß dies kein Verband ist, der legiti- miert wäre, über seine soziale Ver- nachlässigung Klage zu erheben", wetterte Schmidt unter prasseln- dem Beifall.

Es hagelte eine ganze Kongreßwo- che lang Zensuren an die Adresse der Ärzte und Zahnärzte. „Die standespolitischen Vertreter der Ärzte und Zahnärzte malen wieder einmal die Sozialisierung des Ge- sundheitswesens, die Einheitsver- sicherung und den Verlust ihrer beruflichen und ärztlichen Freihei- ten an die Wand . ", beschwerte sich der DGB-Vize Gerd Muhr.

Es sei ein „Skandal", klagte Muhr an, daß diese Leute „von der jüng- sten Entwicklung sogar noch pro- fitieren, denn die Beiträge zur Rentenversicherung wurden für sie herabgesetzt, während umge- kehrt plötzlich für das Baby-Jahr für die Frauen kein Geld mehr da sein soll ... ". In den Reden des Kanzlers, Willy Brandts und der DGB-Chefs macht eine neue Wort- schöpfung mit Applaus bedachte Runden — es sind die „Neo-Kon- servativen". Dieses Wort wird rhe- torisch genießerisch durchge- schlürft, und im Saal mit den rund

600 Delegierten und Gästen bran- det der Beifall, wenn es denen wie- der mal gegeben worden ist.

Muhr: „Die Absicht, die dahinter- steckt, ist klar: Der Stellenwert der Sozialpolitik soll vermindert, die Solidaritätsbasis soll zerstört wer- den. Insgesamt kann dies die Grundlagen unseres gewerk- schaftlichen und sozialpolitischen Wirkens in Frage stellen, wenn es nicht gelingt, diesen Bestrebun- gen Einhalt zu gebieten." Muhr, ein Top-Fachmann der Rentenpo- litik, aber auch ein Meister auf dem Demo-Klavier, ruft zur Samm- lung.

Der DGB wankt unter den Hieben der Publizistik, vor allem der Pu- blizistik, die sich bisher als Anwalt liberaler und linker Politik ver- stand bzw. als solche verstanden worden ist und die nun gnadenlos einen Fetzen nach dem anderen aus der bisher glänzenden Robe des Chefanwalts und Lordsiegel- bewahrers sozialer Gerechtigkeit reißt. Die beiden Hamburger Ma- gazine haben den Mythos des DGB schwer angeschlagen. Der Verband, der sich als zentrale In- teressenvertretung der deutschen Arbeitnehmerschaft versteht, macht in diesen Wochen den bitte- ren Lernprozeß durch, daß soziale Programmatik und praktisches so- ziales Leben, daß Anspruch und Wirklichkeit verschiedene Dinge sind.

Die Chance der inneren Reinigung wurde in Berlin freilich vertan — der DGB lasse sich das Kongreß- programm nicht von der Presse diktieren, so die vordergründig stimmige Begründung. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Kri- senmanager, die die Reihen schließen und neu formieren, die Energien nach außen richten und zur inneren Aufrüstung neue Feindbilder konstruieren. Und das sind eben die Ärzte, die Zahnärzte,

die Selbständigen, die Freiberuf- ler, das sind die Menschen mit den

„Privilegien". Das sind die Böse- wichter, die den sozialen Frieden kaputtmachen und nicht den Pfad gehen, den ein rechtschaffener Mann der Arbeit gehen soll.

Den Rednern war der Beifall der Masse immer sicher, wenn die Vo- kabeln aus dem kalten sozialen Krieg von gestern ins Publikum geschleudert wurden. Das hörte sich verdächtig nach Flucht in die Phrase an, in die man sich flüchte- te vor der eigentlichen Aufgabe, die Knoten innerer Korruption in geduldiger Tagesarbeit zu ent- wirren.

Schadenfreude über diese Vorfäl- le wäre fehl am Platz, eher Sorgen.

Der Deutsche Gewerkschafts- bund, dem auch die härtesten Kri- tiker ein gerüttelt Maß Anteil am Aufbau der Bundesrepublik zubil- ligen, der viel Radikalismus abge- dämpft und absorbiert und eine wesentliche Mit-Wächterrolle bei der Wahrung, sozialen Friedens gespielt hat, könnte ins Rutschen kommen: Es könnte sein, daß der DGB eine härtere Gangart ein- schlägt, roten Falken vielleicht Zu- geständnisse macht, härtere For- derungen stellt, intransigenter wird.

Die Vorgänge um die „Neue Hei- mat" haben mit Sicherheit Fern- wirkung, und man kann sich nach der Domino-Theorie mit ebenso- großer Sicherheit Auswirkungen auf das soziale Leben, auf die So- zialpolitik des DGB vorstellen.

Die Welt der DGB-Beschlüsse zur Sozial-und Gesellschaftspolitik ist noch heil. Sie gehen auf eine kon- sequente Sicherung des Sozial- staats und seiner Leistungen hin- aus, nicht nur das, sogar auf deren Ausbau. Es wird eifrig an den Stra- ßen und Brücken zur sozialen Ver- heißung gebaut, und die Men- schen, die die Widerwärtigkeiten und Einbrüche des Schicksals ab- polstern, die das Schmieröl für das Getriebe und die Achsen der sozialen (Leistungs-)Maschinen

Ausgabe B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 27 vom 9. Juli 1982 23

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Die Information:

Bericht und Meinung DGB-Bundeskongreß

liefern, das sind die Freiberufler, die Selbständigen, kurzum, die

„Besserverdienenden", die für diese Solidarität geradezustehen haben und die, so Wolfgang Roth, jetzt ran müssen. Große Empö- rung jedesmal darüber, wenn die Diskussionsredner deren „Privile- gien" attackierten.

Moralischer Feldzug

gegen die „Neokonservativen"

Ernst Breit, der neue DGB-Chef:

Wir brauchen Arbeitsplätze und ein Beschäftigungsprogramm.

„Für die Schaffung solcher Ar- beitsplätze muß dem Staat finan- zieller Spielraum geschaffen wer- den, eine Ergänzungsabgabe auf die Steuerschuld höherer Einkom- men könnte ein Mittel sein . . . ".

Aber schade: Breit bedauert „au- ßerordentlich, daß alle Vorschlä- ge, mehr Beschäftigungsmöglich- keiten zu schaffen, von der Seite der Finanzierung her immer wie- der in den Reißwolf der Interessen der Bezieher höherer und hoher Einkommen gezerrt werden". Im moralischen Feldzug gegen die

„Neokonservativen" und die Be- zieher höherer Einkommen waren sich Kanzler und DGB einig.

Die Beschlüsse zur Sozialpolitik klangen wie eine Herausforderung zum Angriff auf die restlichen Ba- stionen neokonservativer Prä- gung:

Der Bundes-Frauenausschuß setz- te seinen Antrag durch, den § 218

„im Sinne der Fristenlösung zu novellieren". Die überkonfessio- nellen Beratungsstellen „sind stärker zu fördern". Besonders in südlichen Bundesländern sei es schwierig, „legal einen Schwan- gerschaftsabbruch zu erhalten".

Der Donnerkeil der Gerechtigkeit soll insbesondere diejenigen tref- fen, die diesen Sozialstaat demon- tieren wollen. Der DGB warnt „ein- dringlich" Parlament und Regie- rung, den Weg der Einschränkun- gen weiter fortzusetzen; die bisher beschlossenen Maßnahmen seien sozial unausgewogen und belaste-

ten besonders kleine Einkommen.

Der „12. Ordentliche Bundeskon- greß wendet sich entschieden ge- gen die zunehmenden Diffamie- rungsversuche bestimmter Partei- en, der Leistungsanbieter wie Ärz- te und Zahnärzte sowie der Arbeit- geber gegenüber den Versicher- ten und Patienten". Der DGB-Bun- desvorstand wird beauftragt, „mit allen gewerkschaftlichen Mitteln weitere Eingriffe in das Netz der sozialen Sicherheit zu verhin- dern".

Die flexible Altersgrenze für Män- ner und Frauen soll auf das 60.

Lebensjahr festgesetzt werden;

die verschiedenen „Systeme der Alterssicherung" sollen „harmoni- siert" werden, „bei voller Einbe- ziehung aller Erwerbstätigen in den Versicherungsschutz". Zu den weiteren „konkreten Schrit- ten", die in der Rentenversiche- rung gefordert werden, gehört auch die „Veränderung der Be- messungsgrundlage für die Ar- beitgeberbeiträge zur Sozialversi- cherung durch eine Bindung an die Nettowertschöpfung und die Abschreibung"; also umformuliert wieder die Maschinensteuer.

„Die Sozialstationen sind räum- lich, fachlich und personell so auszustatten, daß die Verweildau- er in den Krankenhäusern ohne Schaden für die Patienten weiter verringert werden kann, damit der ambulante Bereich die Versor- gung der Rekonvaleszenten si- cherstellt".

Bei den Trägern der Krankenversi- cherungen sollen Arbeitsgemein- schaften eingerichtet werden, „die auf einen Finanzausgleich der Kassen hinwirken". Im Beschluß 141 ein Wink mit dem Zaunpfahl der Gewerkschaft Holz und Kunst- stoff: „Ein Abbau der sozialen Lei- stungen wäre nicht nur ungerecht gegenüber den Arbeitnehmern — er würde auch in höchstem Maße den inneren Frieden in unserem Lande gefährden und neue Kon- flikte schaffen". Eine sanfte Dro- hung insofern, bei weiterer „De- montage" des Leistungssystems

die Betriebe auf die Straße zu schicken.

Im Beschluß 146 steht ein Satz wie: „Ausgehend von der Gesund- heitsdefinition der Weltgesund- heitsorganisation, nach der Ge- sundheit ein Zustand völligen kör- perlichen, geistig-seelischen und sozialen Wohlergehens ist, for- dern die Delegierten des 12.

Ordentlichen Bundeskongresses den Gesetzgeber auf, durch ein umfassendes und einheitliches Ar- beitsschutzrecht die Vorausset- zungen für die betriebliche Umset- zung einer dementsprechenden Arbeitsschutzpolitik zu verbes- sern".

Eine gesundheitspolitische Struk- turkommission soll gebildet wer- den, „deren Arbeitsauftrag darin besteht, Ansätze zur politischen und praktischen Umsetzung ge- werkschaftlicher Gesundheitspoli- tik aufzuzeigen". Der Anspruch auf Krankengeld bei Fernbleiben des Versicherten von der Arbeit wegen eines erkrankten Kindes soll von fünf Arbeitstagen auf min- destens zwei Wochen erhöht und die Altersgrenze des Kindes von acht auf 14 Jahre heraufgesetzt werden.

Die Zahlung von Krankengeld soll nicht nach 78 Wochen enden, son- dern von den Versicherungsträ- gern bis zur Herstellung der Ar- beitsfähigkeit oder des Rentenbe- zugs geleistet werden.

In den Materialien zur Neuord- nung der Hinterbliebenenversor-' gung und dem Ausbau eines ei- genständigen Rentenanspruchs der Frau stand der Satz: „Die Dele- gierten lehnen mit Entschieden- heit die Vorstellungen einer grundsätzlichen Besitzstandsga- rantie des eigenen Versicherungs- anspruchs ab". Das ging jedoch Gerd Muhr nun doch zu weit: Es bedurfte großer Überredungs- kunst des DGB-Rentenspeziali- sten, zusammen mit Hermann Rappe, diesen gefährlichen Satz zu eliminieren.

Dr. Ekkhard Häussermann

24 Heft 27 vom 9. Juli 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe B

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